München/Kreuzberg. „Der Bayerwald ist für mich Ort des Nachdenkens, immer wieder auch Ort der inneren Neuorientierung, des Abstands und auch der Ruhe“, sagt Autor Klaus Plab, der eigentlich Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse ist. In seinem im Freyunger Lichtland-Verlag erschienen Buch „Des Menschen Seele – Werden und Sein im Spiegel der Natur“ verbindet er beides: seine beruflichen Einflüsse und die Natur des Bayerischen Waldes. Da Hog’n hat sich mit dem in Ebersberg bei München praktizierenden Seelenschauer u.a. darüber unterhalten, wie es soweit kommen konnte, dass wir im Laufe der Zeit das Gefühl verloren haben, dass Körper und Geist des Menschen Teil der Natur sind…
Ganz allgemein gefragt, Herr Plab: Worum geht es in ihrem Buch „Des Menschen Seele – Werden und Sein im Spiegel der Natur“ – und wen möchten Sie damit erreichen?
Das menschliche Leben verläuft in körperlicher und seelischer Hinsicht wie das Leben in der Natur. So wie Pflanzen keimen, sich entwickeln, den Widrigkeiten der Natur widerstehen, so müssen auch wir Menschen unser Leben in den verschiedenen Phasen des Lebens bestehen – und mit ihnen zu Recht kommen.
„Meditation über seelische Entwicklung und Natur des Menschen“
Das Buch schlägt einen Bogen vom Anbeginn des Lebens bis zum Ende, vom Frühjahr bis zum Winter, und schildert hierzu das Werden der menschlichen Seele, die seelischen Entwicklungsaufgaben des Lebens in seinen verschiedenen Phasen – bis zum „Winter“ des Lebens. Jeder, der sich mit der seelischen Entwicklung des menschlichen Lebens auseinandersetzt und die Parallelen hierzu in der Natur für sich entdecken mag, findet hierfür Anregung in diesem Buch. Es kann eine Meditation über seelische Entwicklung und die Natur des Menschen sein, fotografisch eingefangen in Bildern aus dem Bayerischen Wald.
Gegliedert ist es nach den vier Jahreszeiten. Warum haben Sie sich für diese Unterteilung entschieden?
Die Natur beginnt im Frühjahr mit üppigem Grün, das keimt und jedes Jahr aufs Neue wieder neues Leben schafft. Im Herbst und Winter kommt diese Entwicklung zum Stillstand, Pflanzen sterben ab, die Natur ruht. Dieser Verlauf, der jedes Jahr wieder zu erleben ist, ist für das Buch ein willkommenes Bild für den Lauf des menschlichen Lebens geworden, so wie wir im „Frühjahr des Lebens“ neu geboren werden, uns entwickeln, so wie wir im „Sommer des Lebens“ das Leben in vollen Zügen genießen können, unsere Möglichkeiten voll ausspielen können, so lassen im Herbst die Kräfte nach und es gilt sich mit dem bevorstehenden Winter auseinander zu setzen.
Sie kommen vom Fach, sind Psychotherapeut und Psychoanalytiker – immer wieder beziehen Sie sich in ihrem Buch auf Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse. Wie aktuell sind seine Ansichten heute immer noch?
Die psychoanalytische Theorie und Behandlung, die heute etabliert sind, unterscheiden sich zum Teil wesentlich von den Gedanken und Theorien Freuds. Die psychoanalytische Vorgehensweise beinhaltet heute moderne Forschungsinhalte, beispielsweise zur therapeutischen Beziehung, zur Entwicklungspsychologie, zur Entwicklung von seelischer Struktur und der Persönlichkeit und kann sich auf mittlerweile fast 100 Jahre Forschung und Wissen dazu stützen. Freuds Forschung zu den Phasen der menschlichen Entwicklung, zu den Motivationen menschlichen Tuns und insbesondere zur Bedeutung des Unbewussten auf unser Erleben und Verhalten sind jedoch noch immer Basiswissen, das Theorie und Behandlung noch heute beeinflussen. In dieser Hinsicht sind viele seiner kreativen Ideen noch heute verwendbar und verstehbar.
„Vielleicht eine ältere Buche an einem Lusenhang“
Sie schreiben, dass Körper und Geist des Menschen Teil der Natur sind – uns das Gefühl dafür jedoch über die Jahrhunderte verloren gegangen ist. Wie konnte das geschehen?
Die nach der Aufklärung beginnende technische Revolution, die medizinische Forschung und Entwicklung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und danach, sowie die Fortentwicklung von Medizin und Technik haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir begannen, abstrakter, wissenschaftlicher und kognitiver an unser Leben und unser Erleben heran zu gehen. Eher unbemerkt hat sich das Ideal im Menschen eingeschlichen, die Natur, damit auch die menschliche, seien beherrschbar geworden.
