Tittling. An Hubert Aiwanger scheiden sich die Geister. Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister stand im Rahmen der sog. Flugblatt-Affäre wenige Wochen vor den Landtagswahlen im Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses. Für die einen gilt er seitdem als dem rechten Spektrum zugewandter Agitator, dessen eigentliche Gesinnung alles andere als demokratiefreundlich anmutet. Für die anderen ging er gestärkt aus der Affäre hervor und mutierte so zum eigentlichen Wahlsieger, ja zum Volkshelden.

Roswitha Toso, Rechtsanwältin aus Tittling im Landkreis Passau, gehört seit 30. Oktober dem Bayerischen Landtag an.
Im ersten Interview-Teil blickte Roswitha Toso auf ihren Landtagseinzug zurück, sprach über die damit einhergegangenen Veränderungen in ihrem Berufsleben und schilderte ihre ersten Eindrücke im höchsten bayerischen Parlament. Zudem hatten wir sie nach ihren politischen Zielen sowie ihrer Haltung zur AfD und zum großen Koalitionspartner CSU gefragt. Im zweiten Teil geht es nun um ihre Einstellung zu Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwangers jüngsten Kontroversen und dessen Auftritt in der Talkshow von Markus Lanz.
„Ich glaube dem Hubert, was er da erzählt hat“
Frau Toso: Kommen wir zu Ihrem Partei-Chef Hubert Aiwanger, der in den vergangenen Monaten ja immer wieder in der Öffentlichkeit gestanden ist. Stichwort: Flugblatt-Affäre – wie blicken Sie mit etwas zeitlichem Abstand darauf zurück?
Die zeitliche Nähe zur Wahl war sehr bedenklich – und ich bin davon überzeugt, dass es sich um eine Kampagne gegen Hubert Aiwanger gehandelt hat. Eine Kampagne, die von langer Hand geplant war. Von wem, weiß ich nicht. Das wären nur Mutmaßungen.
Die Süddeutsche Zeitung hat am 27. September in eigener Sache berichtet, dass sie von der Existenz des Flugblatts erstmals am 2. August 2023 erfahren hat, „als sich ein ehemaliger Lehrer über zwei vermittelnde Personen an die Bayernredaktion wandte“. Von so langer Hand scheint die Angelegenheit dann ja doch nicht geplant worden zu sein, oder?
Naja, gut, ob die SZ die Sache erst im August erfahren hat, ist fraglich. Dazu kann ich nichts sagen, will ich keine Mutmaßungen anstellen. Man wollte Hubert Aiwanger und den Freien Wählern schaden, sie reduzieren – und die Süddeutsche wollte natürlich die Grünen an die Macht bringen. Das hat Hubert Aiwanger zuletzt auch nochmal bei Markus Lanz bekräftigt. Ich glaube dem Hubert, was er da erzählt hat.
Sehen Sie Hubert Aiwanger demnach als Opfer?
Ja. Was sich dann natürlich während der Kampagne ins Gegenteil verkehrt hat, weil der Bürger nicht mitspielte Der Bürger hat die Sache durchschaut. Und es war auch zu durchschaubar, wenn man jemanden sechs Wochen vor der Wahl angreift.
Was sagen Sie zum jüngsten Auftritt von Huber Aiwanger bei Markus Lanz?
Die Situation war vier gegen eins. Hubert hat sich dann gewehrt. Er hat gesagt: Entweder du bist in der Defensive oder du gehst voll in die Offensive. Er hat letzteres gemacht, was ich für richtig halte. Hubert Aiwanger hat im Nachhinein gesagt, dass keine sachlichen Themen, sondern nur Angriffe gegen ihn gekommen sind.
„Antisemitisches Verhalten ist ein absolutes No-Go“
Bei Lanz hat er dann ja auch gemeint: „Natürlich will die ‚Süddeutsche‘ die Grünen an die Regierung bringen und den Bauern Aiwanger seit zehn Jahren weghaben.“ Wie sehen Sie das?
Das sehe ich genauso. Ich stehe nun schon auch einige Jahre mit ihm in Verbindung – und habe noch nie ein rassistisches oder antisemitisches Wort von ihm vernommen. Aiwanger war ja Schülersprecher an seiner ehemaligen Schule – und die Mehrheit seiner Mitschüler hat ihm keine rechtsradikale Gesinnung attestiert. Sollte es so sein, wäre ich nicht bei den Freien Wählern. Mein Mann stammt aus Italien, der Ehemann meiner Tochter hat iranische Wurzeln. Antisemitisches Verhalten ist ein absolutes No-Go.

