Passau/FRG. Gerade noch so hat Toni Schuberl nach den Landtagswahlen im vergangenen Jahr den Wiedereinzug ins höchste bayerische Parlament geschafft – und darf nun dort für weitere fünf Jahre die Interessen seiner Wählerschaft vertreten. Der 40-jährige in Daxstein in der Gemeinde Zenting beheimatete Grünen-Politiker ist auch in dieser Legislaturperiode Mitglied im Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration und wurde von seiner Fraktion erneut zum rechtspolitischen Sprecher bestimmt. Zudem ist der Jurist Teil der Richter- und Richterinnen-Wahlkommission sowie Stiftungsrat der Stiftung Opferhilfe.
Wie zuvor schon mit seiner Freien-Wähler-Kollegin Roswitha Toso haben wir uns mit dem für gesamt Ost-Niederbayern zuständigen Landtagsabgeordneten über verschiedene aktuelle politische Themen unterhalten. Dabei geht es u.a. um den Nachhaltigkeitsgedanken, die Verkehrswende, den Klimawandel, die Ergebnisse der Weltklimakonferenz, die Auswüchse des Populismus und vieles mehr.
„Man hat nicht mehr als 24 Stunden pro Tag“
Herr Schuberl: Eine ihrer Lehren aus der vergangenen Legislaturperiode ist ja, dass Sie künftig volksnäher agieren möchten, sich etwa mehr auf Volksfesten in der Region sehen lassen wollen, richtig?
In der ersten Legislaturperiode war die Vorstellung meiner Arbeit die, dass ich in erster Linie meinen Pflichten in München nachkommen muss. Ich bin rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion geworden, ein sehr wichtiger Posten. Ich war – und bin immer noch – Mitglied im zweitwichtigsten Ausschuss, dem Verfassungsausschuss. Ich war hier auch sehr erfolgreich mit dem, was ich aus der Opposition heraus durchsetzen konnte.
Das Problem: Man hat nicht mehr als 24 Stunden pro Tag – und schlafen sollte man auch noch zwischendurch. Das Vermitteln unserer Politik an die Basis in Kombination mit dem Wahrnehmen, wie unsere Politik in der Bevölkerung ankommt, ist dabei zu kurz gekommen. Deshalb werde ich in meiner zweiten Legislaturperiode die Schwerpunkte umdrehen und verstärkt in der Region diese Vermittlerrolle einnehmen, jenes Scharnier zwischen Regierung und Volk viel stärker wahrnehmen – und dadurch in München weniger machen.
Sie meinten zudem im September vergangenen Jahres, dass Sie mehr Zeit darauf verwenden wollen, „die großen Erfolge der Grünen in der Bundesregierung in der Fläche zu thematisieren…“
Wir haben uns in einer gewissen Sicherheit gewähnt, dass nach 40 Jahren Debatte jedem klar ist, dass wir den Klimaschutz brauchen. Dass es klar ist, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Klar ist, dass unsere Demokratie geschützt werden muss. Den Kampf um diese Themen haben wir deswegen vor Ort vernachlässigt. Und es gibt zunehmend Stimmen, die fragen: Wozu brauchen wir eigentlich den Klimaschutz? Wozu wollen wir überhaupt umsteigen von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien? Wozu braucht es das alles, das ist doch gar nicht so wichtig? Wieso ist es ein Problem, dass eine rechtsextreme Partei Macht erlangt? Und: Ist denn diese Demokratie überhaupt die richtige Staatsform?
Solche Debatten brechen auf – und das hat mich schon sehr überrascht. Da müssen wir wieder verstärkt Basisarbeit leisten und nicht nur versuchen, so viel wie möglich für Demokratie, für den Klimaschutz, für den Rechtsstaat durchzusetzen, sondern erst wieder an der Basis der Bevölkerung dafür zu kämpfen, damit diese Grundlagen unseres Gemeinwesens auch von allen anerkannt werden.
