Regen. Rein optisch ist seine Ähnlichkeit zu Schauspieler Gottfried John wohl nicht zu leugnen. Dabei erinnert er insbesondere an den 2014 verstorbenen Charakterdarsteller in der Rolle des Kleinganoven Reinhold Hoffmann in Rainer Werner Fassbinders Alfred-Döblin-Verfilmung Berlin Alexanderplatz. Doch mit einem Kleinganoven hat Dr. Ronny Raith, der am 8. Oktober 2023 zum neuen Landrat des Landkreises Regen und somit Nachfolger von Rita Röhrl gewählt wurde, rein gar nichts zu tun. Ganz im Gegenteil.
Denn der 48-Jährige hatte sich vor seinem Amtsantritt voll und ganz der Juristerei verschrieben. Der Anwaltsberuf, den er seit 2007 in selbständiger Weise und mit eigener Kanzlei ausübte, hat ihn bis dato überaus ausgefüllt. Die Themen Recht und Gerechtigkeit liegen dem überzeugten Katholiken am Herzen. Etliche Mord- und Totschlag-Verfahren hatte er begleitet – sowohl als Nebenkläger wie auch als Verteidiger.
Und auch als Landrat will er da hingehen, „wo’s wehtut“, wie er im großen Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n beteuert. „Ich ducke mich vor keinen Entscheidungen weg. Das ist eine meine Grundüberzeugungen und ich sage klar: Wenn wir ein Rechtsstaat sind, dann müssen wir’s ernst nehmen – und dann hat auch derjenige, der eine zutiefst verachtenswerte Straftat begangen hat, das Recht auf ein faires Verfahren und eine anständige Verteidigung.“ Am Juristen in Ronny Raith wird wohl auch sein neuer Posten als Landrat so schnell nichts ändern – zu sehr ist ihm die Tätigkeit als Anwalt in den vergangenen Jahren in Fleisch und Blut übergangen.
Im ersten Teil des Gesprächs mit dem Mann, der von Gerichtsshows im Fernsehen überhaupt nichts hält („Die sind etwas für arbeitslose Juristen am Nachmittag„), der sich als Neu-Landrat persönlich beim Bischof von Passau und Regensburg vorstellt und sich selbst als eingefleischten Anhänger von Feuerwehr- und Blaulicht-Organisationen bezeichnet, geht es u.a. um den Rückblick auf seine Kandidatur, aktuelle politische Weichenstellungen der Ampel-Koalition, die Proteste der Landwirte, die Demos gegen Rechts und die Frage, ob die Demokratie in Gefahr ist.
„In der Kanzlei war ich viel mehr Einzelkämpfer“
Herr Raith: Der erste Eindruck – wie fühlt es sich an als Landrat des Landkreises Regen?
Es ist eine grundsätzlich andere Tätigkeit als bisher – ich war fast 20 Jahre selbständig als Anwalt tätig. Ich habe gewusst, was auf mich zukommt – vielleicht nicht in Gänze und von der Intensität her. Arbeitstechnisch ist es für mich eine Umstellung, weil der Selbständige natürlich die Arbeitsabläufe anders gestaltet, als das in einer Behörde der Fall ist. Der erste Eindruck ist jedenfalls durchwegs positiv, die Leute sind motiviert – ich könnte mich nicht beschweren.
Worin unterscheiden sich Landratsamt und Anwaltskanzlei?
In der Kanzlei war ich viel mehr Einzelkämpfer. Von den Arbeitsabläufen her ist man in der Selbstständigkeit mehr dazu gezwungen, zeitnäher und zeitintensiver zu arbeiten. Im Amt – und das darf auch mit Fug und Recht erwartet werden – wird sehr viel intensiver auf rechtliche Abläufe und Zuständigkeiten geachtet, weil das die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung ist.
Was ist aus Ihrer Sicht schöner bzw. besser?
Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Ich müsste lügen, wenn ich behaupte, mir würde meine frühere Tätigkeit nicht fehlen. Ich war klassischer Prozessanwalt im strafrechtlichen Bereich, dessen wesentliche Arbeit sich im Gerichtssaal zugetragen hat. Ich musste sehr spontan, sehr Prozessordnungs-affin agieren. Aber auch die Landratstätigkeit hat einen großen Reiz. Man kann auch hier sehr schnell und sehr unbürokratisch den Menschen helfen – natürlich ohne das Recht zu beugen.
