–> český
Vimperk. „Wenn wir gemeinsam ein Bierchen trinken gehen, verstehen wir uns sehr gut – auch ohne Dolmetscher“, sagt Pavel Hubený, Leiter der Šumava-Nationalparkverwaltung, gefolgt von einem herzlichen Lachen. Dr. Franz Leibl, Chef des Nationalparks Bayerischer Wald, stimmt mit ein. Die Stimmung zwischen den beiden höchsten Nationalpark-Vertretern dies- und jenseits der Grenze könnte nicht besser sein – trotz der Sprachbarriere, die sie zumeist auf Englisch zu überbrücken versuchen. Sie liegen ganz offensichtlich auf einer Wellenlänge – nicht nur, was das Zwischenmenschliche anbelangt, sondern auch die parkpolitische Ausrichtung, wie während des gemeinsamen Interviews mit dem Onlinemagazin da Hog’n und dessen tschechischer Partnerseite sumava.eu deutlich wird.
Im ersten Teil des Gesprächs geht es u.a. um die Hauptunterschiede zwischen den beiden Parks, deren jeweilige Akzeptanz in der Bevölkerung, um die oft kritisch-betrachtete Naturzonenerweiterung, um die derzeit zur Abstimmung ausgesetzte Novellierung des Naturschutzgesetzes auf tschechischer Seite sowie die Zukunftspläne hinsichtlich einer Entwicklung hin zu einem „gesunden Park“.
Auf der einen Seite der Nationalpark Šumava – auf der anderen der Nationalpark Bayerischer Wald. Worin liegen die Hauptunterschiede zwischen den beiden Parks?
Hubený: Der größte Unterschied: Der Nationalpark Bayerischer Wald hat klar definierte Ziele – was auf der tschechischen Seite bisher nicht der Fall ist. Ein weiterer Unterschied liegt in der Finanzierung der beiden Nationalparks bzw. Nationalparkverwaltungen: Auf bayerischer Seite wird der Park direkt und zu 100 Prozent aus dem Staatshaushalt finanziert – Šumava hingegen nur zu einem Drittel. Die restlichen zwei Drittel werden auf tschechischer Seite über die Forstwirtschaft generiert, also durch Holzeinschlag. Der dritte Unterschied betrifft die Lage der beiden Parks: Während der Nationalpark Bayerischer Wald von südöstlich ausgerichteten Hängen geprägt ist, vereinnahmt der Šumava die andere Seite des Mittelgebirges – was freilich einen Einfluss auf die unterschiedlichen Naturcharaktere mit sich bringt.
Leibl: Ich möchte hier gerne ergänzen, dass sich der Šumava durch besondere Hochebenen auszeichnet, die wir nicht haben. Ebenso durch große Moorkomplexe, die auf bayerischer Seite nur rudimentär vorkommen. Ein wesentlicher Unterschied liegt natürlich in der Größe der beiden Parks begründet: Wir haben 24.000 Hektar – der Šumava ist mit rund 68.000 Hektar fast dreimal so groß. Die Geschichte ist ebenfalls eine andere: Den Šumava gibt es seit 25 Jahren, den Nationalpark Bayerischer Wald seit fast 50 Jahren. Und, wie Pavel schon angedeutet hat, gibt es gewisse Unterschiede in der Entwicklung der beiden Parks: Wir sind in ein Rechtssystem mit klaren rechtlichen Vorgaben eingebettet. Der Šumava hingegen nicht.
Leibl: „Ich höre da so gut wie keine kritischen Stimmen mehr“
Herr Leibl: Mehr als 40 Jahre nach seiner Gründung wird der Nationalpark Bayerischer Wald heute immer noch kritisch beäugt – warum ist das so?
Leibl: Ich denke, dass der Nationalpark in der Bevölkerung angekommen ist – jedoch in unterschiedlichen Formen. Im Landkreis Freyung-Grafenau, also dort, wo sich der sogenannte Altpark befindet, gestaltet sich das Ankommen zwischenzeitlich sehr intensiv. Ich höre da so gut wie keine kritischen Stimmen mehr. Im Erweiterungsgebiet, dem Landkreis Regen, gibt es noch kritische Stimmen seitens weniger Bürger, die sich seit Jahrzehnten kritisch gegenüber dem Nationalpark äußern. Daran hat sich nichts geändert – jedoch handelt es sich hierbei, wie gesagt, um eine deutliche Minderheit.
Dass der Nationalpark sich mit der Region und die Region mit dem Nationalpark arrangiert hat, kann man etwa daran erkennen, dass wir derzeit sehr viele Partnerbetriebe haben, dass wir mit den Schulen in der Region Partnerschaften eingehen, oder dass wir in den kommunalen Ausschüssen überwiegend einstimmige Ergebnisse erzielen. Und letztlich sieht man’s auch an der Zahl der Besucher: 1,3 Millionen pro Jahr sprechen eine deutliche Sprache.
Sind Sie der Meinung, dass der Nationalpark die Lebensqualität der Nationalparkregion erhöht? So lautete eine Frage im Zuge einer aktuellen, repräsentativen Umfrage unter Park-Besuchern, wovon etwa ein Drittel aus Einheimischen bestand. 81 Prozent der befragten Einheimischen haben gesagt, dass dies zutreffend sei. Ein Wert, der uns sehr froh stimmt. Ebenso wurde die Frage gestellt: Halten Sie die Einrichtung des Nationalparks für sinnvoll? Diese Frage haben 95 Prozent von rund 1.000 Befragten bejaht. Eine deutliche Minderheit von einem Prozent war der Meinung, die Einrichtung sei Unsinn. Fazit: Es gibt kritische Stimmen – diese sind allerdings weniger vehement vorhanden, wie dies noch vor zehn bis 20 Jahren der Fall war.
Herr Hubený: Wie steht die Bevölkerung des Böhmerwalds dem Nationalpark Šumava gegenüber?
Hubený: Wir wissen dies nicht genau, weil wir bis dato kein sozio-ökonomisches Monitoring durchgeführt haben. Ein gemeinsames Monitoring, das beide Verwaltungen miteinschließt, hat jedoch gerade begonnen. Im Moment haben wir aber noch keine genauen Angaben, was die Bevölkerung denkt.
Hubený: „Ja, wir können eine gewisse Skepsis wahrnehmen“
Wie steht es um das „gefühlte Standing“ des Nationalparks Šumava?
Hubený: Die Bevölkerung, die hier bereits vor der Gründung des Nationalparks wohnhaft war, bekommt von unser Seite keine direkten, waldwirtschaftlichen Aufträge – denn diese müssen ausgeschrieben werden. Dadurch entsteht teilweise Unsicherheit und Angst um den Verlust der Arbeit auf dem forstwirtschaftlichen Sektor. Häufig handelt es sich dabei auch um Leute, die nicht im Dienstleistungssektor arbeiten können – für sie ist das Leben, wie gesagt, etwas unsicherer geworden. Doch das betrifft nicht nur den Nationalpark, sondern alle Staatsforsten in der Umgebung.
Das heißt, dass hie und da eine gewisse Skepsis gegenüber dem Nationalpark existiert?
Hubený: Ja, wir können eine gewisse Skepsis wahrnehmen. Wir wissen jedoch nicht, wie stark sie ist, da sie häufig insbesondere durch einige Bürgermeister zum Ausdruck gebracht wird – und somit nicht repräsentativ für alle Bewohner ist.
Diese Bürgermeister sind vielleicht noch etwas skeptischer als der Rest der Bevölkerung… Andererseits gibt es Leute, die im bzw. am Nationalpark leben und stolz auf ihn sind. Sie kommunizieren diesen Stolz auch weiter an Besucher von außerhalb.
Herr Leibl: Stichwort Naturzone – bis zum Jahr 2027 sollen 75 Prozent des Nationalparkgebiets zu einer Fläche hin entwickelt werden, auf die der Mensch keinen Einfluss nimmt. Wie ist dieses Ziel schaffbar?
Leibl: Nachdem wir 2015 nach heftigen Diskussionen eine Erweiterung um 1.900 Hektar durchgeführt haben, können wir derzeit einen Naturzonen-Anteil von 67 Prozent vorweisen. Das heißt, es fehlen noch acht Prozent bis 2027. Dies entspricht einer Erweiterung von 170 Hektar pro Jahr – eine Fläche, die aus meiner Sicht künftig nicht mehr diskussionswürdig sein wird. Heuer haben wir ebenfalls Naturzonen von knapp 170 Hektar neu ausgewiesen – dies wurde im kommunalen Ausschuss einstimmig zur Kenntnis genommen. Damit ist dieses Thema vom Tisch.
Die Umsetzung der Naturzonen ist eine rechtliche Vorgabe des Staates. Wenn dieses Ziel erreicht ist, ist der Park IUCN-2-fähig. Das heißt: Er ist dann auch ein Park mit der internationalen Klasse eines Nationalparks. Aktuell sind es etwas mehr als 16.000 Hektar Naturzone – es müssen insgesamt gut 18.000 Hektar werden. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt dorthin. Größere Widerstände befürchten wir, wie gesagt, bis 2027 nicht mehr.