Zudem haben sich auch in der Psychologie und in der Psychotherapie in den letzten Jahrzehnten eher die kognitiven Strömungen durchgesetzt, die ein mehr intellektuelles und kognitives Umgehen mit dem Menschsein bedeuten. Die Digitalisierung schuf eine neue Welt, abseits von der realen Natur – viele Menschen leben lieber in einer virtuellen Welt, als in der realen Natur draußen. So wurde die Natur mehr zu einem ent-emotionalisierten „Ding“, dem man unendlich Energie, Nahrung und Substanz zu entnehmen können glaubt; gleichzeitig ist die Sensibilität für das Wesen und die Eigenarten und das Schutzbedürfnis der Natur verloren gegangen. Damit ging auch das Gefühl, Teil der Natur zu sein, eben wie beispielsweise ein Baum ein biologisches Wesen zu haben, nahezu verloren.
Sie verwenden für die menschliche Entwicklung immer wieder die Metapher des Baums, der sich mit der Zeit verändert. Wie würden Sie selbst sich „auf Bäumisch“ beschreiben? Welcher Baum sind Sie geworden?
Das ist eine nette Frage, die mich selbst ins Nachdenken bringt; aufgewachsen in eher schwierigem Terrain – mit einer Reihe widriger Einflüsse – entstand ein Baum, den ich als knorrig, wettergegerbt, eigenwillig, mit kräftiger Krone und noch grünem Laub beschreiben würde. Vielleicht eine ältere Buche an einem Lusenhang.
„Der Bayerwald ist für mich Ort des Nachdenkens“
Warum könnte Ihr Buch gerade in der sog. Corona-Krise von besonderer Bedeutung sein? Denken Sie, dass der Prozess des „inneren Erwachens“ auch jetzt bei vielen Menschen vonstatten geht?
Ja, das denke ich schon – noch nie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Zeit, die Menschen so in Ruhe und Rückzug versetzte, wie die aktuelle Pandemie. Bei vielen Patienten erleben wir jetzt, dass sie ihr bisheriges Leben mit ständiger Betriebsamkeit und mit Konsum hinterfragen. Freilich wäre es auch fein, wenn nach dem Wiederaufkeimen der Betriebsamkeit das Buch eine Zeit des Nachdenkens immer wieder mal möglich machen könnte, wenn mehr Bewusstsein für den Umgang mit Natur und Zeit erhalten bleiben könnte.
Sie praktizieren in München, leben zeitweise im Bayerischen Wald. Warum der Bayerische Wald? Was hat Sie hierher verschlagen? Und: Welche Bedeutung hat er für sie mittlerweile?
Es ist meine persönliche Geschichte, die mich bereits früh, als Kind, immer wieder in den Bayerischen Wald geführt hat. Es gab keine Zeit in meinem Leben, in der ich den Kontakt zum Wald verloren hätte. Vielmehr wurde er in den letzten Jahrzehnten dann so eng und so zum Bedürfnis, dass ich mir zusammen mit meiner Frau einen Rückzugsort, einen Platz, an dem wir uns immer aufhalten, wenn möglich, geschaffen haben. Der Bayerwald ist unverändert und vielleicht sogar mehr denn je emotional für mich hoch besetzt – und meist sind es nicht allzu viele Tage der geschäftigen Betriebsamkeit in der Großstadt bis wieder das Bedürfnis, hierher zu kommen, auftaucht. Der Bayerwald ist für mich Ort des Nachdenkens, immer wieder auch Ort der inneren Neuorientierung, des Abstands und auch der Ruhe.
„Hier helfen Freunde und ein gutes soziales Netz“
Welchen Ratschlag haben Sie für all diejenigen Menschen, die sich zur Corona-Zeit entmutigt und niedergeschlagen fühlen, die – aus welchen Gründen auch immer – vielleicht auch etwas die Hoffnung verloren haben?
Mein erster Reflex, auf diese Frage zu antworten, ist freilich ein beruflicher: Es gibt nichts Wertvolleres als sich einen Raum für Nachdenken und Reflexion unter Begleitung eines neutralen und professionellen Partners zu schaffen – wie in der Psychotherapie. Sie ist ja nicht nur Behandlung bei seelischem Leiden, sie ist auch immer Möglichkeit, über sich, sein Leben, seine Perspektiven und seine Möglichkeiten nachzudenken, sich neue Impulse zu holen. Freilich schaffen es viele Menschen aber auch, sich selbst wieder zu ermutigen, sich Hoffnung zu holen – allerdings ist dies alleine nicht immer so einfach.
Hier helfen Freunde und ein gutes soziales Netz – die Erfahrung, dass es einem wie so vielen geht, dass wir alle immer wieder neue Hoffnung schöpfen müssen, dass wir alle im Leben immer wieder Mut fassen und weiter kommen müssen, lässt sich mit anderen Menschen viel leichter machen, als alleine. Hier leben wir zum Glück in einer Zeit, in der Kontakt zu anderen jederzeit möglich ist und gut tun kann. Am besten geht dies vielleicht, wenn man mit einer guten Freundin oder einem guten Freund einen ausgedehnten Spaziergang im Bayerwald macht.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Bleiben Sie dem Wald verbunden.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer