Passau. „Die Enttäuschung über das katastrophale SPD-Ergebnis überschattet alles“, kommentierte Christian Flisek das Ergebnis seiner Partei nach den Landtagswahlen vor fünf Jahren gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n. Es reichte damals gerade einmal für 9,7 Prozent. Der heute 49-Jährige schaffte dennoch den Einzug in Bayerns höchstes Parlament – über die Liste. Die Fraktionsstärke hatte sich damals jedoch nahezu halbiert. Es war großes „Wunden lecken angesagt“. Heuer soll’s ihm zufolge besser werden.
Der gebürtige Nordrhein-Westfale ist schon lange in den Reihen der Sozialdemokraten – seit 1990 Mitglied der ältesten Partei Deutschlands – aktiv: u.a. als Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Passau, als SPD-Vorsitzender Niederbayerns, als Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen in der SPD sowie als Mitglied im Passauer Stadtrat. Bei der Bundestagswahl 2013 zog er in den Deutschen Bundestag ein, dem er bis 2017 angehörte. Bei der Landtagswahl 2018 wurde er erstmals in den Bayerischen Landtag gewählt. Dies möchte er nun am 8. Oktober wiederholen, wenn er als Direktkandidat im Stimmkreis 205 antritt.
„Die Wahl wird nicht in Umfragen entschieden“
Herr Flisek: Blickt man auf die aktuellen Umfrage-Werte der Bayern-SPD, hat sich im Vergleich zum „katastrophalen SPD-Ergebnis“ bei der Landtagswahl 2018 offenbar herzlich wenig getan in Sachen Wählergunst. Die einstige „Volkspartei“ dümpelt weiter unter zehn Prozent vor sich hin. Was ist da los bei den Sozialdemokraten? Hat man sich inzwischen aufgegeben?
Ganz im Gegenteil. Ich nehme die SPD vor Ort als sehr aktiv und engagiert wahr. Persönlich bin ich sehr viel, oft auch gemeinsam mit unserem Bezirkskandidaten Oberbürgermeister Jürgen Dupper, im Stimmkreis unterwegs, bei Bürgermeistern, Betrieben und Vereinen. Dort erlebe ich großen Zuspruch, sowohl in Gesprächen aber auch bei unseren zahlreichen Veranstaltungen. Leider beeinflusst der schlechte Bundestrend unsere Umfragewerte – übrigens nicht nur bei der SPD. Die Wahl wird aber nicht in Umfragen, sondern am 8. Oktober entschieden. Hier bin ich zuversichtlich, dass wir vor Ort gut abschneiden werden.
Was denken Sie: Wie „sozial“ ist diese Partei eigentlich noch?
Ist diese Frage ernst gemeint? Olaf Scholz und die SPD haben im Bundestagswahlkampf klar auf soziale Themen gesetzt und damit die Wahl gewonnen – Stichwort: Respekt. Diese Versprechen setzt die Ampel in Berlin jetzt sehr konsequent um: Bürgergeldreform, Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro, Ausbildungsplatzgarantie für junge Menschen oder die Entlastung pflegender Angehöriger, um nur ein paar Meilensteine zu nennen.
Aber auch in Bayern treten wir mit klaren sozialpolitischen Forderungen an: Wir wollen gute und kostenfreie Bildung von der Kita bis zum Meister oder Master, eine bezahlbare Energieversorgung, eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge sowie endlich ein bayerisches Tariftreuegesetz, damit öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen gehen, die ihre Beschäftigten nach Tarifvertrag bezahlen.
„Bürokratiewahnsinn muss drastisch abgebaut werden“
Wenn Sie auf die vergangenen fünf Jahre im Landtag zurückblicken und persönlich Bilanz ziehen – was haben Sie als Vertreter der SPD in Bayerns höchstem Parlament für die Menschen in ihrem Stimmkreis erreicht? Was sind ihre drei größten Erfolge/Errungenschaften?
