
Matthias Blab: In zehn Monaten 100 Mal den Lusen hinauf – und 100 Mal den Lusen hinunter. Fotos: Matthias Blab
Grafenau. Nein. Ein Bär oder ein Wolf ist ihm keiner begegnet. Auch nicht Reinhold Messner oder der Yeti. Oder einer von den Huber-Buam. Wenn man den „Lusen-Hias“ fragt, was denn das schönste und prägendste Erlebnis gewesen sei, sagt er nur: „Die Freunde, die mich begleitet haben – und die vielen Menschen, die ich kennenlernen durfte.“ Matthias Blab aus Grafenau hat im Jahr 2012 mehr als 100 Mal den Gipfel des Lusen erklommen. Warum? Ganz einfach: Weil er gewettet hat…
„Das Müssen hat sich sehr schnell zu einem Wollen gewandelt“
Eigentlich war es gar keine richtige Wette, wenn er so recht überlegt. Den Stein ins Rollen brachte damals eine Grafenauer Rentnerin, die ins Geschäft von Fotograf Sepp Eder gekommen war. Gut 70 Jahre alt, erzählte sie dem Auszubildenden Matthias Blab beiläufig, dass sie jedes Jahr immer noch rund 80 Mal auf den Lusen gehe. Weil sie das viele Wandern und die frische Luft fit hält. Am Silvesterabend 2011 erinnerte sich der 21-Jährige, der gerade mit seinen Freunden Anton Schmeller und Matthias Auer auf dem Rachelgipfel ins neue Jahr hineinfeierte, wieder an diese Geschichte. Zu seinen Begleitern sagte er damals: „Wenn diese Frau im hohen Alter 80 Mal den Lusen besteigt, dann muss ich das mindestens 100 Mal schaffen.“ Eine tollkühne Ansage, die ihm vor gut zehn Monaten keiner so recht abkaufen wollte. Vier Tage später stand er zum ersten Mal mit seinem Bruder Felix auf dem 1373 Meter hohen Aussichtspunkt. 99 weitere Aufstiege sollten folgen. Matthias Blab steht eben zu seinem Wort, wie er sagt.
Doch einfach war’s wahrlich nicht. Besonders am Anfang. „Oh Gott, jetzt muss ich da wirklich 100 Mal raufmarschieren“, ging es ihm zu Beginn seiner Mammut-Berg-Tour durch den Kopf. 100 Mal rauf – und 100 Mal wieder runter. Mit freundlichen Grüßen vom griechischen Sagenheld Sisyphos … Waren die ersten Durchgänge noch mühsame, zwanghafte Bezwingungen, fiel es Matthias von Aufstieg zu Aufstieg leichter, sein immer wiederkehrendes Ziel zu erreichen. Die Begeisterung und Freude an der Aktion nahmen stetig zu. „Das Müssen hat sich sehr schnell zu einem Wollen gewandelt“, erinnert er sich.
„Das viele Draußen-Sein war irgendwann richtig cool.“ Der Hauptgrund dafür: Matthias ging nie alleine auf den Lusen, sondern immer in Begleitung von Freunden, Bekannten oder Verwandten. Das miteinander Ratschen, das gemeinsame Unterwegs-Sein, das geteilte Gipfelglück bei Brotzeit, einem „unbezahlbaren Ausblick“ über den Bayerwald und einer „Gipfehoiwe“ mit bekannten und völlig fremden Menschen – all das gab ihm die Unterstützung und die Motivation sein Unterfangen bis zum Ende durchzuziehen.
„Leute sind auf dem Berg viel offener als drunten im Tal“
„Wenn Du Leuten auf dem Berg begegnest, sind sie viel offener und umgänglicher als drunten im Tal“, sagt Matthias. Man kommt sofort ins Gespräch, hört ihren Geschichten zu und gibt selbst Dinge von sich preis, die man „in der Ebene“ einem Unbekannten nicht so schnell mitteilen würde. „Über 600 Höhenmeter gibt es kein ‚Sie‘ mehr – da ist man mit allen per Du.“ An die Fernseh-Sendungen von Franz-Xaver Gernstl („Gernstl unterwegs“) und Werner Schmidbauer („Gipfeltreffen“) habe er sich bei den vielen Begegnungen manchmal erinnert gefühlt. Ein tolles Gefühl, diese gemeinschaftliche, verbindende Gipfel-Atmosphäre, sagt er. „Die Offenheit, die ich durch meine Lusen-Begehungen erfahren durfte, habe ich mir bewahrt.“
Die meisten seiner Gipfel-Erlebnisse hat „Lusen-Hias“ Matthias Blab auf seiner Facebook-Seite dokumentiert – hier ein kleiner Auszug:
Ein ganz besonderer Moment für Matthias war sein Geburtstag Anfang Mai. Wo sonst hätte er diesen Tag verbringen sollen als im Blockmeer des Lusens. „Meine Freunde sind mitgekommen und wir waren den ganzen Tag oben.“
„Der Lusen ist zu meiner zweiten Heimat geworden“
Mit dabei waren seine „treuesten Begleiter“: Arbeitskollegin Vera Geiring, die insgesamt 64 mal mitmarschierte, deren Schwester Mimi Kirchner, Anton Schmeller und Matthias Auer. Es war zu dem Zeitpunkt das 34. Mal, dass der Hias den Lusen erklommen hatte. Inzwischen ein Routine-Akt für den jungen Grafenauer – aber nach wie vor ein abwechslungsreicher und in keiner Weise lästiger.

1373, die Anzahl der Lusen-Höhenmeter: Eine besondere Geburtstagsüberraschung hatte Spezl Matthias Auer (links) für den Hias dabei.
Neben den unterschiedlichen Begleitern sorgten auch die vielen Aufstiegsvarianten für reichlich Abwechslung. Ob Winterweg, Sommerweg mit Himmelsleiter, den Lusensteig von Finsterau aus, von tschechischer Seite her oder über den Goldsteig: „Ich habe bestimmt jede Möglichkeit ausprobiert, die es gibt“, ist Matthias überzeugt und lacht. Als weiteres Mittel gegen die drohende Monotonie ist er immer wieder zu verschiedenen Tageszeiten losgezogen: mal morgens früh vor der Arbeit, mal nach Feierabend – sogar einmal mitten in der Nacht, um 3 Uhr, mit Stirnlampe im Anschlag. Zwischendrin ging’s sogar einmal auf den Watzmann, dem Wahrzeichen der Berchtesgadener Alpen, auf den Arber oder nach Saalbach-Hinterglemm – „dass ich wieder mal etwas anderes zu sehen bekommen habe“. Doch der Lusen ist in diesem Jahr definitiv zu seiner zweiten Heimat geworden.
„Klettern, Wandern, Draußen-Sein – das ist genau mein Ding“, sagt Matthias, der sich mittlerweile zum echten „Bergfex“ entwickelt hat. „Mir taugt‘s in der freien Natur mehr, als wenn ich mich auf einem Laufband im Fitnessstudio abstrample.“ Einige Kilo hat er bei seinen Touren auf dem Weg zum Gipfel gelassen. Viel ausdauernder und fitter sei er geworden, sagt der „100-Times-Same-Summit-Man“ aus der Bärenstadt.
„Das Gesellige war mir wichtiger als der Stolz auf meine Leistung“
Am 28. Oktober, am vergangenen Sonntag also, war es dann soweit: Jubiläumsaufstieg, Mission erfüllt! Mit 20 Freunden ging es bei Schneetreiben gen Lusengipfel, wo eine kleine Feier mit Leberkas-Brotzeit, Bier und wärmendem Kaffee stattfand.

Verschneites Jubiläum: Den Tag des 100. Aufstiegs feierte Matthias Blab mit 20 seiner treuen Wegbegleiter.
„Das schönste daran war, dass viele von denen, die mich übers Jahr hinweg begleitet hatten, wieder mit dabei waren“, ist bei Matthias die Freude immer noch groß. Leute, die sich vorher nicht gekannt hatten, haben sich auf diese Weise kennengelernt und miteinander eine gute Zeit verbracht. Das Gesellige sei ihm in diesem Moment wichtiger gewesen als der Stolz auf seine eigene Leistung, sagt er bescheiden.
Ob er schon eine neue Aktion geplant habe? 100 Mal auf den Rachel, Falkenstein oder Arber? „Es muss nicht immer höher, schneller, weiter sein.“ Er will einfach das machen, was ihm gefällt – ohne Rekord-Ambitionen. Eine Alpen-Überquerung mit dem Rad schwebt ihm da so vor; viel Bergsteigen natürlich und viel Draußen-Sein in der Natur. „Übrigens“, fügt er an, „die Rentnerin, die mich auf die Idee mit den 100 Lusen-Besteigungen gebracht hat, habe ich kein einziges Mal getroffen“…
Stephan Hörhammer