München. Ist er zu populistisch? Fischt er manchmal zu sehr am rechten Rand? Oder ist er einfach nur naiv? An Hubert Aiwanger scheiden sich seit jeher die Geister. Der Chef der Freien Wähler und stellv. Ministerpräsident polarisiert – gerade in diesen Tagen, wenige Wochen vor der Landtagswahl in Bayern, mehr denn je…
Die sich derzeit in aller Munde befindliche „Flugblatt-Affäre“ könnte nun zu seinem politischen Stolperstein geraten. Die einen fordern seinen sofortigen Rücktritt, meinen, Hubert Aiwanger sei nicht länger tragbar – unabhängig davon, ob er das antisemitische Schreiben als 17-jähriger Schüler selbst verfasst hat oder dessen Bruder Helmut. Die anderen stellen sich vor den Freie-Wähler-Chef, betrachten die Sache als offensichtliche „Schmutzkampagne“, um den zuletzt in der Bevölkerung immer mehr Rückhalt genießenden gebürtigen Ergoldsbacher abzusägen.
Und auch die Hog’n-Redakteure Weigerstorfer und Hörhammer können sich – genauso wie die Hog’n-Leserschaft – nicht wirklich auf einen gemeinsamen Nenner in der „Causa Aiwanger“ einigen. Zu kontrovers, zu spaltend ist dieses Thema offenbar, wie folgende Diskussion beweist:
Eine Jugendsünde – aber nicht mehr?
Weigerstorfer: Es ist doch ganz augenfällig, dass diese „Flugblatt-Causa“ rund um den niederbayerischen Politiker zu heiß gekocht wird. Denn sie ist – vereinfacht dargestellt – eine Jugendsünde. Mehr aber auch schon nicht! So gut wie jeder hat doch mal als Jugendlicher irgendwelche Ausreißer nach links oder rechts mitgemacht. Lieder von Böhse Onkelz, Störkraft oder Abwärts gehört, ein Hakenkreuz oder ein Antifa-Zeichen ins Schulheft geschmiert – völlig gedankenlos, vielleicht aus Wut, aus Zorn wegen irgendeiner Ungerechtigkeit. In diesem Alter hat man einfach noch nicht die nötige geistige Reife, um gewisse Dinge einordnen, sie auch emotional angemessen verarbeiten zu können.
Hörhammer: Das glaubst du doch selbst nicht, was du da sagst. Aiwanger war bereits 17 Jahre alt, ein Gymnasiast kurz vor dem Abitur, der allgemeinen Hochschul-Reife. Der wusste ganz genau, was Sache ist. Und sein Bruder, wenn er denn tatsächlich der Urheber dieses widerlichen Pamphlets ist, ebenso. Ich denke, dass die beiden vereinbart haben, dass der Helmut jetzt seinen Kopf dafür hinhalten soll, damit der Hubsi noch einigermaßen glimpflich davonkommt. Hier von einer Jugendsünde zu sprechen, passt ganz und gar nicht. Hubert hatte mehrere dieser Flugblätter im Schulranzen gebunkert – und womöglich hätte er sie auch verteilt, das trau ich ihm sehr wohl zu. So wie er sich in seinem öffentlichen Auftreten in den vergangenen Jahren radikalisiert hat…
Hubert Aiwanger, der neue Volksheld
Weigerstorfer: Das ist doch alles viel zu lange her. Da liegen mittlerweile mehr als 30 Jahre dazwischen. Es gibt schon Zufälle! Gerade zum Start der Briefwahl in Sachen Landtagswahl kommt die scheinbar dunkle Seite des neuen bayerischen Volkshelden zum Vorschein. Nein, nicht Markus Söder tritt in den Augen vieler Wähler in der derzeitigen Phase in die Fußstapfen von „Über-Landesvater“ Franz Josef Strauß. Sondern Hubert Aiwanger. Ein Freier Wähler, kein CSU’ler fällt im Wahljahr 2023 mit markigen Sprüchen auf, wird als einer gesehen, der den „einfachen Mann“ versteht – und sich für ihn einsetzt. Ein gutes Wahlergebnis scheint Formsache zu sein. Er hätte der schwarzen Vormachtstellung wohl arg gefährlich werden können. Zu gefährlich?
