Passau/Schönberg. Hat das Passauer Landgericht eine tickende Zeitbombe hinter Gitter geschickt? Der Einheimische (39), der im Oktober 2022 bei Schönberg mit sexuellen Hintergedanken eine Reiterin (30) von ihrem Pferd zerren wollte (da Hog’n berichtete), muss wegen versuchter, besonders schwerer sexueller Nötigung für viereinviertel Jahre ins Gefängnis. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.
Der Angeklagte wirkt sonderbar. Einsam. Niemand aus seinem Umfeld ist im Gerichtssaal zugegen, niemand scheint sich für ihn zu interessieren. Der Mann stammt aus Sachsen, kam vierjährig nach Niederbayern, wuchs in seiner Familie in der Region Schönberg auf. Er hat mehrere Geschwister. Als Teenager experimentierte er mit Cannabis und Speed, schaffte den Hauptschulabschluss gerade so, konsumierte auch härtere Drogen, trank Alkohol, hatte aber fast immer Jobs.
„Kontaktscheu, zurückhaltend, selbstunsicher“
Schlimm hätte ihn 2016 der Tod der Mutter getroffen – „da ging es ihm schlecht“. Er litt unter großen Ängsten, hatte keinen Antrieb mehr. Doch richtig aus der Bahn warf ihn ein Autounfall vor gut vier Jahren. Ob in Selbstmordabsicht oder aufgrund einer Ablenkung, wurde im Prozessverlauf nicht eindeutig geklärt. „Danach hatte er keine reguläre Arbeit mehr – aus dem Gefühl, ich schaffe das nicht mehr“, wie der psychol. Gutachter erklärt.
Er kam mit Sozialkontakten nicht mehr zurecht, verstand sich mit dem Vater nicht mehr, der inzwischen mit ihm gebrochen hatte. Der Kontakt zu den Geschwistern fiel eher mäßig aus. Nach dem Unfall hätte er „Angst vor einer Querschnittlähmung“ durch eine erforderliche OP gehabt und sei seither keine Beziehung mehr eingegangen. „Sexuelle Interessen löst er anders, durch Internetkontakte.“ Der Mann ist amtsbekannt, saß auch schon mal als Dieb im Gefängnis, war zuletzt obdachlos, schlüpfte immer mal bei Bekannten unter.
Der Psycho-Experte berichtet weiter: „Er will Altenpfleger machen, traut es sich nicht zu.“ Die Persönlichkeit des Mannes beschreibt er mit „kontaktscheu, zurückhaltend, Hobbys geht er überwiegend alleine nach, er ist selbstunsicher“. Auch Verteidiger Armin Dersch bestätigt den Eindruck: „Er war sozial isoliert und mit seinem Vater zerstritten.“
Was, wäre er weiter in der Region unterwegs gewesen?
Am Tattag war der Mann im Freien unterwegs. Die Reiterin fragte ihn nach dem Weg. Alles Weitere schilderte er dem Psychiater sehr beschönigt: Sie hätte ihn nach dem Namen der nächsten Ortschaft gefragt. Der wäre ihm erst eingefallen, als sie schon weitergeritten war. Deshalb wäre er ihr nachgelaufen. Er hätte sein Handy verloren. Als er es aus der Tasche ziehen wollte, hätte er versehentlich das Messer in der Hand gehabt, das zum Schwammerlbrocken in der Jacke gewesen wäre.
Ihre Sicht – und entsprechend die der Anklägerin – war, wie berichtet, eine andere. Da hatte er ihr auf dem Rückweg aufgelauert, sie gestellt, sie und ihr Pferd mit dem Messer bedroht, damit sie absteigt, weil er „Spaß haben“ wollte. Die Frau entkam, galoppierte davon. Die Grenzpolizei stöberte den Täter wenig später in der Nähe auf. Er ließ sich wortlos festnehmen. Was aber, wäre er nach jenem Misserfolg weiter in der Region unterwegs gewesen?
Am ersten Prozesstag hatten Gericht, Verteidiger und Staatsanwältin sich zu einem Verständigungsgespräch zurückgezogen. Gesteht der Mann, darf er trotz der Maximalstrafe von elf Jahren drei Monaten für dieses versuchte Verbrechen mit einer Haftdauer zwischen vier und fünf Jahren rechnen. So kam es dann auch. Das Geständnis hatte sein Anwalt vorgetragen. Die Plädoyers waren kurz, die Anklägerin forderte vier Jahre zehn Monate, der Verteidiger vier Jahre drei Monate Haft.
Was für den Täter sprach
Die Strafkammer des Landgerichts beließ es bei viereinviertel Jahren Freiheitsstrafe. Das Geständnis und der für den Täter positive Umstand, dass die Reiterin den Angriff gut hatte wegstecken können, lagen in der einen Waagschale. Das Vorgehen des Mannes und die Tatsache, dass er nach der letzten Haft gerade mal drei Monate in Freiheit war, als er die Frau mit dem Messer bedrohte, in der anderen. Es blieb am Ende bei versuchter, besonders schwerer sexueller Nötigung.
da Hog’n
Nun ja, in diesem Fall wäre ohne Geständnis Aussage gegen Aussage gestanden. Ein geschickter Anwalt hätte da unter Umständen einen Freispruch herausschinden können. Insofern ein Erfolg.
Trotzdem hinterläßt das Verfahren beim Leser einen schalen Nachgeschmack. Was ist das für ein Rechtssystem, in dem ums Recht geschachert wird? Wo jemand, der sich etwas zuschulden kommen läßt, jederzeit einen „Deal“ mit der Justiz machen kann: „ich geb zu, was ihr mir ja sowieso beweisen könnt und für diese Zeitersparnis für euch bekomm ich dann nur die halbe Strafe.“
Wo, fragt man sich als rechtschaffener Bürger unwillkürlich, bleibt da die Gerechtigkeit? Welche Signalwirkung haben solche Urteile? Es wird hier doch allen potentiellen Straftäter der Eindruck vermittelt Recht sei nichts Absolutes, sondern etwas sehr Relatives und beliebig Verhandelbares und man könne jederzeit die Strafe weit absenken.
Das Resultat dieser quasi antiautoritären Justiz sieht man allenthalben: berühmte Straftäter (in letzter Zeit insbesondere Fußballer und Starköche) werden hofiert und bekommen Extrakonditionen; weniger bekannte bekommen ihre Deals, sitzen die Strafe auf einer Pobacke ab und fangen nach der Freilassung da wieder an, wo sie aufgehört haben. Gerichte und deren Urteile finden sie eher lächerlich.
Der Leser offen gestanden auch langsam.