Ein Gastbeitrag von Diplom-Forstwirt Peter Langhammer
Lindberg. Im Jahr 1997, also vor mehr als zwei Jahrzehnten, ist der Nationalpark Bayerischer Wald um das Falkenstein- und Lackaberggebiet (Lkr. Regen) erweitert worden. Aufgrund des damals großen Widerstands gegenüber einer Erweiterung wurde seinerzeit eine Borkenkäferbekämpfung bis 2017 in den sogenannten Entwicklungszonen vereinbart. Ziel war es, den Wald im Erweiterungsgebiet „grün“ zu erhalten – und eine unerwünschte Borkenkäferdynamik ähnlich der im Lusen-Rachel-Gebiet zu verhindern.
Trotz der zunehmend erkennbaren natürlichen Wiederbewaldung in den Borkenkäferflächen des Altparks wurde später aufgrund anhaltender Kritik durch Nationalparkgegner im Erweiterungsgebiet die Ausweisung neuer, ausreichend großer Naturzonen ohne weitere Borkenkäferbekämpfung nach einem Beschluss des kommunalen Nationalparkausschusses um weitere zehn Jahre bis 2027 verschoben. Der kommunale Ausschuss vertritt die Interessen der betroffenen Kommunen.
Künftiges Totholz wird weiter konsequent aus dem Wald gefahren
Rückblickend mag der bisherige Weg angemessen gewesen sein. Die Akzeptanz des Nationalparks im Erweiterungsgebiet hat sich in den vergangenen Jahren auch durch verbesserte Zusammenarbeit zwischen Nationalparkverwaltung und Kommunen ganz erheblich erhöht.
Spätestens bis 2027 sollen nun die bis heute verbliebenen Entwicklungszonen in die Naturzone überführt werden und sich fortan ohne unmittelbare menschliche Beeinflussung entwickeln dürfen. Der Lackaberg nordöstlich des Falkensteins aber wurde vor etwa zehn Jahren im Zuge der „Borkenkäferbekämpfung“ fast vollständig entwaldet – trotz auch damals schon erheblicher Widerstände gegen die Bekämfungsmaßnahmen. Danach konnte er endlich in die Naturzone eingegliedert werden, aber eben als Kahlschlagsfläche, weitestgehend ohne Altbäume, ohne Totholz, statt dessen mit auch heute noch unübersehbaren Spuren schwerer Maschinen. Das gleiche Schicksal erlebt aktuell nun der Falkenstein und seine Tallagen – hoffentlich nicht bis zum ebenso bitteren Ende!
Das aktuelle, vom Klimawandel getriebene „Waldsterben 2.0“ macht natürlich auch vor dem ältesten und bekanntesten deutschen Nationalpark, der kommendes Jahr 50 Jahre alt wird, nicht halt. Begünstigt durch den extrem trockenen und heißen Sommer 2018, viel Schneebruch im darauffolgenden Winter und ein wieder extrem heißes und trockenes Frühjahr 2019 entwickelte sich im gesamten Bayerischen Wald eine Buchdrucker-Massenvermehrung bisher unbekannten Ausmaßes und von unglaublicher Dynamik.
Während aber die Eigentümer und Verantwortlichen in den Wirtschaftswäldern teilweise angesichts des zusammenbrechenden Holzmarktes und fehlender Unternehmerkapazitäten, aber auch angesichts der unglaublichen Dynamik der Massenvermehrung kapitulierten und immer mehr Käferholz in den Wirtschaftswäldern stehen bleibt – hoffentlich dann auch dauerhaft! –, wird das zukünftige Totholz in den Entwicklungszonen des Nationalparks mit vollem Einsatz konsequent weiter aus dem Wald gefahren!
Die Maßnahmen dauern bis heute an. Ermessensspielraum besteht dabei angeblich nicht, lediglich versucht die Nationalparkverwaltung bei Kapazitätsengpässen offenbar, den Schwerpunkt der Maßnahmen auf die Randzone zu konzentrieren. Die Randzone soll dem Schutz der an den Nationalpark angrenzenden Wirtschaftswälder dienen und besteht zeitlich unbefristet in einer Tiefe von mindestens 500 Meter.
