Der Stimmenfang um die Bayerische Landtagswahl 2018 kommt langsam aber sicher in die heiße Phase. Das heißt, das parteieigene Programm wird geschärft und in regelmäßigen Abständen möglichst medienwirksam kundgetan. Dabei sollen Stammwähler auch solche bleiben und – im Idealfall – Wähler aus anderen Parteien ins eigene Lager überwechseln. Ergo: Je breiter die eigene Programmatik und je flexibler die politischen Positionen, desto besser die Erfolgsaussichten. So die Theorie. Dass eine solch programmatische Dehnübung schnell in einer völkischen Verrenkung enden kann, beweist derzeit die bayerische CSU – und das Schweigen ihrer Lämmchen.
Rückblende: Wir schreiben Mittwoch, den 18. April. Neu-Ministerpräsident Markus Söder liefert zu Beginn seiner Regierungserklärung eine blau-weiße Bestandsaufnahme:
„Bayern geht es gut. Wie ist der Stand heute? Bayern erlebt goldene Zeiten: Bayern ist stark. Bayern wird größer. Bayern ist solide. Bayern ist sicher. Bei uns ist die Welt noch in Ordnung und sie soll es auch bleiben […] Bayern ist besser als alle anderen, aber es kann noch besser werden. Wir wollen nicht einfach das Maximale, sondern das Beste für Bayern.“
Blau-weiße Einigkeit also: Nicht schlecht! In diesen eher von Krisen und Unsicherheit geprägten Zeiten, können nicht viele Regionen offen und ehrlich behaupten: „Uns geht’s gut!“. Der Freistaat kann’s. In Bayern blicken wir auf prallgefüllte Staatskassen, mit Reserven von rund sechs Milliarden Euro. Die Kriminalitätsrate in Bayern ist auf einem 30-Jahres-Tief, die Arbeitslosenquote im Freistaat verschwindend gering. Und künftig soll mit der „Bavaria One“ an der TU Ottobrunn sogar das erste bayerische Raumfahrtprogramm entstehen. Nicht schlecht, nicht schlecht…
Im Süden nichts Neues
In glorreichen Zeiten wie diesen kann man ruhig auch den anderen etwas abgeben, stimmt’s Herr Söder!? „Wir helfen anderen wirklich gerne“, heißt es hierzu in der Regierungserklärung mit dem wohlklingenden Titel „Das Beste für Bayern“. Und weiter: „Aber wir dürfen die einheimische Bevölkerung nicht vergessen.“ Nun gut, selbstverständlich. Brot für die Welt, aber die Wurscht bleibt da. Im Süden nichts Neues…
Doch dieses formell sanft daherkommende „Bavaria first“ ist in praktische Politik übersetzt dann oftmals gar nicht mehr so kuschelig: Bayerisch ist vor allem jüdisch-christlich geprägt, ohne Islam. Gegenüber Flüchtenden lautet die oberste Norm: „Keine falsche Solidarität“. Die „Anti-Abschiebe-Industrie“ gilt es zu bekämpfen. Familiennachzug abgeschafft. Nicht zuletzt sollen Flüchtende künftig an der Grenze zu Deutschland direkt abgewiesen werden dürfen. So zumindest sieht es Söders bzw. Seehofers „Masterplan für Migration“ vor, welcher unlängst hätte vorgestellt werden sollen.
Da lädt man dann auch gern den ungarischen Vorzeige-Antisemiten ins eigene Haus ein – trotz aller Kritik sorge dieser wenigstens dafür „unsere europäischen Außengrenzen zu sichern“, wie CSU-MdB Alois Rainer im Hog’n Interview jüngst verlautbarte. „Das Beste für Bayern“ ist demnach eine Melange aus christlicher Folklore und einer guten Portion Nationalismus: Lieber Herrgott, wir danken dir, dass die Neger hungern und nicht wir…
Natürlich sind die steigenden Zuwanderungszahlen der letzten Jahre eine Herausforderung. In Bayern wie anderswo. Für eine gelungene Zuwanderung braucht es jede Menge Ressourcen, von der Registrierung über Sprachunterricht bis hin zur Integration in den Arbeitsmarkt. Das ist eine gigantische Aufgabe. Und natürlich sind unter Geflüchteten auch Menschen, deren Asylstatus äußerst fragwürdig ist. Die vielleicht nach Deutschland gekommen sind, nicht weil sie unmittelbar vor Verfolgung fliehen, sondern einfach in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Aber kann es jemand, der seine bayerische Heimat in so großen Tönen lobt, anderen Menschen im selben Atemzug verübeln, dass sie gerne zu uns kommen möchten!?
