Volary/Wallern. Sechs Schafe und sieben ungeborene Lämmer – so lautet die traurige Bilanz eines Wolfsrisses, der sich vor einigen Wochen zwischen Lenora und Volary, unweit der bayerisch-böhmischen Grenze, ereignete. Es soll ein Rudel gewesen sein, das laut dem dort lebenden Züchter in unmittelbarer Nähe eines bewohnten Hauses zuschlug. „Die Wölfe gruben sich unter einem massiven Drahtzaun hindurch und schafften es so bis zum Holzschuppen, in dem die Schafe untergebracht waren. Sie töteten nicht aus Hunger, sondern aus Spaß“, ist der betroffene Tierhalter überzeugt. „Ich frage mich, was als nächstes kommt?“
Der Böhmerwäldler möchte nicht mit der Angst leben müssen, dass auch Menschen gefährdet werden. Er möchte sich künftig weiter frei durch den Wald und in der Dämmerung bewegen können – ohne Furcht davor, dass sein Leben von umherziehenden Wölfen bedroht wird.
„Einige Pfosten waren angefault, der Zaun war schief“
Verständnis für die Sorgen des Züchters haben die Verantwortlichen des Šumava-Nationalparks sehr wohl, wie eine Hog’n-Nachfrage dazu ergeben hat. Gleichzeitig betonen die unmittelbar nach dem Vorfall verständigten und zum Ort des Geschehens geeilten Mitarbeiter, dass sich die Situation etwas anders dargestellt habe, als von dem betroffenen Schafzüchter geschildert. Der Zaunschutz etwa sei nicht massiv gewesen. Die Wölfe hätten daher die bis zu 20 Zentimeter großen Lücken zwischen dem Boden und dem Zaun, die es an mehreren Stellen gegeben habe, genutzt, um in die Umfriedung einzudringen. „Einige Pfosten waren angefault, der Zaun war schief“, so die Verwaltung.
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Wir haben die Verantwortlichen des Šumava-Nationalparks gebeten, uns weitere Fragen zum Vorfall sowie zum Umgang mit dem Wolf im Böhmerwald zu beantworten, nachdem sich in jüngster Vergangenheit die Fälle dort häufen. Mit folgendem Ergebnis:
„Wölfe sollen nicht lernen, dass dies ein einfacher Weg ist“
Wie bewerten Sie den Vorfall?
Es ist ein klassischer Fall, wo Wölfe eine Lücke im Zaun ausnutzen und meist unter dem Zaun durchkriechen, um leichtere Beute zu machen.
Wann wurde ihnen der Vorfall seitens des betroffenen Züchters gemeldet?
Der Angriff wurde den Mitarbeitern der Nationalparkverwaltung Šumava am Freitag, den 26. Januar 2024, gemeldet. Wir haben den Vorfall sofort noch am selben Tag untersucht. Das Protokoll der Untersuchung vor Ort wurde erstellt und am folgenden Montag an die Südböhmische Region geschickt. Es wurden allerdings Schwachstellen in der Absicherung der Schafherde festgestellt, auf die die Züchter hingewiesen wurden und die im Protokoll beschrieben sind.
Wurden bereits Maßnahmen hinsichtlich des Vorfalls veranlasst?
Wir haben keine Informationen darüber, ob der Züchter die Schwachstellen in der Herdensicherung beseitigt hat oder daran arbeitet. Nach einer Untersuchung ist es immer notwendig, tote Tiere schnell von der Weide zu entfernen und die ‚Schwachstellen‘ zu beseitigen. Es geht darum, dass die Wölfe nicht lernen, dass dies ein einfacher Weg ist, Beute zu machen.
Nach Rückgang wieder Anstieg feststellbar
Generell betrachtet: Die Fälle von Wolfsrissen scheinen sich binnen der vergangenen Wochen und Monate im Böhmerwald gehäuft zu haben. Können Sie dies bestätigen bzw. dementieren?
Seit 2017, dem Jahr, seit dem wir uns mit Wolfsschäden befassen, hat es keinen signifikanten Anstieg gegeben. Im Jahr 2023 verzeichneten wir 35 Wolfsschäden, was einen Anstieg gegenüber 23 Fällen im Jahr 2022, aber einen Rückgang gegenüber 41 im Jahr 2019 und 37 im Jahr 2020 bedeutet.
Gibt es beabsichtigte Maßnahmen seitens des Šumava-Nationalparks, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken?
