Bodenmais. 1914, Bodenmais. Das Leben war hart und entbehrungsreich. Schlechte Böden für die Bauern, wenig Arbeit, viele Tagelöhner. In diesen unleidlichen Verhältnissen wurde im September Johann Baptist Hamberger geboren. In einer kleinen Holzhütte, als letztes von 15 Kindern, von denen gerade einmal drei die ersten Lebensjahre überlebt haben. Eine ärztliche Versorgung konnten sich zu jener Zeit die wenigsten leisten. Der Vater, den er nie kennengelernt hatte, fiel im Ersten Weltkrieg. Die Mutter starb, da war er gerade fünf Jahre alt. Mehr schlecht als recht wuchs er in der Folge bei einem seiner Brüder auf.
Mit 14 kam Johann zum ersten Mal ins Gefängnis – wegen Diebstahls, getrieben von der Not. Bereits in dieser Zeit – bedingt durch die vielen Arbeiter – mutete Bodenmais als Tummelplatz der Kommunisten an. 1932 verteilte er in deren Namen Flugblätter im Ort, denn schon damals waren ihm die NSDAP und deren abzusehende Auswüchse ein Dorn im Auge.
Ein Nazi im Rathaus – und ein Funken Liebe
Ein Jahr später wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Ein Ereignis, das auch Auswirkungen auf Bodenmais hatte. Josef Eberhardt, ein überzeugter Nazi, nahm als Bürgermeister auf dem Rathaus-Sessel Platz. In Eigenregie setzte dieser ein Beherbergungsverbot für Juden durch, da er ein „sauberes Dorf“ haben wollte – ohne Tagelöhner und Landstreicher, die er beim Landratsamt mit Nachdruck anschwärzte. Auch Johann stand bereits unter Beobachtung.
Die kommunistische Bewegung verschwand im Untergrund und der Widerstand der Bodenmaiser hielt sich in Grenzen, profitierte man doch zunehmends vom KDF-Programm der Nazis. Da akzeptierte man auch, dass der Marktplatz in Adolf-Hitler-Platz umbenannt, für Aufmärsche genutzt und am Harlachberg ein großes, weitum sichtbares Hakenkreuz aufgestellt wurde.
1935 schickte man Johann Baptist Hamberger zum Reichsarbeitsdienst – zunächst nach Bischofsmais. Dort durfte er zum ersten Mal in seinem wenig erbaulichen Leben so etwas wie Liebe erfahren, als er sich in ein Mädchen aus dem Ort verschaute. Nach der Versetzung der RAD-Kolonne nach Oberzwieselau büxte er aus, um seine Geliebte zu sehen, wurde jedoch verraten und von der Polizei zurückgebracht.
„Der ganze Staat ist nur auf Schwindel und Betrug aufgebaut“
1939 wurde Johann wegen des sog. Landstreicher-Paragraphen ins Arbeitshaus Rebdorf (bei Eichstätt) eingewiesen, wo er einen Brief an seinen Bruder schrieb. „Der ganze Staat ist nur auf Schwindel und Betrug aufgebaut“, war darin unter anderem zu lesen. Eine Aussage, die womöglich sein Ende einläutete.
1941 kam er ins Konzentrationslager Dachau. Bereits ein Jahr später wurde er ins KZ Mauthausen in Oberösterreich verlegt, wo er im Außenlager Gusen am 21. April 1942 angeblich an „eitrigem Dickdarmkatharr“ verstarb – ein zu jener Zeit allgemein üblicher Deckname für die Ermordung eines Häftlings.
1945, der Zweite Weltkrieg näherte sich dem Ende und die US-Armee rückte von Regen kommend über den Böhmhof nach Bodenmais vor, überschlugen sich die Ereignisse. Bürgermeister Eberhardt verschwand spurlos, am Silberberg erschossen sich zwei SS-Soldaten, die Bodenmaiser Bevölkerung lief den Amerikanern mit weißen Fahnen entgegen. Sämtliche Unterlagen, Akten, Beweise – angeblich alles verbrannt oder in den Rotbach geworfen. Johann Baptist Hamberger blieb der einzige Bodenmaiser, der durch die Nazis im KZ ermordet worden war.
Nachwort: Wo stehen wir heute?
Nationalistische und antisemitische Tendenzen waren seit den Gräueln des Zweiten Weltkriegs nie ganz aus den Köpfen verschwunden. Mitte der 50er Jahre gab es in München bereits die ersten Hakenkreuz-Schmierereien an den Hauswänden zu sehen. In den 60ern wurde vielerorts in Deutschland die NS-Symbolik durch NPD-Anhänger wieder öffentlich gezeigt.
Rechtsextremisten aus den Reihen der AfD bedienen sich heute ganz unverhohlen der alten Nazi-Polemik und Propaganda, machen Gebrauch von einstigen Nazi-Ideen wie der Umvolkung oder Re-Migration. Björn Höcke, Chef der thüringischen AfD, verbreitet offen antisemitische Verschwörungstheorien und judenfeindliche Denkmuster.
Heute (wie damals) halten die breite Bevölkerung und die Politikverantwortlichen lange – ja fast viel zu lange – still. Es scheint so, als hätten die Deutschen aus ihrer dunklen Geschichte nichts gelernt. Erst jetzt kommt der Aufschrei nach dem Motto „Nie wieder ist jetzt“ – und Millionen Menschen gehen dafür auf die Straße. Aber reicht das aus? Oder braucht es erst Menschen wie Marcel Reif, dessen Vater Leon, ein polnischer Jude, im Krieg auf dem Weg ins Vernichtungslager gerade noch so aus einem Deportationszug gerettet wurde. Braucht es Menschen wie ihn, um uns auf eindrucksvolle Weise aufzurütteln und unser Verhalten zu überdenken?
Was bleibt, ist ein Satz von Marcel Reif, den er bei der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag, sagte. Drei Worte, die unter die Haut gehen: Sei ein Mensch!
Sabine Hamberger
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Die Autorin dieser Zeilen ist 1975 in Bodenmais geboren. Sie ist gelernte Glasmalerin, passionierte Hobby-Fotografin und Malerin. Ausgangspunkt für ihre Recherchen war die Tatsache, dass innerhalb der Familie so gut wie nie über ihren Großonkel Johann Baptist Hamberger gesprochen wurde. Es fiel lediglich hin und wieder folgender Satz: „Da war mal einer, aber des war a Hamml!“ Bereits erste Recherchen über ihn brachten zutage, dass er im Konzentrationslager inhaftiert war. Dies gab den Anlass für Sabine Hamberger, seine Geschichte weiter aufzudecken.
Quellenangaben/Recherche: Staatsarchiv Landshut, Staatsarchiv München, Staatsarchiv Berlin, Arolsen Archives, United States Holocaust Memorial Museum Washington, Standesamt Zwiesel, Pfarrei Bodenmais, Prof. Dr. Reinhard Hallers Buch „Bodenmais und die Bomoesser“ etc.