Vimperk. Geht die Tendenz der Menschen im Šumava-Nationalpark zur Natur – oder eher in Richtung Konsum? Welche Rolle spielen die Sozialen Medien für das Öffentlichkeitsbild des böhmerwäldlerischen und des bayerwäldlerischen Nationalparks? Was ist mit dem Borkenkäfer und dessen Ausbreitung bzw. Bekämpfung? Welche Folgen bringt der Klimawandel mit sich? Und: Wo stehen die beiden Nationalparke in 50, 60 Jahren? Fragen, auf die Pavel Hubený auf der einen und Dr. Franz Leibl auf der anderen Seite im zweiten Teil des Interviews mit dem Onlinemagazin da Hog’n und dessen tschechischer Partnerseite sumava.eu (hier geht’s zu Teil 1) eine Antwort fanden.
Auf tschechischer Seite haben auch am Sonntag nahezu alle Geschäfte geöffnet, viele Leute können in den Supermärkten nonstop einkaufen. Was sagen Sie zu folgender These: Wenn die Geschäfte sonntags geschlossen hätten, würden sich wieder mehr Leute in der Natur des Böhmerwaldes aufhalten.
Hubený: Wenn man die Geschäfte schließen würde und die Leute stattdessen in die Natur gingen, wäre das natürlich eine sehr begrüßenswerte Entwicklung. Ich bin nach dem Zweiten Weltkrieg in einer kleinen Stadt aufgewachsen, wo es noch üblich war, dass der Mittelstand mindestens einmal in der Woche, meist an einem Sonntag, die vielen kleinen Gasthöfe, die die Stadt umgaben, im Rahmen eines Ausflugs besucht hat. Es wäre schön, wenn man diese Tradition wieder aufleben lassen könnte (lacht).
„Parkbesucher kommen bewusst zu uns – nicht aus Langeweile“
Wie ist die Situation in Tschechien: Geht die Tendenz eher weg von der Natur hin zum Konsum – oder umgekehrt?
Hubený: Gefühlsmüßig, denke ich, geht die Tendenz mehr in Richtung Konsum – wobei ich schon seit mehr als acht Jahren unterhalb des Kubany-Waldes lebe und ich dort mehr und mehr Besucher wahrnehme. Früher kamen die Leute eher im Sommer dorthin, jetzt sind sie das ganze Jahr über unterwegs. Vielleicht besteht doch noch etwas Hoffnung…
Herr Leibl: Wie wäre die Situation auf bayerischer Seite? Hier haben die Supermärkte ja seit jeher sonntags geschlossen. Aber was wäre, wenn die Leute nun auch am Sonntag einkaufen gehen könnten? Denken Sie, dass dies irgendwelche Auswirkungen auf die Menschen im Nationalparkgebiet haben könnte?
Leibl: Nein, ich denke nicht. Unsere Nationalparkbesucher kommen ja bewusst zu uns – und nicht aus Langeweile, um Zeit totzuschlagen. Ein schöner Oktobertag – und wir haben Tausende von Menschen, die kommen, um sich zu erholen.
Der tschechische und bayerische Nationalpark nutzen – wie viele andere Institutionen – immer häufiger auch die Sozialen Medien. Wie stehen Sie persönlich zu deren Einsatz? Welche Einstellung haben Sie zu Facebook, Twitter & Co.? Welche Vorteile, welche Nachteile sehen Sie hierbei?
Leibl: Persönlich betrachtet bin ich da eher dem konservativen Lager zuzuordnen (lacht). Jedenfalls: Facebook ist für uns ein sehr wichtiges, ja nahezu unverzichtbares Medium geworden, weil wir damit eine Klientel erreichen, die wir über unsere normalen Publikationen erst gar nicht ansprechen könnten. Wir haben gemerkt, dass es doch sehr viele Leute sind, die sich urplötzlich mit dem Nationalpark auseinandersetzen – sei es aufgrund von schönen Landschaftsfotos oder besonders tollen Tieraufnahmen. Gleichzeitig können wir damit Kurznachrichten tickern und schnelle Infos zeitnah weitergeben. Facebook ist für uns etwas sehr Positives, um den Bekanntheitsgrad zu steigern. Wir werden uns überlegen, das alles noch weiter zu forcieren. Auch unsere Nationalpark-App wird recht gut angenommen.