Für mich als Anwalt ist immer der Mensch in seiner subjektiven Situation im Vordergrund gestanden – egal, wie die Situation war, egal, was vorgefallen war. Insofern hat sich meine aktuelle Tätigkeit nicht verändert. Mir ist immer der Mensch wichtig. Es geht nicht um einen Verwaltungsvorgang, bei dem man die Leute mit Bescheiden erschlägt, sondern es geht darum: Bedenke stets das Ende. Es geht also um die Frage: Was kann ich am Schluss bewirken?
„Ich habe mich nie aufgedrängt für eine Kandidatur“
Man muss dann aber schon sehr gerne Landrat werden wollen, wenn man das alles aufgibt, oder?
(seufzt) Sagen wir’s mal so: Die Entscheidung für die Kandidatur zum Landrat war eine bewusste Entscheidung. Sie fiel nicht vom Himmel, auch nicht von jetzt auf gleich. Es war ein längerer Prozess – eben weil mir bewusst gewesen ist: Ich kann beruflich dann nicht mehr als Anwalt agieren – eine Tätigkeit, die ich sehr gerne gemacht habe und auch ohne Zögern wieder ergreifen würde.
Ich habe mich nie aufgedrängt für eine Kandidatur, doch es kamen viele Leute auf mich zu, die meinten: Wir können uns vorstellen, dass du dieses anspruchsvolle Amt ausübst. Das hat dann irgendwann bei mir zu dem Schluss geführt: Wenn mir die Leute das zutrauen – und ich selbst ebenso -, dann greifen wir’s an.
Kann man dann nun einfach so mal auf die anwaltliche Pause-Taste drücken – und in sechs Jahren geht’s dann genauso weiter wie bisher?
(lacht) Das weiß ich nicht. Aber vorstellen kann ich mir’s schon. Meine Amtszeit dauert sechs Jahre und ich gedenke aus dieser etwas Gutes und Vernünftiges hervorzubringen. Die Wahlentscheidung trifft der Souverän, die Bürgerinnen und Bürger – ich kann heute noch nicht sagen, ob ich nochmals antreten werde. Das wäre ohnehin unseriös.
Aber natürlich: Wenn man nun in dieses Amt hineinwächst und auch entsprechend Lust darauf bekommen hat, hofft man auch darauf, dass man bestätigt wird. Wie schnell es vorbei sein kann, hat man zuletzt in Bodenmais gesehen (Landrat Raith spricht hier die Abwahl des Bodenmaiser Bürgermeisters Joli Haller an – Anm. d. Red.) Sollte es so sein – sei’s nun aus einer persönlichen Entscheidung heraus oder dass der Wähler bestimmt, mir das Vertrauen nicht mehr zu schenken -, dann bin ich mir sicher, dass ich wieder in meinem alten Beruf als Jurist Fuß fassen kann.
„Ich war noch nie der große Partei-Soldat“
Ihr Sieg im ersten Wahldurchgang war – angesichts von vier Kandidaten – durchaus überraschend. Auch für Sie?
Man kann nicht damit rechnen, dass man bei vier Kandidaten im ersten Wahlgang eine Mehrheit erreicht. Und auch ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet. Natürlich hofft man aber darauf, ein gutes Ergebnis zu bekommen. Und wenn man zur Wahl antritt, dann will man auch gewinnen. Es war keine Alibi-Kandidatur.
Es hat mich freilich sehr gefreut, dass es dann gleich so deutlich geklappt hat – und ich in der Art und Weise des Wahlkampfs bestätigt wurde. Ich habe allerdings auch eine Kampagne für die Stichwahl in der Schublade gehabt.
War es zu Ihrem Vorteil, dass sich die anderen Parteien offenbar schwer damit getan haben, überhaupt einen Kandidaten aufzustellen?
