Empertsreut. Zwischen dem Weiler Empertsreut und dem Dorf Ringelai liegt – neben dem Burgstall Redeben – möglicherweise noch eine zweite Festungsanlage: eine Bergfestung aus keltischer Zeit beziehungsweise deren Überreste in Form von Bodendenkmalen. Es handelt sich um den Frauenstein, das felsige Gipfelareal des Kaltenbergs – eines niedrigen Bergzuges, der sich gleich östlich des Flusses Wolfsteiner Ohe erstreckt. Da Hog’n mit einem weiteren Blick in das jüngst erschienene Buch „Keltenschanzen, Ringwälle, Burgställe“ von Manfred Böckl.
Eine Wanderung zum Frauenstein (bei 48°48’08.45’’N 13°28’47.70’’O) startet man am besten von Empertsreut aus. Man folgt zunächst dem im vorherigen Serien-Teil erwähnten einspurigen Sträßchen, das im Ort von der St2127 abzweigt, bergauf. Etwa einen halben Kilometer oberhalb des Weilers (bei 48°47’38.88’’N 13°28’37.56’’O) gabelt sich das Teersträßchen. An dieser Stelle, zwischen den beiden kleinen geteerten Straßenzügen, beginnt ein ausgeschilderter Wanderweg, der ungefähr einen Kilometer weit zum Berggipfel emporführt.
Der Wanderpfad stellt zugleich einen katholischen Kreuzweg dar; man kommt also immer wieder an nummerierten Kreuzwegstationen mit Bildwerken vorbei, was die Orientierung beim Aufstieg erleichtert. Auf dem Gipfel des Kaltenberges schließlich erblickt man ein großes Balkenkreuz, das sich über einer Felsschroffe erhebt, sowie eine bescheidene Holzkapelle.
Blick auf eine von Paul Praxl überlieferte Sage
Im Gestein des Kreuzfelsens findet sich ein erster Hinweis auf eine vorchristliche Bedeutung des Frauensteins. In den Fels sind nämlich zwei noch gut sichtbare schalenförmige Vertiefungen eingegraben; dazu ein drittes Schälchen, das aber kaum mehr kenntlich ist. Es handelt sich bei der Felsschroffe also offenbar um einen paganen Schalenstein – und die Dreizahl der Opferschalen deutet darauf hin, dass der Sakralstein einst der Großen oder Dreifachen Göttin der Kelten geweiht war.
Dies wird auch durch eine vom Waldkirchener Heimatforscher Paul Praxl überlieferte Sage untermauert, deren Inhalt nur auf den ersten Blick christlich erscheint:
Östlich von Kühbach liegt der waldbewachsene Frauenstein. Einmal hat es in der Umgebung von Kreuzberg eine arge Not gegeben. Da haben die Leute dort das Versprechen gemacht, jedes Jahr eine Wallfahrt zum Frauenstein zu unternehmen. Dann sind wieder bessere Zeiten gekommen, die Kreuzberger brachen ihr Gelöbnis und wollten nicht mehr zum Frauenstein pilgern. Wie nun die Kreuzberger im nächsten Jahr zur gewohnten Zeit nicht kamen, hat sich die Muttergottes auf den Frauenstein gekniet und einen ganzen Tag lang in die Richtung nach Kreuzberg geschaut, ob denn wirklich niemand komme. Sie hat umsonst gewartet. Von den Knien aber kann man heute noch im Stein die Vertiefungen sehen.
Fakt ist, dass es in historischer christlicher Zeit niemals eine Wallfahrt von Kreuzberg (nahe Freyung) zum Frauenstein gab; die aktuelle Frauenstein-Wallfahrt, die in unserer Zeit alljährlich im August von Empertsreut aus durchgeführt wird, hat ihren Ursprung im 20. Jahrhundert. In der Sage muss infolgedessen die Erinnerung an einen vorchristlichen Sakralweg bewahrt worden sein; die Erinnerung an einen paganen Pilgerpfad, der wahrscheinlich die noch heute existierende Quelle bei der Kreuzberger Bründlkapelle mit dem Schalenfelsen auf dem Frauenstein verband.
Die Sage erzählt also letztlich von heidnischen Prozessionen zum Frauenstein, und die Madonna im Sagentext, von der angeblich die Knieabdrücke stammen, ist in Wahrheit die Große oder Dreifache Göttin der Kelten, der auf dem Frauenstein geopfert wurde. Der Sakralfelsen mit den Opferschalen ist daher ein sehr altes Göttinnenheiligtum – doch nicht allein das macht den Frauenstein sehr bedeutsam; vielmehr sieht es ganz so aus, als würde der Gipfel des Kaltenberges auch die Relikte einer Keltenfestung tragen.
Künstliche Engstellen: Der Hinweis auf Torbauten?
Darauf deutet bereits der Bergname hin. Wenn sich nämlich in einem süddeutschen Flurnamen der Namensteil Kalten-, Kahlen- oder Kallen- findet, so verbirgt sich dahinter laut der österreichischen Keltenforscherin Inge Resch-Rauter oft das altkeltische Wort Caletos, das einen harten (felsigen) Schutz- oder Wachtbereich bezeichnet: eine Berg- oder Felsfestung.
Auf dem Kaltenberg gab es also vor langer Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit eine Festungsanlage der Boier; des Keltenstammes, dessen Angehörige in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten unter anderem im bayerischen Donauraum, im Bayerischen- und Böhmerwald sowie in Böhmen lebten. Und wenn man auf dem modernen Kreuzweg hinauf zum Frauenstein wandert, dann stößt man schon kurz vor dem direkten Gipfelbereich des Kaltenberges auf Geländeformen, die einen keltischen Ursprung haben könnten.
Direkt bei der achten Kreuzwegstation und dann wieder einige Meter oberhalb der neunten Station verlaufen quer über den Berghang niedrige, langgezogene Erderhebungen, bei denen es sich um Überreste von vorgeschichtlichen Erdwällen handeln könnte. Nochmals ein Stück weiter oben, wo der Bergrücken vor dem Kreuzfelsen fast eben daliegt, gibt es zwei Stellen, die ganz so aussehen, als sei der Berggrat dort links und rechts abgegraben worden, um künstliche Engstellen von nur wenigen Metern Breite zu schaffen. Hier könnten einst Torbauten gestanden haben, welche das eigentliche Festungsareal sicherten: den Bereich des Berggipfels, der sich nach den engen Passagen vor und hinter dem Sakralfelsen mit den Opferschalen erstreckt.
Wenn man in diesem Kernbereich der vermutlichen früheren Festungsanlage steht, bemerkt man, dass der Gipfelgrat nach Osten und Norden extrem steil abfällt. Gen Westen hin allerdings senkt sich der Berghang weniger schroff zu Tal; hier lag also eine verwundbare Flanke der Felsfestung – und aus diesem Grund wurde der westliche Gipfelabschnitt des Kaltenberges durch einen etwas tiefer liegenden starken Erdwall geschützt.
Am besten erkennt man diesen Wall, wenn man sich nahe der modernen Wallfahrtskapelle zu einer Stelle begibt, wo von Westen her ein Treppensteig (das letzte Stück eines von Ringelai kommenden Wanderweges) zum Gipfel emporführt. Von dort geht der Blick frei nach unten, und der auffällig gerade und regelmäßig geformte Erdwall, der jenseits eines mächtigen Grabens ansteigt, ist ungefähr in Pfeilschuss- oder Steinschleuderweite vom Gipfelgrat entfernt sichtbar. Archäologisch wurde das Frauenstein-Areal bislang nicht untersucht; würde dies geschehen, so würden dort wahrscheinlich hochinteressante keltische Bodenfunde ans Licht kommen.
da Hog’n
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„Keltenschanzen, Ringwälle, Burgställe“: 120 Ausflüge zu verwunschenen Plätzen im Niederbayerischen Hügelland und im Bayerischen Wald. Das Buch von Manfred Böckl mit diesem Titel ist hier bestellbar.