Bayern wählt am 14. Oktober seine demokratischen Vertreter. Landtag wählen in Bayern heißt für gewöhnlich: Die Christlich-Konservativen der CSU erringen die absolute Mehrheit, mal nur knapp darunter, mal meilenweit darüber – während sich die anderen Parteien um die Krümel streiten. Doch bevor das Bajuvarenvolk im Herbst zur Wahlurne schreitet, wird es mit schwindender zeitlicher Distanz zum Wahltermin in immer kürzeren Intervallen wohlwollend daran erinnert werden, dass Bayern Bayern ist, weil Bayern eben Bayern ist. So einfach! Und damit die scheinbare willkürliche Melange aus Folklore, Brauchtum und inbrünstigem Bajuwarentum am Ende ein homogenes, blau-weißes Ganzes ergibt, grenzt man es am besten von all‘ jenem ab, was nicht Bayern ist: Mia san Mia, oba fix ned Islam. Sinn oder Unsinn, Weizen wie Weißbier, Preiß wie Saupreiß!
Die Aussage von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, erlebt mittlerweile wieder ihre Renaissance – weil es mit der AfD derzeit eine Partei in Bayern gibt, die nicht nur rechts der CSU steht, sondern auch noch sehr gute Chancen hat in den Landtag einzuziehen. Bei der Bundestagswahl vom vergangenen September konnte die AfD bayernweit starke Ergebnisse erzielen, konnte besonders im Wahlkreis Deggendorf auf sich aufmerksam machen und holte in vielen Bayerwald-Gemeinden mehr als ein Viertel der Stimmen. Gleichzeitig schnitt die CSU historisch schlecht ab, viele der eingesessenen Stammwähler wanderten zur Partei rechts der Christlich-Konservativen – eben zur AfD.
Die Strategie für die Landtagswahl 2018 war damit bereits vorgezeichnet: Man wolle die Lücke am rechten Rand schließen, hieß es nur wenige Minuten nach der Verkündung der ersten Hochrechnung im September von Seiten des Ministerpräsidenten und heutigen Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU). Das Kalkül dahinter: Die eigenen politischen Koordinaten so weit nach rechts verschieben bis die modifizierten Programmpunkte auch für potenzielle AfD-Wähler wieder attraktiv werden. Was dabei auf der Strecke bleibt: Das Setzen eigener Akzente.
Liebe AfD, eigentlich habt ihr Recht
In die politische Praxis umgesetzt, sieht das dann so aus: Deutschland brauche eine „Konservative Revolution“ und selbstverständlich gehöre der Islam nicht zu Deutschland. In jeder bayerischen Amtsstube habe ein Kreuz zu hängen, Asylbewerbern werde man Leistungen kürzen. Die Bevölkerung ruft man dazu auf, „keine falsche Solidarität“ gegenüber Geflüchteten zu zeigen, im Gegenteil: Schneller und konsequenter abschieben – so lautet das Gebot der Stunde! Solle sich ein Land weigern, seine Flüchtlinge zurückzunehmen, werde man eben die Entwicklungshilfe blockieren. Auch im eigenen Land werde man die „Anti-Abschiebungsindustrie“ vehement bekämpfen und zur effizienteren Vollstreckung sogenannte Anker-Zentren einführen.
Die Töne einer AfD, welche uns vor den angeblich kriminellen Massen warnen sollen, die von außen über Bayern herfallen und samt Kultur und Weib‘ auch noch Arbeitsplätze und Sozialleistungen stibitzen, wurden von allen anderen Parteien bisher zurecht als populistischen Gedöns abgetan. Aber was Söder, Dobrindt, Seehofer und Co. in jüngster Vergangenheit durch den Freistaat posaunen, ist das schönste Geschenk, was man einer AfD machen kann. Indem man genau jene national-chauvinistischen Forderungen ins eigene Programm aufnimmt, gegebenenfalls noch mit etwas folkloristischem Heimatvokabular kaschiert, macht man genau das, was laut Urvater Strauß eigentlich zu verhindern sei: Man legitimiert die AfD als demokratische Partei rechts der CSU. Die Lücke rechts zu schließen, das heißt nichts anderes als zu sagen: Liebe AfD, eigentlich habt ihr Recht!
In der Manier eines Schattenboxers
Umfragen zufolge wird die Landtagswahl im Herbst für die CSU kein Zuckerschlecken, rund 40 Prozent werden sich laut aktuellem Stand für die Partei um Ministerpräsident Markus Söder entscheiden. Das wären rund acht Prozentpunkte weniger als noch bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2013. Dass man in einem solchen Fall das eigene Profil etwas schärft, die Parteiprogrammatik etwas nachjustiert, ist nicht überraschend und jede Partei würde dasselbe tun. Doch den Versuchen der CSU-Führungsriege, die in diese Richtung zielen, haftet dieser Tage eine gehörige Portion Verzweiflung an.
In der Manier eines Schattenboxers plädiert man beinahe stündlich für härtere Regelungen für (bzw.: gegen) Zuwanderer, für schärfere Maßnahmen im Bereich der Integration, für null Toleranz in Sachen Abschiebung. Während die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland bereits seit 2016 wieder zurückgeht.
Seitdem innerhalb der CSU die Agenda „Rechts-die-Lücke-schließen“ zum obersten Prinzip erklärt wurde, nimmt sie von Tag zu Tag groteskere Formen an. Gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG), das die CSU – dank absoluter Mehrheit im Landtag – unlängst durchs Landesparlament peitschte, gingen SPD, Grüne, FDP, die Partei und Piraten – gemeinsam! – demonstrieren. Selbst die Gewerkschaft der Polizei befürchtet, das neue Gesetz gefährde das Vertrauen zwischen Polizei und Bürgern. Hochrangige Juristen aller Couleur kritisieren das PAG. Grüne, FDP, SPD und Linke wollen eine Verfassungsklage gegen die neuen Befugnisse der bayerischen Exekutive einreichen. Für Bayerns Innenminister Herrmann ist das jedoch alles „Lügenpropaganda“. Während die Zahl der Straftaten in Bayern den niedrigsten Stand seit 30 Jahren erreicht hat.
CSU-Mitglieder mit Brandbrief an Seehofer
Auch der Heimatbegriff ist plötzlich wieder von Bedeutung. Und diese Heimat, die ist christlich. Nagelt jetzt wieder vermehrt Kreuze an die Wand. Hat für den Islam keinen Platz. Sieht in jedem psychisch Kranken einen potenziellen Kriminellen. Erkennt in der „Anti-Abschiebeindustrie“ eine Verschwörung, die unseren Rechtsstaat durch „eine bewusst herbeigeführte Überlastung von innen heraus bekämpfen“ möchte. Und stattet ihre Exekutive mit Befugnissen aus, die an einen totalitären Staat erinnern.
„Mia san Mia“ avanciert wieder zum obersten Dogma innerhalb der weiß-blauen Grenzen, inhalts- und bedeutungsleer wie eh und je. Dass man einen Despoten wie den ungarischen Premierminister Viktor Orban, dem stolzen Begründer der illiberalen Demokratie, in CSU-Kreisen in höchstem Maße schätzt und hofiert sowie regelmäßig in den Freistaat einlädt, passt da ins Bild.
Doch selbst innerhalb der CSU ist vielen der Kurs ihrer Partei nicht mehr geheuer. In einem Brandbrief an Seehofer machen CSU-Mitglieder aus dem oberbayerischen Tutzing ihrem Unmut Luft: „Die politische Programmatik der CSU und ihre schrille Kommunikation auf dem Themenfeld der Ausländerpolitik und insbesondere zum Thema einwanderungswilliger Menschen aus anderen Ländern ist uns immer fremder geworden“, heißt es in dem Brief, der von Vizebürgermeisterin Elisabeth Dörrenberg, Altbürgermeister Dr. Alfred Leclaire sowie Gemeinderat Dr. Thomas von Mitschke-Collande unterzeichnet wurde. „An unserer Mitgliedschaft in der CSU tragen wir seit längerer Zeit schwer und quälen uns immer wieder mit dem Gedanken auszutreten“, heißt es weiter.
