Regen. Die Demokratie ist bedroht, ein europaweiter, ja nahezu globaler Rechtsruck ist mehr und mehr in der politischen Landschaft heutzutage feststellbar. Genauso wird die Demokratie auch hierzulande in ihren Grundfesten erschüttert – so sehr, wie wohl seit den Zeiten der Weimarer Republik nicht mehr. Daher sind Demokraten mehr den je gefordert, die demokratischen Grundwerte in der Gesellschaft zu verteidigen.
Auch die Veranstalter der am Dienstag, 7. November 2023, in der Aula der Regener Realschule stattfindenden 2. Demokratiekonferenz im Landkreis Regen möchten ihren Beitrag dazu leisten. Dazu eingeladen sind Bürgermeister, Vereine, Polizei, soziale Einrichtungen, die Mitglieder des Begleitausschusses sowie alle Bürgerinnen und Bürger des Landkreises.
Im Zentrum der Veranstaltung steht die Vorstellung des Buches „Ich habe niemals ein Verbrechen begangen“ von Dr. Franz X. Keilhofer, der mit seinem Vortrag über den einstigen Organisator eines Holocaust-Verbrechens gerade diejenigen Teile des Publikums, die bis heute der Vorstellung anhängen, in der NS-Zeit hätte sich im Kreis Regen nichts zugetragen, was ein Gedenken erfordern würde, sensibilisieren, ja aufwecken möchte.
NS-Vergangenheit auch im Landkreis Regen
Wir haben uns im Vorfeld mit Sigrid Kick von der Koordinierungs- und Fachstelle „Demokratie leben!“ im Landkreis Regen über die Pflege der Erinnerungskultur, die ausgeprägte AfD-Tendenz bei den Jungwählern sowie die Frage, wie viel Gegenwehr eine Demokratie heute aushalten können muss, unterhalten.
Frau Kick: Worum geht es bei der 2. Demokratiekonferenz genau? Wie ist der Ablauf der Konferenz?
Nach der allgemeinen Begrüßung und den Grußworten durch uns als Partnerschaft für Demokratie und dem Landratsamt Regen sowie einer kurzen Vorstellung der Partnerschaft für Demokratie übernimmt Mascha Wigges, freie Moderatorin, das Wort und wird uns durch die Veranstaltung begleiten. Zu Beginn wird es eine Lesung und Buchvorstellung mit Diskussions- und Fragerunde geben. Dann werden wir einen kurzen Sachstandsbericht unserer Arbeit geben. Danach findet eine Projekt- und Netzwerkbörse bei Buffet und Getränken statt. Das heißt, die Teilnehmenden können sich untereinander austauschen und sich über Projekte informieren, die durch „Demokratie leben!“ gefördert werden können.
Von wem wird die Konferenz konkret veranstaltet?
Von der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Regen. Die PfDs sind Teil des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Im Landkreis Regen setzt sie sich zusammen aus dem federführenden Amt (Landratsamt), der Koordinierungs- und Fachstelle (Kreisjugendring), dem Begleitausschuss (zivilgesellschaftliche Mitglieder) und den vier Jugendforen (Viechtach, Ruhmannsfelden, Bodenmais, Zwiesel). In Deutschland existieren inzwischen über 350 solcher Partnerschaften.
Im Mittelpunkt steht das Buch „Ich habe niemals ein Verbrechen begangen“ von Autor Franz X. Keilhofer, der darin auch über den einst in Regen als NSDAP-Kreisleiter sowie als Bürgermeister von Zwiesel und Regen wirkenden Josef Glück berichtet. Was dürfen die Besucher hierzu erwarten?
Dr. Keilhofer möchte mit seinem Buch die Bürgerinnen und Bürger darauf aufmerksam machen, dass es in der NS-Zeit auch im Landkreis Regen Geschehnisse und Personen gab, die für fürchterliche Verbrechen verantwortlich waren. Mit einer Bestandsaufnahme am Beispiel von Josef Glück wird er dann eine Brücke zur bedrohten Demokratie in der Gegenwart schlagen.
Die Demokratie ist dann bedroht, wenn…“
Wie wichtig ist die Pflege der Erinnerungskultur, sprich: die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die ganz offensichtlich ja auch im Bayerischen Wald ihre Spuren hinterließ?
Unserer Meinung nach wichtiger denn je. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine und nun auch in Israel hinterlassen tiefe Verunsicherung bei den Menschen. Um weiterhin unsere demokratischen Grundsätze überzeugt leben zu können, müssen wir Bürger informiert und aufgeklärt werden. Vor allem, wenn es sich um ein Thema handelt, dass vor unserer Haustür passiert ist und der Betroffene nie dafür zur Rechenschaft gezogen wurde. Wir müssen uns erinnern, nur so können wir verstehen, warum demokratische Grundsätze so wichtig sind.
Der britische Premier Winston Churchill prägte einst den Satz: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen – ausgenommen alle anderen.“ Stimmen Sie dem zu?
Die Demokratie ist für mich die einzige Staatsform, in der ein Volk selbstbestimmt und frei leben kann. Natürlich kann hier und da immer etwas verbessert werden. Aber dennoch gibt es für mich keine andere Staatsform, in der ich leben möchte.
Angesichts der jüngsten Ergebnisse der Landtagswahl in Bayern, bei der die AfD – eine zwar demokratisch gewählte, aber im Kern überaus antidemokratisch ausgerichtete Partei – erneut zulegen konnte: Wie bedroht ist die Demokratie in diesen Zeiten?
Die Demokratie ist dann bedroht, wenn Menschen und Organisationen es schaffen, durch Hass und Hetze eine Gesellschaft zu entzweien. Von der Regierung enttäuschte Bürgerinnen und Bürger müssen gehört und ernst genommen werden.
„Werte mutig und offen leben und weitergeben“
Gerade bei den Jungwählern – vor allem auch in unserer Region – scheint sich die AfD wachsender Beliebtheit zu erfreuen, wie entsprechende Umfragen/Abstimmungen belegen. Was glauben Sie: Warum ist das so? Und: Wie kann man diesen Trend umkehren?
Viele junge Menschen fühlen sich nicht gehört, benachteiligt und unzureichend aufgeklärt. Hier muss angesetzt werden, um eine vielfältige, demokratische Gesellschaft aufrechtzuerhalten.
Wie viel muss eine Demokratie eigentlich aushalten können? Und: Wie wehrhaft ist eine Demokratie heutzutage noch?
Man kann auch die Gegenfrage stellen: Was braucht die Demokratie? Wolfgang Schäuble sagte einst: „Demokratie braucht Bürgerbeteiligung, Meinungsaustausch und transparente Entscheidungen. Sie sind das beste Mittel gegen Politikmüdigkeit und Demokratieverdrossenheit.“ Auch heute gibt es noch eine überwiegende Zahl von Menschen, die für die Demokratie einstehen und nach deren Werten leben. Und jeder einzelne dieser Menschen sollte diese Werte mutig und offen leben und weitergeben.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Demokratie?
Dass sie sich immer wieder neu erfindet – und dadurch überlebensfähig bleibt – genau wie die Menschheit.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer