Mitterfirmiansreut. Während Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich bei seinem Vor-Ort-Termin von einer „wichtigen Zukunftsinvestition für die Region“ spricht, ist das Thema Erweiterung des Wintersportzentrums Mitterfirmiansreut, das im Dezember vergangenen Jahres per Kreistagsbeschluss auf den Weg gebracht wurde, noch nicht ausgestanden. „Nach wie vor erwarten wir bezüglich der Ökonomie eine Berechnung aufgrund von wissenschaftlich fundierten Vergleichsdaten“, fordern etwa die Landkreis-Grünen. „Die Erweiterung des Skigebietes ist mit einem vermehrten Energieaufwand, Individualverkehr und leider auch Schaden an der Natur verbunden“, prangert der BUND Naturschutz an.
Das Skizentrum Mitterdorf soll erweitert und erneuert werden (da Hog’n berichtete). Rund 20 Millionen Euro will der Landkreis Freyung-Grafenau dafür in die Hand nehmen – man rechne mit einem Zuschuss von rund sechs Millionen aus dem Seilbahn-Förderprogramm des Freistaats. Geplant sind unter anderem ein neuer 6er-Sessellift am Großen Almberg sowie eine modernisierte Beschneiungsanlage. Auch ein Holzthemenwanderweg ist angedacht. Doch das Gebiet soll nicht nur im Winter touristisch genutzt werden, sondern auch in den Sommermonaten: Daher ist die Errichtung einer sogenannten Flyline und einer Canopy-Tour (Seil- bzw. Rohrrutschen) beabsichtigt.
„Nudeln mit Ketchup“
„Die geplante bzw. bereits beschlossene Erweiterung des Skigebiets Mitterdorf ist und bleibt ökologischer und ökonomischer Unsinn“, findet Alexander Rohde, Kreisvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen deutliche Worte für das Vorhaben – und fügt hinzu. „Bereits vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise war dies so – und ist es nun umso mehr.“ Die aktuellen und weiteren Preissteigerungen werden sich Rohde zufolge unweigerlich und unmittelbar auch auf das Skizentrum Mitterdorf auswirken.
„Lebensmittelpreise und Kosten vieler weiterer Güter schießen durch die Decke. Nicht Wenige fragen sich schon jetzt Mitte des Monats, ob sie die nächsten Wochen nur noch Nudeln mit Ketchup essen. Aber dennoch rechnet die Wintersportlobby des Bayerischen Waldes mit einem Ansturm auf das Skigebiet“, lässt der Bischofsreuter kein gutes Haar an den Absichten der „CSU/FW-angeführten Befürworter“. Doch es gehe nicht um die Vorstellungen „ideologiegetriebener Ökos“, wie die Kritiker den Grünen und dem BUND Naturschutz nur allzu oft auf recht stereotype Weise vorwerfen. „Es geht ganz einfach um Fakten, um die Realität, um die Zukunft“, betont Rohde.
Man verweise nicht nur auf den hohen Energieverbrauch, auf die negativen Auswirkungen von Kunstschnee, auf die Wasserverschwendung und die Effekte von Waldrodungen. Man erwarte eine ökonomisch tragbare Berechnung aufgrund von wissenschaftlich fundierten Vergleichsdaten. Genauso eine deutliche Steigerung der Transparenz, was das Thema Ökologie betrifft. „Denn die Salami-Scheiben-Taktik sämtlicher Nutznießer des Aiwanger-Gruber-Heinrich-Gefolges treibt mittlerweile selbst die Bayerischen Staatsforsten zur Verzweiflung“, beanstandet Rohde weiter. „Erst kürzlich wurde über die Trassenführung der geplanten Flyline konkret informiert – sie soll durch einen Schutzwald gehen, der sogar als Urwald klassifiziert werden könnte.“
„Aus allen Wolken gefallen“
Wo genau „Flyline“ und „Canopy Tour“ gebaut werden sollten, stand laut FRG-Tourismusmanager Bernhard Hain im vergangenen Dezember noch nicht fest. Man wolle sich vor allem mit den Grundbesitzern, den Bayerischen Staatsforsten sowie den behördlich zuständigen Fachstellen, darüber abstimmen. Gudula Lermer, Leiterin des Forstbetriebs Neureichenau, sei „aus allen Wolken gefallen“, als sie jüngst über die geplante Trassenführung für die Fly-Linie informiert wurde, wie Antje Laux von der FRG-Kreisgruppe des BUND Naturschutz gegenüber dem Hog’n mitteilt. „Ein wertvolles, uraltes Nutzwaldgebiet mit großer Artenvielfalt soll für den Betrieb der Flyline hergerichtet werden. Hier werden Ökologie und Ökonomie nicht miteinander vereint, sondern Ärger ist vorprogrammiert – auch weil die Planungen anscheinend ohne die Staatsforsten mit einzubeziehen, voran getrieben wurden.“
Wie Gudula Lermer auf Hog’n-Nachfrage berichtet, sei ihr gegenüber zunächst nur die Rede von einem Themenwanderweg gewesen, den sie sehr begrüße. „Doch dann ist mit Flyline und Canopy-Tour ein Ding nach dem anderen salamiweise und mit entsprechender Flächenbeanspruchung hinterher gekommen“, was für zunehmenden Unmut bei der Forstbetriebsleiterin ob der unkoordiniert anmutenden Vorgehensweise gesorgt hatte. Vor wenigen Wochen habe es dann auch auf ihren Wunsch hin ein Treffen mit den zuständigen Behörden und den Vertretern des Grundeigentümers (Bayerischer Staatsforsten) am Landratsamt in Sachen Planvorstellung gegeben. Die Trasse verlaufe demnach teilweise durch sog. Blockfelder („Naturschutzflächen per Gesetz“) sowie durch ca. drei Hektar Bodenschutzwald. „Nun sind die Naturschutzbehörde und die Forstbehörde am Zug, die das Ganze abarbeiten und beurteilen müssen – dann werden wir wieder gefragt, wie das mit uns privatrechtlich per Gestattungsvertrag mit dem Zweckverband abgewickelt werden kann.“
„Unterm Strich ökologisch sinnvoll“
Bezirkstagspräsident, CSU-Kreisvorsitzender und Freyungs Bürgermeister Olaf Heinrich ist indes überzeugt davon, dass der Umbau des Skizentrums Mittedorf eine wichtige Zukunftsinvestition nicht nur für den Ort, sondern für die ganze Region sei „Schließlich hängt die gesamte Saison und der Tourismus in der Region daran.“
Gegen die ökologischen Einwände mancher Kritiker führt er eine Studie (mehr Infos bei Klick) ins Feld, wonach das Klimaschädlichste an Skigebieten die Anreise der Gäste sei. Es ist Heinrich zufolge unrealistisch zu glauben, dass die Menschen nicht mehr Ski fahren werden. „Statt langer Wege in die großen Skigebiete ist es besser, wenn sie hier Ski fahren. Das kleine Skigebiet im Bayerischen Wald ist unterm Strich ökologisch sinnvoll.“ Es sei notwendig, sich in der Region auf einige wenige zu fokussieren. „In Freyung haben wir vor Jahren entschieden, in den Skihang in Solla nicht mehr zu investieren. Für Wintersporttouristen, die in Freyung übernachten, ist es kein Problem, dafür nach Mitterfirmiansreut zu fahren.“ Genauso habe man sich freiwillig an den Investitionen ins Langlaufzentrum Finsterau beteiligt. „Das macht aus meiner Sicht Sinn“, sagt Heinrich.
Mit einer effizienten Verwendung von Schneeschmelzwasser für die Beschneiungsanlagen könne man in Kombination mit einer Erweiterung des Wasserspeichers künftig knapp die doppelte Menge an Schnee produzieren. „Das ist wie ein Zwischenspeicher des Wassers“, weiß Betriebsleiter Thomas Schrottenbaum zu berichten. Und Philippsreuts Bürgermeister Helmut Knaus betont, dass dafür noch nie und auch in Zukunft kein Trinkwasser verwendet werde – ein Vorbehalt der Kritiker genauso wie gegen die Folgen des Skibetriebs auf die Flora und Fauna. „Die Untere Naturschutzbehörde weist immer wieder darauf hin, dass im Bereich der Pisten trotz der Beschneiung und Nutzung im Winter schöne und sehr artenreiche Wiesen vorhanden sind“, ergänzt Bernhard Hain, Geschäftsführer des Zweckverbands Wintersportzentrum Mitterfirmiansreut-Philippsreut.
„Die Unterstützung der Regierung von Niederbayern ist hervorragend“, fügt dieser an. Wenn alles gut läuft, könne im nächsten Jahr mit den Baumaßnahmen für einen Teil der Sommerattraktionen begonnen werden, sodass ab der Wintersaison 2023/2024 das Personal ganzjährig angestellt werden kann. „Wir brauchen für den aktuellen Liftbetrieb 60 Personen. Während der Corona-Pandemie haben sich einige andere Anstellungen gesucht, aber wir brauchen langfristig genügend gut geschulte Mitarbeiter hier.“
„Weitblick walten lassen“
Für Antje Laux bleibt es weiter fraglich, woher jene 60 Saisonkräfte genommen werden sollen, „wo doch schon jetzt überall Arbeitskräfte fehlen und die Freiwillige Feuerwehr Philippsreut mit Hilfe von ehrenamtlichen Helfern die Parkplatzeinweisungen vornimmt“. Ihr zufolge ist es „zum Glück nicht so, dass der gesamte Wintertourismus an Mitterdorf hängt“. Sie betrachtet den Bayerischen Wald als typisches Skilanglaufgebiet.
„Vor 30 Jahren gab es tatsächlich auch noch viele kleinere Abfahrtsgebiete, weil die Schneelage gut war. Dies wird sich jedoch sehr bald ändern.“ Das Bayerische Landesamt für Umwelt habe eine Studie zum Klimawandel in Bayern herausgegeben. Danach werde die Durchschnitttemperatur im ostbayerischen Mittelgebirge selbst bei Klimaanstrengungen um 1,5 Grad steigen. „Es können aber auch fünf Grad Temperatursteigerung sein. Dieses Szenario rechtfertigt erst recht keine 20 Millionen-Euro-Investitionen, für die die Kleinstgemeinde Philippsreut mit fünf Millionen Euro im Notfall geradestehen muss“, befindet Laux.
Bereits die Beschlussfassung zum Bau der neuen Liftanlage Ende 2021 sei voreilig und dem geschuldet gewesen, dass das Land Bayern 30 Prozent der Kosten für neue Liftanlagen übernehmen werde. „Natürlich ist eine Erweiterung des Skigebietes mit einem vermehrten Energieaufwand, vermehrten Individualverkehr und leider auch vermehrtem Schaden an der Natur verbunden“, insistiert die BN-Vorsitzende. Die zwangsläufig zu erhöhenden Ticketpreise würden ohnehin viele Familien abschrecken, weiterhin in den Skiurlaub nach Mitterdorf – und sei es nur für einen Tag – zu fahren. „Den Weitblick, den die Mitterdorfer zweifelsohne haben, sollten sie auch für rückwärtsgewandte Zukunftsprojekte walten lassen“, fordert Laux.
„Da gehen wir nicht hinein“
Ein Appell, mit dem die Landkreis-Grünen konform gehen. „Wir wollen einen nachhaltigen Tourismus bei uns. Einen Ausbau der Sommernutzung nach einem durchdachten Konzept. Ein Konzept, das nachhaltig ist und den ÖPNV mit einschließt“, betont Alexander Rohde und ergänzt: „Eine Flyline passt da nicht dazu.“ Zudem sei eine Umstellung der Energieversorgung des Skizentrums auf erneuerbare Energien von Nöten. „Wir wollen Windräder in der Gemeinde Philippsreut.“ Genauso einen gemeinsamen Zweckverband Tourismus für den gesamten Landkreis. „Darin sollen gemeinsam alle Winter- und Sommerangebote miteinander abgestimmt und vorangetrieben werden.“ Für diesen Winter fordere man ganz konkret, auf eine künstliche Beschneiung sowie den Einsatz von Flutlicht zu verzichten.
Übrigens: Wie Gudula Lermer dem Hog’n gegenüber mitteilt, wolle man seitens der Planer nun von der Umsetzung der Canopy-Tour absehen. „Von der ist gerade nicht mehr die Rede“, sagt sie. Der Grund: Die beabsichtigte Canopy-Trasse habe teils durch eine aus Sicht der Bayerischen Staatsforsten besonders wertvolle und schützenswerte Waldfläche geführt (sog. Klasse-1-Wald). „Da gehen wir nicht hinein“, insistiert die Forstbetriebsleiterin mit Nachdruck.
Stephan Hörhammer