Freyung-Grafenau/Regen. Landrat Sebastian Gruber hat keine Meinung zum neuen Polizeiaufgabengesetz. Bezirkstagspräsident und Freyungs Bürgermeister Dr. Olaf Heinrich will die aktuelle Wahlkampfstrategie der Christlich-Sozialen Union (CSU) nicht kommentieren. Und der Spiegelauer Rathaus-Chef Karlheinz Roth hat nichts zu Innenministers Seehofers Plan für eine konsequentere Abschiebung von Flüchtlingen zu sagen. So zumindest lautet eine von mehreren Möglichkeiten, wie man das Ergebnis unserer Hog’n-Umfrage unter regionalen CSU-Politikern zur Lage der Partei und deren jüngste Entscheidungen interpretieren könnte. Von 27 Angefragten haben sich lediglich fünf zur Teilnahme bereit erklärt. Das Unterfangen, ein aktuelles Stimmungsbild der Basis zu zeichnen, ist gescheitert.
Keine Rückmeldung, oder: Das Schweigen der Lämmer?
Normalerweise drängeln sich Politiker in Wahlkampfzeiten ja regelrecht vors Mikro, die Kamera oder den Schreibblock. Nicht so in diesem Fall. Denn gesprochen haben ausschließlich die, die sich ohnehin stets mit überregionalen Themen auseinandersetzen: Bis auf die beiden Bundestagsabgeordneten Thomas Erndl (Wahlkreis Deggendorf) und Alois Rainer (Wahlkreis Straubing) sowie die Landtagsabgeordneten Walter Taubeneder (Stimmkreis Passau-West), Prof. Dr. Gerhard Waschler (Stimmkreis Passau-Ost) und Max Gibis (Stimmkreis Regen/Freyung-Grafenau), die – wie der Sprecher der Abgeordnetenbürogemeinschaft Waschler/Taubeneder auf Nachfrage versichert – aufgrund der „hervorragenden Zusammenarbeit“ den Hog’n-Fragenkatalog siamesischen Drillingen gleich beantwortet haben, verspürte offensichtlich keiner der anderen (niedrigschwelligeren) Volksvertreter den Antrieb sich unseren überaus kritischen wie reflexiven Fragen zu stellen.
Im Gegenteil. Es herrscht beredtes Schweigen bei den lokalen CSU-Granden – insbesondere bei den Bürgermeistern aus den Landkreisen Freyung-Grafenau und Regen, die sich offenbar ganz und gar nicht zu überregionalen Themen wie Kreuz-Erlass, Flüchtlingspolitik oder Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in der Öffentlichkeit äußern möchten. Themen, die ihnen auch in ihrem Alltagsgeschäft – fernab von Debatten über Gewerbegebiete, Straßenbauverordnungen oder Kanalsanierungen – immer wieder begegnen oder noch begegnen werden.
Dabei wären doch gerade deren Stimmen so überaus interessant zu vernehmen gewesen. Was hält Neuschönaus Bürgermeister Alfons Schinabeck von Alexander Dobrindts „Anti-Abschiebe-Industrie“? Was denkt Joli Haller, Marktoberhaupt von Bodenmais, über Ungarns Ministerpräsident und Seehofers Busenfreund Viktor Orban und dessen Umgang mit Menschenrechten und europäischen Werten? Was der JU-Kreisvorsitzende Daniel Traxinger über die AfD, die die CSU bei den kommenden Wahlen in die Schranken zu weisen versucht? Lediglich drei von 23 CSU-Politikern fühlten sich – trotz mehrmaliger Erinnerung – gerade mal dazu bemüßigt, Rückmeldung zu geben im Sinne von „Ich werde mich nicht an der Umfrage beteiligen“…
Die Antworten kennen wohl nur die Befragten selbst
Ist hier etwa die Angst zu groß, etwas „Falsches“, vielleicht sogar etwas nicht mit der CSU-Spitze Konformgehendes zu sagen? Ist die inhaltliche Kluft zwischen der Basis in der Bayerwald-Peripherie und den Partei-Oberen in München bzw. Berlin mittlerweile so sehr angewachsen, dass es kurz vor den Wahlen im Oktober keiner mehr auf eine Zerreißprobe ankommen lassen möchte – und sich lieber stillschweigend dem allgemeinen Tenor fügt? Oder anders, etwas provokanter gefragt: Haben bei der CSU in diesen Tagen offenbar alle die Hosen gestrichen voll, wie vom erklärten politischen Erzfeind, der Alternative für Deutschland (AfD), immer mal wieder propagiert wird? Interpretationsspielräume gibt es reichlich. Die Antworten kennen wohl nur die Befragten selbst…
Kommentar: Stephan Hörhammer
Kreuz-Erlass: „Erndl kann Aufregung nicht nachvollziehen“
Den Anfang unserer dreiteiligen Interviewserie mit CSU-Politikern aus der Region Bayerischer Wald/Passauer Land macht der Bundestagsabgeordnete Thomas Erndl. Der gebürtige Osterhofener wurde im September des vergangenen Jahres als Direktkandidat und Nachfolger von Barthl Kalb mit 44,1 Prozent der Stimmen gewählt. Seit 2002 gehört er dem Gemeinderat von Künzing an.