Hörhammer: Ja, das mag schon sein, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung etwas „Kampagnenhaftes“ hat. Laut Merkur ist es ja so gelaufen, dass nach der äußerst kontroversen Wahlkampf-Rede Aiwangers in Erding, bei der er gegen das von der Ampel-Regierung angestrebte Heizungsgesetz gepoltert und unter anderem ‚Holen wir uns die Demokratie wieder zurück!‚ gerufen hat, sich sein ehemaliger Lehrer bei der Süddeutschen gemeldet hat. Das brachte die Sache erst ins Rollen. Aber darum geht’s doch nicht. Fakt ist: Dieses unsägliche Flugblatt existiert nunmal – und es stammt aus dem unmittelbaren Dunstkreis von Hubert Aiwanger, seines Zeichens stellvertretender Ministerpräsident von Bayern. Allein diese Tatsache spricht dafür, wessen Geistes Kind er wirklich ist – und da kann er sich im Nachhinein noch hundertmal davon distanzieren…
… dann sollte er jetzt zurücktreten
Weigerstorfer: Klar, der Inhalt der Flugblätter ist extrem beängstigend, ekelhaft. Solche Worte in den Mund zu nehmen bzw. zu Blatt zu bringen, ist verstörend, ein absolutes No-Go. Widerlich. Ganz egal, von wem sie stammen. Ob nun von Peter oder Josef, von Hubert oder Helmut, von Uschi oder Maria. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Da bin ich vollends bei dir. Aber das Ganze muss realistisch eingeordnet werden. Die Zettelchen hätten an einer Schule verteilt werden sollen. Die Reichweite ist also sehr überschaubar. Zudem waren, wie gesagt, die Verfasser – egal ob nun Helmut oder Hubert – pubertierende Jugendliche, die schlichtweg auffallen, sich auflehnen wollten. Die Grenzen auszuloten und dabei (versehentlich) zu überschreiten gehört einfach zu diesem Alter dazu. Frei nach dem Motto: Der, der ohne Jugend-Sünde ist, werfe den ersten Stein!
Hörhammer: Also ich konnte meinem Zorn gegen die Lehrerschaft auf andere Weise Luft verschaffen – dafür musste ich nicht erst antisemitisch werden und von einer „kostenlosen Kopfamputation durch Fallbeil“ oder einem „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“ schwadronieren. Aiwanger wusste genau, wovon und was er schreibt. Die Aussage des Bruders „Hubert hat sie (also die Flugblätter) eingesammelt, um zu deeskalieren„, ist angesichts der jüngsten rhetorischen Eskapaden des „Opfesoft-Ministers“ mehr als unglaubwürdig. Ausgerechnet Hubert Aiwanger als großer De-Eskalierer! Das ist lächerlich, fast hanebüchen. Wenn der Hubert noch einen letzten Funken Moral und Anstand hat, sollte er jetzt zurücktreten.
Bösartiges Kopfkino
Weigerstorfer: Das, was wirklich unverzeihlich und unmoralisch ist, ist doch der Dreck, durch den ein Mensch – an dieser Stelle eben der stellv. Ministerpräsident – sogleich medial gezogen wird, wenn ein offensichtlicher Fehltritt im Raum steht. Da werden sofort alle Scheuklappen abgelegt, es werden Unwahrheiten verbreitet, es wird reduziert, um zu provozieren, es wird ohne Weiteres vorverurteilt. Da kommen sie alle aus ihren Löchern gekrochen, denen der Freie-Wähler Chef ein Dorn im politischen Auge ist. Im Falle Aiwanger wird beispielsweise einfach mal ein altes Klassenfoto hervorgekramt, auf dem er vielleicht ein Hitler-Bärtchen und vielleicht einen Seitenscheitel tragen könnte. Der Rest ist bösartiges Kopfkino…
Hörhammer: Kopfkino hin oder her. Es geht nun darum, die Sache lückenlos aufzuklären. Die Wahrheit muss auf den Tisch. Das fordert nicht nur Aiwangers Vorgesetzter, Ministerpräsident Markus Söder, mit der Einberufung eines Sonder-Koalitionsausschusses am heutigen Dienstag, sondern auch der Kanzler dieser Republik. Denn es bleiben noch viele Fragen offen, die nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten kann, wie es Staatskanzleichef Florian Herrmann jüngst auf den Punkt gebracht hat. „Es geht um das Ansehen Bayerns.“
Frage an die Leserschaft: Was denkt ihr? Alles nur eine eine „Schmutzkampagne“, wie Hubert Aiwanger sagte? Alles nur eine „Jugendsünde“ seines Bruders Helmut, wie dieser selbst behauptete? Alles nur ein Wahlkampf-Komplott? Oder doch eher ein Fehler, der unverzeihlich ist? Ein widerliches, menschenverachtendes Schreiben, das dringend Konsequenzen nach sich ziehen sollte? Wir sind gespannt auf Eure Kommentare direkt unter diesem Artikel bzw. auf unserer Hog’n-Facebook-Seite.
da Hog’n