Passau/München. „Für die Kollegin Ruth Müller aus Landshut und mich wird es eine große Herausforderung sein, zu zweit den ganzen Regierungsbezirk abzudecken. Wir sind aber hochmotiviert und arbeiten sehr gut zusammen“, sagt Christian Flisek (SPD) im zweiten Teil unseres großen Hog’n-Nachwahlgesprächs mit dem Passauer Neu-Landtagsabgeordneten. Zudem haben wir uns mit dem 44-Jährigen u.a. über die neue, schwarz-orange Regierung Bayerns unterhalten und ihm die Frage gestellt, wie er es schaffen will, die Nähe zu den Menschen im Bayerischen Wald herzustellen. Die weiteren Themen: Donau-Flutpolder, positiver Populismus, die AfD und ihre Opferolle sowie der Umgang mit besorgten Bürgern.
Die CSU und die Freien Wähler bilden die neue Regierung in Bayern. Ist das ein „Weiter so“, wie viele Kritiker befürchten? Oder kann diese Konstellation auch etwas Fruchtbares hervorbringen?
Ich vergebe keine Schulnoten, bevor man die ersten Schultage absolviert hat. Der Koalitionsvertrag ist vage – und da, wo er konkret wird, ist er eine Katastrophe. Das Ansinnen, die Donau-Flutpolder herauszunehmen, ist astreine Klientel-Politik.
„Das hat mit Haltung und Prinzipien relativ wenig zu tun“
Die Freien Wähler haben, so könnte man es im wahrsten Sinne des Wortes zusammenfassen, mit dem Koaltionsvertrag eine Bruchlandung hingelegt: Das Moratorium bei der dritten Startbahn, dann die Nummer mit der Klage gegen die Beauftragten der Staatsregierung, die sie nun wieder zurücknehmen, weil sie selbst Beauftragtenposten erhalten. Das alles hat mit Haltung und Prinzipien relativ wenig zu tun.
Man kann über die Sinnhaftigkeit von Poldern ja diskutieren. Nur: Man kann nicht in einem Koalitionsvertrag die kommunale Fachplanung der letzten Jahre mal ebenso im Hinterzimmer vom Tisch fegen, weil der Herr Aiwanger mit der Regensburger Landrätin liiert ist. Das ist alles andere als seriös.
Als Passauer sage ich: Hochwasserschutz ist bei uns eines der zentralen Themen. Wir sind betroffen. Wenn man da jetzt zurückrudert, dann werden wir nirgendwo mehr irgendwelche Polder machen, weil dann jeder sagt: Schaut’s auf die Regensburger, die haben’s auch geschafft – warum sollen wir nun die Deppen sein, die das akzeptieren!? Das ist im Prinzip der Bruch mit jeder Solidarität – und so funktioniert’s halt überhaupt nicht.
2013 bis 2017 gehörten Sie dem Bundestag an, nun also Landtagsmitglied. Worin liegen Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede zwischen Bundes- und Landesmandat?
Landespolitik ist sehr viel konkreter. Darin liegt auch der große Reiz. Im Endeffekt geht es um die Steuerung der staatlichen Verwaltung auf Landesebene mit unmittelbaren Wirkungen. Der Bund hat da eine größere Vogelperspektive. In der Landespolitik bekommt man permanent jede Maßnahme und jede Wirkung gespiegelt – und das ist im wahrsten Sinne des Wortes viel näher bei den Menschen.
Wie schaffen Sie es denn, diese Nähe zu den Menschen im Bayerischen Wald herzustellen?
Für mich wird es eine große Herausforderung sein, weil ich ja auch die Wahlergebnisse hier kenne. Ich bin aber deshalb nicht von Vornherein mutlos – ich sehe das eher sportlich. Meine Aufgabe ist es, Ansprechpartner für alle zu sein. Ich habe mit meinem neuen Team beschlossen, nicht nur dann Hausbesuche zu machen, wenn Wahlkampfzeit ist, sondern wir werden auch während der Legislaturperiode zu den Leuten gehen und sie fragen, wo sie der Schuh drückt. Das ist wichtig.
Ich versuche weitestgehend präsent zu sein, sodass einen die Leute erst einmal wahrnehmen. Ansonsten versuche ich ebenso sehr engen Kontakt mit unseren Kommunalpolitikern zu halten – so ganz unerfolgreich sind wir ja hier in der Region auch nicht: Wir haben im Landkreis Regen Landrätin Rita Röhrl, haben eine Reihe von Bürgermeistern. Es gibt Bürgermeister von den Freien, auch von der CSU, mit denen ich guten Kontakt halte.
Dennoch muss viel Aufbauarbeit geleistet werden – die Strukturen der SPD sind leider nicht besser geworden. Es geht darum, dass wir uns auf unsere alten SPD-Stärken als Problemlöser besinnen – und nicht den Leuten ständig erklären, wie wir die Welt sehen. Wir sollten einfach mal wieder zuhören und nachfragen, welche konkreten Probleme es in der Bevölkerung gibt. Und daraus dann eine konkrete Politik entwickeln, die nahe bei den Bürgern ist – in einer Sprache, die die Menschen verstehen.
