Schwarz so weit das Auge reicht: Mit Ausnahme von zwei Bezirken, die an die Freien Wähler gingen, bleibt das „Hog’n-Land“ in den Stimmkreisen Passau-Ost und Regen/Freyung-Grafenau auch nach der Landtagswahl 2018 fest in CSU-Hand. Weitaus interessanter ist ein Blick auf die Zweit- und Drittplatzierten: Sowohl Freie Wähler als auch die AfD konnten in den beiden Stimmkreisen überdurchschnittlich gut abschneiden – während Grüne und SPD weit hinter den bayernweiten Durchschnitt zurückgefallen sind. Ein Muster, das schon von der letztjährigen Bundestagswahl her bekannt ist…
Unzufriedenheit, Wunsch nach Veränderung, Watsch’n: So lässt sich dieses Wahlergebnis für die Region wohl zusammenfassen. Auch wenn die CSU weiterhin unangefochten stärkste Kraft bleibt, musste sie auch im Woid herbe Verluste einstecken. Knapp 13 Prozent weniger waren es im Stimmkreis Passau-Ost, in Regen/Freyung-Grafenau minus elf Prozent. Nicht recht viel besser erging es der SPD: Während sich die Sozialdemokraten landesweit halbierten, brachten sie es in der Region auf gerade einmal sechs bzw. acht Prozent. Profitieren konnte von dieser Wählerwanderung vor allem die AfD, die in den hiesigen Breitengraden deutlich besser abschnitt als in Gesamtbayern – ja, die im Stimmkreis Regen/Freyung-Grafenau sogar das bayernweit beste Ergebnis erzielen konnte. In Gotteszell (Regen), Neuschönau, Innernzell und Mauth (alle Freyung-Grafenau) holten die Rechtspopulisten jeweils über 20 Prozent der Zweitstimmen.
Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum – und Proteststimmung
Dieser Trend des langsamen Dahinschwindens der (einstigen) Groß- und Volksparteien ist kein Woid-Spezifikum, sondern lässt sich derzeit in vielen Ländern Europas, ja auf der ganzen Welt beobachten. Eine Art gesamtgesellschaftlicher Konsens, ein sozialer Kitt, der die politischen Ränder magnetfeldartig beisammen hält, schwindet zusehends. Diese Entwicklungen spiegeln sich auch im politischen Parteienspektrum wider. Erstmals sitzen sechs Parteien im Bayernparlament – auf Kosten der Etablierten, auf Kosten von CSU und SPD.
Auch der Bayerwald blieb davon nicht verschont. Das mag auf den ersten Blick etwas verwundern, läuft doch soweit alles recht beachtlich: Mit einer Arbeitslosenquote von jeweils unter drei Prozent herrscht in den Landkreisen Freyung-Grafenau und Regen Vollbeschäftigung. Selbiges gilt für das Passauer Land, in der Stadt sind es mit 4,1 Prozent nur ungleich mehr. Dazu verzeichnen nahezu alle niederbayerischen Landkreise ein florierendes und beständiges Wirtschaftswachstum, die hiesigen sind da keine Ausnahme. Kurzum: Niederbayern boomt.
Dennoch sprechen die Wahlergebnisse eine deutliche Sprache: „Mia hamm’s satt“, scheint einem da entgegen zu wehen. Betrachtet man die Wahlerhebungen des Umfrageinstituts „infratest dimap“ und einige Besonderheiten der beiden Stimmkreise, wird ersichtlich, wie so ein Wahlergebnis zustande kommen kann…
CSU und SPD im freien Fall
Dass sich die CSU auf einen bis dato beispiellosen Absturz einstellen durfte, war bereits lange vor der Wahl bekannt. Horst Seehofer im Modus eines Dauer-Aggressors, dazu ein Söder auf AfD-Kurs, stießen vielen Stammwählern sauer auf. Schon im Vorfeld der Wahl distanzierten sich CSU-Bürgermeister und langjährige Mitglieder öffentlich von ihrer Partei. Hinzu kamen der höchst umstrittene Kreuzerlass, die Affäre um Hans-Georg Maaßen sowie die Forderungen Seehofers nach schärferen Grenzkontrollen, die mehrmals die Koalition in Berlin zu sprengen drohten. Projekte wie das bayerische Raumfahrtprogramm Bavaria One taten dann ihr Übriges. So betrachtet, stehen die Christsozialen mit ihren 37,2 Prozent immer noch ganz ansehnlich da – parteiintern hatten manche wohl Schlimmeres befürchtet…
Die GroKo-Dauerkrise in Berlin machte auch der Bayern-SPD zu schaffen. Mit ihrem Wahlkampfthema „soziales Wohnen“ konnte sie hierzulande nur wenige Wähler für sich begeistern. Zwar sind steigende Mitpreise und Wohnungsnot ein eklatantes Problem im Freistaat, gleichzeitig sind dies jedoch Themen, die eher urbanen Wählern den Schlaf rauben.
Ein Islam ohne Moschee und ohne Muslime
Rechtsaußen dominierte das Flüchtlingsthema im Wahlkampf. Das hat einen Grund: Bayernweit gaben 97 von 100 AfD-Wählern an, der Einfluss des Islams im Freistaat sei zu groß. 100 Prozent der befragten AfD-Wähler sorgen sich um den Erhalt der deutschen Kultur. Und je weiter man in den Bayerischen Wald hineinfährt, desto präsenter scheint diese Sorge zu sein. Das mag verwundern: In den Stimmkreisen Regen/Freyung-Grafenau und Passau-Ost gibt es keine einzige Moschee – Richtung Nationalpark ist der Islam ungefähr so einflussreich wie der Borkenkäfer in Damaskus. Nach der großen Fluchtbewegung vom Herbst 2015 sinkt die Zahl gestellter Asylanträge beständig. An der bayerischen Grenze bei Passau werden derzeit täglich etwa fünf Flüchtlinge aufgegriffen. Trotzdem gilt Niederbayern mittlerweile als AfD-Hochburg.
Zäumt man das Pferd von der anderen Seite auf, sieht man, dass gerade in Gegenden, in denen Muslime, Moscheen und der Islam tatsächlich präsent sind – also Großstädte wie München oder Nürnberg – der Wahlerfolg der AfD überraschend klein ist. Dieses Phänomen kennt man auch von anderen Wahlen. Angst vor Neuem speist sich vor allem aus der Angst vor dem Unbekannten: Eine Angst vor dem Abstrakten – weniger vor dem Konkreten. Das Konkrete fehlt in unserer Region. Und solange lässt sich das Abstrakte beliebig füllen, Ängste beliebig bedienen.
Oder etwas plastischer ausgedrückt: Die Drohung, eine Horde wildgewordener Araber könnte in unser schönes Bayern eindringen, uns Frau, Kultur, Arbeitsplatz und Bierkrug stibitzen, mag für so manchen tatsächlich ein zumindest halbwegs realistisches Szenario darstellen. Solange meine eigene Lebensrealität nicht mit dem Gegenteil in Berührung kommt: Mit Ahmed und Serafin, die morgens „Hallo“ sagen und abends den Grill anschmeißen. Mit Abdelkarim und Yasin, die mittwochs Fußball spielen und samstags meist verkatert sind. Mit Asaria und Feyana, die lesbisch sind und Kinder wollen.
Stolz auf das Eigene, Geringschätzung des Anderen
Über eine Vielzahl an Kommunikationskanälen – via Facebook, Twitter oder dubiose AfD-Jubelblätter – wird diese (abstrakte) Angst beständig mit Nahrung versorgt. Da ist vom „AIDS-Import“ durch Flüchtlinge die Rede. Von Aufforderungen, sich – für den drohenden Ernstfall – zu bewaffnen. Vom drohenden Krieg, dem Islam als „Selbstmord Europas“. Im chauvinistischen Sturm der Dauerbeschallung ergibt sich eine Dynamik, die in Hasstiraden, menschenverachtenden und rassistischen Äußerungen gipfelt, eine Art der Entmenschlichung, die an dunkelste Zeiten erinnert.
Dass Autoren solch hochgradig rassistischer Beiträge zukünftig im Bayerischen Landtag sitzen, es offenbar soweit in die gesellschaftliche Mitte geschafft haben, sozusagen „salonfähig „wurden, um in demokratischen Institutionen zu sitzen, sollte uns eine Warnung sein.
Unser Woid war schon immer auch stark vom Konservatismus mitgeprägt, von eher traditionellen Umgangsformen, vom Landleben, das Wert auf Kultur und Brauchtum legt. Ein Fleckchen, das es sich wohlig einrichtet, auch wenn draußen der Sturm tobt. Aber auch ein Fleckchen, auf dem fremdenfeindliche Agitation eher zu gedeihen scheint als in weniger konservativ orientierten Regionen. Stolz auf das Eigene beinhaltet immer auch die Tendenz zur Überhöhung, zur Geringschätzung des Anderen. Und dafür darf es in einer Demokratie keinen Platz geben!
Kommentar: Johannes Gress
„Vollbeschäftigung, Wirtschaftswachstum – und Proteststimmung“
heutzutage gilt „Armut wird ideologisch entsorgt. – Der tatsächliche Reichtum weniger wird verschleiert.“
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Der Welt-Reichtums-Report zeigt, wie arm die meisten Deutschen wirklich sind. Von den Ländern der alten EU liegt nur Portugal hinter Deutschland. In den meisten Ländern besitzen die Bürger mehr als doppelt so viel Vermögen wie hierzulande.
Der Medianwert des geldwerten Vermögens für die Erwachsenen liegt in Deutschland bei 47.000 Dollar. Schon im krisengebeutelten Griechenland sind es mit 55.000 Euro 8000 Euro pro Nase mehr. Dass die unmittelbaren Nachbarn – Holländer (94.000), Dänen (87.000 Dollar), Belgier (168.000 Dollar) – reicher als die Deutschen sind, kann kaum verwundern. Man sieht es bei jedem Besuch. Erstaunlich allerdings, dass Franzosen (120.000) und Italiener (125.000) mehr als doppelt so reich wie die Deutschen sind. Lichtenstein (168.000) und Schweiz (229.000) bilden erwartungsgemäß die Spitze.
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Fratzschers These: „Die soziale Marktwirtschaft existiert nicht mehr“. Die Ungleichheit in Deutschland habe in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Die reichsten zehn Prozent besitzen inzwischen zwei Drittel des Vermögens, die ärmere Hälfte habe dagegen praktisch nichts. In keinem anderen Land der Euro-Zone sei die Vermögensungleichheit höher, kritisiert der DIW-Chef.
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Laut einer Meldung (basierend auf einer Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, eine staatliche Behörde) verzichten 3.100.000 bis 4.900.000 Antragsberechtigte auf Hartz IV und leben so in verdeckter Armut und erscheinen in keiner Statistik mehr.