Generationen werden um naturnahe Waldentwicklung betrogen
Das Ziel der Borkenkäfer-Bekämpfungsmaßnahmen, ein Ende oder wenigstens eine Begrenzung der Buchdrucker-Massenvermehrung zu erwirken, kann ganz offensichtlich nicht mehr erreicht werden. Zu widrig sind die vom Klimawandel bedingten Rahmenbedingungen, zu schnell die Entwicklung der Buchdrucker, zu gering die Aufarbeitungskapazitäten, zu träge die Holzabfuhr:
- Trotz intensiver Überwachung und zusätzlichen externen Unternehmerkapazitäten sind aus vielen Stämmen die Buchdrucker schon wieder ausgeflogen, bevor es gelingt, das Holz überhaupt an die Straßen zu bringen
- Nur ein Teil der Stämme kann dann maschinell entrindet werden, bei etlichen ist dies ohnehin schon zu spät
- Viele nicht entrindete Holzpolter können angesichts der überfüllten Sägewerke erst nach Wochen oder sogar Monaten abgefahren werden, wenn die neuen Käfergenerationen schon längst fertig entwickelt und ausgeflogen sind
- Die Möglichkeiten und die zur Verfügung stehende Zeit, besiedelte Fichten zu finden und rechtzeitig aus dem Wald zu bringen, werden in Hitzesommern wie 2018 und 19 immer geringer, die Konkurrenz um Unternehmer gleichzeitig immer größer
- Das anfallende Holz wird defizitär in völlig überfüllte Märkte gestopft, die Gesamtkosten der Bekämpfung waren 2019 in der Region weit höher als die Erlöse aus dem Holzverkauf! Die Entwaldung schreitet schon den ganzen Sommer unaufhörlich voran, täglich wird das Leben im abgeschiedenen Nationalparkort Zwieslerwaldhaus begleitet von Motorsägen, Maschinenlärm von Harvestern, Rückezügen, Entrindungsmaschinen, gigantischen Hackmaschinen, riesigen Holz- und Hackschnitzelbergen, zeitweise Kolonnen von Holz-Lkw, gesperrten, zerfahrenen und verdreckten Wanderwegen. Etliche zehntausend Festmeter Fichten sind alleine heuer schon eingeschlagen worden.
Video-Beitrag „Unser Wald stirbt! Wie können wir ihn retten?“:
Dem erwartungsgemäß ausbleibenden Erfolg der Bekämpfungsmaßnahmen (vielen Wirtschaftswäldern ergeht es nicht anders!) stehen Jahrhunderte lang irreparable ökologische, aber auch wirtschaftliche Schäden gegenüber – und das im ältesten Nationalpark Deutschlands! Mehrere Menschengenerationen werden hier ohne jeden fachlichen Sinn um naturnahe Waldentwicklung im Nationalpark betrogen, wie sie in weiten Teilen des Altparks und in den rechtzeitig ausgewiesenen Naturzonen des Erweiterungsgebietes seit Jahrzehnten erfolgreich stattfinden kann.
Durch Borkenkäferbekämpfung wird Zerfallsphase unmöglich
Die „Kollateralschäden“ und ökologischen Folgen sind unbestritten:
- Durch unsichere Identifikation der „Käferbäume“ und Fällung der schweren, zum Teil uralten Fichten in der Saftzeit werden weit mehr, stellenweise sogar ein Vielfaches derjenigen Bäume vernichtet und beschädigt als dies durch alleiniges Wirken der Borkenkäfer der Fall wäre
- Böden werden auf den teilweise auch im Berghang neu angelegten oder wieder aktivierten Maschinenwegen zerfahren, verdichtet, Erosion wird gefördert
- Bodenerwärmung und Austrocknung werden gefördert, die verbleibenden Bäume noch weiter geschwächt und gleichzeitig die Vermehrungsbedingungen für Borkenkäfer verbessert
- Davon sind möglicherweise auch die (inter)national bedeutenden Urwaldreste Hans-Watzlik-Hain und Mittelsteighütte mittelbar bedroht, wenn in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft kein Waldinnenklima mehr, sondern Kahlflächenklima herrscht
- Die natürliche Walderneuerung wird gerade in den klimatisch schwierigen Lagen ganz erheblich erschwert, die für den Bayerischen Wald so typische auf umgefallenen Stämmen wird unmöglich gemacht
- Mit dem Abtransport des Stammholzes und der gehackten Gipfel gehen Wasserspeicher, Humus, Nährstoffe, Nährstoffspeicher, Schutz für die Waldverjüngung, Erosionsschutz, Beschattung, Starthilfe für den Jungwald und unendlich viel Biodiversität verloren
- Die natürlichen Antagonisten (Gegenspieler) der Borkenkäfer werden durch die klassische Borkenkäferbekämpfung meistens weit mehr geschädigt als die Borkenkäfer selbst, weil ihre Entwicklung zeitlich verzögert stattfindet – in vielen Stämmen finden sich vor dem Abtransport nur noch die Larven von Raubinsekten (z.B. Ameisenbuntkäfer) aber keine Borkenkäfer mehr
- Durch Buchdrucker werden Fichten zwar abgetötet, die Wälder aber nicht vernichtet, sondern lediglich in einen anderen Entwicklungszustand des ewigen Kreislaufs der Naturwälder, nämlich in eine Zerfallsphase überführt (die Zerstörung geschieht hier ausschließlich durch den „bekämpfenden“ Menschen – was in Wirtschaftswäldern mit dem Ziel der Holznutzung schon nachvollziehbar sein mag). Diese Zerfallsphase ist im Nationalpark besonders wertvoll, weil sie eben in Wirtschaftswäldern praktisch nie zugelassen wird und die darauf spezialisierten Arten dementsprechend hochgradig gefährdet sind. Aus der Zerfallsphase heraus beginnt dann der Kreislauf der Waldentwicklung neu. Durch eine Borkenkäferbekämpfung wird die Zerfallsphase dort unmöglich gemacht und eine natürliche Waldentwicklung für mehrere Menschengenerationen verhindert.
