Cham-Willmering. Der Boierhof im Chamer Ortsteil Willmering ist vielen Anhängern von Bioprodukten im Landkreis Cham und weit darüber hinaus mittlerweile ein Begriff – spätestens seit Eröffnung des Hofladens 2018. In direkter Nachbarschaft zum Lebensmitteldiscounter Aldi gelegen, könnte der Kontrast zwischen den beiden Welten nicht größer sein.
Seit fünf Generationen betreibt die Familie Hausladen den Hof bereits, in der zweiten Generation als zertifizierten „Naturland“-Biohof. Naturland ist einer der großen fünf deutschen Verbände für ökologische Landwirtschaft, wie Julia Hausladen berichtet – und ergänzt: „Der Hofname Boier hat eine lange Historie, die bis 500 v. Chr. zurückreicht. Er bezieht sich nicht auf das Wort Bauer, sondern auf Bayern. Der eigentliche Ursprung ist jedoch nicht bayerisch, sondern italienisch – und lässt sich in römischen Geschichtsaufzeichnungen wiederfinden“, informiert die 31-jährige „Jungbäuerin“ über die Historie des Anwesens.
„Jede Arbeit ist gleich viel wert“
Seit den späten 1800er Jahren wurde der Hof stetig erweitert und umfasst aktuell 125 Hektar bewirtschaftete Fläche, davon 38 Hektar im Eigenbestand. Mehr als 50 Gemüse- und Kräuterkulturen sowie über 30 Obst- und Dauerkulturen werden dort angebaut. 270 Schweinen und acht Rindern nebst Hofhund Wastl und mehreren Katzen ist der Boierhof ein tierfreundliches Zuhause.
Uroma Maria Hausladen, die „amtierenden“ Bauern Regina und Alexander Hausladen – beide studierte Agraringenieure – leben mit dem ältesten Sohn Mathias und dessen Ehefrau Julia unter einem Dach. Das derzeit jüngste Mitglied im Hausladen-Clan ist Töchterchen Ronja, gerade einmal neun Monate alt. „Es ist wunderbar in einer Großfamilie zu leben, aber auch spannend“, erzählt die junge Mutter. „Ab und an gibt es Diskussionen, wie das eine oder andere Projekt am optimalsten verwirklicht werden kann, aber jeder profitiert von der Sichtweise des anderen – und unterm Strich herrscht großer Konsens über die Führung des Hofes.“
Jedes der sechs mitarbeitenden Familienmitglieder hat seinen eigenen Verantwortungsbereich: So fungiert etwa Regina Hausladen als „Springerin“, die überall dort mitanpackt, wo gerade helfende Hände benötigt werden – sei es im Laden, auf dem Feld oder in der Produktion. Ihre große Liebe gilt jedoch dem Gemüse. Ihr Ehemann Alexander „hat den Job, den keiner machen will – das Büro“, sagt Julia Hausladen und lacht. Sie selbst ist für den Obst- und Gemüseanbau sowie die Vermarktung verantwortlich, Mathias für den Hof und den Stall. Ihr Schwager Lorenz ist als in London ausgebildeter Küchenchef für die Fleischverarbeitung zuständig. In akribischer Arbeit hat er sich zwei Jahre lang autodidaktisch gewisse Fertigkeiten angeeignet, um auch den Kunden im Bayerischen Wald unter anderem italienische Delikatessen kredenzen zu können. Julias Mutter übernimmt den Verkauf im Hofladen. „Wir sind der Meinung, dass jede Arbeit gleich viel wert ist – egal, ob es sich um den Job der Putzdame handelt oder die Produktion edler Salamisorten“, teilt die 31-Jährige weiter mit. Insgesamt sind derzeit acht Vollzeitarbeitskräfte auf dem Boierhof beschäftigt.
„So wie früher – und ohne billige, ausländische Arbeitskräfte“
Dort werden die Tiere artgerecht gehalten. Dies bedeutet, dass etwa die Schweine dreimal so viel Platz haben wie ihre Artgenossen in konventionellen Betrieben – ein Drittel des Stalls steht ihnen als Freilauffläche zur Verfügung. Zudem wird frisches Stroh stetig eingestreut. Die Hausladens kennen ihre 270 Schweine, die in 13 Gruppen zusammenleben, aus dem Effeff.
Wenn Julia Hausladen ihnen einen Besuch abstattet, merkt sie sofort, wenn eines der Lebewesen kränkelt. Die männlichen Tiere sind kastriert, weshalb das Miteinander zwischen den Geschlechtern reibungslos funktioniert.