Hubený: Auch meiner Meinung nach sind die Sozialen Medien eine gute Möglichkeit, um bekannter zu werden und mehr Leute zu erreichen. Ich selbst bin Facebook & Co. gegenüber auch eher etwas konservativ eingestellt. Für den Nationalpark Šumava gibt es folgende Vorteile durch Social Media: Der Nationalpark erzeugt bei den Menschen positive Erlebnisse und Emotionen, die sie selbst in die Welt hinaus senden und sich dabei exponentiell vermehren. Das, was gepostet wird, stellt für uns wiederum gutes Feedback dar, weil die Leute Sachen bemerken, die wir vielleicht übersehen haben oder schon gar nicht mehr wahrnehmen.
Einen Nachteil sehe ich darin, dass die Leute mehr und mehr auf ihr kleines Handy-Display fokussiert sind, anstatt sich zu einhundert Prozent auf die Natur zu konzentrieren und sie zu genießen… (schmunzelt)
Unisono: „Der Borkenkäfer ist aktuell kein Problem für uns“
Welche Befugnisse haben tschechische Waldbesitzer im Nationalparkgebiet?
Hubený: Wir haben drei größere Waldbesitzer im Nationalpark Šumava: Das sind drei Gemeinden, die ungefähr zehn Prozent der Waldfläche besitzen – es gehört also nicht alles dem Staat. Sie sind durch bestimmte Auflagen beschränkt, das heißt: Sie dürfen nicht so wirtschaften, wie sie’s gerne hätten. Dafür bekommen sie allerdings Entschädigungszahlungen vom Staat, ausgehändigt durch die Nationalparkverwaltung.
Stichwort: Borkenkäfer. Welches Problem stellt er für den Nationalpark Šumava dar?
Hubený: Im Moment ist der Borkenkäfer kein Problem für uns – die Frage sollte eher lauten: Für wen ist der Borkenkäfer überhaupt ein Problem? Wir müssen auf der überwiegenden Fläche des Nationalparks gegen den Borkenkäfer vorgehen. Wie gesagt: 23 Prozent davon sind nur Naturzone – auf der restlichen Fläche, so will es der Gesetzgeber, müssen wir den Borkenkäfer bekämpfen. Wir möchten die Fläche, auf der wir die Bekämpfung durchführen müssen, natürlich verkleinern. Deswegen gibt es auch einen neuen Nationalparkplan. Das Ziel ist es, gegen den Borkenkäfer so vorzugehen, dass er nicht auf die umliegenden Wälder übergreifen kann und dort Schäden verursacht.
Wie schafft man das?
Hubený: Wir müssen die vom Borkenkäfer befallenen Bäume bearbeiten, damit er nicht ausfliegen und sich verbreiten kann. Obwohl wir wissen, dass es für die Natur besser wäre, nicht „anzugreifen“, müssen wir das tun – wir versuchen dabei mit möglichst schonenden Methoden vorzugehen. Doch wenn es zu einer Massenvermehrung kommt, ist auch schon mal eine etwas härtere Gangart gefragt.
Der Borkenkäfer ist ja auch ein großes Thema auf bayerischer Seite. Er macht nicht Halt vor irgendwelchen Landesgrenzen. Wie sieht die bayerisch-tschechische Borkenkäferbekämpfung konkret aus?
Leibl: Wir haben auf unserer gemeinsam Grenze eine gemeinsame Naturzone. Das heißt: Unsere Naturzone dockt direkt an die tschechische Naturzone an. Es gibt also dazwischen kein Areal, wo wir den Borkenkäfer bekämpfen. Von beiden Grenzen ausgehend führen Naturzonen an die Ränder des Parks – dadurch bilden beide Parks zusammen das größte Waldprozessschutzgebiet in Mitteleuropa. Wir haben zusammenhängend eine 25.000 Hektar große Naturzone – 16.000 Hektar auf bayerischer und 9.000 Hektar auf tschechischer Seite -, wo der Mensch nicht mehr eingreift.
Wir bekämpfen den Borkenkäfer demnach nicht dort, wo die Parks zusammenstoßen, sondern in der Peripherie, in der Randzone – dort, wo Privatwälder unsere Nachbarn sind.
Wird man das Borkenkäfer-Problem jemals in den Griff bekommen?
Leibl: Der Borkenkäfer ist aktuell kein Problem, wie der momentane Ist-Zustand beweist. Wir haben Untersuchungen der TU München zum Ausbreitungsverhalten des Borkenkäfers in Auftrag gegeben. Minister Brunner hatte 2015 seine Borkenkäferstudie vorgestellt – sein MinisteriuSm kommt zum gleichen Ergebnis: Die Randzone ist dazu geeignet, um einen Borkenkäferausbruch in die angrenzenden Privatwälder zu verhindern. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen.
Das Ausbreitungsverhalten des Borkenkäfers kann man in etwa wie folgt beschreiben: Es gibt einen Befallsherd, von wo aus der Käfer nach dem Brüten ausströmt. 95 Prozent des nächsten Borkenkäferbefalls befinden sich in einem 500-Meter-Umkreis vom Ausgangsbefall. Unsere Randzone ist zwischen 500 und 1.200 Meter breit. Das heißt nicht, dass ein einzelner Käfer nicht weiter fliegen könnte – aber ein einzelner Käfer richtet keinen Schaden an, sondern die Masse macht’s. Und die Masse schöpfe ich ab, indem ich die Borkenkäfer sofort im 500-Meter-Bereich bekämpfe. Das ist ein ausgetüfteltes System.
Die Brunner-Studie hat verblüffenderweise auch gezeigt: Je weiter weg sich der Privatwald von der Nationalparkgrenze befand, desto höher war die Wahrscheinlichkeit des Borkenkäferbefalls. Normalerweise nimmt man an, dass der unmittelbar angrenzende Wald derjenige wäre, der die Borkenkäfer abkriegt. Doch dem ist nicht so. Das hängt damit zusammen, dass der Borkenkäfer nicht so intensiv bekämpft wird, wie wir das tun. Das kann in mancher Privatwald-Parzelle schon allein aus personellen Gründen nicht leisten.
„Will nicht sagen, dass die Situation besorgniserregend ist – aber…“
Der Klimawandel und die zunehmende Umweltverschmutzung werden auch vor den beiden Nationalparken nicht Halt machen. Mit welchen Konsequenzen ist hierbei zu rechnen? Wie will man sich diesen Problemen stellen?
Leibl: Der Klimawandel ist aufgrund unserer Forschungsergebnisse deutlich erkennbar. Wir haben eine Schneeschmelze, die sich gegenüber den Vorjahren um drei bis vier Wochen ins zeitige Frühjahr verlagert hat. Das heißt: Im Prinzip schmilzt der Schnee einen Monat eher als dies noch vor 40 Jahren der Fall war. Wir haben im April die höchste Temperaturerhöhung festgestellt: In diesem Monat hat sich die Temperatur seit der Gründung des Nationalparks vor 40 Jahren um vier Grad erhöht. Auf 100 Jahre betrachtet haben wir eine Temperaturerhöhung von einem Grad zu verzeichnen.
Wir spüren den Klimawandel auch im Wasserhaushalt durch die verlagerte Schneeschmelze, das Abflussverhalten der Flüsse usw. Und wir spüren den Klimawandel durch plötzliche Starkregenereignisse, wie es 2016 im Raum Waldkirchen der Fall war. Das hat der Park ebenfalls abbekommen – das heißt: Wenn ein derartiges Starkregen-Ereignis punktuell eintrifft, kann es passieren, dass Teile der Besucherinfrastruktur, also das Wanderwege- und Forststraßenwegenetz, beschädigt wird.
Welche ökologischen Folgen dies für den Wald nach sich zieht, können wir momentan noch nicht abschätzen, da die Bäume sehr konservativ reagieren. Was wir aktuell ebenfalls nicht sagen können, ist, dass die Buche weiter nach oben wandert und die Fichte im Bergfichtenwald verdrängen würde. Das mag sein, dass das mal in 50 Jahren erkennbar ist, aber derzeit ist das noch nicht der Fall.
Wir stellen zudem fest, dass wärmeliebende Arten in den Park einwandern, die vorher nicht vorhanden waren – wie zum Beispiel der Wollige Scheidling. Oder auch der Trauerrosenkäfer, der aus den wärmeren Steppengebieten des östlichen Europas kommt.
Wir merken den Klimawandel ebenso aufgrund der Höhenverteilung bestimmter Artengruppen. Wir finden zum Beispiel Vögel in gewissen Höhenlagen heute anders verbreitet wie vor 100 Jahren. Was zu befürchten ist: Die alpinen Arten werden aussterben, wenn es so weitergeht. Die Aussterbewahrscheinlichkeit der Ringdrossel, die bei uns in den Hochlagen vorkommt, ist sehr groß, wenn’s weiterhin wärmer wird.