„Egal, ob da BMW draufsteht oder nicht“
Welche großen Erfolge der Grünen beispielsweise haben die Menschen auf dem Land nicht erkannt?
Sie haben nicht erkannt, dass wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft auf Nachhaltigkeit umstellen müssen, damit wir auf dem Land weiterhin Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Wohlstand haben. Das ist 16 Jahre versäumt worden…
Doch die Leute auf dem Land sehen großteils die rigide Ausrichtung von alles und jedem auf das Thema Nachhaltigkeit ja gerade als Bedrohung an. Sie sehen ihren Wohlstand durch den allumfassenden Nachhaltigkeitsgedanken bedroht.
Das ist eine dieser Kampagnen von CSU und Freien Wählern, die die Leute dazu gebracht haben, dies zu glauben. Fakt ist: Wenn man sich anschaut, wie andere Länder in dieser Welt agieren und wie sich der Markt entwickelt, werden wir in näherer Zukunft keine Verbrenner mehr verkaufen – egal, ob da BMW draufsteht oder nicht. Und jetzt stellt sich die Frage: Wollen wir, dass in Niederbayern weiterhin Autos gebaut werden oder nicht? Dann müssen wir umsteigen auf Elektromobilität – und das Management von BMW davon überzeugen, dass dieser Schritt notwendig ist.
Wir haben jedoch aktuell einen Wirtschaftsminister in Bayern, der mit Millionenförderungen versucht, BMW davon zu überzeugen, sündteuren sowie knappen Wasserstoff in Autos zu verbrennen. Diese Richtung ist eine große Sackgasse und bedroht unsere Wirtschaft. Wir haben einen grünen Wirtschaftsminister im Bund, der klar die Weichen Richtung Elektromobilität stellt. Und wir können uns noch gar nicht ausmalen, was das für uns in Niederbayern bedeutet, wenn BMW schließen würde – doch das gilt es zu verhindern. Dafür brauchen wir einen Wandel, denn: Wer sich nicht ändert, fällt zurück. Wenn wir nicht ein klares Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennermotor setzen, dann fehlt das klare Signal für die Wirtschaft. Wenn wir den Anschluss nicht schaffen, dann werden wir wirtschaftlich das Nachsehen haben – und das dürfen wir nicht zulassen.
BMW zahlt im Jahr eine Milliarde Euro Löhne an seine Mitarbeiter in Niederbayern. Die Niederbayern zahlen aber jedes Jahr zwei Milliarden an Energiekosten – sei’s Sprit, Heizöl oder Strom. Das ist das Doppelte dessen, was die Löhne von BMW ausmacht. Wenn wir’s schaffen mit Photovoltaik, Windkraft, größeren dezentralen Speichern und einem besseren Stromnetz die zwei Milliarden hier bei uns zu erwirtschaften, dann haben wir eine Wertschöpfung vom Doppelten dessen, was BMW an Löhnen zahlt. Nur um ein Beispiel dafür zu nennen, wie bedeutend die Energiewende für das Land ist.
„Dieser Zwang, der muss weg“
Thema Verkehrswende: Wie zuversichtlich sind Sie, dass diese nach ihren Vorstellungen gelingt, insbesondere in einer Region wie dem Bayerischen Wald? Sprich: Ausbau von Bus und Bahn, Radwegen etc.
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch solange wir eine Staatsregierung haben, die eine Verkehrswende von allen Seiten torpediert, wird’s hier vor Ort schwierig werden. Wir brauchen einen öffentlichen Nahverkehr, der so gut und attraktiv ist, dass keine Durchschnittsfamilie mehr gezwungen ist, ein Zweitauto kaufen zu müssen. Sondern es muss möglich sein, dass man die planbaren und regelmäßigen Fahrten mit Bus oder Bahn bewältigen kann, sofern man will. Jeder darf sich freilich ein Zweitauto kaufen oder auch ein Drittauto, wenn er will. Aber dieser Zwang, dass man’s muss – egal, ob man sich’s leisten kann oder nicht -, der muss weg. Und das ist unser Ziel bei der Verkehrswende.