„Novellierung des Naturschutzgesetzes ist ein echter Meileinstein“
Herr Hubený: Wie verhält es sich auf tschechischer Seite mit dem Thema Naturzonen bzw. Naturzonenerweiterung?
Hubený: Wir haben derzeit 23 Prozent der Nationalparkfläche als Naturzone ausgewiesen. Auf zwei Dritteln dieser Fläche wird jedoch noch die Jagd betrieben, was im Bayerischen Wald heute nicht mehr der Fall ist. Aktuell wird der Nationalparkplan verhandelt – und wahrscheinlich noch im Laufe dieses Jahres vom tschechischen Umweltministerium abgesegnet. Dieser verpflichtet die Nationalparkverwaltung dazu, dass sie bis zum Jahr 2030 51 Prozent der Nationalparkfläche für die Umwandlung in Naturzone vorbereitet. Erst dann soll jedoch entschieden werden, ob die Erweiterung der Naturzone auch tatsächlich stattfinden wird.
Wenn es um die Natur selbst gehen würde, wäre es kein Problem, diese Vorgabe sofort umzusetzen. Wir haben rund 10.000 Hektar an jungen Beständen, bei denen keine Borkenkäfer-Kalamitäten in den nächsten 40, 50 Jahren zu erwarten ist. Wir haben zudem weitere 1.000 Hektar mit Mischbeständen, bei denen ebenfalls keine große Borkenkäfer-Vermehrung droht. Die Erweiterung der Naturzone ist also kein Problem für die Natur – problematisch ist eher der Umstand, die Öffentlichkeit hier vor Ort davon zu überzeugen, dass diese Erweiterung möglich ist.
Gibt es bereits Widerstände?
Hubený: Ja, die gibt es. Es gibt Statements von einigen regionalen und lokalen Politikern, die zeigen, dass eine Erweiterung wenig bis gar nicht tolerierbar sei – auch wenn es nur um einige Meter Wald geht. Sie sind prinzipiell dagegen.
Im Dezember gab es eine wichtige Abstimmung im tschechischen Abgeordnetenhaus, bei der die Novellierung des Naturschutzgesetzes verabschiedet worden ist. Dies ist ein echter Meilenstein: Denn zum ersten Mal gibt dadurch das Naturschutzgesetz vor, dass die überwiegende Fläche in den Nationalparks den natürlichen Prozessen überlassen werden sollte. Die Novelle muss noch vom Senat und vom Präsidenten abgesegnet werden. Der Senat hat leider vor Kurzem Änderungen des Gesetzes vorgeschlagen, die keinen international anerkannten Nationalpark in Tschechien zulassen würden. Das Abgeordnetenhaus muss jetzt entscheiden (voraussichtlich Ende Februar – Anm. d. Red.), ob es diese Änderungsvorschläge zulässt oder nicht.
„Das ist die Haupttriebfeder von 1,3 Millionen Besuchern pro Jahr“
Im Šumava gibt es verschiedene Interessengruppen. Welche sind das – und welche Ziele verfolgen sie?
Hubený: Welche Ziele sie verfolgen, wissen wir nicht ganz genau. Es gibt eine Gruppierung, die im Nationalpark überhaupt keine Naturzone haben möchte, sondern eher eine Art Landschaftsschutzgebiet. Dann gibt es Gruppierungen, die es begrüßen, wenn man Teile der Grundstücke im Nationalpark der Bevölkerung zur Verfügung stellen würde – zum Beispiel als Baugrund. Und dann gibt es eine Gruppe, die die Naturzone möglichst groß gestaltet haben möchte.
Wie gravierend sind diese Interessenskonflikte?
Hubený: Die Konflikte sind schwerwiegend. Im Šumava werden sie jedoch – verglichen unter allen vier tschechischen Nationalparken – am intensivsten in der Öffentlichkeit ausgetragen. Für die weitere Entwicklung ist die Novellierung des Naturschutzgesetzes wichtig, da das Gesetz einige dieser Konflikte klären wird. Unter anderem besagt sie, dass keine staatlichen Grundstücksflächen mehr an Privatpersonen verkauft werden dürfen. Außerdem, dass auf der überwiegenden Nationalparkfläche die natürlichen Prozesse geschützt werden sollen. Wie ich jedoch bereits erwähnt habe, ist es im Moment nicht klar, ob das Gesetz positiv oder negativ für den Naturschutz ausfällt.
Ein gesunder, mit der Natur verbundener Lebensstil wird auf beiden Seiten immer beliebter. In Japan und Korea gibt es Pläne, künftig Supermärkte und Straßen vorwiegend unterirdisch zu etablieren, wohingegen die Menschen an der Erdoberfläche wohnen können – umgeben von freier Natur, in entspannter Atmosphäre. Welche Zukunftspläne gibt es seitens der beiden Nationalparke in Sachen „gesunder Entwicklung“?
Leibl: Ich greife hier wieder zurück auf das jüngste Umfrageergebnis. Wir haben unsere Besucher gefragt: Warum besuchen Sie den Nationalpark? 95 Prozent haben geantwortet, dass sie in den Nationalpark kommen, um Ruhe und Erholung zu finden. Ebenfalls 95 Prozent gaben an, dass sie wegen des besonderen Naturerlebnisses kommen. Dies geht eindeutig in Richtung gesunder Lebensstil. Das ist die Haupttriebfeder von 1,3 Millionen Besuchern pro Jahr.
Wir versuchen natürlich auch die Regionalentwicklung positiv zu beeinflussen. Unsere Nationalpark-Partnerbetriebe aus der Gastronomie und Hotellerie sind etwa dazu angehalten, regionale Produkte zu verwenden. Sie sollen kein Hirschfleisch aus Neuseeland einfliegen lassen, wenn bei uns im und um den Park das gleiche Produkt angeboten wird. Regionalität heißt: kurze Wege, Reduktion von Umweltbelastung und eine gesunde Lebenseinstellung. Ebenso fördern wir ganz massiv den öffentlichen Nahverkehr – Stichwort: ökologisch-orientierte Mobilität. Dies ist auch wichtig für die Umwelt, sodass wir über den Park hinaus im Gesamtpaket denken. Wir haben meines Erachtens nach den Fahrtziel-Natur-Award 2016 nicht umsonst bekommen – und sind auf dem Feld der Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs, der sanften ökologischen Mobilität, bundesweit beispielgebend.
Ich wünsche mir, dass es im Vorfeld des Nationalparks vor Bio-Betrieben nur so brummen würde – was im Moment leider nicht der Fall ist und wo wir ein großes Defizit in der Entwicklung der Nationalparkregion sehen.
„Ziel ist, dass im Nationalpark so wenig wie möglich gebaut wird“
Hubený: Allzu viel ist auf tschechischer Seite hier noch nicht geplant. Wir versuchen zum Beispiel, Autos durch öffentliche Verkehrsmittel zu ersetzen, auch mittels Elektromobilität.
Es gibt zwei neue Besucherzentren, die in Passivbauweise im Šumava -Stil errichtet wurden – wobei unser oberstes Ziel ist, dass im Nationalpark so wenig wie möglich gebaut wird. Wenn es um die Nationalparkpartner geht, lernen wir momentan vom Bayerischen Wald – und versuchen, dies hier ebenfalls so aufzuziehen.
Interview: Stephan Hörhammer & Marek Matoušek
Übersetzung: Pavel Bečka
Lest im zweiten Teil des Hog’n-Doppel-Interviews mit Dr. Franz Leibl und Pavel Hubený u.a. darüber, welche Rolle die Sozialen Medien für das Öffentlichkeitsbild des böhmerwäldlerischen und des bayerwäldlerischen Nationalparks spielen, wie sich die aktuelle Situation um den Borkenkäfer und dessen Ausbreitung bzw. Bekämpfung gestaltet – und welche Folgen der Klimawandel mit sich bringt.
Tolles Interview zwischen Hr Loibl und seinem tschechischen NPPartner Hobeny.
Die Jagd hat in einem Nationalpark nichts verloren, noch dazu, wo jetzt Wolf und Luchs wieder anwesend sind. Auch hier werden Tiere erschossen, auch wenn man es anders nennt! Hubeny ist ein leidenschaftlicher Jäger und das Argument die Region mit einheimischem Wildfleisch zu versorgen dient nur als Rechtfertigung der eigenen Passion! Die Versorgung mit Wildfleisch kön-nen genau so gut die privaten Jäger übernehmen. Seit Hubenys Amtsantritt hat die Anzahl der Hochsitze und Kanzeln auf tschechischer Seite merklich zugenom-men. Wer den ungstörten Ablauf biologischer Prozesse in der Na-tur gewährleisten will, der muss diesen Grundsatz für alle Abläufe in der Na-tur gelten lassen. Wer, wie im NP. Bayer. Wald vor einigen Jahren geschehen, einen Hirsch töten lässt, nur weil er nachts in Guglöd einige Geranien von einem Fenster gefressen hat und dies im Radio noch groß propagieren lässt, der ist vom Ziel „Natur, Natur sein lassen“ noch weit , weit weg!