Die größte Erfolgsgeschichte ist für mich der Medizincampus Niederbayern. Es war nicht absehbar, dass wir dieses Projekt, das ich gemeinsam mit Jürgen Dupper initiiert habe, so schnell auf den Weg bringen können – ein Zeichen dafür, dass man erfolgreich sein kann, wenn man sich über die Parteigrenzen hinweg unterhakt. Es freut mich aber auch, dass ich große Infrastrukturprojekte für unsere Region, etwa den Bau des Internationalen Wissenschaftszentrums und der JVA in Passau im Landtag konstruktiv begleiten konnte. Für ein Verwaltungsgericht in Freyung hat es ja wegen der Blockadehaltung der Freien Wähler leider nicht geklappt. Ansonsten blicke ich stolz auf die vielen kleinen Erfolge zurück, die man als Abgeordneter erlebt. Nichts gibt einem ein besseres Gefühl, als wenn man einem Menschen helfen konnte, der ein Problem mit einer Behörde oder anderen Instanz hatte.
Generell: Was können Sie als in Passau wohnhafter Politiker im Falle des nochmaligen Einzugs in den Landtag konkret für die Menschen in Haidmühle, Grainet und Waldkirchen tun? Wie wollen Sie diese Gemeinden stärken?
Wenn wir die hohe Lebensqualität in unserer Region erhalten wollen, müssen wir den Kommunen attraktivere und flexiblere Förderprogramme zur Verfügung stellen. Gleichzeitig muss der Bürokratiewahnsinn drastisch abgebaut werden. Viele Kommunen sind hier überfordert und können deshalb wichtige Investitionen nicht tätigen. Dazu gehört auch, dass die Mittel für die ländliche Entwicklung, etwa für die Dorferneuerung, deutlich aufgestockt werden. Zudem werde ich mich weiterhin für die Ansiedlung von Unternehmen und Behördenverlagerungen einsetzen, damit es möglichst viele gut bezahlte Arbeitsplätze für die Menschen in unserer Region gibt.
„Der viel zitierte Klebeeffekt“
Böse Zungen im Woid behaupten: „Den Flisek, den segst a ganz Joah net bei uns herin.“ Wie ist ihr Eindruck: Haben Sie sich die letzten fünf Jahre über zu wenig um die Waidler in ihrem Stimmkreis gekümmert? Ist ihr Engagement zu „Passau-lastig“?
Als einer von zwei niederbayerischen SPD-Landtagsabgeordneten bin ich insgesamt für vier Stimmkreise zuständig: Neben meinem Heimatstimmkreis Passau-Ost betreue ich auch die Stimmkreise Passau-West, Regen, Freyung-Grafenau und Deggendorf. Dennoch versuche ich in allen Stimmkreisen regelmäßig vor Ort zu sein. In den vergangenen Monaten war ich etwa bei Leo Meier in Röhrnbach zu Besuch, habe mich mit den Soldaten des Aufklärungsbataillons in Freyung getroffen oder die Bergwacht in der Haidmühle besucht. Die Stadt Waldkirchen habe ich dabei unterstützt, damit sie die deutlich besseren Fördersätze für die Freibadsanierung erhält. Auch für die Errichtung eines niederbayerischen Verwaltungsgerichts und des Polizeitrainingszentrums im Bayerischen Wald habe ich mich auch als „Passauer“ immer stark gemacht.
Wie Sie sagen, ist der Medizincampus eins ihrer Schwerpunktthemen. Wie können/kann denn die Waidler bzw. der Woid an sich davon profitieren, wenn dieser endgültig umgesetzt werden wird?
Der Medizincampus bedeutet, dass es endlich auch in Niederbayern eine staatliche Medizinerausbildung gibt. Das heißt, dass junge Menschen aus Neureichenau oder Waldkirchen endlich heimatnah studieren können. Das erhöht die Chance, dass sie nach dem Studium in der Region bleiben – der viel zitierte Klebeeffekt. Das ist ein entscheidender Schritt zur Bekämpfung des Ärztemangels an den Kliniken, aber auch in den Hausarztpraxen, von der auch der Bayerische Wald profitieren wird. Für mich steht aber fest: Das kann nur der Einstieg gewesen sein. Ich will dieses Projekt weiterentwickeln in Richtung Medizinische Fakultät und eigenes Uniklinikum.
„Die AfD schürt ausschließlich Ängste und Sorgen“
Ihre weiteren Themen: Stärkung der Kommunen durch weniger Förderbürokratie, mehr finanzielle Eigenständigkeit und Gestaltungsspielräume; Ausbau der Infrastruktur und mehr Sicherheit durch ausreichend Personal bei Polizei und Justiz. Klingt ja alles schön und gut, nur: Haben wir nicht drängendere Herausforderungen in Bayern? Stichwort: Migration, Klimawandel, Stärkung der Wirtschaft etc.
