Falkenstein/Bayerischer Wald. „War mein Großvater ein überzeugter Nazi – und somit Täter?“ – diese Frage beschäftigte (und beschäftigt immer noch) wohl eine gesamte Generation. Dazu zählt auch Birgit Brantl-Schwaiger. Doch während viele den Mantel des Schweigens über die Vergangenheit ihrer zur Zeit des Zweiten Weltkrieges lebenden Vorfahren breiten – aus Desinteresse oder gar aus Angst davor, Dinge zu erfahren, die man nicht wissen möchte -, ist die in München lebende Geschichtslehrerin einen anderen Weg gegangen. Die 67-Jährige hat sich intensiv mit dem Leben ihres Großvaters Rudolf Thum auseinandergesetzt.
Der einstige Lehrer (1900-1970) ist Ehrenbürger der Gemeinde Falkenstein im Vorderen Bayerischen Wald. Ein angesehener Mann, nach dem inzwischen sogar eine Straße benannt worden ist. Der Oberpfälzer war aber auch NSDAP-Mitglied, Kriegsteilnehmer und u.a. für die Versorgung der Soldaten an der Ostfront zuständig. Er war also mittendrin im Geschehen des verbrecherischen Regimes und dessen Gräueltaten. Was wusste, sah und tat Rudolf Thum genau während der NS-Zeit? Seine Enkelin hat sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt und das Ergebnis im neu erschienenen Buch „Mein Großvater Rudolf Thum – Spuren eines bewegten Lebens in Ostbayern 1900-1970“ veröffentlicht. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n blickt die Autorin auf ihre Recherchen.
„Ich hatte ein bisschen Angst davor, was rauskommen würde“
Frau Brantl-Schwaiger: Welche Gefühle haben Ihre Recherchen und das Schreiben des Buches über Ihren Großvater begleitet? Zunächst einmal wird wohl die Neugierde überwogen haben…
Ich habe mich mit der Biographie meines Großvaters auseinander gesetzt, weil ich tatsächlich seine Rolle im Nationalsozialismus für mich klären wollte. Was hat er getan, wie hat er sich schuldig gemacht, wie ist er später damit umgegangen – das hat mich interessiert und da hatte ich natürlich ein bisschen Angst davor, was rauskommen würde. Dann aber fand ich es auch sehr spannend und berührend, die Zeitdokumente sprechen zu lassen. Ich konnte mir immer besser den zeitgeschichtlichen Kontext vorstellen und die darin Handelnden verstehen, so sind mir meine Großeltern viel näher gekommen. Gerade mein Opa, den ich nicht wirklich kennen gelernt habe, ist für mich lebendig geworden. Ich habe mich in ihn, in seine Lage, hinein zu versetzen versucht – und bedauere unendlich, dass er so früh verstorben ist.
Wie viele Hürden mussten sie – innerhalb der Familie und innerhalb ihres Gewissens – überwinden, um derart in das intime Privatleben ihres Opas und somit ihrer komplett Verwandtschaft einzudringen – und das dann auch noch öffentlich zu machen?
Meine Familie hat mir – ehrlicherweise aus Desinteresse – bei meinem Projekt keinerlei Steine in den Weg gelegt. Nur meine über 90-jährige Mutter hat sich sehr dafür interessiert – und ohne ihre lebhafte Erinnerung wäre das Buch wohl gar nicht entstanden. Mein Großvater ist vor einem halben Jahrhundert gestorben, da gibt es kaum noch Zeitzeugen, die Erinnerung verblasst – auch dem wollte ich mit meinem Buch etwas entgegensetzen. Jetzt will die ganze Familie und Verwandtschaft die Thum-Biographie haben – das freut mich natürlich, denn ich wünsche dem Buch ja viele Leser.
Sie haben viele wichtige Eckpunkte der Biographie von Rudolf Thum ausfindig machen können. Einige Fragen, vor allem hinsichtlich der tatsächlichen nationalsozialistischen Einstellung ihres Großvaters, bleiben jedoch offen…
Für mich ist der Fall Rudolf Thum durch diese Auseinandersetzung abgeschlossen: Ich weiß nun, dass er von den 30er Jahren bis in den Krieg hinein viel mehr als ein Mitläufer war, er wollte aktiv dem Hitler-Regime dienen – was er bis zum Ende sehr effizient, diszipliniert und pflichtbewusst getan hat. Er kam zutiefst desillusioniert und als gebrochener Mann aus dem Krieg zurück – und nach allem, was ich indirekt über ihn erfahren habe, war er sich im Klaren über seine Schuld.
„Er war ein Täter“
Dass er eine tiefe und echte Gläubigkeit entwickelte und sich dem jungen demokratischen Staat mit Haut und Haar als Pädagoge zur Verfügung stellte, betrachte ich als Zeichen seines Gesinnungswandels. Ja, er hatte sich bewusst entschieden, dem mörderischen Nazi-Regime zu dienen. Er war ein Täter. Aber er hat sich später zu seiner Schuld bekannt und ehrlichen Herzens bereut. Das macht das Geschehene nicht ungeschehen, aber es hat mich mit ihm gewissermaßen „versöhnt“…
Beschäftigt Sie die Suche nach den Antworten weiterhin?
Die Geschichte des Nationalsozialismus, des Kriegs, des Holocausts waren schon vorher und sind weiterhin meine zentralen historischen Interessensgebiete, insbesondere beschäftigen mich hierbei Fragen nach Verantwortung, Schuld und Sühne, Weiterleben…
Verstärkt gerät diese Zeit, heruntergebrochen auf die lokale Ebene, also „Heimatgeschichte“, in den Fokus meiner Aufmerksamkeit – auch wenn ich selbst Münchnerin bin, fühle ich mich Falkenstein als der Heimat meiner Eltern und Großeltern väter- und mütterlicherseits verbunden. Zurzeit recherchiere ich über den dortigen Pfarrer Josef Heigl. Ich beschäftige mich aber auch mit Opferbiographien, bin z.B. in einem Biographie-Team, das Lebensläufe von Holocaust-Überlebenden zu rekonstruieren versucht.
Wie haben Sie eigentlich Rudolf Thum selbst noch kennengelernt?
Ich war nur als Kind in den Ferien in Falkenstein, da haben mein Bruder und ich vor allem mit den Cousins und Cousinen gespielt, die Oma kochte Essen, aber der Opa war immer sehr distanziert. So war zumindest mein Eindruck. An Gespräche mit ihm kann ich mich nicht erinnern, er war eher unnahbar, jedenfalls glaubten wir Kinder das.
„Er ist als Person nun präsenter für mich“
Haben Sie nun, nach der Vollendung des Buches, ein anderes Bild von ihrem Großvater als zuvor?
Ich hatte vorher höchstens ein sehr verschwommenes Bild von ihm, jetzt ist er als Person viel näher, viel präsenter für mich.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute.
Das Gespräch führte: Helmut Weigerstorfer
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In Zusammenhang mit dem Südost-Verlag (Battenberg-Gietl Verlag) verlosen wir 3 x 1 Buch über Rudolf Thum. Wie Ihr mitmachen könnt? Schreibt einfach eine Mail mit dem Betreff „Thum“ samt Euren Kontaktdaten an info@hogn.de. Einsendeschluss ist Donnerstag, der 29. Oktober, 12 Uhr. Viel Glück!