Frage 1: Kritiker behaupten, die Strategie der CSU vor den kommenden Landtagswahlen scheint zu lauten: Die eigenen politischen Koordinaten so weit nach rechts verschieben bis die modifizierten Programmpunkte auch für potenzielle AfD-Wähler wieder attraktiv werden. Wie sehen Sie das?
Ich sehe nicht, dass wir Koordinaten verschieben. Die CSU ist eine Volkspartei und deckt schon immer ein breites Spektrum ab. Innerhalb dieses Spektrums betont man aber die Themen, die die Menschen aktuell bewegen, sicherlich etwas stärker.
Frage 2: Innenminister Horst Seehofer hatte vor wenigen Wochen betontermaßen geäußert, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre. Stimmen Sie dem zu?
Der Islam, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht anerkennt, der Andersgläubige nicht akzeptiert, der die Sharia über das Gesetz stellt, der gehört sicher nicht zu unserem Land. Verfassungstreue Muslime gehören sehr wohl dazu – das ist auch was Seehofer gesagt hat.
Frage 3: Der bayerische Kreuz-Erlass ist nun amtlich, ab dem 1. Juni müssen im Eingangsbereich von Dienstgebäuden im Freistaat Kreuze angebracht werden. Kritiker sehen darin einen Missbrauch des Kreuzes als politisches Dominanz-Symbol. Was sagen Sie dazu?
In einer Zeit, in der viele Bürger aus verschiedenen Gründen verunsichert sind, ist es doch ein wichtiges Zeichen, zu sagen: Die Grundwerte unserer Gesellschaft bleiben bestehen und wir verdeutlichen das mit einem Kreuz in öffentlichen Gebäuden. Die Aufregung insgesamt kann ich nicht nachvollziehen, da in vielen öffentlichen Gebäuden bereits Kreuze angebracht sind.
NOPag-Demo in München: „Bin voll beim Innenminister“
Frage 4: Bundesinnenminister Horst Seehofer hat vor Kurzem einen Plan für konsequentere Abschiebungen von Flüchtlingen angekündigt. Er rief die Bevölkerung auf, keine „falsche Solidarität“ gegenüber abzuschiebenden Migranten zu zeigen. Eine richtige Einstellung?
Ja, natürlich. Es geht ganz schlicht und einfach darum, unsere Regeln und Gesetze durchzusetzen.
Frage 5: Der CSU-Spitzenpolitiker Alexander Dobrindt hat mit Äußerungen über eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ die Diskussion um Asylverfahren in Deutschland angeheizt. „Die Arbeit von Anwältinnen und Anwälten als ‚Industrie‘ zu verunglimpfen, war bislang dem rechtsextremen Spektrum vorbehalten. Die CSU läuft blind hinterher und macht damit rechtes Gedankengut salonfähig“, kritisierte Grünen-Politikerin Claudia Roth. Ihre Meinung dazu?
Wir sehen an den jüngsten Fällen gescheiterter Abschiebungen aus Niederbayern, dass die abzuschiebenden Personen auf ein bestimmtes Verhalten geschult sind, so dass der Abschiebevorgang am Flughafen abgebrochen werden muss. Unter anderem dies zu thematisieren ist nicht verwerflich, sondern greift das auf, was die Bürger jeden Tag bewegt.