AfD-Wahl: „Ihr kauft sprichwörtlich die Katze im Sack“
Also muss die SPD populistischer werden?
Populismus ist ja grundsätzlich nichts Schlimmes. Reduktion von Komplexität ist eine wissenschaftliche Methode. Wir haben mittlerweile in der Politik sehr komplexe Sachverhalte. Und ich muss am Ende für politische Projekte auch eine Mehrheit finden. Aber es geht meist nur um zwei, drei wichtige Projekte, bei denen die Menschen sagen: Ja, genau, das brennt gerade unter den Nägeln.
Diese Probleme gilt es zu lösen – mit einer Sprache, die die Leute verstehen. Wenn das Populismus ist, habe ich nichts gegen Populismus. Wenn Populismus jedoch bedeutet, dass ich andere durch Sprache ausgrenze, dass ich verbal aufrüste und Menschen diffamiere, dann bin ich gegen Populismus. Aber solange er versucht die Leute in einer Demokratie zusammen zu bringen, habe ich überhaupt nichts gegen ihn.
Beim Thema Populismus sind wir auch schon bei der AfD angelangt. Gerade in ihrem Stimmkreis hat die AfD – nach den Bundestagswahlen – ein erneut beachtliches Ergebnis eingefahren. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg der Rechtspopulisten in Ihrer Heimatregion?
Die AfD ist eine Protestpartei. Eine Partei, die nur ein Thema verfolgt. Das ist bei vielen Menschen ein gefühlt wichtiges Thema, aber es ist eben auch nur dieses eine Thema. Wir haben die Kandidaten der AfD im Wahlkampf erlebt: Sie haben schlichtweg nicht real existiert. Ich habe einmal bei einer Podiumsdiskussion den Herrn Stadler erlebt. Ein einziges Mal.
Den Wählern der AfD ist es wurscht, wer da kandidiert. Wichtig ist: Da steht AfD drauf. Die AfD, das haben wir in Baden-Württemberg gesehen, kann sich binnen kürzester Zeit in zwei Fraktionen teilen – was aber nicht dafür sorgt, dass sie in den Umfragen zurückfällt. Sie haben gerade einen enormen Spendenskandal am Hals – das lässt die Leute aber erst mal kalt…
Wir müssen den Leuten klar machen, dass man es einer Partei, die mit 15 oder 20 Prozent gewählt wird, nicht durchgehen lassen kann, immerzu nur auf einem Thema herum zu reiten. Wenn der Herr Stadler bei einer Podiumsdiskussion auf die Frage nach der Rentenpolitik hin antwortet, dass die AfD keine Position zur Rentenpolitik hat und er auch keine Position zur Rentenpolitik braucht, weil er wegen anderer Themen gewählt wird, dann muss man den Leuten doch klar machen: Ja, ihr könnt Protest wählen, aber seid Euch bewusst, wen Ihr wählt und welche Konsequenzen das haben kann! Ihr kauft sprichwörtlich die Katze im Sack. Auch wenn Euch das eine Thema noch so wichtig ist – wer gewähltermaßen im Parlament sitzt, hat Verantwortung fürs Ganze und nicht nur für ein Thema.
Die AfD ist ein buntester Strauß an politischen Haltungen: Sie haben Rechtsextreme, haben Neo-Liberale. Ein bunter Strauß an unterschiedlichen Persönlichkeiten – und die wissen genau, warum sie zu all den anderen politischen Fragen keine Position entwickelt haben: Weil dies gar nicht möglich ist – das würde jeden AfD-Parteitag sprengen. Also ist deren einzige Strategie diese Fragen auszusparen – und solange wie möglich ein einziges Thema zu fahren.
„Motto muss lauten: Formal korrekt, aber hart in der Sache“
Aber Sie glauben, dass sie langfristig damit nicht durchkommen werden?
Ich hoffe es sehr. Ich hoffe, dass die Demokratie in Deutschland so stark und vital ist, dass selbst diejenigen Menschen, die keine Rechtsextremisten oder –populisten sind, sondern die die AfD deshalb gewählt haben, weil sie die Schnauze kurzfristig von den etablierten Parteien voll haben, am Ende sagen: Okay, das war jetzt mal ein Schuss vor den Bug – aber auf Dauer trägt das nicht.
Dass sie also zur Vernunft kommen, meinen Sie?
Ich würde das so nicht formulieren. Die Demokratie besteht daraus, dass jeder frei darin ist, was und wie er wählt. Aber ich hoffe, dass jeder, der den Schuss vor den Bug abgegeben hat, irgendwann erkennt, dass dies kein Dauerfeuer werden darf. Richtig ist dennoch: Wenn ich will, dass sich die etablierten Parteien anders bewegen, dann führt kein Weg daran vorbei zu sagen: Ihr seid auf dem falschen Kurs und müsst Euch anders aufstellen.
Das heißt: Die große Verantwortung liegt bei den sog. etablierten Parteien selbst. Ein Weiter so bringt ja keine Veränderung. Aber: Ist denn dieser Wink mit dem Zaunpfahl jetzt auch angekommen?
Wir sind uns mit Sicherheit nicht ganz einig, wie wir damit umzugehen haben. Ich bin jemand, der mit jedem Abgeordneten der AfD formal korrekt umgeht. Ich habe nie etwas davon gehalten, der AfD eine Opferrolle zu geben. Da hat sie sonst ganz leichtes Spiel. Wenn da einer sitzt, der sich mir gegenüber anständig benimmt, geb ich dem die Hand und grüße. Das Motto muss lauten: Formal korrekt, aber hart in der Sache. Das ist der Weg, mit dem man bestehen kann.
Es geht nicht darum, dass wir nun wie der Hase vor der Schlange sitzen und uns permanent an der AfD abarbeiten. Wir sind jetzt fünfstärkste Partei in Bayern, nachdem wir es lange Jahre gewohnt waren, die stärkste Oppositionspartei zu sein. Wir werden bei jeder Debatte im Landtag nur noch an fünfter Stelle reden – nach der AfD und gerade noch vor der FDP.
Jeder Redner, der für uns in die Bütt steigt, hat die Entscheidung zu treffen, ob er sich nun vier Minuten lang an der AfD abarbeitet, oder versucht eine eigene Botschaft zu senden. Es gibt gewiss rote Linien, wo man gegenhalten muss. Doch man darf nicht vergessen, die eigenen Überzeugungen und Haltungen darzulegen. Die Leute werden uns nicht wählen, wenn wir ihnen erklären, was alles an der AfD schlecht ist. Sie werden uns dann wählen, wenn sie wieder darauf vertrauen können, dass wir gewisse Dinge kapiert haben, gute Konzepte und Ideen liefern und auf die Sorgen und Nöte der Bürger eingehen.
„Natürlich rede ich mit besorgten Bürgern – das ist doch logisch!
Inwiefern gelingt dies, ohne dabei die AfD-Themen allzu sehr kopieren zu müssen?
Ich kann meiner Partei vor allem eins raten: Auf keinen Fall die Sprache und Rhetorik der AfD zu kopieren. Weil das nicht zur SPD passt – und es zudem nichts nützt, wie man bei der CSU gesehen hat. Wenn man sich in diese Spirale begibt, wählen sie immer noch das Schärfere.
Ich glaube andererseits, dass es keinerlei Sorgen von Menschen gibt, über die wir per se nicht reden sollten – auch wenn’s einigen von uns unangenehm erscheint. Wenn in Deutschland die Sorge vor einer zunehmenden Islamisierung herrscht, kann ich nur jedem – auch in den etablierten, einschließlich meiner Partei – raten: Redet darüber. Und zwar auf der Grundlage von Fakten – und nicht auf der Grundlage von Vorurteilen. Das gilt es zu beherzigen.
Also dann muss ich auch mit den sog. besorgten Bürgern reden?
Natürlich rede ich mit besorgten Bürgern. Ich würde nie, nur weil jemand eine bestimmte Sorge zum Ausdruck bringt, zu ihm sagen: Ich rede nicht mir dir. Ich rede nicht mit Leuten, die mich beleidigen, diffamieren usw. Wenn es keine sachliche Basis gibt, geht gar nichts, das ist klar. Wer aber durchaus im scharfen kritischen Ton die Politik der SPD, der GroKo etc. für falsch hält, mit dem rede ich darüber – das ist doch logisch.
Denn wenn wir diese Offenheit aufgeben, birgt dies das größte Konjunkturprogramm für alle Rechts- und Linkspopulisten. Es gibt dann ja keine Gespräche mehr. Wie soll ich denn als etablierte Partei Menschen von etwas überzeugen, wenn ich von Vornherein sage: Dieses Thema, das Du als wichtig ansiehst, ist aus meiner Sicht überhaupt kein Thema.
Was der Wähler als wichtig erachtet, entscheidet immer noch der Wähler. Und nach welchen Kriterien er seine Stimme abgibt, ebenso. Wenn die Politik es nicht schafft, dem Wähler ein anderes Thema als wichtiger darzustellen, dann hat die Politik ein Problem – und nicht der Wähler. Das ist die Geschäftsgrundlage in der Demokratie.
Wer den Anspruch hat, eine Volkspartei zu sein – auch wenn es diese künftig vielleicht gar nicht mehr gibt in der BRD -, dann muss ich mich mit all diesen Sachen auseinander setzen.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer
Asylrecht ist Menschenrecht. Das könnte man doch auch für Einheimische einführen.