- Die Maßnahmen sind defizitär, also Verschwendung von Steuergeldern, weil die angestrebten Ziele nicht erreicht werden
- Auch die Folgen für den Tourismus sind bedenklich: Während heute hunderttausende Besucher in den Nationalpark kommen, um Wildnis zu erleben, ist fraglich, ob weiterhin Touristen nach Zwieslerwaldhaus und auf den Falkenstein kommen werden, um von schwerem Gerät zwangsläufig zerfahrene und kahlgeschlagene Berghänge zu bewundern.
Auch wenn alle Argumente gegen Borkenkäferbekämpfung im Nationalpark nicht neu und etliche vielfach diskutiert worden sind, auch wenn politische Entscheidungen der Vergangenheit hilfreich gewesen sein mögen, die Wogen um die Nationalparkerweiterung zu glätten und Vertrauen herzustellen, auch wenn diese Entscheidungen formal noch gelten mögen – sie sind obsolet, denn wir stehen heute vor völlig veränderten Rahmenbedingungen: Der Klimawandel schreitet mit einem von den meisten Menschen völlig unerwartetem Tempo voran, wird in allen Lebensbereichen sichtbar. Das ursprüngliche Ziel der Käferbekämpfung im Erweiterungsgebiet des Nationalparks, der Wunsch, hier grüne Nadelwälder auf nennenswerten Flächen zu erhalten, ist inzwischen völlig illusorisch.
Es gibt keinen einzigen fachlichen Grund mehr für eine Käferbekämpfung im Innern des Nationalparks. Als einzige Begründung neben den alten, unter völlig anderen Bedingungen gefassten politischen Entscheidungen wird immer wieder die Behauptung angeführt, dass „die Leute das so wollen“ würden. Die Schäden der Bekämpfungsmaßnahmen haben heuer ein Ausmaß erreicht, das eines Nationalparks nicht würdig ist. Dabei stelle ich nicht die Art und Weise der Maßnahmendurchführung in Frage, sondern die Maßnahmen per se.
Die Reaktionen sind ernüchternd
Der Nationalpark Bayerischer Wald genießt heute weltweite Anerkennung, vor allem durch seine jahrzehntelange natürliche Waldentwicklung nach einer mutigen forstlichen und politischen Entscheidung vor nunmehr 35 Jahren. Heute wären mutige Entscheidungen notwendiger denn je. Die Entscheidung, auch im Erweiterungsgebiet schon heute „Natur Natur sein zu lassen“, bräuchte allerdings weit weniger Mut als damals, weil wir aufgrund der Erfahrungen der vergangenen 35 Jahre wissen, dass wieder neue, extrem artenreiche, naturnähere und vielfältigere Wälder daraus entstehen werden, als der Mensch je zu schaffen im Stande wäre.
Statt diese Erkenntnis angesichts der aktuellen Waldkrise heute auch auf die gebeutelten Wirtschaftswälder zu übertragen, wagt man offenbar nicht einmal im Nationalpark, diesen Weg dort überall konsequent zu gehen.
Seit Juli versuche ich deshalb nun mit teils mehrfachen Kontakt zu den Verantwortlichen und Entscheidungsträgern, der Nationalparkverwaltung, den Kommunen, der Landrätin, dem Präsidenten des Bayerischen Waldvereins und ehemaligen Landwirtschaftsminister Helmut Brunner bis hin zu Umweltminister Thorsten Glauber ein Ende der sinnlosen und schädlichen Bekämpfungsmaßnahmen in den zukünftigen Naturzonen zu erreichen.
Die Reaktionen sind ernüchternd: Nur die Nationalparkverwaltung zeigte Gesprächsbereitschaft – und nur aus dem Umweltministerium gab es überhaupt substanzielle Reaktionen. Dort wurde im Auftrag von Staatsminister Glauber mein Anliegen einer Konzentration der Borkenkäferbekämpfung auf die Randzonen als inhaltlich nachvollziehbar und die Argumentation dazu als fachlich schlüssig bezeichnet. Die Nationalparkverwaltung prüfe, „inwieweit im Hinblick auf meine Anregungen Anpassungen des Borkenkäfermanagements möglich wären“. Gleichzeitig wird aber auf die Beteiligung des kommunalen Ausschusses verwiesen, der am 22. Oktober 2019 tagen wird.
Zwischenzeitlich haben sich auch Jens Schlüter, der Bezirksvorsitzende der Grünen, der schon gegen die Entwaldung am Lackaberg federführend aktiv geworden war, sowie der Bund Naturschutz in Bayern im Sinne einer Einstellung der Bekämpfungsmaßnahmen eingebracht. Auch Dr. Stefan Schaffner, der Bereichsleiter Forst am AELF Regen, hat sich für eine Konzentration der Borkenkäferbekämpfung in der Randzone ausgesprochen. Außerdem äußern sich Einheimische und Urlaubsgäste zunehmend schockiert über die Entwaldung.
Ein unbefriedigender Kompromiss?
Besonders bemerkenswert ist, dass sich auch mehrere größere private Forstbetriebe und mindestens eine Waldbesitzervereinigung aus dem Bayerischen Wald ausdrücklich für ein Ende der Borkenkäferbekämpfung in den zukünftigen Naturzonen ausgesprochen haben. Die großen Käferholzmengen belasten zusätzlich den inzwischen völlig verstopften Holzmarkt, insbesondere aber stellt der Nationalpark eine erhebliche Konkurrenz um die für die Borkenkäferbekämpfung in den Wirtschaftswäldern notwendigen Unternehmerkapazitäten dar.
Ende August haben dann einige Bürger von Zwieslerwaldhaus eine kurze Befragung der damals erreichbaren Einwohner sowie der Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe durchgeführt, um der Frage nachzugehen, ob „die Leute“ die Bekämpfung tatsächlich wollen. Das klare Ergebnis: ein großer Teil der Befragten unterzeichnete spontan GEGEN weitere Bekämpfungsmaßnahmen!
Selbst der Forstchef des benachbarten privaten Forstbetriebs der Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern, welcher offenbar „in der Vergangenheit oftmals mit den Vorstellungen einiger Protagonisten in Sachen Nationalpark nicht einverstanden“ war, befürwortet jetzt nach einem Bericht in der Lokalzeitung ebenfalls eine Aufgabe der Bekämpfungsmaßnahmen am Falkenstein. Allerdings scheint hier eine sehr differenzierte Betrachtung der tatsächlichen Interessen bzw. Ziele angebracht: Im selben Artikel werden vom Hohenzollern-Forstchef „im Umkehrschluss“ drei Kilometer (!) Randzone als Schutz der angrenzenden Privatforstbetriebe vorgeschlagen. Damit wäre dann nur der Falkenstein selbst entlastet – die Bekämpfung in den westlichen und südlichen Tallagen, einem Großteil der aktuell betroffenen Fläche, würde unter anderem Namen fortgeführt, möglicherweise sogar noch weiter intensiviert! Selbst das Urwaldgebiet am Hans-Watzlik-Hain wäre bei dieser Distanz vollständig betroffen.
Entscheidend für die weitere Entwicklung werden die in Kürze bevorstehende Beschlüsse im kommunalen NP-Ausschuss sein. Obwohl sich zwei der betroffenen Bürgermeister bereits öffentlich für ein Ende der Bekämpfungsmaßnahmen in den zukünftigen Naturzonen ausgesprochen haben, bleibt nicht nur angesichts der Äußerungen aus dem Hause Hohenzollern ein unbefriedigender Kompromiss zu befürchten: nach Äußerungen gegenüber der Lokalzeitung zeigte sich Zwiesels Bürgermeister noch unschlüssig gegenüber dem Thema, während die Lindberger Bürgermeisterin an einer weiteren „Käferbekämpfung außerhalb der Naturzonen bis 2027“ festzuhalten schien.
Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen mutigen Vorschlag
Da ein aktueller Beschluss dann wohl nicht in Kürze erneut zur Diskussion gestellt werden wird, bleibt nur zu hoffen, dass die Nationalparkverwaltung einen mutigen Vorschlag entwickeln und sich der kommunale Ausschuss als „Geschenk“ zum 50. Geburtstag des Nationalparks im kommenden Jahr auf eine großzügige Ausweitung der Naturzonen – auch in den ausgedehnten Tallagen-Wäldern am Fuße des Falkensteins – einigen kann.
Peter Langhammer