Das kann ich nur schwer beurteilen. Meinen Nominierungszeitpunkt hatte ich ganz bewusst auf den 31. März gelegt, um bis zur Wahl ausreichend Vorlaufzeit zu haben. Bis auf den Kandidaten Müller hat es lange gedauert, bis sich jemand von den Mitkonkurrenten aus der Deckung gewagt hat. Es war gewiss ein Vorteil, dass meine Nominierung relativ frühzeitig geschah und ich als Kandidat feststand. Ich bin dann auch als solcher wahrgenommen worden. Warum die anderen Parteien solange gewartet haben, weiß ich nicht. Ich habe großen Wert darauf gelegt, dass der Wahlkampf nicht auf persönlicher Ebene geführt wird – das wird es auch von meiner Seite her nicht geben. Mir geht es immer um die inhaltlich-sachliche Auseinandersetzung.
Zudem kam mir wohl auch der Umstand zupass, dass ich noch nie der große Partei-Soldat gewesen bin – bis heute nicht. Ich gehöre zur CSU, weil ich dort politisch die größte Schnittmenge sehe. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich mit Einigem nicht einverstanden bin, was von der Landespartei politisch gemacht wird.
„Da wirkt sich der Politik-Wahnsinn unmittelbar aus“
Dazu später mehr. Die politische Lage auf Bundesebene ist angespannt wie nie zuvor. Beeinflusst Sie das in Ihrer Arbeit als Landrat?
Ich könnte nun sagen: Berlin ist weit weg, tagespolitisch beeinflusst mich das überhaupt nicht. Doch Berlin wirkt sich ganz gravierend aus – in vielen Bereichen. Die Asyl- und Ausländerpolitik ist beispielsweise überaus bedenklich – und ich will da nun keinerlei Parteischelte betreiben. Denn auch in Zeiten der großen Koalition wurden viele Weichenstellungen meiner Meinung nach versäumt.
Wir leben im Hier und Jetzt. Und im Hier und Jetzt werden meiner Meinung nach vollkommen falsche Weichen in der Asyl- und Ausländerpolitik gestellt. Genauso – und das beeinflusst uns nun unmittelbar – in der Gesundheitspolitik. Diese Diskussion wird ja nicht nur im Landkreis Regen geführt, sondern allenthalben auch im Landkreis FRG.
Es ist der Wahnsinn, wenn die Rahmenbedingungen so gestellt werden, dass sich bei uns in der ländlichen Region die Frage auftut: Kann man ein Krankenhaus künftig überhaupt noch halten? Das scheitert nicht am politischen Willen, sondern schlicht und ergreifend an der Frage der Finanzierbarkeit. Und da wirkt sich der Politik-Wahnsinn, der in Berlin momentan stattfindet, unmittelbar aus.
Sie sprechen die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach an. Diese ist ja vorerst nur angedacht und noch nicht in Kraft getreten.
Aber Lauterbach forciert das ja mit aller Macht. Ich bin ein grundsätzlich optimistisch denkender Mensch. Ich habe unseren Praktikanten und Referendaren in der Kanzlei immer folgendes mit auf den Weg gegeben: Rechnet stets mit dem Schlimmsten, hofft aber gleichzeitig auch immer auf das Beste. Genauso kann man meine Grundhaltung in der aktuellen Gesundheitspolitik beschreiben. Natürlich ist die Sache noch nicht in Gesetze gegossen, aber der Weg ist vorgezeichnet.
„Politischer Diskurs wird mit härteren Bandagen geführt“
Rührt diese Misere im Gesundheitswesen nicht insbesondere aus der Vergangenheit, sprich: aus Zeiten der Großen Koalition?
Natürlich. Das ist kein Phänomen der vergangenen beiden Jahre. Das ist vollkommen klar. Aber nun sind eben diese Herrschaften in der politischen Verantwortung und müssen Antworten liefern. Was sich ebenfalls auswirkt – und auch das ist nicht unmittelbar der aktuellen Bundesregierung zuzurechnen -, ist dieser Bürokratie-Wahnsinn. Wir regulieren uns in Deutschland irgendwann zu Tode.
Betrachten wir mehr die Stimmungslage, die derzeit in der Bevölkerung gegen nahezu alles, was mit Politik zu tun hat, vorherrscht. Hat diese Stimmung auch das Landratsamt erreicht?