Die größte Herausforderung ist sicherlich die Steuerung der Zuwanderung und die Bekämpfung des Fachkräftemangels. Viele Betriebe stehen derzeit an der Grenze ihrer Expansionsfähigkeit. Nicht, weil zu wenig Aufträge vorhanden sind, sondern weil man noch mehr Aufträge aufgrund fehlender Mitarbeiter nicht mehr stemmen kann. Hier sind wir ohne Zweifel auch auf kontrollierte Zuwanderung angewiesen. Wir brauchen Zuwanderung in unseren Sozialstaat, aber nicht von Leistungsbeziehern, sondern von Beitragszahlern. Nur dann werden wir das Niveau unseres derzeitigen Sozialstaates halten können. Das ist auch wichtig für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Ich plädiere für ein modernes Einwanderungsrecht nach dem Vorbild Kanadas, das die Zuwanderung bewusst und interessengerecht steuert. Im Moment werden im schlimmsten Fall gut integrierte Asylbewerber abgeschoben, welche bereits in unser Sozialsystem einzahlen. Das sorgt in den betroffenen Betrieben, in denen diese Menschen arbeiten und dort dringend gebraucht werden, verständlicherweise für Kopfschütteln und Unverständnis. Für mich steht fest, dass sich viele Migranten schlicht im falschen Verfahren befinden. Das Asylrecht war nie als Einwanderungssystem gedacht. Wir brauchen solche Menschen nicht im Asylverfahren, aber sehr wohl als Zuwanderer. Diese Diskussion müssen wir aber ohne Polemik auf einer sachlichen Ebene führen.
Wie sehen Sie das Erstarken der AfD und den konstant großen Rückhalt dieser Partei in der Bevölkerung des Bayerischen Waldes? Was muss passieren, dass die Waidler wieder mehr SPD wählen?
Wir dürfen die „schwierigen Themen“ nicht kampflos den politischen Rändern überlassen – und schon gar nicht der AfD. Das haben wir in der vergangenen Zeit viel zu häufig getan, etwa bei Fragen der Migration und Zuwanderung. Denn auch wenn gelegentlich ein AfD-Politiker einen vernünftigen Gedanken äußert, heißt das noch lange nicht, dass er für das Benennen eines Problems auch eine Lösung hat. Die AfD schürt ausschließlich Ängste und Sorgen, aber eines hat sie zu keinem Thema: eine Lösung. Außerdem hat die AfD das, was sie den anderen Parteien fortwährend abspricht, selbst am allerwenigsten: kompetentes Personal. Man muss die Sorgen der Bürger ernst nehmen, aber man darf ihnen keine Angst machen. Diese Art des politischen Populismus müssen wir endlich wieder überwinden.
„Klimaschutz und Landesentwicklung sind kein Widerspruch“
Tut man sich generell schwer als SPD-Politiker, die Menschen im Woid zu erreichen?
Überhaupt nicht. Ich bin selbst auf dem Land in Oberbayern groß geworden und weiß, was die Menschen im Woid umtreibt. Zu ihnen habe ich beste Kontakte und kenne sie als fleißige und anständige Menschen, die etwas für sich und ihre Familien aufbauen wollen. Diese Einstellung liegt mir als Sozialdemokrat sehr nahe – jeder Mensch soll von seiner Hände Arbeit gut leben können. Dass diese Lebensvorstellungen auch in Zukunft Wirklichkeit werden können, dafür will ich mich weiter in München einsetzen. Dazu gehört auch, dass man den Menschen nicht ständig Vorschriften macht, wie sie zu leben haben. Die SPD war und ist eine Partei für die Menschen – und keine Partei der Verbote.
Sollten Sie erneut in den Landtag einziehen: Wie wird die künftige Flisek’sche Handschrift aussehen? So, wie die vergangenen Jahre – oder möchten Sie gerne etwas verändern?
Ich möchte auch in den kommenden fünf Jahren eine starke Stimme für unsere Heimatregion sein und wichtige Projekte weiterhin konstruktiv vorantreiben. Nur so werden wir die Erfolgsgeschichte unserer Region fortsetzen. Bei aller Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit dem Thema Klimakrise müssen wir auch weiterhin ein Auge auf Investitionen und damit auch Arbeitsplätze haben. Klimaschutz und Landesentwicklung sind kein Widerspruch in sich, wir müssen beide miteinander denken. Gegenüber der Energiepolitik kommt mir derzeit die klassische Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zu kurz.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer