Grafenau/Bad Griesbach. Ein Thema, das für Kontroverse sorgt, erhitzt (wieder einmal) die Gemüter: Die Bekämpfung des Borkenkäfers, insbesondere im Gebiet des Nationalparks Bayerischer Wald. Die Parkverwaltung um Chefin Ursula Schuster hat nun vorgeschlagen, zwei sechs und elf Hektar große Flächen aus der normalerweise streng geschützten Naturzone des Schutzgebiets herauszunehmen, um auch dort entsprechende Maßnahmen gegen den Buchdrucker zu ermöglichen. Was dem Waldbauern nur recht sein kann, ist dem Umwelt- und Naturschützer ein Dorn im Auge.
„Das ist eine sehr sinnvolle Entscheidung“, begrüßt Wirtschafts- und Jagdminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) die Pläne des Nationalparks. „Käferbekämpfung ist praktizierter Waldschutz und deshalb Natur- und Umweltschutz“, wird er in der Süddeutschen Zeitung zitiert. „Wir wollen keine Waldbilder wie im Nationalpark Harz, wo nach dem Absterben der Fichtenwälder durch Borkenkäfer am Ende nur noch Grassteppe übrigbleibt, in der ein Waldspaziergänger im Sommer auf Kilometern keinen Schatten mehr findet.“
„Grundlose Zerstörung könnte auch strafbar sein“
Und auch die ansonsten auf Aiwanger nicht sonderlich gut zu sprechende Landwirtschafts- und Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) stimmt mit ein: „Die Bilder, die wir aktuell rund um den Nationalpark sehen, hätten meiner Meinung nach verhindert werden können. Aber leider wurden unsere Warnungen weitgehend ignoriert.“ Es gelte nun gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Der Bauernverband teile die Einschätzungen der beiden Minister.
Not amused reagierten hingegen der Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV), die Grünen und der Bund Naturschutz (BN). „Der Borkenkäfer breitet sich aufgrund der Klimaüberhitzung aus, die die Fichte schwächt, und nicht, weil ein Nationalpark in der Nähe ist“, meint etwa der Grünen-Landtagsabgeordnete und Fraktionssprecher für Naturschutz Patrick Friedl – und ergänzt: „Ein Nationalpark dagegen zeigt, wie die Natur mit solchen Katastrophen umgeht und wie wieder ein neuer und stabiler Wald entsteht.“ Daher müsse Aiwangers Parteifreund und Umweltminister Thorsten Glauber, als der für den Nationalpark originär zuständige Minister, die Pläne widerrufen.
Als „fachlich absurd“ bezeichnet BN-Chef Richard Mergner Aiwangers Aussagen. Seiner Meinung nach wird der Borkenkäfer überall dort „zum riesigen Problem, wo überhöhte Wildbestände und falsche Waldbewirtschaftung den Aufbau naturgemäßer Mischwälder verhindert haben“. Aiwanger solle sich für eine angemessene Regulierung des Reh- und des Rotwilds in Bayern einsetzen, wofür er als Jagdminister auch zuständig sei, statt sich in die Belange des Nationalparks einzumischen.
Dem Grünen-Abgeordnete Toni Schuberl geht es vor allem um die fehlende fachliche Begründung für die Pläne des Nationalparks. Er sieht dabei auch das Strafrecht betroffen: „Entscheidend ist, ob es eine fachliche Begründung gibt oder ob es ein populistisches Manöver ist. Und wenn hier grundlos der Lebensraum von gefährdeten Arten zerstört werden soll, dann könnte dies nach geltendem Recht auch strafbar sein.“
„Verkauft Ursula Schuster den Nationalpark an die Freien Wähler?“
Unmissverständlich klare Worte findet auch Dr. Isabelle Auer, promovierte Geografin aus Bad Griesbach und lange Zeit wohnhaft im Bayerischen Wald. Die 46-jährige Naturschützerin, Natur- und Bergbuch-Autorin war über mehrere Jahre hinweg als Mitarbeiterin beim Naturpark Bayerischer Wald sowie als Gebietsbetreuerin in der Arberregion aktiv. Sie sagt: „Der Nationalpark wird an die Freien Wähler verkauft“ – und wendet sich mit folgenden Worten an die Öffentlichkeit:
„Bereits einige Monate bevor die Amtszeit von Dr. Franz Leibl als Nationalparkleiter zu Ende ging, wurde in Naturschutzfachkreisen spekuliert, wer denn der Nachfolger wird. Gewiss, es hätte ein paar durchaus passende, verdiente Naturschützer gegeben. Doch man wollte vor allem eines: eine Frau, die möglichst das tut, was Hubert Aiwanger und seine Parteikollegen von den Freien Wählern – u.a. Umweltminister Thorsten Glauber – von ihr verlangt.
Man fand diese Frau: Ursula Schuster. Anders als ihre Vorgänger Leibl, Sinner und Bibelriether, die schon vor ihrer Zeit als Nationalparkchefs sich um den bayerischen Naturschutz verdient gemacht hatten, eine völlig Unbekannte. Im Lebenslauf: ein paar Vorträge, Mitarbeit in einem Landschaftsarchitektenbüro, als letztes eine Stelle als Büroleiterin eines Ministerialbeamten… Ob das genügte, um „Natur Natur sein“ zu lassen?
Hubert Aiwanger, der Chef ihres Chefs und damit auch ihr beruflicher Gönner, verspricht seinen Wählern, den Waldbauern, dass der Borkenkäfer im Nationalpark bekämpft wird. Wie reagiert die neue Nationalparkchefin? Sie knickt bei erster Gelegenheit ein, lässt die gefällten Baumstämme lärmintensiv und höchst umweltschädigend mit Helikoptern aus dem Nationalpark ausfliegen. Dass sie damit nicht „nur“ dem Klima, sondern auch den natürlichen Bewohnern des Nationalparks schadet, ist ihr egal. Hauptsache, es geht schnell. Dass es auch andere bodenschonende Möglichkeiten gegeben hätte, verschweigt sie.
Die Steigerung: Im April 2024 verkündet Ursula Schuster, dass sie Flächen aus der streng geschützten Kernzone herausnehmen will, um dort den Borkenkäfer zu bekämpfen, wie es Hubert Aiwanger den Waldbauern versprochen hat. Naturschützer sind entsetzt: Verkauft Ursula Schuster den Nationalpark quasi an die Freien Wähler? Vermeintliche „Trostpflaster“, dass die entrindeten Stämme im Gebiet bleiben, sind blanker Hohn: Jeder weiß, dass stehendes Totholz für die Natur weitaus nützlicher ist, als wenn es am Boden liegt.
Naturschützer fragen sich: Werden jetzt innerhalb kürzester Zeit alle Erfolge des Nationalparks, der Beweis, dass sich die Natur selbst am besten hilft – und das innerhalb weniger Jahre – zunichte gemacht? Zurecht bezeichnet der LBV dieses Vorgehen Schusters als „Tabubruch“. Ursula Schuster rechtfertigt sich: Entscheiden wird eh der kommunale Nationalparkausschuss. Doch in dem sitzen keine Naturschützer. Der Vorsitzende, Landrat Sebastian Gruber, erhielt kürzlich sogar den bekanntesten Umweltschutz-Schmähpreis, den „Bock des Jahres für die größte Umweltsünde in deutschen Berggebieten“ verliehen. Soll er – der nun bayernweitbekannte Anti-Naturschützer – über die Zukunft des Nationalparks entscheiden?
Eines ist sicher: Wenn Ursula Schuster so weitermacht, wird sie nach und nach die wirklichen Verbündeten des Nationalparks, die Naturschützer, vergraulen. Opfer dieser Politik wird der Nationalpark sein. Gewinner: Ursula Schusters Chefs: die Freien Wähler.“
„Bestens vorbereitet und gerüstet“
Der Nationalpark sieht sich für die Borkenkäfersaison indes gerüstet, wie einer Pressemitteilung zu entnehmen ist. Um eine Ausbreitung des Borkenkäfers aufgrund der warmen Witterung rasch zu verhindern, seien nun im Sachgebiet Wald- und Flächenmanagement alle Kräfte gebündelt worden. Die ersten Borkenkäfersucher seien bereits im Einsatz. „Seit Jahren steigt nicht nur im Bayerischen Wald, sondern in ganz Bayern der Befall durch den Borkenkäfer“, erklärt Ursula Schuster, die zu Dr. Isabelle Auers Kritik keine Stellung beziehen möchte, dazu – und ergänzt: „Da wir auch heuer einen erhöhten Befall insbesondere im Falkenstein-Gebiet erwarten, haben wir uns bestens vorbereitet und sind für jeden Fall gerüstet.“
Neben der effektiven Bekämpfung des Borkenkäfers in der Managementzone habe auch der Schutz der Natur oberste Priorität, ist in der Mitteilung weiter zu lesen. Eine große Rolle spiele hierbei die Anreicherung von Totholz, unter dessen Bewohnern sich überdurchschnittlich viele bedrohte Arten finden. „Deren Lebensräume können auch im Rahmen von Borkenkäfermanagement gesichert werden, wenn Stämme oder Wurzelteller im Wald bleiben“, informiert Schuster. Auch heuer habe die Nationalparkverwaltung alle Vorbereitungen getroffen, um beide Ziele in Einklang bringen zu können.
Feststeht: „Die Umwidmung der zwei kleinen Flächen wird aktuell von der Nationalparkverwaltung vorgeschlagen. Verabschiedet werden muss der Plan vom Kommunalen Nationalparkausschuss, dem die Nationalpark-Gemeinden und -Landkreise angehören“, wie die Parkverwaltung auf Hog’n-Anfrage mitteilt. Besagter Ausschuss tagt unter Vorsitz von Freyung-Grafenaus Landrat Sebastian Gruber (CSU) am Montag, 22. April, in Ludwigsthal. Tagesordnungspunkt eins: „Anpassung der Zonierung in den Dienststellen Bayerisch Eisenstein und Scheuereck; Beschlussfassung“.
Stephan Hörhammer
Nachtrag 1 nach der Sitzung des Nationalparkbeirats am Donnerstag, 18. April 2024. Der BR berichtet: „Selbst wenn man jetzt – wie geplant – rund 18 Hektar aus der Kernzone heraus und in die Randzone hineinnimmt, hat man immer noch mehr als 75 Prozent Naturzone, nämlich exakt 75,29 Prozent, betonte Nationalparkleiterin Ursula Schuster. Sie erklärte weiter, dass der Park aber eben auch seinen Verpflichtungen zum Schutz der angrenzenden Privatwälder vor einem Übergreifen der Borkenkäfer-Kalamität nachkommen wird.“ (–> zum Bericht)
Nachtrag 2: Die sogenannte Randzone des Nationalparks Bayerischer Wald wird nun fix vergrößert, wie der BR nach der Sitzung des Nationalparkausschusses am Montag, 22.04.24 berichtet. „Damit will die Nationalparkverwaltung den angrenzenden Privatwaldbesitzern entgegenkommen. Sie drängen auf mehr Schutz vor dem gefräßigen Borkenkäfer.“ (–> zum Bericht)