Zenting. Toni Schuberl, der 2018 erstmals in den Bayerischen Landtag einzog, ist nicht nur Politiker, sondern auch Historiker und Heimatforscher. „Gerade in Zeiten eines aufkeimenden Nationalismus ist eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Geschichte Bayerns enorm wichtig, um langfristig für ein weltoffenes und buntes Bayern zu sorgen“, davon ist der studierte Jurist überzeugt.
Mit 16 Jahren trat Toni Schuberl 1999 den Grünen bei, seitdem hat er sich vom GrüneJugend-Redakteur über den Passauer und Freyung-Grafenauer Kreisrat bis zum Landtagsabgeordneten für Bündnis90/Die Grünen empor gearbeitet. „Als Bewohner eines Hofes in Daxstein ist für mich die Stärkung des ländlichen Raums eine Herzensangelegenheit“, betont der 40-Jährige. Um langfristig für Chancengleichheit zwischen den städtischen und ländlichen Regionen zu schaffen, will er sich weiter für die Verkehrswende einsetzen.
„Eine ökologische Katastrophe wurde dadurch verhindert“
Herr Schuberl: Wenn Sie auf die vergangenen fünf Jahre im Landtag zurückblicken und persönlich Bilanz ziehen – was haben Sie als Vertreter der Grünen in Bayerns höchstem Parlament für die Menschen in ihrem Stimmkreis erreicht? Was sind ihre drei größten Erfolge/Errungenschaften?
Durch meine Initiativen wurde der Nationalpark Bayerischer Wald gestärkt. Im Landkreis Regen wurden 800 Hektar sieben Jahre früher in den Schutz der Naturzone des Nationalparks überführt. Dadurch wurde verhindert, dass riesige Flächen für die Borkenkäferbekämpfung innerhalb des Parks kahlgeschlagen worden wären. Eine ökologische Katastrophe wurde dadurch verhindert. Zudem werden nun neun professionelle Amphibientunnel in die Nationalparkstraße eingebaut, wodurch Tausende von Fröschen gerettet werden können.
Aufgrund meiner Tätigkeit wurde das Konzept für den Maßregelvollzug in Bayern reformiert, so dass nun nach Jahrzehnten auch im Bezirkskrankenhaus Straubing Therapien zur Resozialisierung durchgeführt und die Patienten wieder in das normale Leben integriert werden. Beim Bezirkskrankenhaus Landshut sorgte ich dafür, dass die zu vielen Fixierungen und die übertriebenen Freiheitsentziehungen bei Kindern und Jugendlichen beendet worden sind.
Im Bereich des Kampfes gegen Rechts konnte ich für Aufklärung und eine Modernisierung der Erinnerungskultur sorgen. Als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses brachten wir viele neue Erkenntnisse ans Licht und erreichten unter anderem als Erste eine Zeugenaussage der Terroristin Beate Zschäpe. Die rechtsextreme Burschenschaft Markomannia in Passau und Deggendorf wird auf meine Initiative hin vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Namen der Nazis Palandt und Schönfelder sind endlich von den juristischen Standardwerken entfernt worden – auch aufgrund meiner Forderung. Das zentrale niederbayerische Gedenken am Volkstrauertag in der Kriegsgräberstätte Hofkirchen wird aufgrund meiner historischen Forschung komplett reformiert. Und in Passau wurde von mir und drei Mitstreitern am Neuburger Wald ein Mahnmal für die erschossenen sowjetischen Kriegsgefangenen aufgestellt.
„Da habe ich massiv die Kampagnen unterschätzt“
Würden Sie alles, was Sie in dieser Legislaturperiode entschieden haben, noch einmal genauso entscheiden? Oder gibt es Dinge, die Sie hätten besser machen können?
Ich habe eine sehr große Menge an Projekten gleichzeitig begonnen, was auch zu vielen kleinen Erfolgen geführt hatte. Es wäre aber klug, mehr strategische Schwerpunkte zu setzen. Neben der fachlichen Arbeit in München sollte ich mehr Zeit darauf verwenden, die großen Erfolge der Grünen in der Bundesregierung in der Fläche zu thematisieren und auch schneller und stärker auf Bedenken und Kritik vor Ort zu reagieren. Da habe ich massiv die Kampagnen von CSU und Freien Wählern unterschätzt und geglaubt, die Erfolge allein würden für sich stehen und erkannt.
Mit welchen Ideen wollen Sie sich für die Menschen im Bayerwald einsetzen, sollten Sie den erneuten Einzug in den Landtag schaffen?
Ein zentraler Punkt ist die Verkehrswende. Wir haben in Niederbayern die deutschlandweit schlechtesten Busverbindungen. Für dieses Desaster trägt die CSU die Verantwortung, aktuell Verkehrsminister Bernreiter. Das ist insbesondere für die finanziell Schwächeren eine enorme Benachteiligung. Wir werden natürlich auch weiterhin ein Auto auf dem Land benötigen, aber es muss unser Ziel sein, dass man im Normalfall kein Zweitauto mehr braucht. Dafür müssen wir die Bahn ausbauen, konkret die Ilztalbahn und die Strecke Gotteszell-Viechtach in den Regelbetrieb überführen, die Verbindung nach München auf Halbstundentakt verdichten. Und wir brauchen flächendeckend enge Busverbindungen. Auch brauchen wir gute, sichere Radwege zwischen allen größeren Orten, denn das E-Bike hat auch im Bayerischen Wald das Rad zum tauglichen Alltagsverkehrsmittel gemacht.
Vor Ort ist uns wichtig, die Versorgungslage zu sichern. Wir brauchen hier Krankenhäuser, Schulen, Altenheime und Kindergärten. Da genügt es nicht, wenn die Staatsregierung immer nur ablenkt und auf Berlin zeigt, statt selbst die Hausaufgaben zu machen.
„Wir Grüne sind eine liberale Partei“
Generell gefragt: Wie „grün“ (im politischen Sinne) sind die Grünen heute eigentlich noch?
Dass wir unsere grünen Prinzipien auf die reale Situation anwenden und damit erfolgreich sind, irritiert unsere Kritiker so sehr, dass sie uns einerseits vorwerfen, wir hätten unsere grünen Ideale verloren, gleichzeitig aber auch vorwerfen, wir würden blind eine grüne Ideologie verfolgen. Was denn nun?
Unser Motto ist, dass wir die Erde von unseren Kindern nur geliehen haben. Daher machen wir vorausschauende Politik für unsere Kinder und Enkel, nicht nur für den nächsten Wahltag. Daher haben wir die Atomkraft beendet – das wäre ohne uns Grüne verhindert worden –, daher haben wir den Kohleausstieg im Rheinischen Revier vorgezogen, daher haben wir das Aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen in Autos und Heizungen in die Wege geleitet, daher haben wir einen Rekord beim Ausbau von Solaranlagen erreicht und der Windkraft einen massiven Schub gegeben. Und all das innerhalb kürzester Zeit. Das ist urgrüne Politik.
Die Klimapolitik gestalten wir sozial gerecht und führen unsere Wirtschaft in die Zukunft, damit sie auch weiterhin führend in der Welt sein kann. Das ist der gelebte grüne Leitgedanke der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit.
Den Vorwurf, eine Ideologie- und Verbotspartei zu sein, müssen sich die Grünen immer wieder anhören. Was halten Sie dagegen?
Wir Grüne sind eine liberale Partei. Unsere Ideologie ist das Grundgesetz. Erlaubt muss alles das sein, was niemandem anderen schadet. Damit unterscheiden wir uns klar von CSU und Freien Wählern, die definieren wollen, was „normal“ ist – und nur das erlauben wollen. Wir wollen das Verbot von Cannabis beenden. Wir wollen, dass alle heiraten können, wen sie wollen, auch wenn beide dasselbe Geschlecht haben. Wir wollen, dass alle zu ihrem eigentlichen Geschlecht stehen dürfen. Wir wollen das Arbeitsverbot von gut integrierten Geflüchteten aufheben. Wir wollen, dass jede und jeder leben, arbeiten, lieben, essen, sich kleiden und glauben kann, was er oder sie will.
„Haben mehr geleistet, als die Union in 16 Jahren“
Die Grünen durchleben – insbesondere auch auf bundespolitischer Ebene – einen Abwärtstrend bei den Umfrage-Ergebnissen. Die Wählerschaft scheint enttäuscht zu sein von dem, was man ihr einst versprochen hat, aber nicht halten konnte. Die Kritik an und die Unzufriedenheit mit den Grünen wächst zusehends. Betrachten Sie die Politik der Grünen als gescheitert?