Die bayerische Staatsregierung hat jedoch keine anderen Ideen außer Straßen zu bauen. Und wenn schon eine riesige Straße da ist, dann machen sie noch einen großen Kreisel auf einer Brücke oben drüber. Und noch ein paar Auffahrten und was weiß ich noch alles…
Liegt es wirklich an der Ideenlosigkeit? Oder glaubt man vielleicht, man müsse die hiesige Bauwirtschaft besonders fördern?
Man könnte die Bauwirtschaft ja auch dadurch fördern, indem man Gleise baut. Und klar: Man sollte keine Wirtschaftspolitik für einen Bau-Konzern aus der Region machen. Wir geben keine Steuergelder aus, um konkrete Unternehmen mit Aufträgen zu versorgen – das darf nicht mehr sein.
Der Bau-Konzern ist aber ein großer und wichtiger Arbeitgeber in der Region…
Ich bin mir sicher, dass es auch Arbeitgeber gibt, die an der Verkehrswende mitwirken können. Und es kann nicht ernsthaft sein, dass die Staatsregierung sagt: Auch wenn’s unsinnig ist, bauen wir eine Straße, damit die Auftragsbücher der örtlichen Bauunternehmen voll sind und die dort Beschäftigten Arbeit haben. Das darf nicht sein – und ich möchte das auch nicht glauben, dass dem so ist. Aber manchmal kann man schon den Eindruck gewinnen, dass es so ist, wenn wieder unsinnigste Bauprojekte durchgezogen werden…
„Wenn ich im Auto sitze, ist es verlorene Zeit“
Wie oft fahren Sie eigentlich mit der Bahn nach München in den Landtag?
Immer – außer es wird gestreikt oder die Bahn fällt aus wegen zu starken Schneefalls. Mit Bus und Bahn dauert die Fahrt von Haustür zu Haustür – sprich: von meinem Haus in Daxstein bis ins Maximilianeum – knappe drei Stunden. Mit dem Auto brauche ich dafür etwas weniger, sofern kein Stau auf der Autobahn herrscht und ich einen Parkplatz finde. Die Fahrt mit dem Zug ist für mich praktischer, weil ich in der Zeit arbeiten kann. Und wenn Aiwanger endlich einmal diese Mobilfunklöcher stopfen würde, könnte ich auch durcharbeiten und müsste nicht bei Dingolfing immer offline gehen. Wenn ich im Auto sitze, ist es verlorene Zeit.
Als wie zuverlässig empfinden Sie das Reisen mit der Bahn?
Wenn ich mit dem Auto fahren muss, stehe ich im Großraum München öfter im Stau, als dass ich mit der Bahn signifikant zu spät komme. Doch die Bahn hat ein Riesenproblem, das die drei Namen der einstigen CSU-Verkehrsminister ziert, die die Bahn schlichtweg kaputt gespart haben. Es fehlen nun zig Milliarden an Investitionen in die Bahninfrastruktur. Wir brauchen Ausweich- und Überholgleise, brauchen mehr Personal, mehr Züge auf Vorrat usw.
Sollte die Berliner Ampel-Koalition nicht bis zum Ende der Legislaturperiode durchregieren können: Besteht dann die Gefahr, dass die Nachfolgeregierung – womöglich wieder mit Beteiligung der Unionsparteien – sämtliche jetzt in die Wege geleitete Vorhaben wieder kippt?
Die CSU hat bereits angekündigt, dass sie das Rad zurückdrehen wird ins letzte Jahrhundert: Sie möchte neue Atomkraftwerke bauen, das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung abschaffen, den Umstieg auf nachhaltiges Heizen aufheben, das Verbrenner-Aus rückgängig machen – alles, was uns auf den Zukunftspfad bringt, werden sie wieder auf 90er-Jahre-Stand bringen. Eine Katastrophe. Das Glück jedoch ist, dass die CSU alleine keine Mehrheit hat. Sie müssen im Unionsrahmen entweder mit SPD oder Grünen koalieren. Das heißt: Wenn es zum Wechsel käme, ist mindestens wieder eine Ampelpartei dabei, die die größten Fehler und Katastrophen verhindern könnte.