Das Haus selbst nicht direkt. Ich spüre diese angespannte Stimmung, wenn ich etwa bei Veranstaltungen bin. Ich bin gerne unter Leuten und lege Wert darauf, dass man nahe an ihnen dran ist. Man hat es jüngst bei den Protesten der Landwirte gesehen – ein in der Sache durchaus berechtigtes Anliegen. Da merkt man, dass sich die Stimmung verschärft. Genauso bei der aktuellen Demokratie-Bewegung.
Meine Wahrnehmung ist: Der politische Diskurs wird mit härteren Bandagen geführt, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Auf mich als Person bezogen: Ich bin robust und halte einiges aus, mit mir kann jeder über alles reden. Aber auch ich spüre, dass es bei politischen Diskussionen häufig nicht nur um die Sache geht, sondern man mit pauschalen Vorwürfen überzogen wird und somit eine Ergebnisoffenheit des Gesprächs vielfach nicht mehr gegeben ist. Das muss man leider so sagen.
Siehe dazu das Internet und Social Media. Dort beteilige ich mich jedoch grundsätzlich nicht an politischen Diskussionen, weil das Debatten sind, die man nicht gewinnen kann. Ich bin ein großer Freund von Gesprächen, bei denen man sich wirklich gegenüber steht und sich in die Augen schauen kann. Da ist auch die Hemmschwelle für ehrverletzendes oder beleidigendes Verhalten deutlich höher. Ich sehe in Social Media einerseits große Chancen, andererseits aber genauso große Risiken und eine Verrohrung von Stil und Sprache.
„Momentane Agrarpolitik zeigt eine große Unwucht“
Sie sagen, Sie haben Verständnis für die Proteste der Bauern. Wie kommen Sie zu dieser Haltung?
Das ist ein vielschichtiges Thema. Die momentane Agrarpolitik zeigt eine große Unwucht in unserer politischen Landschaft. Ich denke, dass wir sehr schlecht beraten wären, wenn die Politik dazu beitragen würde, dass es noch mehr zum Höfesterben bzw. Aufgabe von Landwirtschaften kommt, wie es jetzt schon der Fall ist.
Es geht im Wesentlichen um zwei Aspekte – zum einen: die Lebensmittelversorgung, die wir möglichst aus heimischer Produktion stemmen sollten. Wir sollten uns nicht abhängig machen von Importen aus dem Ausland, mit dem Risiko, dass Deutschland sich am Ende nicht mehr selbst versorgen kann – wie schon mein Opa, der selbst Jahrzehnte als Landwirt tätig war, immerzu gemahnt hat. Ganz profan geht es um die Landwirtschaft als Ernährer der deutschen Bevölkerung. Unabhängig von der Sicherstellung der Versorgung geht’s auch um die Lebensmittelqualität, die man im eigenen Land besser standardisieren kann. Bio-, Tierwohl und Nachhaltigkeit kann ich hierzulande kontrollieren, woanders nicht – Herkunftssiegel hin oder her.
Der andere Aspekt: Landwirtschaft ist nicht nur für die Lebensmittelerzeugung und Versorgung der Bevölkerung wichtig, sondern auch für die Landschaftspflege. Gäbe es die Landwirtschaft nicht mehr – wie würde unsere Umwelt dann aussehen? Die Wiesen würden etwa nicht mehr kultiviert bzw. gemäht werden – somit wären wir als Lebensraum Bayerischer Wald irgendwann nicht mehr attraktiv, wenn alles zugewachsen ist. Auch als Tourismusregion verliert der Woid seinen Reiz.
„Galgen gehen mir zu weit“
Denken Sie nicht, dass die Ampel-Koalition den Bauern mit gewissen Teil-Rücknahmen der Subventionsstreichungen entgegen gekommen ist?
Ein Entgegenkommen ist es schon. Ich bin nicht blind. Dass die Ampel sparen muss, ist mir vollkommen klar. Ich habe aber mal gelernt: Man kann auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. Und wenn man nicht lernt, mit dem Geld auszukommen, das man hat, gibt es über kurz oder lang Probleme. Und diese Probleme sind nun da – und das nicht im geringen Maße. Es geht nicht nur um die Landwirtschaft, sondern auch um Schulen, die innere Sicherheit und so weiter.