„Grenzen Sie sich inhaltlich endlich von der AfD ab.“
Den Kurs Richtung AfD (vulgo Rechtspopulismus) wolle man nicht weiter mittragen: „Wir bitten Sie nachdrücklich: Ändern Sie Ihren Kurs der Ausgrenzung andersgläubiger Mitbürger. Bemühen Sie sich um die Integration aller, egal welcher Glaubensgemeinschaft sie angehören. Sorgen Sie für den Zusammenhalt und das gute Miteinander aller hier bei uns lebenden Mitmenschen. Besinnen Sie sich wieder auf unsere christlichen Werte. Grenzen Sie sich inhaltlich endlich von der AfD ab. Tragen Sie mit dazu bei, dass auch weltoffene und tolerante Mitglieder weiter eine politische Heimat in der CSU haben können.“
Dass – nicht nur in Bayern oder Deutschland – immer mehr Menschen ihr Kreuz bei der populistischen Rechten machen, kommt nicht von ungefähr. Globalisierung, Digitalisierung, Migration, schwindende soziale Sicherungsnetze sind nur einige wenige Punkte, mit denen sie in einer sich immer schneller drehenden Welt konfrontiert werden. Phänomene, die neu sind, unseren Alltag verändern und vor allem ein Gefühl der Unsicherheit, vielleicht sogar der Angst, in sich bergen. Wer, wenn nicht eine konservative Partei soll den Menschen ein Gefühl von Stabilität wiedergeben?
Ein fruchtbarer Boden für Rassismus und Faschismus
„Zwischen Laptop und Lederhose“, wie Roman Herzog einst die „bayerische Sondersituation“ umschrieb, muss immer noch Platz sein für ein ordentliches Miteinander, für eine geballte Portion Solidarität. Wenn Mieten steigen, Arbeitsplätze unsicherer werden, die Macht global agierender Konzerne keine Grenzen mehr kennt, staatliche Leistungen privatisiert und damit soziale Sicherungsnetze immer grobmaschiger werden, wird auch das Kruzifix in der Amtsstube keine Wunder vollbringen. Und auch wenn derartigen symbolpolitischen Maßnahmen in der kreuzfidelen heimischen Monopolpresse für gewöhnlich ein prominenter Platz am Titelblatt gesichert ist und das Ganze mit wohlwollendem Kommentar aus der Chefredaktion unterfüttert wird, ist von Ausgrenzung und Ressentiments noch keiner satt geworden.
Was die CSU mit ihrem strategischen Rechtsruck erreicht, ist nichts weiter als beste Wahlkampfunterstützung für die populistische Rechte. Was sie damit aufs Spiel setzt, ist eine Spaltung der Gesellschaft sowie eine Verharmlosung rechten, nationalistischen Gedankenguts. Die selbsternannte „Partei der Mitte“ holt damit den ekelhaften braunen Sumpf vom rechten Rand genau dorthin, wo ihn keiner haben will: in die Mitte. Genau in einem solchen Umfeld fallen Rassismus und Faschismus auf fruchtbaren Boden. Seehofers „große Koalition mit dem Volk“ schreibt Georg Sesslen in der Zeit, sei eine „groteske Wiederkehr der monarchischen Identitätspolitik in Bayern“. Dass sich Geschichte wiederholt, wissen wir seit Hegel. Seit Marx wissen wir: Erst als Tragödie, dann als Farce.
Kommentar: Johannes Greß
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„Das »System Strauß« prägt bis heute die bayerische Politik: Korruption, Mobbing, Strafvereitelung, Begünstigung. Unerbittlicher Ankläger dieser Zustände: Wilhelm Schlötterer“
Sehr gut recherchiert und gut geschrieben. Vielen Dank dafür!
Richter sind unabhängig ! Kürzlich hat mich weder ein Gutachter des zuständigen Amtsgerichts besucht. Die Welt ist ungerecht, hat er gemeint. In England erhält ein Killer ca. 20 000 Pfund. Bei uns ein Gerichtsgutachter nur ca. 200 €.