„Die Realität sieht jedoch anders aus“
Was sagen Sie zur immer wiederkehrenden Argumentation von Klimawandel-Skeptikern, die behaupten, dass Deutschland allein mit gewissen Maßnahmen den Klimawandel nicht aufhalten bzw. „die Welt nicht retten könnte“? Dass USA und China ja ohnehin machen würden, was sie wollen?
Niemand sagt, dass es Deutschland alleine schaffen muss. China überholt uns gerade massiv beim Ausbau erneuerbarer Energien. Die Hälfte des Zubaus erneuerbarer Energien in der Welt wird dort gemacht. Die deutsche Solar-Industrie ist unter Merkel zugrunde gegangen. Das alles wird nun in China produziert. Wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, dass unser Beitrag zur Klimarettung irrelevant sei und bei den alten Technologien bleiben, dann wird unsere Industrie bald keine Bedeutung mehr haben. Dann müssen wir die moderne Technologie aus China kaufen. Wer das will, kann das so vertreten – es wäre jedoch eine Katastrophe.
Deutschland als relativ kleines Land ist vor Kurzem erst aufgestiegen zur drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt – hinter China und den USA. Wer, wenn nicht wir, soll das also schaffen? Dass die Menschheit überhaupt fähig ist, jetzt ernsthaft die gesamte Energieerzeugung auf Wind und Sonne umzustellen, hat seine Ursache in der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder. Das heißt: Man kann als wichtiges Industrieland – auch wenn man klein ist – die Weichen für die Menschheit entscheidend stellen. Und das müssen wir tun!
Aber wenn trotz dieser Weichenstellung die anderen globalen Player nicht mitspielen? Was dann?
Das wird immer so suggeriert. Die Realität sieht jedoch anders aus. Sie sieht so aus, dass die entscheidenden Länder in die richtige Richtung gehen – und wir mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen können, wenn wir da nicht mit dabei sind. In den USA gibt es ein Klimaschutzgesetz, in dessen Rahmen Billionen in grüne Technologien und Industrien gesteckt werden. Man hat dort erkannt, dass die Zukunft der industriellen Herstellung dieser Welt bei nachhaltiger Produktion liegt. Sie versuchen dort ihre Firmen schneller als hierzulande umzubauen, um in Zukunft Marktführer zu sein. Wenn wir diesen Trend versäumen, gibt es bald keinen Industriestandort Deutschland mehr. Wir werden als Grüne alles dafür tun, damit die Industrieproduktion in Deutschland bleibt.
„Man könnte auch sagen: Lüge“
Der Blick auf die Weltklimakonferenz: Wie zufrieden sind Sie mit der Abschlusserklärung? Stichwort: Abkehr von fossilen Energieträgern.
Ich bin Annalena Baerbock zutiefst dankbar, dass sie auf entscheidende Weise diesen Durchbruch mitgeprägt hat – gerade wenn man sich überlegt, dass der ursprüngliche Entwurf überhaupt keine Abkehr von fossilen Energieträgern enthalten hat. Es ist ein gigantischer Erfolg, dass nun alle Staaten entschieden haben, dass wir davon weg müssen. Ich würde mir freilich wünschen, dass es noch viel klarer und stärker in Richtung 1,5-Grad-Ziel gegangen wäre. Aber es ist eine Erklärung, die von allen Staaten unterzeichnet wurde – inklusive derjenigen, die von fossilen Energieträgern leben.
Nichtsdestotrotz ist es nur ein Papier, das unterschrieben worden ist. Und was am Ende tatsächlich umgesetzt wird, steht doch wohl auf einem ganz anderen Blatt, meinen Sie nicht?