Die Nationalparkverwaltung Šumava steht seit der Rückkehr der Wölfe in engem Kontakt mit den Viehzüchtern auf dem Gebiet des Nationalparks Šumava und indirekt auch auf dem Gebiet des Landschaftsschutzgebiets Šumava. Wir informieren die Züchter regelmäßig über die Entwicklung der Wolfsrudel, organisieren Seminare und informieren sie über mögliche Subventionen zur Sicherung ihrer Herden.
Generell haben nicht wenige Leute den Eindruck, als ob der Wolf im Šumava-Nationalpark als „heilige Kuh“ betrachtet wird und er schalten und walten kann, wie er möchte. Vor allem Nutztier-Züchter scheinen mehr und mehr die Leidtragenden unter dem Einfluss der Wölfe zu sein. Nicht wenige fühlen sich von der Šumava-Nationalpark-Leitung alleine gelassen – nicht hinsichtlich dessen, dass man hinterher sich nicht um den entstandenen „Schaden“ kümmern würde. Sondern vielmehr hinsichtlich dessen, dass im Voraus, also präventiv, zu wenig dafür getan wird, um derlei Wolfrisse zu verhindern. Wie betrachten die Nationalpark-Verantwortlichen die Situation?
Der Wolf ist eine europäisch geschützte Tierart, genau wie das Auerhuhn, das Birkhuhn, der Wanderfalke oder der Luchs, die größte Katzenart in Mitteleuropa. Wir schenken ihm daher genau die gleiche Aufmerksamkeit und den gleichen Schutz wie den anderen Arten. Der Schutzstatus dieser Arten richtet sich nach den europäischen und nationalen Rechtsvorschriften.
„Jeder Züchter muss seine Tiere schützen“
Wie sehr sehen Sie die Züchter in der Verantwortung, ihre Tiere zu schützen?
Jeder Züchter muss seine Tiere schützen. Man muss auch sagen, dass es viele Züchter gibt, die nach dem ersten Schadensfall ihre Sicherheitsmaßnahmen verbessert haben und keine Schäden mehr haben.
Was muss passieren, damit der Nationalpark hier präventiv eher eingreift? Oder anders gefragt: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit die Zahl der Wölfe besser reguliert/dezimiert werden kann?
Der Schutz geschützter Arten, wie z. B. des Wolfs, stützt sich auf europäische und nationale Rechtsvorschriften. Natürlich wird dabei auf die aktuellen Gegebenheiten eingegangen. Im Falle des Wolfs gibt es einen Wolfsmanagement-Plan und einen Notfallplan für den Fall, dass problematische Wolfsindividuen vorkommen. Alle diese Dokumente und aktuellen Informationen werden auf www.navratvlku.cz veröffentlicht und zur Verfügung gestellt.
Können Sie uns genauer beschreiben, wie dieser Wolfsmanagement-Plan sowie Notfallplan für problematische Wolfsindividuen aussieht?
Im Notfallplan finden Sie auf der Seite zehn die Tabelle, nach der das Wolfsverhalten qualifiziert wird. In dem Fall Stögrovec handelt es sich dem Notfallplan zufolge nicht um problematische Wölfe, weil sie Schäden an Tieren ohne geeignete Umzäunung gemacht haben. Die empfohlene Handlung lautet: Bewertung der Wirksamkeit des Schutzes der Tiere, Ermittlung von Schwachstellen, Verbesserung der durchgeführten Schutzmaßnahmen, intensives Monitoring.
Wer entscheidet letztlich, ob Wölfe aus dem Gebiet des Šumava entnommen werden können oder nicht?
In der Tschechischen Republik wird zu diesem Zweck der bereits erwähnte Notfallplan für den Umgang mit problematischen Wolfsindividuen verwendet. Darin wird genau beschrieben, wie mit Problemwolf-Situationen umzugehen ist und wer welche Aufgaben und Pflichten hat.
„Züchter, deren Sicherheitsvorkehrungen mangelhaft waren“
Abschließend: Was muss passieren, dass die Züchter keine Angst mehr haben müssen um das Wohl ihrer Nutztiere?
Wir gehen davon aus, dass jeder Züchter sich so gut wie möglich um das Wohlergehen seiner Tiere kümmern möchte. Dabei können Züchter vom Staat bis zu 100 Prozent finanzielle Unterstützung erhalten, um die Sicherheit ihrer Tiere umzusetzen. Leider fanden praktisch alle Wolfsangriffe auf Nutztiere bei Züchtern statt, deren Sicherheitsvorkehrungen mangelhaft waren oder schlecht umgesetzt wurden. Aus mehrjähriger Erfahrung können wir sagen, dass – wenn der Züchter die Herdenschutzmaßnahmen gemäß den Empfehlungen durchführt – Angriffe durch Wölfe praktisch auf Null reduziert werden.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
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