Frage 6: „Die politische Programmatik der CSU und ihre schrille Kommunikation auf dem Themenfeld der Ausländerpolitik und insbesondere zum Thema einwanderungswilliger Menschen aus anderen Ländern ist uns immer fremder geworden“, heißt es in einem Brief von Tutzinger CSU-Mitgliedern an die Parteispitze. Was sagen Sie dazu?
Wie gesagt, wir sind eine Volkspartei mit einem breiten Spektrum….
Frage 7: Mehr als 30.000 Menschen gingen zuletzt allein in München auf die Straße, um gegen das neue PAG zu demonstrieren. „Ich bin vor allen Dingen überrascht davon, dass die zum Teil auch Lügenpropaganda der letzten Wochen wohl auch manch unbedarfte Menschen in die Irre geführt hat“, lautete der Kommentar von Innenminister Herrmann dazu. Wie sehen Sie das?
Ich bin voll bei unserem Innenminister Joachim Hermann. Das PAG enthält notwendige Anpassungen an aktuelle Entwicklungen. Die Kritik kann ich nur schwer nachvollziehen. Wenn wir wollen, dass Bayern eines der sichersten Gebiete auf der Welt bleibt, müssen auch die Befugnisse unserer Polizistinnen und Polizisten, die hervorragende Arbeit leisten, an aktuelle technische Möglichkeiten angepasst werden.
„Es gibt sicher vieles zu kritisieren“ an Viktor Orban, aber…
Frage 8: Das erneuerte Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz sieht vor, dass diejenigen Menschen polizeilich registriert werden sollen, die zwangsweise untergebracht wurden oder nachweislich eine Gefahr für andere darstellen. Kritiker sehen darin weiterhin eine Stigmatisierung der Betroffenen. Wie sehen Sie das?
Wenn nachweislich eine Gefahr für andere ausgeht, sehe ich das als notwendig an.
Frage 9: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban steht immer wieder in der Kritik, die Menschenrechte sowie die Pressefreiheit in seinem Land massiv einzuschränken. Bayerns Ex-Ministerpräsident Horst Seehofer hieß Orban regelmäßig willkommen. Die CSU-Spitze scheint ihm sehr nahe zu stehen. Wie ordnen Sie dieses Verhältnis ein?
Es gibt sicher vieles zu kritisieren. Aber sicherlich nicht, dass Ungarn die Schengen-Außengrenze so schützt, wie man es von allen Ländern erwarten würde. Innerhalb der Parteienfamilie der europäischen Volkspartei ist es wichtig, Orbans Partei weiter mit dabei zu haben, weiter im Dialog zu bleiben. Dass da bei einem Austausch auch harte Kritik geübt wird, ist selbstverständlich.
Frage 10: Wie ordnen Sie generell die aktuelle Wahlkampfstrategie der CSU ein?
Ich glaube, dass die Regierungsarbeit in Bund und Land viele Themen aufgreift, die die Menschen aktuell bewegen, sei es in der Familienförderung, beim Thema Pflege, Rente, Sicherheit sowie weitere Investitionen in die Digital- und Straßeninfrastruktur. Es gibt nur wenige Länder auf der Welt, in der junge Menschen so eine Vielzahl an Möglichkeiten und Perspektiven haben, nur wenige Länder mit einem so hervorragenden Gesundheitssystem und nur wenige Länder, in denen die Menschen so sicher leben können, wie bei uns. Diese Erfolge müssen wir darstellen.
Aber ein Thema überlagert sicherlich nach wie vor alles andere: die Migrations- und Flüchtlingsfrage. Auch wenn die Zugangszahlen momentan sehr niedrig sind, was zeigt, dass unsere internationalen Bemühungen auch greifen, so haben doch viele Menschen das Gefühl, dass wir unsere Regeln nicht durchsetzen können. An dieser Aufgabe werden wir unabhängig von einer Wahlkampfstrategie gemessen werden.
Die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Sie sollten vielleicht einmal einen Richter befragen, denn nur Richter sind unabhängig.