In der Politik produziert man ja nur Papier. Papiere, bei denen man sich darauf verlassen muss, dass das darauf Festgeschriebene auch akzeptiert wird. Bayern ist hierfür ein schlechtes Beispiel. Hier wurde ein Klimaschutzgesetz formuliert, in dem nichts Konkretes drinsteht. Das einzige Konkrete ist, dass wir 2040 klimaneutral sein wollen – formuliert von einer Regierung, die den Bund massiv kritisiert, dass der bereits 2045 klimaneutral sein will und das alles viel zu schnell gehe. Das bayerische Gesetz wird von der Staatsregierung mit öffentlicher Ankündigung ignoriert. Söder meinte bei seiner Regierungserklärung: Klimaschutz sei schön und gut, aber er darf nichts kosten – und unterschlägt dabei, dass die gigantischen Kosten, die auf uns zukommen, dadurch entstehen, wenn wir ihn nicht machen, den Klimaschutz.
Söders Botschaft nach dem Motto: ‚Ihr dürft machen, was ihr wollt, macht’s ruhig weiter wie bisher, das wird schon klappen‘, ist nichts als Augenwischerei. Man könnte auch sagen: Lüge. Wir fahren mit Vollgas auf eine Wand zu – und diejenigen, die ‚Bremsen!‘ schreien, werden als Ideologen bezeichnet. Das ist die Situation in Bayern. Und wir haben – Gott sei Dank – eine Bundesregierung, die hier mit aller Macht versucht entgegen zu wirken.
„Die haben den Karren in den Dreck gefahren“
Nochmal: Wie verlässlich ist diese Abschlusserklärung ihrer Meinung nach? Oder ist am Ende eh alles nur Show?
Nein, nur Show ist das nicht. Wir haben keine Instanz auf Welt-Ebene, die Gesetze erlassen kann. Und auch internationale Verträge, selbst wenn man sie bindend gestaltet, hängen davon ab, dass sich die, die sich gebunden haben, auch daran gebunden fühlen. Wenn man nun also erwartet, dass es sich dabei um etwas handelt, das vollzogen wird auch gegen den Willen der unterzeichnenden Staaten, dann ist man wohl enttäuscht. Aber dann muss man von vornherein enttäuscht sein, weil es, wie gesagt, keine Welt-Polizei und keine durchsetzende Welt-Regierung gibt. Es gibt nur das Miteinander, sich daran zu halten. Und so gesehen ist es ein großer Erfolg.
Nochmal zurück zu Deutschland: Man muss Klimapolitik pragmatisch machen, sodass sie durchsetzbar ist. Würden wir jetzt die Versäumnisse der vergangenen 16 Jahre innerhalb von vier Jahren auszugleichen versuchen, hätte dies wirtschaftliche und gesellschaftliche Erschütterungen zufolge, die man in einer Demokratie nicht wollen kann. Das heißt: Wir machen maximal mögliches Tempo, doch es wird nicht reichen für 1,5 Grad – und das wird verheerende Folgen haben.
Macht man es sich nicht etwas einfach und bequem damit, stets zu sagen, dass die Vorgänger-Regierung alles verbockt und versäumt hat und dass nun alles nicht so schnell aufzuarbeiten sei?
Nein, das ist überhaupt nicht bequem. Das Problem ist, dass der Sündenbock seine eigenen Versäumnisse nun uns vorwirft. Das ist in erster Linie die bequeme Position der CSU. Die haben den Karren in den Dreck gefahren – mit voller Ansage und mit voller Absicht. Weil sie sich einfach nicht getraut haben, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Die krasse Verschuldung Deutschlands ist unter Merkel passiert. Da wurden große Unsummen ausgegeben. Da wurde eine unverantwortliche Misswirtschaft betrieben, gleichzeitig die Infrastruktur zerstört – und die Zeichen wurden nicht auf Zukunft gestellt.
Und dann hat man eben diesen Sauhaufen übernehmen und ausmisten müssen. All die Dinge, die insbesondere eine CSU sich nicht getraut hat, auf Bundesebene durchzuführen, weil sie nur das gemacht hat, womit sie in Bayern die Landtagswahl gewinnen konnte, die müssen wir nun erledigen – und dafür tritt uns die CSU gegen das Schienbein. Das ärgert mich sehr. Und dass sie damit auch noch durchkommen, ärgert mich noch viel mehr…
„Die beste Bundesregierung der vergangenen 20 Jahre“
Warum kommen sie denn damit durch? Sind denn die Wähler so „dumm“ und erkennen das CSU-Gebaren nicht? Oder woran liegt’s?
Erstens: Es kann sich nicht jeder Bürger ununterbrochen mit Politik beschäftigen. Und zweitens: Die CSU plus Freie Wähler plus AfD haben im ganzen Land eine gemeinsame Kampagne gemacht. Zudem haben sie deutlich mehr Mandatsträger, Mitglieder, Ortsverbände. Und wenn irgendein JU-Verband von Hinterhuglhapfing eine kritische Pressemitteilung zum Heizungsgesetz herausgebracht hat, stand groß in der Zeitung geschrieben, dass die Mitglieder nun auch dagegen sind.
Wir vier grünen regionalen Bundes- und Landtagsabgeordneten haben uns einmal gemeinsam mit Vertretern der Kaminkehrer-Innung Niederbayern getroffen. Uns wurde dabei deutlich gesagt: Das Heizungsgesetz ist gut – und es ist schade, dass es verwässert worden ist. Wir haben daraufhin eine Pressemitteilung verfasst – die PNP hat sie nicht gedruckt. Ich habe deshalb den Eindruck, dass die PNP – bewusst oder unbewusst – auch Teil dieser Kampagne gewesen ist, deren Ziel es war, die Ampel schlecht zu machen. Im Vergleich haben wir – rein von den Ergebnissen betrachtet – die beste Bundesregierung der vergangenen 20 Jahre. Aber vielleicht geht’s den Leuten ja nicht um Ergebnisse, sondern ums Gefühl…
Offen gefragt: Haben die Grünen dieses Kampagnenhafte, dieses Populistische nicht drauf?
Ja, das kann man leider so sagen. Weil wir zu sehr an der Sache orientiert sind, generell zu leise treten. Wir müssen kampagnenfähiger werden, müssen stärker verdeutlichen, was unsere Politik im Geldbeutel der Menschen ausmacht; müssen weniger abstrakt reden, also insofern auch mal etwas populistischer sprechen – aber nicht, indem wir Lügen verbreiten und Dinge verdrehen. Das machen wir nicht, weil das unserem Land schadet – und unsere Wählerschaft goutiert das ohnehin nicht.
Wir bräuchten einen Generalsekretär, der sofort dagegen hält und allen gegen’s Schienbein tritt, wenn derartige Kampagnen gefahren werden… Man muss sich das einmal vorstellen: Die CSU kritisiert nun, dass die aktuelle Haushaltseinigung unsozial sei. Die gleiche CSU, die etwa gesagt hat: Bürgergeld und Kindergrundsicherung abschaffen und bei Sozialleistungen sparen. Es ist völlig wurscht, was man macht: Die sind immer dagegen…
„Hatten ein Jahr lang keine Spitze an dieser Staatsregierung“
Aber wo bleibt denn da der große Aufschrei von den Grünen? Sind Habeck und Co. von Haus aus zu ruhig, sind sie vielleicht aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur zu wenig polternd? Oder anders gefragt: Sind sie eigentlich keine typischen Politiker?
Man muss unterscheiden zwischen guten Politikern und erfolgreichen Politikern. Wenn es nur darum geht, Stimmen zu kriegen – dann müsste man’s machen wie Aiwanger. Wenn’s drum geht, das Richtige fürs Land zu tun und gute Politik zu machen, dann darf man’s keinesfalls machen wie Aiwanger – dann muss man’s machen wie Robert Habeck. Das sind die beiden vergleichbaren Wirtschaftsminister. Ersterer verwechselt Wirtschaft mit dem Festbetrieb im Bierzelt. Und zuletzt habe ich mich immer wieder mal gefragt, ob er auch etwas arbeitet. Im vergangenen Jahr hatten wir ein Bayern ohne Ministerpräsident und ohne Wirtschaftsminister. Die beiden waren ununterbrochen in Festzelten oder bei Kundgebungen vertreten.
Aber das ist ja genau das, was sie nun auch verstärkt machen möchten, um wieder näher dran an der Basis zu sein, wie Sie eingangs angekündigt haben…
Ja, aber nebenbei muss ich meine Arbeit schon noch erledigen. Wir hatten ein Jahr lang keine Spitze an dieser Staatsregierung. Zudem weigern sich die beiden bis heute im Landtag über Landespolitik zu reden – wohl aus gutem Grunde. Es geht nur um Bundespolitik.
Aber aus rein machtpolitischer Sicht haben’s Aiwanger und Söder ja richtig gemacht, meinen Sie nicht?
Sie bleiben weiterhin am Steuer, während wir auf die Wand zurasen – das haben sie geschafft. Sie sollten jedoch bremsen und umdrehen – das wäre viel wichtiger.
„Können nicht an das Original heranstinken“
Ein Gedankenspiel: Wenn nun die Grünen mehr populistisch agieren würden – welche Auswirkungen hätte das, glauben Sie, auf die Gunst der Wählerschaft? Würde dies zu einem Stimmenzuwachs führen?
Nein, weil wir in Sachen Populismus an das Original nicht heranstinken können. Das funktioniert nicht. Söder und Aiwanger sind getrieben von den Erfolgen der AfD. Und sie glauben: Wenn man die Methode und die Rhetorik der AfD übernimmt, könnte man denen das Wasser abgraben. In Wirklichkeit macht man deren Wortwahl und Methodik jedoch hoffähig. Und wen wählen die Leute am Ende? Das Original, sprich: die AfD. Doch das kapieren sie nicht: Dass dieser Aufschwung der AfD mit der Politik der Konservativen zu tun hat.
Söder hat die Wahl verloren, obwohl er ein Jahr lang nur in Bierzelten und auf Veranstaltungen vertreten war, dort alles gesagt hat, was das Volk hören will. Er hat bis heute noch keine Wahl wirklich gewonnen – bis auf die Europawahl, die jedoch auf Manfred Webers Konto ging. Bei Söders Ergebnis wäre jeder andere CSU’ler abgesägt worden.
Stichwort: Haushalts-Kompromiss bzw. Ampel-Einigung auf den vor allem von landwirtschaftlicher Seite umstrittenen Sparhaushalt: Wie sehr mussten die Grünen ihrer Meinung nach bei diesem Kompromiss Federn lassen?
Alle drei Koalitionspartner mussten Federn lassen. Wenn man derart viele Milliarden einsparen muss, dann ist das eben so. Bei den zentralen Zukunftsthemen konnten wir uns jedoch durchsetzen.
Warum „trickst“ die Ampel in Sachen Haushalt nicht einfach so weiter, wie es die bekannte Zeitung mit den vier Buchstaben gewohnt überspitzt dargestellt hat?
Die BILD-Zeitung gehört einem Investor namens KKR, der in fossile Energien investiert hat. In den letzten beiden Jahren gab es keine Schlagzeile, mit der Robert Habeck nicht angegriffen wurde, weil dieser die Interessen der Fossil-Lobby in Gefahr bringt. Das müsste man auch einmal transparent machen, wer eigentlich hinter diesen Medien steht. Ich will Medien, die kritisch sind. Und keine, die alles und jeden zum Skandal machen – und Lügen verbreiten, um jemanden zu schaden.
„Wohl die größte Enttäuschung meiner ersten fünf Jahre im Landtag“
Den Vorwurf einer Ideologie getriebenen Politik müssen sich die Grünen seitens ihrer Gegner bis heute immer wieder anhören. Zurecht?
Dieser Vorwurf geschieht beinahe schon reflexartig. Es ist ein Totschlag-Argument. Ein anderes Wort kennen unsere Gegner schon gar nicht mehr. Wenn ich in einem Auto sitze und mit Vollgas auf eine Wand zufahre, ist es doch keine Ideologie, wenn ich rufe: Bremsen! Es ist doch keine Ideologie, wenn man ein Parteiprogramm hat und die darin stehenden Ziele verfolgt. Für die CSU ist es doch schon schwierig, wenn eine Partei nicht nur den Machterhalt zum Ziel hat, sondern über ein Parteiprogramm verfügt…
Es gilt nicht darauf zu achten, welche Schlagzeilen ich für die nächste Wahl benötige, sondern sich die Frage zu stellen, was das Land für die Zukunft braucht. Wenn dies dann festgelegt worden ist, muss man die Weichen in diese Richtung stellen – selbst dann, wenn es einem anderen nicht passt. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit zukunftsorientierter Politik. Wir wissen, dass die Menschheit ein Überlebensproblem bekommt, wenn sie das Problem mit der Klimaerhitzung nicht in den Griff kriegt. Dieses Problem anzugehen ist notwendig und hat überhaupt nichts mit Ideologie zu tun. Dieses zwanghafte an allem Alten festzuhalten, wie es die CSU macht – das ist ideologisch.
Und so kommt man nie wirklich zusammen. Die eine Seite gibt das, was die andere Seite ihr soeben vorgeworfen hat, wieder zurück und umgekehrt. Gleiches wird immerzu mit Gleichem vergolten. Schade eigentlich. Doch Politik muss wohl so sein…
Bei Söders erster Regierungserklärung vor fünf Jahren habe ich bei allem, was er gesagt hat, geklatscht. Damals dachte ich: Er hat offensichtlich verstanden, worum’s geht. Dabei hat er lediglich erkannt, dass die Grünen gerade im Aufwind sind – und hat genau das gesagt, was Grün-Wähler hören wollen. Doch nachdem was er gesagt hat, sind – wie so oft – keine Taten gefolgt. Aktuell sieht er, dass die AfD im Aufwind ist, also sagt er das, was die AfD-Wähler hören wollen. Ich kann nur hoffen, dass keine Taten folgen.
Ja, das ist wohl die größte Enttäuschung meiner ersten fünf Jahre im Landtag: Dass ich gemerkt habe, dass Söder nicht das tut, was er für richtig hält, sondern das propagiert, welches Stimmungsbild aktuelle Umfragen gerade zeichnen.
„Weil es völlig wurscht ist, was der Mann im Parlament sagt…“
Das war tatsächlich überraschend für Sie? Sind Sie da nicht etwas naiv an die Sache herangegangen?
(zögert) Vermutlich ja. Aber offensichtlich sind auch viele Wähler darauf hereingefallen. Aktuelles Beispiel: In seiner jüngsten Regierungserklärung stellt er sich hin und sagt, dass er nicht versteht, warum Berlin sich nicht um die wichtigen Themen kümmere. Was so nicht stimmt. Und sein nächster Satz lautet: Wir in Bayern werden das Gendern verbieten! Man merkt bei Söder immer genau, welche Umfrage er gerade gelesen hat. Nämlich eine Umfrage, dass die Mehrheit derzeit gegen das Gendern ist – also sagt er: Ich bin dagegen. Zwei Tage später stimmt die Mehrheit der CSU und Freien Wähler bei einer Petition, die fordert, das Gendern in den Behörden zu verbieten, dagegen. Weil es völlig wurscht ist, was der Mann im Parlament sagt…
Interview: Stephan Hörhammer
Im zweiten Teil des Hog’n-Interviews mit MdL Toni Schuberl geht es unter anderem um die Frage, ob die Grünen noch eine Friedenspartei sind, ob es gerechtfertigt ist, AfD-Politiker pauschal als antidemokratisch bzw. rechtsextrem zu bezeichnen und ob der Ausbau des Skizentrums Mitterdorf angesichts der Klimaerhitzung sinnvoll ist.