Vergleicht man die jetzigen Umfragen mit dem letzten Wahlergebnis fällt auf, dass die massiven Kampagnen gegen uns Grüne offensichtlich überraschend wenig Schaden angerichtet haben. Wir hatten damals etwas über 17 Prozent und stehen jetzt bei ungefähr 14 Prozent. Es ist klar, dass man in Regierungsverantwortung Entscheidungen treffen muss, die nicht jedem gefallen. Das wirkt sich natürlich aus, zumal eine Dreierkoalition nicht einfach zu handhaben ist. Im Ergebnis können wir zufrieden sein.
Nach dieser Legislaturperiode im Bund wird Deutschland mehr Klimaschutz, bessere Infrastruktur und weniger Armut haben – das ist angesichts der Herausforderungen ein gigantisches Ergebnis. Wir haben in diesen eineinhalb Jahren mehr geleistet, als die Union in 16 Jahren. Ob wir dafür mehr oder weniger Stimmen bekommen, ist angesichts der politischen Herausforderungen zweitrangig.
Stichwort „Polizeiaufgabengesetz“: Als wie verfassungsgemäß stufen sie dies ein? Inwiefern könnte es verbessert werden?
Das PAG ist nach wie vor verfassungswidrig, daher halten wir unsere Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof aufrecht. Es wäre gut, wenn die CSU es endlich schaffen würde – gerade im Polizeirecht – endlich verfassungsgemäße Gesetze zu beschließen. Wir haben zahlreiche Verbesserungen vorgeschlagen, mit denen das Gesetz verfassungsgemäß würde: Die Präventivhaft kürzer und nur zur Verhinderung schlimmer Gewalttaten, die Abschaffung des schwammigen Begriffs der „drohenden Gefahr“ und die bessere Sicherstellung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten.
„Dann werden wir die neuen Ölscheichs werden“
Stichwort „Klimawandel“: Was muss ihrer Meinung nach dringend geschehen, damit gewisse Klimaziele erreicht werden?
Die Bundesregierung hat zum Glück schon enorm viel auf den Weg gebracht. Da muss Bayern einfach aufhören, zu blockieren und endlich anfangen, mitzumachen. Bis 2045 müssen wir es geschafft haben, jegliche Verbrennung von Gas, Kohle, Öl, Benzin und Diesel in jeglicher Form im ganzen Land zu beenden. Das heißt, da wird dann kein herkömmlicher Verbrennermotor mehr laufen, keine Gas- oder Ölheizung mehr betrieben werden und kein Kohle- oder Erdgaskraftwerk mehr laufen. Dafür müssen wir die Strom- und Wärmerzeugung und den Verkehr und die Industrie umstellen und zwar in der Geschwindigkeit, dass wir 2045 am Ziel sind. Das ist eine Herausforderung, aber zu schaffen, wenn nicht weiter gebremst wird.
Folgendes bedeutet dies für uns in Niederbayern:
- Wir brauchen Stromnetze, die den Solar- und Windstrom aufnehmen und verteilen können. Dafür wäre der bayerische Wirtschaftsminister zuständig gewesen.
- Wir brauchen zusätzlich zu den privaten Stromspeichern große Speicher, die dezentral im Land Überschüsse aufnehmen und dann gezielt wieder abgeben können.
- Wir brauchen auf jedem geeigneten Dach Photovoltaik und wir brauchen auf den geeigneten Flächen Windkraftanlagen.
- Wir brauchen kommunale Wärmepläne und Wärmenetze, betrieben z.B. durch große Erdwärmeanlagen.
- Wir brauchen Bürgerenergiegenossenschaften, mit denen sich die Menschen an den Windkraftanlagen beteiligen können und so die Wertschöpfung vor Ort bleibt.
- Wir brauchen kommunale Unternehmen wie die Stadtwerke in Passau auch am Land. Die Gemeinden und der Landkreis könnten solch ein Kommunalwerke-Unternehmen gemeinsam gründen und so aktiv an der Energiewende teilnehmen.
- Wir brauchen mehr Buslinien, reaktivierte Bahnlinien, Radwege zwischen allen größeren Orten und ein gutes E-Ladenetz – und für Lkw ein Wasserstofftankstellennetz.
Wir Niederbayern zahlen angeblich rund zwei Milliarden Euro jährlich an Energiekosten. Das Geld fließt zum Beispiel zu den Ölscheichs. Zum Vergleich: Das ist der doppelte Wert dessen, was BMW jährlich in Niederbayern an Löhnen zahlt. Wenn wir die Energiewende voll durchziehen, können wir das Geld im Land halten, dann werden wir in Niederbayern die neuen Ölscheichs werden.
„Ebner-Steiner, Stadler und Atzinger sind Rechtsextreme“
Wie sehen Sie das Erstarken der AfD und den konstant großen Rückhalt dieser Partei in der Bevölkerung des Bayerischen Waldes? Und: Was muss passieren, dass die Waidler mehr Grüne wählen?
Die niederbayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Katrin Ebner-Steiner, Ralf Stadler und Oskar Atzinger sind keine Demokraten, sondern rassistische Rechtsextreme. Sie stellen die Würde und die rechtliche Gleichheit aller Menschen in Frage und diffamieren Gruppen allein aufgrund ihrer Herkunft als Verbrecher. Ihre zentrale Erzählung ist die Verschwörungslegende der Umvolkung, deren antisemitischen Wurzeln sie teilweise gar nicht mehr zu verbergen versuchen. Teilweise hängen sie der Reichsbürger-Ideologie an oder wollen sich für einen Bürgerkrieg in Form eines Rassenkriegs bewaffnen. Wer diese wählt, will Rechtsextremen Macht in diesem Land geben.
Weshalb dies im Bayerischen Wald so massiv ist, weiß ich nicht. Wir haben genauso gute Schulen mit Geschichtsunterricht und Sozialkunde wie andere Regionen – und eigentlich müssten auch die AfD-Wähler bei uns von ihren Eltern oder Großeltern gehört haben, was es bedeutet, wenn Rechtsextreme Macht bekommen. Niederbayern ist eine Aufsteigerregion, würde von der anstehenden Energiewende profitieren und hat keine Probleme mit Zuwanderung.
Rechtsextreme können nur durch alle demokratischen Parteien gemeinsam gestoppt werden. Dazu brauchen wir eine klare und feste Brandmauer zur AfD. Und dazu brauchen wir eine Debattenkultur, in der man zwar den notwendigen demokratischen Streit führt, aber ohne das demokratische System an sich in Frage zu stellen oder in Misskredit zu bringen. Derzeit erleben wir aber leider, dass die Konservativen in diesen Punkten den kurzfristigen Erfolg bei der Landtagswahl höher stellen als den Erhalt unserer Demokratie.
Wir Grünen bekommen mehr Stimmen, wenn wir noch stärker den Menschen zeigen, dass wir die besten Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft haben. Wir stehen für eine intakte Natur, den Schutz unserer Lebensgrundlagen, Hilfe für die Schwächsten im Land, ein modernes Schulsystem, Mobilität für alle, eine zukunftsfähige Wirtschaft, eine funktionierende Infrastruktur und ein vielfältiges Land. Im Zusammenhang mit dem Schutz unserer Demokratie ist es aber zweitrangig, ob jetzt wir Grünen mehr oder weniger Stimmen erhalten, solange die Feinde der Demokratie nicht weiter gewinnen.
„Kritisches Nachfragen und Aufdecken von Missständen“
Sollten Sie erneut in den Landtag einziehen: Wie wird die künftige Schuberl’sche Handschrift aussehen? So, wie die vergangenen Jahre – oder möchten Sie gerne etwas verändern?
Als Kern meiner Arbeit sehe ich das kritische Nachfragen und Aufdecken von Missständen. Wir sind als Abgeordnete diejenigen, die die Regierung kontrollieren. Und das mache ich auf jeden Fall auch weiterhin. Die Vielzahl meiner Anfragen lassen sich auf meiner Webseite finden. Ebenfalls werde ich weiterhin versuchen, Pläne für die Zukunft unserer Region zu entwickeln, wie ich es beispielsweise bereits für das niederbayerische Bahnnetz gemacht habe. Den bisherigen Schwerpunkt auf die fachliche Arbeit in München möchte ich etwas verlagern auf die Kontakte mit Bürgern, Unternehmen und Organisationen in Niederbayern.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer