Unzählige freie Lehrstellen, Fachkräftemangel: Handwerksbetriebe in der Region haben es definitiv nicht leicht. Das Ausbildungsjahr 2021 verbuchte in Niederbayern und der Oberpfalz laut Handwerkskammer zwar ein leichtes Plus in Sachen Ausbildungsverträge um 2,14 Prozent – noch immer aber gibt es viel weniger neue Auszubildende als vor der Pandemie. Ende April 2022 waren noch 535 Ausbildungsstellen in Niederbayern frei. „Wir haben im Laufe der letzten 15 Jahre einen massiven Schülerrückgang von etwa 79 Prozent zu verzeichnen. Mittlerweile haben wir uns auf niedrigem Niveau stabilisiert. Ein Aufwärtstrend ist momentan nicht zu erkennen“, sagt Lothar Graf, Abteilungsleiter „Ernährung“ an der Staatl. Berufsschule Passau.
Es stellen sich unweigerlich die Fragen: Wo ist es besonders schwierig? Wo sind Lichtblicke erkennbar? Das Onlinemagazin da Hog’n will in einer Serie über Sanitärfachleute, Schreiner, Maler und andere Berufszweige berichten, die täglich „Hand anlegen“. In Teil 4 stellen wir eine kleine Bäckerei vor, die sich erfolgreich gegen die Konkurrenz behauptet.
___________________
Waldkirchen. Ganz versteckt in einem Hinterhof im kleinen Dorf Stadl bei Waldkirchen liegt sie: die Landbäckerei Hermann. Seit 36 Jahren führt dort Ludwig Hermann den kleinen Familienbetrieb – und das überaus erfolgreich. Das Geheimnis: keine Expansion, keine Filialen. Stattdessen: Lieferservice bis vor die Haustüre.
Den kleinen Verkaufsraum der Landbäckerei Hermann kennen nur diejenigen, die vor allem an Samstagen hier vorbeikommen und sich Semmeln, Brot und Gebäck abholen. Der Großteil der Kundschaft kauft allerdings nicht vor Ort, sondern direkt am Verkaufswagen der alteingesessenen Bäckerei ein. Mehr als ein Duzend unterschiedlicher Touren absolvieren die Fahrer die gesamte Woche über. Im Umkreis von etwa fünfzehn Kilometern rund um das kleine Dorf kennen die Bewohner den Lieferwagen schon von Weitem.
„Backen braucht Zeit, es darf nicht pressieren“
„Von Anfang an haben wir unsere Ware ausgefahren“, erzählt Seniorenchef Ludwig Hermann. Er war es, der den heimischen Bauernhof in den 80er-Jahren in eine Bäckerei umwandelte: „1983 haben wir den Hof aufgelöst“, erinnert er sich. Zuvor hatte er neben seiner Arbeit als Bäcker in der Landwirtschaft gearbeitet. „Mein Ziel war bereits in der Lehre, irgendwann meinen Meister zu machen.“ 1986 wagte Hermann den Schritt in die Selbständigkeit – mit einer kleinen Backstube im ehemaligen Stall.
Und noch immer ist der 73-Jährige morgens da, wenn die Semmeln, Brote und Krapfen zubereitet werden. Zwar schon in Rente – aber so richtig loslassen kann er noch nicht. Auch seine Frau Beate hilft nach wie vor mit im Unternehmen. Chefin ist aber längst Stefanie Hermann, die Tochter.
„Eigentlich wollte ich Altenpflegerin lernen“, sagt die 45-Jährige. „Aber dann habe ich mir gedacht: Du wärst doch blöd, wenn du nicht daheim im Betrieb lernst.“ Und so wurde auch aus ihr eine leidenschaftliche Bäckerin. „Brot ist empfindlich, das musst du mit Gefühl behandeln“, weiß sie. Dieses Gefühl für die richtige Konsistenz des Teiges, für die optimale Temperatur beim Backen – all das müsse einem Bäcker ins Blut übergehen. „Backen braucht Zeit, es darf nicht pressieren.“
„Wir kaufen nichts zu, machen alles selbst“, betont Stefanie Hermann. Backmischungen setze der kleine Betrieb nur im Ausnahmefall ein: „Nur da, wo wir zum Beispiel besonderes Getreide brauchen, das wir selbst nicht mahlen können“, sagt die Bäckerin. Den Sauerteig für ihre Brote setzt sie selbst an, die Zeit dafür nimmt sie sich gerne. Daraus entsteht beispielsweise das Brot mit dem Namen „Opa Ludwig“: aus nichts anderem als Roggenmehl, Wasser, Gewürz und Sauerteig.
„Familienbetrieb durch und durch“
Auch Stefanie Hermanns Schwester Katrin ist immer da, wenn sie gebraucht wird: „Wir sind ein Familienbetrieb durch und durch“, erklärt die Chefin mit einem Lächeln. Ihr Ehemann Markus Atzinger ist seit mittlerweile 16 Jahren das Gesicht der Stadler Landbäckerei: Als Verkaufsfahrer kennen ihn die meisten Kunden. Er ist es, der alle Touren im Blick hat, sie immer wieder erweitert.
Bei seinen „Frühstückstouren“ hängt er die Tüten mit Semmeln und Brot an die Haustüren der Kundschaft. Mittags beliefert er Firmen in der Umgebung. Er steht mit dem Verkaufswagen in den Dörfern und wartet dort auf seine Abnehmer. „Und wenn die eine oder andere ältere Kundschaft nicht mehr zu mir an den Verkaufswagen kommen kann, bringe ich ihr gerne die Semmeln ins Haus“, berichtet er.
Worauf sich die Landbäckerei Hermann verlassen kann, ist zum einen die Belegschaft: von Anfang an mit dabei im Verkaufsteam ist das Ehepaar Maria und Rudi Blöchinger. Jeden Samstag fahren sie ihre Touren. Fahrerin Tanja Puffer war bereits als Kind immer mit ihrem Opa bei den Lieferfahrten dabei – später hat sie selbst das Lenkrad in die Hand genommen.
Eine weitere Konstante: Die Fahrer treffen vor allem auf Stammkundschaft. „Da sind Leute dabei, die kaufen seit fast 30 Jahren bei uns ein“, teilt Markus Atzinger mit. „Das ist schon etwas Besonderes.“ Mit den Verkaufszahlen sei man bis dato meist sehr zufrieden gewesen, sagt Seniorchef Ludwig Hermann. „Es gibt natürlich immer bestimmte Zeiten im Jahr, wo die Leute weniger Süßes oder Kuchen kaufen“, weiß er und ergänzt: „Aber insgesamt läuft das Geschäft sehr konstant“.
Nur acht neue Bäcker für zwei Landkreise
Kein Grund zum Klagen also im Bäckergewerbe? Wie in allen anderen Handwerksbereichen ist es auch bei Stefanie Hermann das Thema Personal, das ihr ein klein wenig Sorgen bereitet: „Wir haben zwei Bäcker, die bald in Rente gehen werden“, berichtet sie. „Nachfolger zu finden, wird wohl ein Problem werden.“ Seit etlichen Jahren finden sich auch in der Landbäckerei Hermann keine jungen Leute mehr, die gerne eine Ausbildung absolvieren würden.
2021 gab es laut einer Pressemitteilung des Landtagsabgeordneten Manfred Eibl (FW) in Freyung-Grafenau und Regen zusammen (!) nur acht Bäckerabschlüsse. Die 65 Bäckerbetriebe in den beiden Landkreisen werden sich um diese wenigen Gesellen streiten. Größere Unternehmen wie die Bäckerei Pilger setzen seit Jahren darauf, den Mangel an Fachkräften durch ausländische Mitarbeiter – unter anderem aus Tschechien und Kroatien – auszugleichen.
Manchmal hilft aber auch der Zufall: Vor Kurzem hat Stefanie Hermann eine Bäckerin wieder getroffen, die sie aus ihrer Lehrzeit kennt. „Und jetzt arbeitet sie halbtags bei uns“, teilt die Chefin erfreut mit.
Ein familiär geführtes Geschäft wie die Landbäckerei Hermann muss aber noch an eine ganz andere Frage denken: Was passiert, wenn die aktuell Verantwortlichen irgendwann in Rente gehen? Die Hermann-Töchter sind mit dem Betrieb aufgewachsen: „Ich hatte sie auf den Verkaufstouren immer mit dabei“, erzählt Markus Atzinger. Ob sie irgendwann die Firma übernehmen wollen, ist allerdings unklar. „Sie sollen ihr Leben jetzt mal leben und das machen, was sie machen möchten“, sagt die Mutter. „Zurückkommen können sie jederzeit.“
Was bringt die Zukunft?
Der große Vorteil der Mikro-Bäckerei: Sie ist nicht darauf angewiesen zu expandieren. „Wir sind relativ flexibel, ob wir mehr oder weniger machen wollen“, erklärt Stefanie Hermann. Die Corona-Zeit habe man zwar durchaus gespürt, weil Feste und Veranstaltungen ausgefallen sind, existenzgefährdend war sie aber nicht.
„Bäcker ist so ein abwechslungsreicher Beruf“, weiß Ludwig Hermann. „Man muss nicht nur Maschinen bedienen können. Man ist auch künstlerisch gefordert, darf immer neue Ideen entwickeln.“ Er ist und bleibt Handwerker mit Leib und Seele. Auch in der Rente. Dem Seniorchef würde das Herz wohl am meisten bluten, wenn es den kleinen Betrieb in Stadl irgendwann nicht mehr gäbe.
Sabine Simon