„Reden Sie von Ricarda Lang, reden Sie von Kevin Kühnert?“, fragte TV-Moderator Markus Lanz in seiner Sendung vom 23.11. 2023 nach, als Hubert Aiwanger das Thema „Taugenichtse“ in der Regierung aufs Tableau brachte. Foto: Elias Keilhauer
Stichwort: Taugenichtse. „Taugenichtse sind Bürgergeld-Empfänger, die arbeitsfähig wären und eine zumutbare Arbeit ablehnen. Das ist nicht der Bürgergeld-Empfänger, der wirklich bedürftig ist, der krank ist, und so weiter. Sondern das ist einer, der auf Kosten der anderen lebt, obwohl er anders könnte.“ Sehen Sie das genauso wie ihr Partei-Chef?
Ja, das sehe ich auch so. Da habe ich aus meinem beruflichen Umfeld bereits ähnliche Erfahrungen gesammelt. Generell ist das Bürgergeld eine ganz wichtige Einrichtung, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen – es gibt genügend Leute, die es dringend brauchen und darauf angewiesen sind, vor allem Alleinerziehende und sog. Aufstocker. Doch manche Bürgergeld-Empfänger mit vier Personen im Haushalt bekommen 4.000 Euro im Monat. Ein anderer, der in die Arbeit geht, kann da gar nicht so viel verdienen. Man muss bei den Bürgergeld-Empfängern daher differenzieren, genauer hinschauen – und gleichzeitig veranlassen, dass diejenigen Menschen, die nicht so viel verdienen, auch nicht so viel Steuern zahlen müssen. Dass die Arbeit wieder attraktiver und vor allem rentabler wird. Vielleicht kann ich hier im Sozialausschuss etwas bewegen, insbesondere für Jugendliche.
„Man darf ja gar nichts mehr sagen heute“
Hubert Aiwanger hat bei Markus Lanz auch die aktuelle Ampel-Regierung scharf kritisiert. Zitat: „Ein Taugenichts ist auch jemand, der in einer Regierung sitzt, keinen Schulabschluss hat, den Leuten Käse erzählt und selber noch nie gearbeitet hat, und am Ende Dinge an die Wand fährt.“ Wie ist ihre Meinung dazu: Besteht die Berliner Regierung aus Taugenichtsen?
Wir haben viele Politiker – und das kann man anhand der Biografien derjenigen, die nicht einmal fertig studiert haben, erkennen -, denen der Bezug zur Realität fehlt. Ich bin überhaupt dafür, dass diejenigen, die Politiker werden, erst einmal berufliche Erfahrungen in der freien Wirtschaft sammeln müssen. Nicht nur studieren, abbrechen und dann in der Politik aktiv sein. Die wissen doch gar nicht, wie es einem Menschen oder einer Familie ergeht. Die reden doch von Sachen, von denen sie keine Ahnung haben.

„In diesen Tagen wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt“, sagt MdL Roswitha Toso – und glaubt damit einem Gefühl Ausdruck zu verleihen, das derzeit in der Gesellschaft vorherrschend sei.
Und sind sie deswegen „Taugenichtse“?
Dazu möchte ich mich jetzt nicht äußern.
Was sagen Sie generell zur Rhetorik von Hubert Aiwanger?
Er sagt’s halt so, wie’s ist. Wenn man zurückblickt, wie Strauß und Wehner früher diskutiert haben, da ist es noch ganz anders zur Sache gegangen. In diesen Tagen wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Man darf ja gar nichts mehr sagen heute – genau dieses Gefühl hat auch der Bürger.
Es kommt freilich auf den Ton an. Wenn man Dinge in einem normalen, sachlichen Ton äußert, hat das eine andere Qualität bzw. Wirkung, als wenn man von „Taugenichtsen“ spricht, oder?
Ja gut, wenn man wie Markus Lanz den Hubert Aiwanger nur angreift…
„Da muss man deshalb nicht zwangsweise spalten“
Betrachten Sie Hubert Aiwanger als jemanden, der die Gesellschaft eher spaltet oder eher vereint?
Ich denke, dass er sie eher vereint. Er spricht ganz normal – so, wie man halt redet. So wie der Bürger spricht. Die Leute verstehen ihn.
Und inhaltlich ist seine Ausdrucksweise auch immer legitim?
Ja, ich denke schon. Er setzt sich ein für die einfachen Leute, für die Bevölkerung, für die Belange des Bürgers. Darum bin ich auch bei den Freien Wählern.
Finden Sie, dass Hubert Aiwanger ein Politiker ist, der polarisiert?
Ja, ein bisschen schon. Weil er die Sachen, die vorherrschenden Probleme, beim Namen nennt.

„Die Leute verstehen ihn“, sagt MdL Roswitha Toso über ihren Partei-Chef Hubert Aiwanger. Foto: Hog’n-Archiv
Wenn man polarisiert, spaltet man dann nicht auch gleichzeitig?
Nein, da muss man deshalb nicht zwangsweise spalten. Das Ziel der Freien Wähler ist es, dass man die Gesellschaft vereint, zusammenhilft. Dass man Miteinander etwas macht – mit allen Bürgern, nicht nur mit einem elitären Teil.
Aber wenn man als Politiker polarisiert und dabei eine gewisse Rhetorik an den Tag legt – dann kann man doch nicht alle Bürger mitnehmen, sondern eben auch nur einen gewissen Teil, meinen Sie nicht?
Die politische Grundeinstellung der Leute ist freilich immer unterschiedlich. Die einen sind grün, die anderen rot, schwarz, orange. Aiwanger redet genauso wie die anderen auch – hören Sie sich doch mal die anderen an.
„Aiwanger spricht nicht den Leuten nach dem Mund“
Es gibt dennoch nicht wenige, die Aiwangers Rhetorik als brandgefährlich einstufen. Und die denken, dass seine Worte gerade in diesen Zeiten nicht zur Vereinigung der Gesellschaft bzw. einem Gemeinschaftsgefühl beitragen, sondern genau das Gegenteil bewirken. Man erinnere sich nur an den Satz aus Erding, als er meinte, dass „die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss„.
Das finde ich nicht, da bin ich anderer Meinung. Und wenn alle die gleiche Meinung hätten, wäre es für die Bürger ein Problem. Es soll ja auch kontrovers zugehen. Jeder soll seine Meinung äußern dürfen – und am Ende soll das Beste herauskommen.
Letzte Frage zum Thema Aiwanger: Finden Sie, dass er ein Populist ist?
Nein, finde ich nicht. Er hat seine politischen Ziele – und ist dabei nicht populistisch. Es ist ja auch eine Definitionssache: Der eine empfindet dies als populistisch, der andere jenes.

„Trump haut sehr auf die anderen drauf, kommt sehr egozentrisch rüber.“ Foto: pixabay/ TheDigitalArtist
Wen empfinden Sie beispielsweise als populistisch?
Da fällt mir unter anderem Trump ein – wegen seiner ganzen Art und Weise.
Welche Art und Weise hat er denn?
Er haut Sachen raus, die nicht der Wahrheit entsprechen. Stichwort: Fake-News. Er haut sehr auf die anderen drauf, kommt sehr egozentrisch rüber. Zum Unterschied: Hubert Aiwanger spricht nicht den Leuten nach dem Mund, sondern spricht die Probleme an, die in der Realität tatsächlich vorhanden sind. Er ist einer, der sich zu den Leuten dazusetzt – sei’s im Bierzelt oder anderswo – und sich deren Sorgen anhört. Er macht das, was man als Bürger von einem Politiker erwartet: Er nimmt sie ernst.
Frau Toso: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer