Šumava/Böhmerwald. Unsere Streifzüge entlang der Lebenswege berühmter Naturwissenschaftler aus dem Böhmerwald beginnen diesmal in Schüttenhofen (heute: Sušice), denn dort wurde im Jahre 1773 der heute nahezu unbekannte, aber umso verdienstvollere Naturwissenschaftler Wenzel Benno Seidl (1773–1842) geboren.
Sein geringer Bekanntheitsgrad wird etwa dadurch bestätigt, dass es aktuell unmöglich ist, ein Portrait von ihm zu finden. Die Bedeutung seiner botanischen Arbeit wird jedoch nicht nur durch die Tatsache belegt, dass er mit seinem breiten Wissen zur Entwicklung der Naturwissenschaften in Böhmen maßgeblich beigetragen hat, sondern auch der Fakt, dass einer der berühmtesten böhmischen Botaniker des 19. Jahrhunderts, Philipp Maximilian Opiz, im Jahre 1826 zu seinen Ehren einer Riedgrasgattung den Namen „Seidlia“ gegeben hat.
Naturwissenschaftlicher Weg
Geboren wurde Wenzel Benno Seidl in Schüttenhofen am 14. September 1773. In seiner Heimatstadt verbrachte er seine Kinder- und Jugendzeit. Bereits damals zeigte er eine große Begeisterung für die Naturwissenschaften. Während seines Studiums in Prag widmete sich Seidl (unter dem Einfluss seines Lehrers, des bekannten Prager Pflanzenmalers Franz Willibald Schmidt) der Botanik – und das nicht nur in theoretischer, sondern auch in praktischer Hinsicht. Mit Schmidt unternahm Seidl nämlich in der Umgebung von Prag zahlreiche botanische Exkursionen und wurde nach dem Studienabschluss zu einem bedeutenden Experten im Bereich der Botanik.
Abgesehen davon widmete er sich mit großem Interesse auch der Entomologie (Insektenkunde) und befasste sich mit Käfern, Schmetterlingen und Hummeln. Seine spätere Anstellung (wahrscheinlich ab 1809) als Rechnungsofficial bei der Provinzialbuchhaltung hat ihn nicht daran gehindert, sich weiterhin der naturwissenschaftlichen Forschung zu widmen.
Seidls Weg zur wissenschaftlich-publizistischen Tätigkeit
1807 hat Wenzel Benno Seidl den Böhmerwald in botanischer Hinsicht erforscht. In diesem und im folgenden Jahr arbeitete er an Beiträgen für das von Johann Baptist Emanuel Pohl im Jahre 1809 herausgegebene Werk „Tentamen florae Bohemiae. Versuch einer Flora Böhmens„, wobei seine Arbeiten insbesondere die Umgebung von Prag und Schüttenhofen betrafen. Im selben Jahr beschrieb Seidl in einem zweiteiligen Manuskript mit dem Titel „Icones plantarum selectarum in Bohemia sponte nascentium“ die wild wachsenden Pflanzen Böhmens. Darin sind auch seine eigenhändigen, kolorierten Pflanzen-Illustrationen von großem Wert. Dieses Manuskript wurde nicht verlegt und Seidl widmete es der Prager Universitätsbibliothek.
Ein ähnliches Schicksal hatte auch sein umfangreiches Werk aus dem Jahre 1818 über die Flora Böhmens mit einem besonderen Schwerpunkt auf Gräser. Dieses Buch wurde von ihm nicht endgültig fertiggestellt und schlussendlich nicht veröffentlicht. Der Grund dafür soll Seidls außergewöhnliche Präzision gewesen sein, die ihn daran gehindert hat, das Werk als abgeschlossen zu betrachten und der Öffentlichkeit vorzulegen.
Letztendlich wurden aber seine gleichermaßen breiten wie tiefgehenden botanischen Kenntnisse doch noch gebührend publizistisch gewürdigt, denn: Seidl hatte auf Einladung des berühmten böhmischen Arztes und Botanikers Friedrich Graf Berchthold zugesagt, mit ihm an der Herausgabe eines umfassenden botanischen Werkes zu arbeiten. Aufgrund dieser fruchtbaren Zusammenarbeit wurde 1836 der erste Teil des bekannten Buches „Oekonomisch-technische Flora Böhmens“ herausgegeben. Die praktische Komponente des Buches bestand darin, dass es ausführliche Informationen über das Sammeln, das Trocknen und die Bestimmung der Pflanzen beinhaltet.
Kein Gedenken im öffentlichen Raum
Seidls Schicksal als zwar bedeutender, aber in breiten Kreisen unbekannt gebliebener Botaniker ist wohl auch die Ursache dafür, dass seines wissenschaftlichen Wirkens im öffentlichen Raum in keiner Form gedacht wird.
Lenka Ovčáčková
Herzlichen Dank an Frau Ovčáčková für diese hochinteressante Recherche!
Ich bin selber gelernter Botaniker und arbeite seit 30 Jahren als Entomologe, habe also einiges mit Seidl gemein, aber von einem Wenzel Benno Seidl hatte ich bis dato noch nie gehört. Defintiv aber eine Spur, der nachzugehen sich lohnt.
Gerade im Zeitalter des Klimawandels sind fundierte ältere Untersuchungen Gold wert, denn je größer der Zeitraum ist, desto deutlicher zeigen sich die Unterschiede. Ein Vergleich zwischen Seidls Untersuchungen und heutigen, also über 240 Jahre und fast das komplette Industriezeitalter hinweg, wäre höchst aufschlußreich. Seidl könnte uns da eine Referenzflora bzw. -fauna liefern, an der wir Renaturierungsmaßnahmen und Arterhaltungsprojekte kalibrieren könnten. Denn während die historische Verbreitung von Großtieren wie Luchsen, Bären, Wölfen und Wisenten gut dokumentiert ist, fehlt es bei Pflanzen und Insekten an allen Enden. Seidls Taxalisten kommen hier wie gerufen.
Das gäbe auch mehrere spannende Magisterarbeiten, falls ein paar Studierende unter den Lesern noch Themen suchen.