Mitterfirmiansreut. Mehr als zehn Grad Außentemperatur zu Weihnachten und Neujahr. Menschen laufen tagsüber teils im T-Shirt und in frühlingshafter Kleidung durch die Gegend. Die Wiesen und Felder ringsum präsentieren sich im „schmutzigen Grün“ anstatt in weißer Pracht. Der Januar könnte einer der wärmsten überhaupt werden. Der Betrieb von Skiliften im Bayerischen Wald daher: Fehlanzeige!
In den bayerischen Mittelgebirgen wird Wintersport in seiner bislang bekannten Form in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr möglich sein, ist allerorts zu lesen. Die Schneegarantie in den Alpen gilt alles andere als gesichert, wie der Blick auf abgesagte Skirennen – u.a. die legendäre Kandahar-Abfahrt in Garmisch-Partenkirchen – zeigt. Und der Schnee beim Biathlon-Weltcup am vergangenen Wochenende in Ruhpolding war ausschließlich künstlicher „Natur“.
„Die geplanten Maßnahmen sind sinnvoll“
Der Klimawandel ist spürbar – und das nicht erst seit diesem Winter. Im Skizentrum Mitterdorf, dessen Ausbau und Erneuerung (inklusive Sommernutzung) für 20 Millionen Euro vor gut einem Jahren mehrheitlich im Freyung-Grafenauer Kreistag beschlossen wurde (da Hog’n berichtete), scheint diese Tatsache jedoch nicht zu größerer Beunruhigung zu führen. „Die geplanten Maßnahmen im Skizentrum sind sinnvoll“, teilt stv. Landratsamtssprecher Frederik Weinert auf Hog’n-Nachfrage kurz und knapp mit. Dessen Dienstherr, Landrat Sebastian Gruber, ist gleichzeitig Vorsitzender des Zweckverbands Wintersportzentrum Mitterfirmiansreut-Philippsreut. Man will seitens des Landratsamts diesem eher negativ konnotierten Thema augenscheinlich nicht allzu viel Gewicht beimessen, sondern vielmehr die Vorteile ins „touristische Schaufenster“ hängen:
Bei den neuen 6er- und 4er-Sesselbahnen stünden Barrierefreiheit, Kindersicherheit, Nachhaltigkeit und Komfort für Familien mit Kindern und Menschen mit Handicap im Vordergrund, wie der der Amtssprecher weiter betont. Die Rede ist von „nachhaltigen Modernisierungen“ und „energieeffizienten Optimierungen der Anlagen“. Für die Sommernutzung gebe es grundlegende Prämissen: ein naturverträgliches Angebot und Alleinstellungsmerkmale zu schaffen sowie eine solide wirtschaftliche Grundlage. „Die Sommernutzung soll in erster Linie auf den sanften Tourismus ausgerichtet sowie familienfreundlich und generationenübergreifend sein“, berichtet Weinert weiter unter Verwendung positiv besetzter Schlagworte.
Das Skizentrum Mitterdorf auch in den wärmeren Monaten zwischen Mai und September zu betreiben, war Voraussetzung für die seitens des Landkreises beantragte und genehmigte „Förderung von Seilbahnen und Nebenanlagen in kleinen Skigebieten“ gemäß der bayerischen Seilbahnrichtlinie. Dies bestätigt Katharina Kellnberger, Sprecherin der Regierung von Niederbayern, auf Hog’n-Anfrage. „Bisher ergab sich diese Voraussetzung aus entsprechenden Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.“ Dort heißt es: „Mit dem Vorhaben muss die Voraussetzung für eine ganzjährige Nutzung der Liftanlagen geschaffen werden; das heißt die Maßnahme muss auch für den Sommertourismus ausgerichtet sein.“ Laut Kellnberger wird die Förderrichtlinie derzeit überarbeitet. „Es ist geplant, dass diese Voraussetzung direkt in der Richtlinie verankert werden wird.“
Zweck-Optimismus im Landratsamt FRG
Die Frage, ob man davon überzeugt sei, dass die geplante „Sommer-Strategie“ mit einer sog. Flyline die zu erwartenden Verluste des Winters kompensieren könne, beantwortet das Landratsamt relativ unkonkret: „Wir sind optimistisch, dass wir sowohl im Winter als auch im Sommer den Touristen und Einheimischen gleichermaßen ein attraktives Erholungsangebot bieten können.“
Generell werde man auch weiterhin „auf einen verantwortungsvollen Mix aus Naturschnee und Kunstschnee setzen“. Welche Wettermodelle in zehn Jahren oder mehr zutreffen werden, könne man derzeit nicht abschätzen. Auf die Frage, welche winterlichen Alternativen es zum Skifahren in Mitterdorf gebe, sollte in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren der Schnee einmal ganz ausbleiben, bedient man sich seitens der Behörde erneut obiger Floskel: „Wir sind optimistisch, dass unser Angebot sowohl im Winter als auch im Sommer sowohl für Touristen als auch für die Einheimischen attraktiv bleiben wird.“
Zweck-Optimismus ist also angesagt in den Reihen der Verantwortungsträger. Ihnen sei wichtig, dass „alle Potenziale unter Beachtung und Einhaltung von Landschaftspflege, Naturschutz und Wirtschaftlichkeit bestens ausgeschöpft werden können“. Etwaige Zweifel daran, dass man mit dem Ausbau des Skizentrums ob des voranschreitenden Klimawandels aufs falsche Pferd gesetzt bzw. am Ende doch nicht die richtige politische Entscheidung getroffen haben könnte, räumt man mit den Worten aus dem Weg: „Wir sind davon überzeugt, dass die nachhaltige Modernisierung und energieeffiziente Optimierung der Anlagen in Mitterdorf ein zukunftssicheres Gesamtpaket für die Tourismusregion Bayerischer Wald ist.“
„Das ist rausgeworfenes Geld“
Die Frage, die nach wie vor im Raum steht: Unsinnige Geldverschwendung oder notwendige Investition? Die Meinung von Ludwig Hartmann fällt eindeutig unzweideutig aus: „Das ist rausgeworfenes Geld – man muss es so deutlich sagen“, meinte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag vor wenigen Tagen in der BR-Abendschau. „Da wird eine Sackgasse subventioniert, das ist falsch, das muss beendet werden.“ Von den 20 Millionen Euro Gesamtkosten für Sanierung und Ausbau entfallen rund 13 Millionen auf die neuen Liftanlagen, gut drei Millionen auf die neue Beschneiungsanlage und nochmal gut drei Millionen auf die neuen Sommerattraktionen. 5,8 Millionen Euro schießt der Freistaat über sein Förderprogramm zu, sodass der Landkreis rund 14 Millionen alleine zu schultern hat. Mehr als 50 Prozent der Projektsumme sind bereits vergeben, wie Landrat Gruber Ende vergangenen Jahres mitteilte (da Hog’n berichtete).
„Wir kritisieren nach wie vor die Investitionssumme insgesamt, wie auch die Verteilung der Finanzmittel“, sagt Alexander Rohde, FRG-Kreisvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Auch er habe das diesjährige Winterwetter und die diesbezügliche Berichterstattung verfolgt. „Die Verläufe der letzten Winter – der sogenannte Christmas-Easter Shift ebenso wie die immer kürzer werdenden Perioden einer geschlossenen Schneedecke -, aber auch die Extremwetterereignisse machen vielen Leuten bewusst, dass wir mitten im Klimawandel stecken.“ Ebenso kritisiere man die „immer noch fehlenden Vergleichsdaten, die fehlende Abstützung auf wissenschaftsbasierte Fakten, die ausgebliebene Hinzuziehung von Tourismusexperten“. Und: „Wir mahnen weiterhin die Praxis der bayerischen Staatsregierung an, Schneekanonen mit Steuergeldern zu subventionieren“, schlägt Rohde in dieselbe Kerbe wie Hartmann. „Wir werden erneut Gespräche mit den Beteiligten und mit Fachleuten führen, um mit Argumenten zu informieren.“
Die Grünen, die nach eigenen Aussagen am Mitterdorf-Projekt dranbleiben wollen, fordern einen sanften Tourismus im Unteren Bayerischen Wald, den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie einen ÖPNV, „der diese Bezeichnung auch verdient“. Man wünscht sich für den Landkreis „eine gemeinsame und nachhaltige Tourismusstrategie, die den Belangen unserer Bürgerinnen und Bürger, den Möglichkeiten unserer Wirtschaft, den Wünschen unserer Gäste und den örtlichen Gegebenheiten Rechnung trägt“.
Verschiebung der Schneegrenze um mehr als 200 Höhenmeter
Und was sagt die Klimaforschung? Wir haben bei Prof. Dr. Harald Kunstmann vom KIT-Campus Alpin des Karlsruher Instituts für Technologie in Garmisch-Partenkirchen und Zentrum für Klimaresilienz (ZfK) der Universität Augsburg nachgefragt. Er gab zuletzt zur Frage „Kein Skifahren mehr in Zukunft?“ gegenüber einem bekannten TV-Sender seine Expertenmeinung ab.
„Grundsätzlich kann man sagen, dass es weiterhin kalte Winter geben wird. Aber: Sie werden seltener und kürzer. Das heißt: Das Risiko, dass Investitionen sich nicht amortisieren, wird für den Investor entsprechend immer größer“, informiert der Inhaber des Lehrstuhls für Regionales Klima und Hydrologie unter Berufung auf Simulationsmodelle. Man dürfe nun nicht den Fehler machen und von einem einzigen kalten Winter darauf schließen, dass alles gut sei. Genauso dürfe man umgekehrterweise nicht von einem einzigen wärmeren Winter auf die Klimaerhitzung schließen. „Man muss tatsächlich längere Zeiträume betrachten.“
Laut neusten Simulationen kommt die Klimaforschung in Sachen künftiger Temperaturerhöhung in Bayern zu folgendem Ergebnis: „Je höher die Höhenlage, desto höher wird auch die Temperaturerhöhung sein.“ Das Wintersportgebiet Mitterdorf befindet sich auf einer Höhe von etwa 850 bis 1.150 Metern über dem Meeresspiegel. „Bei 1.000 Höhenmetern erwarten wir bis 2050 eine Zunahme von 1,3 Grad Celsius im Vergleich zu den vergangenen 30 Jahren.“ Diese 1,3 Grad entsprechen Kunstmann zufolge einer Verschiebung der Klimazone und somit der Schneesicherheit von etwas mehr als 200 Höhenmetern. Das heißt also, man könne davon ausgehen, dass binnen der nächsten 30 Jahre die Situation, die aktuell am Fuße des Skigebiets vorherrscht, dann rund 100 Höhemeter unterhalb des Almberg-Gipfels dominieren wird.
Das Fazit des Klimaforschers fällt daher wie folgt aus: „Je niedrig gelegener die Skigebiete, desto schwieriger wird sich deren Situation in Zukunft gestalten.“ Erschwerend für die Durchführung des Skitourismus kommt hinzu: Der Schnee, den es in den künftig selteneren wie kürzeren Kalt-Wintern geben wird, muss in der richtigen Periode fallen bzw. liegen bleiben. Stichwort: Weihnachtsgeschäft.
Der Steuerzahler hängt mit drin
Kunstmann benennt noch einmal das vom Investor – in diesem Fall also der Landkreis Freyung-Grafenau – zu tragende Investitionsrisiko. Doch: „Aufgrund des Förderprogramms des Freistaats hängt am Schluss auch der Steuerzahler immer mit drin.“ Somit seien letzten Endes alle Bürger von einer Fehlinvestition betroffen. „Daher bin ich der Meinung, dass der Steuerzahler hier ein berechtigtes Interesse daran hat, die Nachhaltigkeit und die Zukunftsfähigkeit dieser Investition kritisch geprüft zu wissen – und in welcher Form das Ganze abgesichert wird. Die Risiken einer sich nicht aufgehenden Amortisation werden von Jahr zu Jahr größer.“
Stephan Hörhammer
Weitere Informationen:
- Regionalisierte, aktuelle Aussagen zum Wintersport im „Klimasteckbrief Niederbayern“ (ab Seite 11)
- Regionale Klimamodelle sind unter folgenden Links einsehbar:
- https://www.regionaler-klimaatlas.de/klimaatlas/2041-2070/winter/frosttage/bayern/mittlereanderung.html
- https://www.dwd.de/DE/klimaumwelt/klimaatlas/klimaatlas_node.html
- https://www.lfu.bayern.de/klima/klimaanpassung_bayern/index.htm#steckbriefe
- https://klimainformationssystem.bayern.de/klimatool/klima-der-zukunft