Julia und Mathias Hausladen haben sich vor 13 Jahren dazu entschieden den Hof weiterzuführen, jedoch anders als Mathias‘ Eltern ausschließlich im Vollerwerb. Da hierfür die Fläche etwas zu klein war, wurde mit Direktvermarktung an den Kunden intensiviert. „Wir wollten versuchen, es so wie die Leute früher zu machen: aus der Region, für die Region – und ohne billige, ausländische Arbeitskräfte“, erklärt die Jungbäuerin die Intention dahinter.
Weltreise vor dem Hofleben
Sie und ihr Mann absolvierten jeweils eine zweite Ausbildung, um den Betrieb zukunftsfähig in die nächste Generation führen zu können. Mathias, gelernter Elektroniker, ließ sich zum Landwirt ausbilden und besuchte anschließend die Meisterschule für ökologischen Landbau. Julia, gelernte Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, hing noch eine Ausbildung zur Gärtnerin mit Fachrichtung Gemüseanbau inklusive Meisterschule dran.
Auf diese Weise eignete sich das Paar das nötige theoretische und praktische Rüstzeug an. „Bevor wir uns aber fest auf dem Hof niedergelassen haben, wollte ich noch die Welt sehen“, berichtet die 31-Jährige, weshalb die beiden 2014 zu einer Weltreise als sogenannte Wwoofer (Wwoof = World Wide Opportunities on Organic Farms) aufbrachen. Sie bereisten dabei alle Kontinente mit je zwei Wochen Arbeitsaufenthalt in einem landwirtschaftlichen Unternehmen und verbrachten im Anschluss zwei weitere Wochen mit Reisen. Somit sammelten sie zusätzliche, wertvolle landwirtschaftliche Erfahrung und bekamen auch einen Eindruck davon, wie die Natur teilweise rücksichtslos ausgebeutet wird – und wie sie es auf keinen Fall machen wollen. „Danach waren wir bereit, voll in den Hof einzusteigen. Heute haben wir kein Fernweh mehr. Wenn wir mal weg wollen, schmeißen wir die Matratze in den Bus und ab geht’s auf den nächsten Hügel. Hauptsache weg vom Hof, um ein wenig Abstand zu gewinnen“, erzählt Julia Hausladen zufrieden.
Die Philosophie des Boierhofs
Dass Bio nicht gleich Bio ist, dürfte mittlerweile hinreichend bekannt sein. Nur wenn ein zertifiziertes Bio-Gütesiegel wie „Naturland“ oder „Demeter“ verliehen wird, das mit extrem hohen und kostspieligen Auflagen unter stetiger strenger Kontrolle verbunden ist, kann man von Bio sprechen, erklärt Julia. „Unser Anliegen ist es alles zu verarbeiten – sowohl vom Tier als auch von der Pflanze; und auch das, was den optischen Ansprüchen nicht genügt“. So gibt es im Hofladen exotische Produkte wie Schweine-Curry, gewürzsaures Lüngerl oder Schweineschwarten-Chips. „Jedes Teilstück des Tieres ist ein Edelteil, nicht nur das Filet oder das Steak. So wird das Tier gewertschätzt.“
Genauso wie „Fleischpapst“ Ludwig „Lucki“ Maurer, ein Freund der Familie, stehen die Hausladens hinter dem nachhaltigen Konzept „from nose to tail„. Eine Philosophie, in dessen Zentrum die Ganztiernutzung steht und die Interessierte auch in den Kochkursen auf dem Boierhof, die nun bald wieder starten sollen, kennenlernen dürfen. Zusätzlich kann der Betrieb mit der noch relativ seltenen Warmfleischverarbeitung punkten, die wesentlich gesünder ist als die Verarbeitung von Kaltfleisch.
Von traditionell-bayerisch bis italienisch-extravagant
Zu Julia Hausladens Verantwortungsbereich gehört neben dem Obst- und Gemüseanbau auch der Hofladen. Stellt man sich darunter jedoch einen kleinen, schnuckeligen Tante-Emma-Laden vor, liegt man damit gänzlich falsch. Das groß angelegte, moderne Gebäude verfügt über einen Wareneingang, mehrere Kühlhäuser, ein Büro, eine Gemüsewaschhalle und einen Wirtschaftsraum samt Küche. Der Verkaufsraum ist vom Erscheinungsbild her großzügig, einladend und stylish zugleich gestaltet.
Der Kunde kann auswählen zwischen traditionell bayerischen Wurst- und Fleischwaren wie Geräuchertem, Tellersülzen, Blut- und Leberwürsten oder ausgefalleneren Wurstkreationen wie edelschimmelgereifter Salami, Coppa oder Panchetta – alles aus eigener Herstellung.
„Pastrami, beheimatet in der jüdischen Küche, ist momentan der Thekenrenner“, berichtet die Ladeninhaberin. Außerdem gibt es original Dry-Aged-Fleisch im Hofladen zu erwerben. Ebenso hat sich der Schweinebauch als Verkaufsschlager entpuppt. „Der ist kernig und fest und schweindelt nicht, was viele Fleischgenießer zu schätzen wissen.“ Daneben gibt es Gemüse, Obst, Gewürze, Chutneys, verschiedene Konfitüren und bayerische Tomatenpassata zu kaufen.
Verständnis von echter ökologischer Landwirtschaft
„Wir sind sehr präsent in den Sozialen Netzwerken, vor allem bei Facebook und Instagram, denn nur so kommen wir an die junge Generation heran, die wir mit unseren Ideen erreichen wollen – zumal viele heute nicht mehr wissen, wo das Essen wirklich herkommt und wie viel Arbeit hinter jedem einzelnen Lebensmittel steckt“, sagt die Juniorchefin. Unverpackte Waren, ein Hofladen, Kühe auf der Weide, echte Bio-Nahrung – dies alles ist heutzutage hip und angesagt. Und so kommt es schon mal vor, dass Julia Hausladen spontan Fans und Follower dazu einlädt, einen Tag mit ihr auf dem Feld zu verbringen, um Landwirtschaft live zu erleben.
Auf dem Boierhof wimmelt es überhaupt nur so vor Jungvolk: da gibt es den Master der Agrarwirtschaft, der vor dem Start in die Beratertätigkeit Praxiserfahrung sammeln möchte, den Wwoofer aus Kanada oder den FÖJ‚ler, der sein freiwilliges ökologisches Jahr dort absolviert. Sie alle werkeln tagsüber auf dem Feld, im Gewächshaus, in den Stallungen – und treffen sich zum gemeinsamen Mittagessen in der guten Stube. „Der jüngeren Generation wollen wir Herkunft, Produktion und Nachhaltigkeit von Lebensmitteln näherbringen – und die Älteren erinnern sich im Laden an früher. Somit werden alle Generationen unsere Zielgruppe bedient“, fasst Julia Hausladen ihr Ansinnen zusammen.
Im Herbst wird sie in der BR-Reihe „Landfrauenküche“ im Fernsehen zu sehen sein. „Gerade erst wurden wir eine Woche lang von einem Kamerateam begleitet. Für einen Tag kommen dann die anderen Landfrauen aus ganz Bayern zu uns und wir werden ihnen Boierhof-Schmankerl kredenzen“, freut sich die 31-Jährige auf den Termin. Die Hausladens sind froh über derartige PR-Aktionen, denn sie wollen ihr Verständnis von echter ökologischer Landwirtschaft mit artgerechter Tierhaltung und der Produktion hochwertiger, gesunder Lebensmittel im Einklang mit der Natur in die Welt hinaustragen.
„Wo steht denn hier der Kartoffelbaum?“
Ihr neuestes Projekt ist der sogenannte Landlustwandelweg, der praktische Teil der Bachelorarbeit der zukünftigen Agrarwissenschaftlerin Luisa Schefers. Mathias Hausladen baggerte dafür das Gelände frei, damit sich die Studentin austoben konnte. Dabei entstanden ist eine Kräuterschnecke, ein Klangspiel, verschiedene Hochbeete und Schaukästen, die Informationen und sinnliches Erleben bieten.
Seit Längerem gibt es auf dem Hof bereits Führungen für Schulklassen und auch Erwachsene. „Es ist teils erschreckend, dass manche Kinder nicht mehr wissen, woher ihr Essen kommt. Ein Kind hat mich mal gefragt, wo denn hier der Kartoffelbaum steht“, erzählt sie verwundert. Einerseits liegen Bio, Öko, Natur, Wandern, Waldbaden und Upcycling heute mehr denn je im Trend, andererseits wissen viele Buben und Mädchen nicht mehr, dass ihr Schnitzel auf dem Teller einmal ein lebendes Tier war oder die Kartoffeln aus der Erde kommen. Über zu wenig (Aufklärungs-)Arbeit kann sich Familie Hausladen daher nicht beschweren, so viel steht fest…
Melanie Zitzelsberger