Es ist schlicht eine Abwägung, bei der die Frage im Raum steht: Wo spare ich? Und wenn ich für mich selbst sprechen darf: Mir persönlich würden andere Einsparpotenziale einfallen als die Streichung der Subventionen in der Landwirtschaft. Man spart am verkehrten Ende – das ist meine Überzeugung.
Aber um die Subventionskürzungen alleine geht es doch schon lange nicht mehr.
Das ist auch meine Wahrnehmung. Mir fällt auf, dass von diversen Seiten – nennen wir sie Trittbrettfahrer – versucht wird, dieses berechtige Anliegen der Bauern zu kapern. Wenn Galgen durch die Gegend gefahren werden – das geht mir zu weit. Das ist eine rote Linie, die hier überschritten wird – bei allem berechtigten politischen Diskurs, der auch hart geführt werden darf. Aber das geht mir zu weit. Wenn von Seiten der Bauern eine politische Aussage hinsichtlich der Regierung sachlich platziert wird, dann erachte ich dies hingegen für legitim.
„Die Ampel wird sich durchfrett’n“
Muss die Ampel Ihrer Meinung nach weg?
Ich persönlich traue der Ampel nicht zu, dass sie die aktuell drängenden Probleme nachhaltig lösen kann. Insofern wünsche ich mir, dass wir eine andere Regierung hätten – wohlwissend, dass diese vor den gleichen Problemen steht. Was mir eine gewisse Sorge bereitet, wenn man das politische Farbenspiel anschaut, ist die Frage: Wie könnte denn eine politische Alternative aussehen? Diese wäre auf Bundesebene am Ende des Tages ja wohl die GroKo. Und ob man sich da nicht wieder gegenseitig blockiert, mit Blick auf die in zwei Jahren stattfindenden Wahlen – ich weiß es nicht.
Doch ich erwarte – und dies ist auch mein eigener Anspruch – die Sorgen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen sowie Lösungen zu entwickeln bzw. aufzuzeigen. Wenn ich das nicht kann, dann bin ich verkehrt – und tauge auch nicht für ein politisches Amt. Die Ampel wird meiner Meinung nach aber nicht vorzeitig abgewählt werden. Die wird sich, wie man im Woid so schön sagt, „durchfrett’n“.
Wie bewerten Sie die aktuell bundesweiten Demos gegen Rechts?
Grundsätzlich freut es mich, wenn man für eine Sache einsteht und bereit ist, für seine Überzeugung auch auf die Straße zu gehen. Die Wirkung dieser Demonstrationen ist aber meiner Meinung nach sehr zwiespältig. Ein gewisses Bedenken geht dahin, dass man genau durch diese Demonstrationen denjenigen, gegen die man eigentlich demonstriert, wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen lässt, als diese eigentlich verdienen würden.
Bitte nicht missverstehen: Der Nationalsozialismus und dessen Auswirkungen bis heute dürfen sich nie mehr wiederholen. Und ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wenn die rechten Umtriebe wieder Aufschwung erfahren, so wie dies derzeit der Fall ist. Auf der anderen Seite erachte ich linksextremistische Auswüchse wie die Antifa in punkto unmittelbarer Gefährdungslage für die öffentliche Sicherheit noch viel gefährlicher als die Rechten. Das ist meine persönliche Überzeugung.
„Durch Demos wird sich keiner von den Rechten umdrehen“
Es ist richtig und wichtig, dass sich die Leute positionieren. Daher war ich auch kürzlich bei einer Demonstration in Regen mit dabei, wobei ich einfach durch meine Anwesenheit Solidarität zeigen wollte. Ich war als Landrat eingeladen und auch als Landrat dabei, habe aber ausdrücklich auf einen Redebeitrag verzichtet. Ich halte es generell für zielführender und nachhaltiger, wenn bei solchen Veranstaltungen die Mitte der Gesellschaft zu Wort kommt.
Die Gefahr, die damit einhergeht, sehe ich allerdings auch: Es wird noch weiter polarisiert, weil durch eine Demonstration – so hehr die Interessen auch sein mögen – wird sich keiner von den Rechten umdrehen. Ganz im Gegenteil: Sie werden es als Wasser auf ihre Mühlen empfinden und sich darüber freuen, als reale Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung wahrgenommen zu werden. Ich denke also nicht, dass man durch eine Demonstration – so gutwillig sie auch sein mag – irgendetwas an der Grundsituation ändern wird.