Interessant ist vor allem, was sich in der Hydrologie, also im Wasserhaushalt, abspielt. Das ist wesentlich interessanter und virulenter – auch für die Menschen in der Umgebung des Parks -, als ob irgendwann mal ein Käfer zu- oder abwandern wird. Denn die Änderungen des Wasserhaushalts bekommt man spätestens dann zu spüren, wenn es um die Trinkwassergewinnung geht – die Wasserknappheit 2015 war ja ein beredtes Zeichen – und um die Frage, wann im Jahr das Trinkwasser zur Verfügung steht.
Ich will nicht sagen, dass die Situation besorgniserregend ist – aber man merkt ganz deutlich, dass in diesem Bereich aufgrund der Erderwärmung etwas in Gang gesetzt worden ist. Die Bäume trinken mehr – und wenn sie mehr trinken, hat das eine geringere Grundwasser-Gewinnungsrate zur Folge.
Hubený: „Wir können da nicht viel machen, offen gesagt“
Herr Hubený: Wie will man sich auf tschechischer Seite dem Klimawandel stellen?
Hubený: Wir können da nicht viel machen, offen gesagt. Es gibt ein Studienmodell zur Frage, wie sich das Klima in den nächsten 70 Jahren entwickeln wird. Vereinfacht gesagt: Die Temperatur wird leicht ansteigen, vermutlich werden ebenfalls die Niederschläge zunehmen, das heißt: Auch die Verdunstung durch die Bäume wird steigen. Die Niederschläge werden sich im Laufe des Jahres verschieben – es sieht so aus, als ob wir trockenere, wärmere Winter bekommen und die Niederschläge sich auf den Sommeranfang verschieben werden. Das wird natürlich die wärmeliebenden Arten entsprechend befördern, genauso diejenigen Arten, die nicht so viel Wasser benötigen.
Trotzdem ist der tschechische Teil des Böhmerwaldes mosaikartig mit feuchten Moorgebieten durchzogen, genauso mit Inversionstälern, in denen es sehr kalt ist und die auch in 70 Jahren wohl noch sehr kalt sein werden. Ich denke, dass der Nationalpark auch dazu da ist, dass wir die Reaktionen der dortigen Ökosysteme quasi in Echtzeit mitverfolgen können.
Noch vor 20 Jahren haben wir gedacht, dass sich der Kubany-Urwald, der sich in der unmittelbaren Umgebung des Nationalparks befindet, von einem Misch- in einen Buchenwald verwandeln wird, da dort sehr viele nachwachsende Buchen zu verzeichnen waren. Heute sehen wir, dass unter diesen jüngeren Buchen vor allem an feuchteren Standorten auch die Fichten wieder heranwachsen – was damals niemand vermutet hätte. Auch unter der Buche kann sich also die Fichte verjüngen. Deshalb wird sich der Mischwald dort halten können.
Das einzige, was wir aktiv gegen die globale Erwärmung machen können, ist die Revitalisierung der Moore, die Ende des 19. sowie im 20. Jahrhundert entwässert worden sind. Wir optimieren sie dahingehend, dass sie wieder mehr Wasser zurückhalten können.
„Wildnis ist ja bei vielen Menschen in – und wird gesucht“
Wie sieht die gemeinsame Zukunft der beiden Nationalparke aus? Wo stehen der Nationalpark Bayerischer Wald und der Nationalpark Šumava in 50, 60 Jahren?
Leibl: Ich hoffe, dass die gemeinsame Zukunft weiter von einer gemeinsamen Zusammenarbeit getragen wird, dass wir inhaltlich den Park gemeinsam weiterentwickeln – so, wie es derzeit der Fall ist. Ich wünsche mir, dass dadurch ein riesiges Waldschutzgebiet im Herzen Mitteleuropas entsteht, das gleichzeitig einen Hotspot der Artenvielfalt für die Waldnatur darstellt sowie die Biodiversität unserer Wälder im vollen Umfang beinhaltet und erhält. Dass wir einen Rückzugslebensraum für urtümliche Waldarten auf diese Art und Weise schaffen. Dass wir ein Gebiet haben, das für den Menschen einen hohen Erholungswert sowie einen hohen Naturerlebniswert hat. Wildnis ist ja bei vielen Menschen in – und wird gesucht. Das können beide Parke gemeinsam in einer Dimension bieten, die für Mitteleuropa einmalig ist.
Hubený: Das können auch wir von unserer Seite her vollends unterschreiben (lacht).
Vielen Dank für das interessante Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer & Marek Matoušek
Übersetzung: Pavel Bečka