München/Passau/Zenting. Ist das neue schwarz-orangene Koalitionsbündnis das befürchtete „Weiter so“ in Bayern? Wohin führt der Weg der Sozialdemokraten? Und: Wie ist das starke Ergebnis der AfD im Bayerischen Wald zu erklären? Im zweiten Teil des Hog’n-Nachwahl-Gespräches versucht Neu-MdL Toni Schuberl (Bündnis 90/Die Grünen) jene weitreichenden politischen Fragen zu beantworten – was manchmal gar nicht so einfach zu sein scheint. Zudem erklärt der Jurist, warum eine schwarz-grüne Zusammenarbeit von Vorneherein nicht möglich war.
Wie bewerten Sie das Koalitionsbündnis Schwarz-Orange. Ist diese Kombination nicht das befürchtete „Weiter so“?
Ich hoffe nicht, aber ich denke schon (lacht). Mit den Grünen hätte es definitiv kein „Weiter so“ gegeben – vielleicht hat es deshalb auch nicht geklappt. Wie sich die Freien Wähler verkaufen, geht mich eigentlich nichts an, aber: Ich möchte mal mit Hubert Aiwanger pokern. Ich glaube, da könnte ich viel Geld gewinnen (schmunzelt). Ohne Inhalte in die Verhandlungen gehen, nur drei bis fünf Ministerien fordern – und dann passt alles. Eigenartige Vorgehensweise.
Worin liegen die größten Unterschiede zwischen Freien Wählern und Grünen?
Bei uns geht es um Inhalte, nicht um Posten. Außerdem sind wir basisdemokratisch – und die Freien Wähler haben Hubert Aiwanger. Jeder Politiker will Macht, keine Frage. Dieses unbedingte Anbiedern stört mich aber. Wobei ich mich keinesfalls mit der Person Aiwanger auseinandersetzen will. Vielmehr will ich mit der Staatsregierung künftig über Inhalte diskutieren.
„In Bayern wird die Energiewende sabotiert“
Warum ist eigentlich eine Schwarz-Grüne Koalition frühzeitig gescheitert?
Es gibt nunmal bei einigen Themen zu große Dissonanzen. Beispiel: Gesellschaft. Wir wollen ein weltoffenes und freies Bayern. Wir wollen keinen Überwachungsstaat. Wir wollen offene Grenzen. Wir wollen nicht, dass dauernd ohne Not Angst geschürt wird. Ein weiterer Bereich, bei dem wir nicht zusammenfinden: Umwelt-, Klima- und Naturschutz. Hier gibt es drei große Baustellen. Die Energie-, Verkehrs- und Agrarwende. Seit wir nicht mehr in der Bundesregierung sind, schläft die Energiewende wieder ein – in Bayern wird das Ganze direkt sabotiert.
Die Agrarwende wird ein großes und schwieriges Thema. Wir wollen eine giftfreie Landwirtschaft, in der kleine und mittlere bäuerliche Betriebe gute Produkte für unsere Bevölkerung herstellen – und nicht immer nur wachsen müssen, um für den Weltmarkt interessant zu werden. Kleinbauern müssen wieder überlebensfähig sein. Wir müssen die Landwirte auch dazu bringen, dass der Boden und die Tiere besser geschützt werden. Unsere Kulturlandschaft muss erhalten bleiben. Um all das zu erreichen, müssen wir unsere Förderpolitik etwas ändern. Nicht die Großen dürfen davon profitieren, sondern die Kleinen.
Zur Verkehrswende ist zu sagen: Wenn die CSU Verkehrspolitik macht, denkt sie in erster Linie an das Auto. Wir denken im Sinne von „Mobilität für alle“. Ein relativ großer Teil der Bevölkerung hat kein Auto – oder darf nicht fahren. Doch auch diese Menschen müssen von A nach B gelangen. Wir im Bayerischen Wald können ein Lied über unsere Busverbindungen singen. Das muss sich grundlegend ändern. Wir müssen eine Mobilitätspolitik machen, keine Autopolitik.
„Das Lagerdenken ist veraltet“
Wir geben eine von Hog’n-Redakteur Johanne Gress jüngst diskutierte Frage an Sie weiter: Ist grün schlichtweg das schönere Rot?
Wir haben durchaus gesellschafts-, sozial- und bildungspolitische Aspekte der SPD. Wir haben diese Themen jedoch glaubwürdiger dargestellt. Insofern stellen wir in diesen Bereichen eine Konkurrenz zur SPD dar. Es gibt aber auch Inhalte, in denen wir Mitstreiter zur FDP, zur Linken oder zur CSU sind. Das Lagerdenken ist meiner Meinung nach deshalb veraltet.
Wohin führt der Weg der Sozialdemokraten?
Hoffentlich wieder nach oben. Derzeit erhalte ich Einblick in das Organisatorische eines Landtags nach den Neuwahlen. Und da zeigt sich bereits eins der Grundprobleme der SPD: Bei der früheren Sitzordnung war die CSU ganz rechts platziert, die Grünen ganz links – es wurde dabei mit der Größe der Fraktionen argumentiert. Nun sind wir allerdings wieder ganz links, weil die SPD dort nicht sitzen will. Die Sozialdemokraten wollen in der Mitte sitzen – aus symbolischen Gründen. Scheinbar hat die SPD Angst davor, als links zu gelten. Aber was ist sie dann?
Sagen Sie es uns.
Mein Gefühl ist, dass sich die SPD besser auf ihre Kernkompetenz konzentrieren sollte – soziale Gerechtigkeit. In diesen Zusammenhang muss die Frage beantwortet werden, ob es richtig ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer größer wird. Kann die SPD diesen Vorgang mit der Besserung der Situation der Armen nicht etwas abdämpfen? Ist das nicht die eigentliche Hauptaufgabe der Sozialdemokraten?
Lange Jahre galt das Motto: Wir müssen so sozial sein, dass der Kommunismus keine Alternative ist. Deshalb hat die soziale Marktwirtschaft auch nur bis Ende der 80er funktioniert. Danach ist der Kapitalismus sehr verstärkt worden. Diese Entwicklung hat der weltweiten Gesellschaft nicht gut getan. Sich nur um Gewinne zu kümmern, ist meiner Meinung nach unzivilisiert. Purer Egoismus gehört beendet. Eigentlich die Aufgabe der SPD, die sich aber nicht traut – weil sie Angst hat.
Kommen wir zur AfD. Gerade in Ihrem Stimmkreis hat diese Partei – nach den Bundestagswahlen – ein erneut beachtliches Ergebnis eingefahren. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg der Rechtspopulisten in Ihrer Heimatregion?
Schwierige Frage.
Das haben auch schon ihre Kollegen Max Gibis und Alexander Muthmann festgestellt.
Ich versuche es mal mit einem Lösungsansatz (überlegt). Das Gefühl des Vergessenwerdens ist aufgrund der Randlage des Bayerischen Waldes weiter sehr tief verankert – wir waren lange Zeit Grenzregion und fühlen uns deshalb abgehängt. Das kann ein Grund für den Erfolg der AfD sein. Wobei wir heute ja eigentlich das Herz Europas bilden (kurze Pause, überlegt).
„Viele Migranten brennen darauf, Arbeit zu bekommen“
An den Flüchtlingen liegt es sicher nicht. In den Gebieten, in denen es viele Ausländer gibt, ist die AfD sehr schwach, weil die Bevölkerung dort realen Kontakt zu den Geflüchteten hat und erkennt, dass sie sich von uns nicht unterscheiden. Dort, wo wenige Flüchtlinge sind, ist die AfD hingegen sehr stark, weil es keine Berührungspunkte zu Migranten gibt und die Angst deshalb besser geschürt werden kann.
Die Ergebnisse der AfD werden jedoch zunehmend schlechter, weil die Leute wahrnehmen, dass inzwischen stramme Rechtsradikale der Partei angehören, Mitglieder der Identitären Bewegung, Mitglieder von rechtsradikalen Burschenschaften. Diese Verbindungen werden der Bevölkerung langsam deutlich – vor allem denjenigen, die Protest gewählt haben und keine Rechtsradikale sind. Ich denke, ein gewisser gesellschaftlicher Bodensatz von zirka zehn Prozent an wirklich überzeugten Rechtsradikalen wird weiterhin AfD wählen, da diese Gruppe bisher keine wirkliche politische Heimat hatte.
MdL Muthmann hatte angeregt, dass man dieser Debatte am einfachsten den Wind aus den Segeln nehmen könne, indem man Flüchtlinge möglichst schnell in Lohn und Brot bringt.
Richtiger Ansatz. Viele Migranten brennen darauf, Deutsch zu lernen und Arbeit zu bekommen. Das will die CSU aber mit allen Mitteln – warum auch immer – verhindern. Wir müssen aber versuchen, die Flüchtlinge, die über das Land verteilt sind, mit allen Mitteln in der Fläche verteilt zu halten. Wir haben die Chance, mit diesen Menschen von der Schließung bedrohte Schulen zu erhalten, Kindergärten auszubauen, den Fachkräftemangel abzumildern. Ankerzentren sind hier kontraproduktiv. Denn was passiert, wenn ich eine große Anzahl an Menschen zusammenziehe, wegsperre und ihnen die Perspektive nehme? …das kann man sich vorstellen. Der ministrierende, fußballspielende Senegalese ist wertvoll für uns, Herr Scheuer.
„Begrüßt mich ein AfD-Politiker, grüße ich zurück“
MdL Gibis hatte im Hog’n-Interview den Grünen vorgeworfen, dass sie eine Asylpolitik betreiben, die betonen würde, dass „jeder hierbleiben darf“.
Genau diese Aussage ist ein Beispiel dafür, wie die CSU Politik macht. Versucht man nur noch mit Lügen über Gegner zu punkten, ist das schlichtweg traurig – vor allem für eine Regierungspartei. Max Gibis ist lange genug im Innenausschuss, um zu wissen, was dort diskutiert wird. Betreibt man ernsthafte Flüchtlingspolitik, muss man sachlich bleiben und differenzieren.
Der eine Punkt: Afghanistan ist nicht sicher. Wer was anderes behauptet, soll dort einfach mal mit seiner Familie und ohne Bundeswehr-Schutz Urlaub machen. Wir können dahin keine Flüchtlinge abschieben. Der andere Punkt: Wer bei uns Straftaten im erheblichen Maße begeht, soll auch abgeschoben werden. Was wir aber nicht wollen, ist, dass jemand, der einen Einbruch begangen hat in ein Land abgeschoben wird, wo ihm Folter oder Tod drohen. Das ist unverhältnismäßig. Ich kann doch nicht jemanden für einen Diebstahl oder einen Einbruch in den Tod schicken.
Ihre Afghanistan-Argumentationslinie erinnert gerade etwas an die der Flüchtlingsgegner, die immerzu von den Flüchtlingshelfern fordern, dass diese doch die Asylbewerber bei sich zu Hause aufnehmen sollten…
Nein, denn hier gibt es einen gravierenden Unterschied. Zum Vergleich: Möchte jemand, dass irgendwo eine Straße gebaut wird, kann ich auch nicht zu demjenigen sagen: Bau sie Dir doch selber! Nein. Ich fordere als Bürger, dass die Politiker und die Regierung etwas unternehmen, damit die Straße gebaut wird. Hier kann man nicht entgegnen: Mache es doch selber. Ich baue als Bürger keine Schulen, keine Straßen und nehme auch keine Flüchtlinge auf. Das sind Staatsaufgaben.
Stellt jedoch ein Politiker eine Behauptung wie „Afghanistan ist sicher“ auf, kann ich als Bürger durchaus verlangen, dass er diese Aussage entsprechend untermauert.
Wie wollen Sie als Landtagsabgeordneter künftig mit Ihren AfD-Kollegen, von denen einige im Visier des Verfassungsschutzes stehen, im Gremiumsalltag umgehen?
„Jeder Mensch soll gleich viel wert sein“
Es ist ein großer Auftrag der Politik, das Land und die Gesellschaft zu einen. Dazu gehört auch, dass man Politisches und Persönliches trennt. Ich bekämpfe die Politik der AfD mit allen Mitteln, die ich habe. Ich bekämpfe aber nicht die Personen, die AfD-Politik betreiben. Heißt: Begrüßt mich ein AfD-Politiker, grüße ich natürlich zurück. Ein gewisser Anstand gehört sich – ich muss ja nicht gleich mit jedem ein Bier trinken.
Abschließend: Wie reagieren Sie darauf, wenn seitens der AfD etwa hetzerische Aussagen kommen, die wenig argumentativ, dafür sehr populistisch sind?
Ich denke, wir Grünen sind sehr gut damit gefahren, dass wir uns nicht am Gegner abgearbeitet, sondern gezeigt haben, welche Gesellschaft wir wollen. Wir wollen einen Landtag, der demokratische Spielregeln beachtet und eine Politik, die das Land eint. Jeder Mensch soll gleich viel wert sein. Diese positive Vision unserer Gesellschaft müssen wir vorantreiben – und nicht über jedes Stöckchen springen, das uns die AfD hinhält. Es gibt aber auch Grenzen. Werden rechtsextreme Parolen im Landtag verbreitet oder Minderheiten beleidigt, kann man das nicht unwidersprochen stehen lassen.
In diesem Sinne – alles Gute für Ihre erste Legislaturperiode im bayerischen Landtag.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer
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