Perlesreut. Und die Geschichte geht weiter. Keltenschanzen haben es Manfred Böckl genauso angetan wie Burgställe und Ringwälle. Deshalb hat sich der Autor aus Empertsreut (Gde. Perlesreut) bereits ausführlich mit diesen historischen Orten im Rahmen einer Veröffentlichung beschäftigt, auf die das Onlinemagazin da Hog’n auszugsweise in unregelmäßiger Regelmäßigkeit blickt. Zu diesem Sachbuch gesellt sich seit Kurzem auch ein Roman mit dem Namen „Das uralte Geflecht“. Es geht um die Keltenfestung Frauenstein bei Ringelai, um den freiberuflichen Archäologen Wigg Gleißenthaler und ein Geheimnis, das ihn bis nach Großbritannien führt. Aber der Reihe nach. Da Hog’n mit einem sich fortsetzenden Blick ins neue Böckl-Werk. Teil 1: Der Fund.
Die Luft an diesem Junimorgen war ein wenig kühl, aber der fast wolkenlose, zu dieser frühen Stunde noch zartblaue Himmel versprach einen prächtigen Sommertag.
Die Straße Richtung Marchetsreut und Perlesreut
Als der freiberufliche Archäologe Wigg Gleißenthaler das kleine Hotel in dem malerischen Bayerwalddorf Ringelai verließ, atmete er die klare Morgenluft tief ein; dann schlenderte er zum Hotelparkplatz und stieg in seinen Jeep. In langsamer Fahrt, einmal einem Kind auf einem Tretroller in weitem Abstand ausweichend, steuerte der dreißigjährige Wissenschaftler mit den rotblonden Haaren den Geländewagen zum Dorfrand. Dort überquerte er auf einer kleinen Brücke die Wolfsteiner Ohe; gleich jenseits des Flüsschens bog er nach rechts auf die Staatsstraße in Richtung Marchetsreut und Perlesreut ein, und als er den Jeep nun beschleunigte, blitzten seine graugrünen Augen unternehmungslustig auf.
Nach zwei Kilometern entlang der Ohe zur Rechten und eines Bergrückens mit Namen Kaltenstein zur Linken erreichte er den Weiler Empertsreut. Zwischen den ersten Häusern der winzigen Ortschaft führte ein einspuriges Nebensträßchen bergan; Wigg folgte dieser schmalen, kurvigen Ortsdurchfahrt bis zu einer Gabelung des Teersträßchens am Saum eines Waldes. An dieser Stelle sodann lenkte er seinen Geländewagen auf einen Wanderweg, der zwischen den beiden Straßentrassen begann und sich durch den Forst weiter bergauf wand.
Der Frauenstein – ein archäologisch vielversprechender Platz
Etwa einen Kilometer lang rumpelte der Jeep jetzt mit kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit über Stock und Stein. Dank seines Allradantriebs überwand der Wagen tiefe, von Starkregenfluten ausgeschwemmte Erdfurchen und glatte, schlüpfrige Felsplatten; zuletzt dann erklomm der Weg, nun durch lichten Buchenwald verlaufend, den Gipfelgrat des Kaltenberges.
Sonnenbahnen flirrten hier durch die Kronen von großen, wohl hundertjährigen Bäumen; einmal floh unter empörtem Geschrei ein Eichelhäherpaar vor dem Jeep. Der junge Archäologe schmunzelte; gleich darauf steuerte er seinen Wagen an einer Felsbastion vorüber, die etwas Zyklopisches an sich hatte – und kurz nach dieser Granitformation ließ er den Jeep ausrollen und stellte den Motor ab.
Direkt vor dem Geländewagen lag das Grabungsareal, auf dem Wigg Gleißenthaler bereits seit Beginn dieser Woche arbeitete. Und die Arbeit hatte ihn von Anfang an fasziniert, denn es handelte sich hier um einen archäologisch sehr vielversprechenden Platz. Eine ganze Reihe von Indizien deutete nämlich darauf hin, dass sich auf dem langgestreckten, felsigen Gipfelplateau des Kaltenberges, das den Namen Frauenstein trug, einst eine kleine keltische Festungsanlage befunden hatte: eine Warte, von der aus vor Jahrtausenden ein großer Abschnitt des Ohetales überwacht worden war.
Vorchristliche Opferschalen und eine sakrale Kaverne
Zudem hatte die Gipfelfestung wohl in Kriegszeiten als Fluchtburg für die unten im Flusstal ansässigen Bauern und Handwerker gedient, und außerdem war der Frauenstein zuzeiten offenbar auch als Sakralort genutzt worden. Denn auf einer Granitkuppe, die sich nahe einer bescheidenen Holzkapelle erhob und über der ein etwas verwittertes Gipfelkreuz aufragte, hatte Wigg schon an seinem ersten Arbeitstag mehrere in den Stein gegrabene vorchristliche Opferschalen entdeckt.
Im weiteren Verlauf der Woche war es dem jungen Archäologen darüber hinaus gelungen, die Überreste von zwei parallel verlaufenden Wallzügen ausfindig zu machen, welche einst den vorderen, schroffen und an drei Seiten steil abstürzenden Teil des Gipfelgrats vom dahinterliegenden breiteren Gipfelbereich abgetrennt hatten. Ebenso hatte Wigg seitlich und etwas unterhalb des eigentlichen Festungsareals einen noch ziemlich massiven Wall- und Grabenbogen entdeckt; eine Verteidigungsbastion, welche die Gipfelfestung an ihrer nicht ganz so schroff abfallenden Südflanke zusätzlich geschützt hatte.
In der Wochenmitte sodann hatte der junge Wissenschaftler eine Halbhöhle in einer fast senkrecht abstürzenden Felswand unterhalb des Gipfelkreuzes erforscht; eine Kaverne, die womöglich in keltischer Zeit ebenfalls Sakralcharakter besessen hatte. Doch auch anderweitig war die Höhle nicht uninteressant gewesen, denn der hauptamtliche Archäologe des Landkreises Freyung-Grafenau, in dessen Auftrag Wigg derzeit arbeitete, hatte ihm erzählt, dass die Kaverne in der Zeit des Ersten Weltkrieges eine abenteuerliche Rolle gespielt hatte.
Die Geschichte des desertierten Soldaten
Gegen Kriegsende war ein aus der Gegend stammender Soldat von seiner Militäreinheit desertiert und hatte sich monatelang in der nur schwer zugänglichen Höhle versteckt. Familienangehörige hatten ihn heimlich mit Lebensmitteln versorgt, und so war es dem Deserteur gelungen, den Krieg zu überleben.
Während er die eher enge, aus mächtigen Granittrümmern gebildete Kaverne inspizierte, hatte Wigg Gleißenthaler versucht, sich in die Situation des fahnenflüchtigen Soldaten hineinzuversetzen – am nächsten Tag dann hatte er neuerlich unter freiem Himmel gearbeitet. Mit Hilfe eines starken Metalldetektors hatte er auf dem keltischen Festungsareal nach eisernen, bronzenen und möglicherweise sogar silbernen oder goldenen Relikten aus uralter Zeit gesucht – doch den ganzen Tag über hatte er keinen archäologisch bedeutsamen Fund gemacht. Er hatte lediglich vier kleine Münzen aus dem zwanzigsten Jahrhundert aus dem Boden gegraben; dazu etliche verrostete Nägel sowie ein Stück Stacheldraht und ein wohl irgendwann verlorenes, ziemlich lädiertes Taschenmesser.
Etwas frustriert hatte Wigg die Sondensuche am gestrigen Spätnachmittag abgebrochen – aber nun, an diesem klaren, sonnigen Freitagmorgen, wollte er den Metalldetektor mit frischen Mut abermals einsetzen. „Irgendwann funkt’s, und mir gelingt ein Sensationsfund“, motivierte er sich murmelnd; sodann stieg er aus dem Jeep und holte die Sonde samt ihrem Zubehör aus dem Kofferraum. Mit gekonnten Handgriffen machte er den Detektor betriebsbereit; gleich darauf begann er dort, wo er am Vortag aufgehört hatte, mit der erneuten Suche.
„Donnerwetter!“
Etwa eine halbe Stunde lang bekam er kein vernünftiges Signal; dann aber ließ der Detektor plötzlich ein intensives Piepsen hören. Das Signal war so kräftig, dass der junge Archäologe ein freudig überraschtes „Donnerwetter!“ hervorstieß; im nächsten Moment legte er die Sonde beiseite und griff nach dem Klappspaten, den er in einer Umhängetasche mit sich führte…
…Fortsetzung folgt…
Manfred Böckl/da Hog’n
____________
Hier kann der Roman „Das uralte Geflecht“ von Manfred Böckl bestellt werden (einfach klicken)