Wäre es also Ihrer Meinung nach besser, diese Demonstrationen nicht durchzuführen?
Nein, überhaupt nicht. Aber ich gebe mich nicht der Einschätzung hin, dass sich durch diese Demonstrationen am gesellschaftlichen Gefüge etwas verändert. Ich denke, die Probleme liegen tiefschichtiger. Mich interessiert vor allem die Frage: Warum haben die Extremen denn derart viel Zulauf? Egal, ob links oder rechts – das treibt mich um.
Können Sie sich diese Frage beantworten?
Die Antwort ist multikausal. Es hängt u.a. damit zusammen, dass die gesellschaftliche Ordnung immer heterogener wird; dass es wenig gibt, das einen Grundkonsens in unserer Gesellschaft ausmacht – nennen wir’s einen Wertekanon. Dieser geht zunehmend verloren. Dieses sinnstiftende, identitätsstiftende Moment. Ich bin überzeugter und praktizierender Katholik – dementsprechend habe ich etwas, das aus meiner Sicht moralische Grundwerte nährt. Das muss man nicht als richtig erachten, aber es ist etwas, das einem gewisse moralische Grenzen – links wie rechts – aufzeigt. Freilich bei allen Verfehlungen der Institution Kirche – da gibt es nichts zu beschönigen.
„Was erreicht man durch Verbote?“
Stichwort: Potsdamer Treffen, steigender Zuspruch für die AfD – sehen Sie aufgrund dieser Entwicklungen die Demokratie in Gefahr?
Die Demokratie sehe ich in letzter Konsequenz nicht in Gefahr. In der deutschen Geschichte – auch in der Nachkriegsgeschichte – gab es immer wieder Fanatiker, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die nicht perfekt ist, aber sicher die beste aller wünschenswerten Regierungsformen darstellt, in Frage gestellt haben und sie in Frage stellen. Die derzeitige Ausprägung ist allerdings enorm, was jedoch kein typisch deutsches, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen ist: Österreich, Frankreich, Italien – die Liste ließe sich fortsetzen. Bei uns Deutschen wird halt besonders genau hingeschaut. Und leider hat der Deutsche gerne die Neigung, von einem Extrem ins nächste zu verfallen – warum auch immer.
Ich hoffe und wünsche mir, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind und wir uns mit den Mitteln der Demokratie und mit allen Herausforderungen auseinander setzen. Diese Mittel sind auch ausreichend, sofern die Menschen sie ernst nehmen. Ich bin hier wohl zu juristisch geprägt, aber: Was erreicht man durch Verbote? Ein Verbot führt nicht zu einer Gesinnungsänderung oder zu einem Umdenken bei den Menschen. Durch Verbote wird erreicht, dass sie sich anders organisieren, in eine Subkultur abtauchen und als braune Brühe unter der Oberfläche dahinwabern. Lieber habe ich einen politischen Gegner, den ich in der politischen Diskussion mit Sachargumenten stellen kann.
Aber selbst diese Subkulturen muss eine Demokratie aushalten – und umso mehr ist es eine Herausforderung für die Anhänger der Demokratie sich zu engagieren, sich klar eine Meinung zu bilden, diese zu vertreten, aber auch Verantwortung zu übernehmen. Denn daran mangelt es ja häufig: dass groß und g’scheit daherg’schmatzt wird, am Ende des Tages aber kaum jemand mehr dazu bereit ist, ein Mandat im Gemeinderat, Stadtrat oder einem sonstigem Gremium zu übernehmen.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer
Im zweiten Teil des großen Hog’n-Interviews mit Regens Neu-Landrat Ronny Raith geht es u.a. um seine künftige Zusammenarbeit mit Vertretern der AfD auf Landes- und Kreistagsebene, darum, was er an der Regierung Söder für kritikwürdig erachtet, wie er das politische Auftreten Hubert Aiwangers einschätzt und welche drei kommunalen Projekte er am Ende seiner Amtszeit verwirklicht wissen möchte.