Der Flüchtling, das ist der Anti-Mensch
Ein Paar Jahre ist es her, da galt es als „ehrenhaft“ und „gutmütig“, wenn man Geflüchtete am Bahnhof begrüßte, sie mit dem Allernötigsten versorgte. Für manche war das ein simpler Ausdruck von Nächstenliebe. Gegen Flüchtlinge war vielleicht mal jemand nach dem achten Bier.
Keine drei Jahre hat es gedauert bis aus den Ehrenamtlichen die „Willkommensklatscher“ wurden und der Begriff „Gutmensch“ zum Schimpfwort wurde. Deutschnationale und Rassisten bedrohen im Mittelmeer mittlerweile regelmäßig Hilfsorganisationen, die Flüchtende vor dem Ertrinken retten wollen. „Der Flüchtling“ avancierte im Verlauf der letzten Jahre fortschreitend zur Inkorporation des Bösen. Die Begrenzung der Zuwanderung kann man mittlerweile selbst als Partei mit „christlich“ und „sozial“ im Namen als Erfolg verkaufen.
Im Wortlaut klingt das dann so: „Der Gesetzentwurf trägt klar eine christsoziale Handschrift und schränkt die Zuwanderung nachhaltig ein“ (Gesetzesentwurf zur Begrenzung des Familiennachzuges, CSU). Ja, lesen Sie diesen Satz ruhig zweimal.
Dass ein Großteil jener Menschen, die zu uns kommen, immer noch aus der Hölle auf Erden flüchten, sich vom Krieg traumatisiert mit ein paar Klamotten ausgestattet in die Hände eines Schleppers begeben, der sie je nach Gutdünken vielleicht in eine bessere Welt bringt, vielleicht aber auch einfach elendig verrecken lässt; für diese Weltsicht ist in einer CSU im Wahlkampfmodus kein Platz. Der Flüchtling, das ist der Schmarotzer, der Vergewaltiger, der Anti-Demokrat, der Anti-Mensch. Zum Wohle der eigenen Machtbasis und um den Preis tausender Menschenleben wirft man den letzten Rest Humanität über Bord und spricht im nächsten Atemzug von der Bewahrung christlicher Werte. Von der Verteidigung des Abendlandes, von Kultur und Tradition.
Ohne Familie, dafür mit Kreuz
Um die Bekenntnis zum Christentum zu bekräftigen, hat mit dem 1. Juni in jeder bayerischen Amtsstube ein Kreuz zu hängen. Dies sei eine Maßnahme, um zu verdeutlichen, dass „unser Grundgesetz, unser Zusammenleben und unsere gesellschaftliche Ordnung auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes basieren“, heißt es hierzu von Seiten des CSU-MdB Alois Rainer. Man wolle dadurch „die Grundwerte unserer Gesellschaft verdeutlichen“, heißt es vom Parteikollegen Thomas Erndl. Und das CSU-Trio Taubender/Waschler/Gibis findet, „das Kreuz ist für uns in seiner heutigen Wirkung ein Zeichen der Nächstenliebe“. Der Kreuz-Erlass solle „die Wurzeln unserer Zivilisation und unserer Kultur achten und pflegen. Wir dürfen keine gottlose Gesellschaft werden“.
Wie passt es dann ins christliche Menschenbild, dass man sich gleichzeitig rühmt endlich den Familiennachzug abgeschafft zu haben? Ist die Familie nicht der Nukleus der christlichen Gemeinschaft? Das Schützenswerteste überhaupt? Der engste Bezugspunkt, der einem Menschen Halt, Sicherheit und einen wohligen Rückzugsort bietet?
Das Gesetz zum #Familiennachzug ist ein wichtiger Meilenstein für die Begrenzung der Zuwanderung! pic.twitter.com/yjjNO1pkUz
— CSU im Bundestag (@csu_bt) June 7, 2018
Aber dem eigenen Machtanspruch unterjocht man in CSU-Kreisen anscheinend sämtliche humanistische Standards. Was zählt ist die Wahl. Und da gilt es sich vor allem gegen eine aufstrebende AfD zu verteidigen. Recht ist dabei jedes Mittel. Sei es noch so widersinnig und konträr zum eigenen Parteinamen.
„Ich fürchte die Wiederkehr des Faschismus als Demokratie“
Was es zu verstehen gilt, ist, dass diese Verrückung des Diskurses nicht von Rechtsextremen initiiert und auch nicht von einer AfD hervorgebracht wurde. Es ist die selbsternannte „Partei der Mitte“, die dieses vergiftete Klima zu verantworten hat. Oder noch präziser: Es sind die führenden Köpfe dieser Partei. Sie machen es überhaupt erst möglich, dass ein solch‘ national-chauvinistischer Diskurs wieder salonfähig geworden ist. Wenn ein paar Rassisten am rechten Rand gegen Ausländer hetzen, wird das im Normalfall vom Gros der Bevölkerung als rassistischer Auswurf abgetan – und das Leben geht seinen Weg. Aber ist der braune Teppich erstmal ausgerollt, wird es zusehends schwieriger ihn wieder im Kasten zu verstauen – und ehe man sich versieht, marschiert der braune Mob munter in Richtung Mitte der Gesellschaft.
„Shifting Baselines“ heißt diese Art der Kommunikationsstrategie, den Diskurs nach dem Prinzip der Salamitaktik Scheibchen für Scheibchen in die gewünschte Richtung zu bugsieren. Solange bis vormals Unsagbares plötzlich sagbar wird (Stichwort: „Vogelschiss“). Diese Art der Kommunikationsstrategie war es auch, so ist man sich unter Wissenschaftlern einig, die den Weg zum Holocaust bereitete.
Nicht die „Wiederkehr des Faschismus“ anstelle der Demokratie ist nach dem Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno die größte Gefahr: „Ich fürchte die Wiederkehr des Faschismus als Demokratie.“ Es ist nicht der äußere Rand, der über die vernunftbegabte Mitte herfällt und sie über Nacht in bösartige Faschisten verwandelt. Es ist die Mitte selbst, die diesem menschenverachtenden Verhalten Tür und Tor öffnet – und die letzten Endes zur Gefahr werden kann.
Für eine Gesellschaft ist eine konservative Partei von enormer Wichtigkeit
Die CSU hat es seit jeher geschafft eine Partei zu sein, die für konservative Werte einstand, bei denen jene Menschen eine politische Heimat fanden, denen Brauchtum und Traditionen wichtig sind. Menschen, denen ein gesittetes und anständiges Leben von Bedeutung ist. Das ist wichtig und richtig – und genau hierin liegt auch der wertvolle Beitrag einer konservativen Partei. Den Wandel in einer hyperglobalisierten Welt etwas abzufedern, die Rädchen der Zeit vielleicht nicht zurück zu drehen, aber etwas zu bremsen; um sie für alle einigermaßen erträglich zu machen. In dieser Rolle sind sie vor allem ein Schutzschild vor Rechtsaußen. Als eine Partei, die gesellschaftlichen Wandel verdaulich macht und davor schützt, dass die Reaktion auf diesen in Extremismus ausartet.
Doch auch eine CSU kann – selbst in einem Land wie Bayern – den Lauf der Zeit nicht aufhalten. Diese Welt verändert sich – auch ohne Einverständniserklärung von Seehofer und Söder. In dieser Welt spielen Brauchtum und Tradition vor allem für junge Menschen kaum mehr eine Rolle. In einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks gaben nur acht Prozent der Befragten im Alter von 15 bis 25 an, dass Glaube ihnen wichtig oder sehr wichtig sei. Knapp 600.000 Menschen muslimischen Glaubens leben laut letztem Zensus im Jahr 2010 in Bayern, gleichzeitig gibt es mehr Zeugen Jehovas als Juden. Die Arbeitswelt verändert sich, immer mehr Menschen im Freistaat sind prekär beschäftigt. Mieten steigen. Menschen kommen, Menschen gehen.
Der Anti-Bayer
Die Gegenstrategie, die die CSU derzeit fährt, lautet: „Nicht wir haben uns den veränderten Gegebenheiten anzupassen – die Gegebenheiten haben sich an uns anzupassen!“ Und wenn die eigene politische Identität bröckelt, weil sie sich nicht mehr mit heutigen Gesellschaftsmodellen vereinbaren lässt, ihr das Fundament unter den Füßen weggleitet, braucht es neue Säulen, die dieses gedankliche Konglomerat an Kultur, Folklore und Habitus aufrechterhalten kann. Wenn es innerhalb dieses Konglomerats keine positiven Verknüpfungen mehr gibt, keine Kongruenz mehr zwischen politischer Programmatik und Gesellschaft existiert, dann braucht es ein negatives Außen, welches dieses Gebilde wieder vereint: Das Nicht-Bayerische, den Anti-Bayern. Den Flüchtling.
Wir sind alle, irgendwo zwischen Laptop und Lederhosen, ein stückweit Bayern: Niederbayern, Oberbayern, Schwaben, Franken und solche, die aus der Pfalz stammen. Bei genauerem Hinsehen hat der Immobilienmakler aus München mit der niederbayerischen Landwirtin so viel gemeinsam wie der schwäbische Hausmann mit der fränkischen Industriemechanikerin: Nämlich nix! Der kleinste gemeinsame Nenner bleibt, dass sie alle irgendwo in irgendeiner Ecke innerhalb der geographischen Grenzen Bayerns wohnen. Ergo: Alles, was von außen kommt, muss anders sein!?
Was die CSU da dieser Tage vor sich hin schwadroniert, ähnelt doch sehr dem Freud’schen Penisneid. Grundsätzlich zufrieden – sehr zufrieden sogar, wenn man den Worten des Ministerpräsidenten Glauben schenken darf -, aber: Irgendwer könnte uns doch vielleicht in Zukunft irgendwie irgendwas wegnehmen – uns kastrieren, um im Freud’schen Jargon zu bleiben. Die Analogie zum Weißwurschtzutzeln erspare ich Ihnen an dieser Stelle…
Im Innern der Partei brodelt es…
Dass es in dieser Partei Menschen gibt, denen sehr wohl etwas an Werten wie Humanität und Nächstenliebe liegt, soll hier gar nicht bestritten werden. Die gibt es durchaus. Zum Beispiel in Tutzing, wo die CSU-Vorstandschaft einen Brandbrief an Seehofer schickte, man wolle diese „schrille Kommunikation auf dem Themenfeld der Ausländerpolitik“ nicht mehr mittragen und werde die Partei verlassen. Diese Töne gibt es auch in anderen Teilen der Partei. Aber dominierend sind in diesen (Wahlkampf-) Zeiten andere Stimmen. Dass es CSU-intern derzeit rumort, sich viele gegen den vorgegebenen Kurs stellen, hört man aus CSU-nahen Kreisen immer wieder. Aber die Wahl habe Vorrang, bloß keine Spaltung der Partei riskieren – nur wenige Monate vorm Urnengang im Oktober. Einheit zelebrieren lautet das Gebot der Stunde. Womöglich zum Preis der Spaltung einer ganzen Gesellschaft.
Lediglich fünf von 27 befragten CSU-Politikern aus der Region erklärten sich bereit den vom Hog’n zugesandten Fragenkatalog zum Rechtsruck der Partei zu beantworten. Fünf von 27, untypisch in Zeiten, in denen eigentlich nach jedem Quäntchen medialer Aufmerksamkeit gelechzt wird. Stimmen, die sich lieber von der AfD und Rechtsaußen abgrenzen wollen, anstatt eine Blaupause mit folkloristischem Anstrich zu geben, sind in den Reihen der Christlich-Konservativen keine Seltenheit. Aber der Hausfrieden geht vor. Zu hoffen bleibt nur, dass diejenigen, die hier schweigen, schweigen, weil sie anderer Meinung sind. Die Frage ist, wer am Ende die Rechnung bezahlt. Söder? Die CSU? Flüchtende? Vielleicht wir alle.
Kommentar: Johannes Greß
(Titelbild: pixabay.com/CCO/Hans)
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