München/Manila. Somalia, Afghanistan, Uganda, Irak, Osttimor, Darfur – und natürlich Syrien. „Der dortige Bürgerkrieg hat an Brutalität unglaublich zugelegt“, berichtete der auf den Philippinen beheimatete Kriegsreporter im Dezember 2012 den Lesern des Onlinemagazins da Hog’n, als er gerade wieder einmal aus der nordsyrischen Stadt Aleppo zurückgekehrt war. Seitdem lässt ihn dieser Konflikt mit seinen weltweit spürbaren Auswirkungen nicht mehr los. Kaum ein Journalist hat mehr Zeit in Syrien und im Irak verbracht als der 43-Jährige. Die Erlebnisse der letzten fünf Jahre hat er nun in einem Buch veröffentlicht. Titel: „Die Schatten des Morgenlandes – Die Gewalt im Nahen Osten und warum wir uns einmischen müssen.“ Ein Interview über Abenteurertum, Hass und die Folgen „falscher Politik“.
- Aleppos Front. Das Viertel KArm el Jebel ist fast voellig zerstört.
Carsten Stormer: Wer sollte Ihr neues Buch auf keinen Fall lesen?
Ich finde, jeder sollte mein Buch lesen. Ich bin der Autor. Und ich glaube daran, dass man etwas von meinen Erfahrungen lernen, Schlüsse ziehen, verstehen kann. Man muss mir nicht zustimmen. Aber ich glaube, es lohnt sich, zuzuhören. Ich bin natürlich befangen und sage: Jeder sollte mein Buch lesen.Und ich hoffe, dass es auch viele Leute lesen. Da stecken fünf Jahre Arbeit und Recherche in diesem Buch.
„Wir haben ohnehin zu viel Entertainment, Berieselung“
Sie sagen, Sie sind u.a. deshalb Journalist geworden, um Abenteuer zu erleben und durch die Welt zu reisen. Warum haben Sie nicht auf einem Kreuzfahrtschiff als Animateur angeheuert? Oder als Steward bei einer internationalen Airline?
Weil ich auch sehr schnell gemerkt habe, dass nur Abenteuer erleben auf Dauer langweilig ist. Das nutzt sich ab. Ich will auch Wissen vermitteln, Verständnis schaffen, Zusammenhänge erklären. Eine Kreuzfahrt wäre für mich eine Qual. Da lerne ich wenig. Wir haben ohnehin zu viel Entertainment, Berieselung. Das lenkt von den wichtigen Dingen im Leben ab.
Der Satz des Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel ist zu Ihrem Leitmotiv geworden. Er hat gesagt: „Ich habe geschworen, nie leise zu sein, wann immer und gleichgültig wo Menschen Leid und Erniedrigung erdulden müssen.“ Ist die Welt Ihrer Meinung nach derzeit ein sehr lauter Ort? Vielleicht sogar lauter als je zuvor?
Es wird viel geschrien, aber doch sehr wenig gesagt. Wir haben die neuen Rechten. Die Populisten, die das Volk mit einfachen Lösungen für komplexe Probleme ködern. Was das tatsächlich bringt, kann man zur Zeit in Amerika beobachten. Es wird viel Hass gestreut. Eine Stimme wie die von Elie Wiesel wäre dringend nötig.
Darfur, Somalia, Kongo, Afghanistan, Irak… Allesamt sogenannte Krisengebiete, die diesen Titel teils seit Jahrzehnten tragen – und in denen Sie in den vergangenen Jahren unterwegs waren. Was muss passieren, damit diese Länder diesen Titel wieder loswerden? Ist das überhaupt denkbar?
Zurzeit ist das schwer denkbar. Die Ursache der Probleme, die wir heute haben, liegen viel tiefer in der Vergangenheit. Das sind Konsequenzen von Entscheidungen und falscher Politik, die vor vielen Jahren getroffen worden sind. Viele Jahre wurden diese Probleme ignoriert oder schön geredet.
„Meine Arbeit gibt mir Erfüllung. Ebenso wie meine Familie“
Sie schreiben, dass Sie im Jahr 2015 mehr Zeit im Irak verbracht haben als zu Hause bei Ihrer Frau und Ihrem noch recht jungen Sohn. Wenn Sie unterwegs sind, denken Sie zwar an fast nichts anderes als Ihren Sohn. Sobald Sie jedoch zu Hause sind, verbringen Sie die meiste Zeit in Ihrem Büro. „Wie ein Besessener, der mit dem Kopf überall ist, nur nicht an dem Ort, an dem er sich gerade aufhält.“ Klingt nach einem sehr zerrissenen Menschen, finden Sie nicht?
Klingt nach einem Menschen, der sehr frustriert ist und zu viel auf einmal will. Ich arbeite aber daran, eine Balance zu finden. Meine Arbeit gibt mir Erfüllung. Ebenso wie meine Familie.
Wer oder was rettet Sie dennoch, wenn Sie sich verloren fühlen?
Mein Sohn, meine Familie, Freunde, Bücher, gute Filme, Musik. Ich fühle mich aber inzwischen selten verloren oder verzweifelt.
Bei all dem Leid, das Sie auf Ihren Reportage-Reisen durch syrisches Kriegsgebiet gesehen haben: Gibt es da auch Momente der Hoffnung?
Hoffnung ist etwas, was ich mir nicht leisten will. Aber leise Zuversicht. Trotz aller Probleme ist die Welt von heute ein besserer Ort, als noch vor dreißig Jahren. Die Geschichte zeigt auch, dass die Menschheit lernfähig ist. Ich bin zuversichtlich, was die Zukunft anbelangt. Trotz aller berechtigten Sorgen. Die aktuelle Situation ist ein Test an die Gesellschaft. Ich glaube, den meistern wir. Einfach wird es jedoch nicht.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen – und weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer
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