Haidmühle/Tusset. Der Wolf ist längst angekommen im Bayerischen Wald – und das nicht nur im Tierfreigehege des Nationalparks. Gerade an der bayerisch-tschechischen Grenze wurde er zuletzt das ein oder andere Mal wahrgenommen, sogar sehenden Auges beobachtet. Die Bevölkerung ist alarmiert, ein komisches Gefühl bei diversen Freizeitaktivitäten in der Natur nicht mehr zu leugnen. Nutztierhalter blicken aufgrund zunehmender Wolfsrisse mit Sorge Richtung Waldrand. Wir haben daher einen Fragenkatalog an das Landesamt für Umwelt (LfU) sowie an die Wolfsexperten des Nationalparks Šumava gesandt.
Wie soll man mit dem Wolf im Bayerischen Wald umgehen? Diese Frage stellten sich zuletzt auch Max Gibis, Landtagsabgeordneter aus der Gemeinde Mauth-Finsterau, Staatsminister Christian Bernreiter, BBV-Bezirkspräsident Siegfried Jäger und BBV-Kreisobmann Michael Klampfl. Insbesondere die praktische Umsetzbarkeit bei Wolfschutzmaßnahmen für Landwirte stand bei einem Treffen im Vordergrund.
„Problemwölfe notfalls entnehmen“
Bernreiter hatte, wie der dazugehörigen Pressemitteilung zu entnehmen ist, erst kürzlich gefordert, die Gebietskulisse der Bayerischen Wolfsverordnung auch auf den Bayerischen Wald auszuweiten, da nicht nur in Oberbayern Wolfsrisse immer mehr zum Problem werden. Jäger begrüßte indes, dass die Staatsregierung die Wolfsverordnung erlassen hat, um Wölfe auch entnehmen zu können, wenn Risse vorkommen.
„Da es auch im Bayerischen Wald in vielen Bereichen nicht so einfach möglich ist, Schutzzäune zu errichten“, sagt Siegfried Jäger, „muss es auch bei uns möglich sein, Problemwölfe notfalls zu entnehmen“.
Bernreiter befindet sich deshalb bereits in enger Abstimmung mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, um zu erreichen, dass sich die Weideschutzkommission entsprechende Untersuchungen im Bayerwald vornimmt. Gibis könnte sich sogar vorstellen, dass man daraus ein Pilotprojekt macht, da in Zukunft sicher auch in anderen Regionen Bayerns das Thema auftauchen werde.
Aktuelle Wolfspopulation auf 36 Individuen geschätzt
Im Böhmerwald ist der Wolf ebenfalls auf dem Vormarsch. Ein tschechischer Viehzuchtbetrieb wenige Kilometer hinter der bayerisch-tschechischen Grenze hatte Hog’n-Informationen nach im vergangenen Jahr neun, in diesem bereits zwölf Rinder verloren. Im Rahmen des sogenannten Wolfsjahres 2022/2023, das von Anfang Mai bis Ende April des Folgejahres läuft, können die Zoologen der Nationalparkverwaltung Šumava sechs Wolfsreviere bestätigen. Von ihnen haben sich laut einer Pressemitteilung fünf Rudel fortgepflanzt.
„Die Zahl der bekannten Territorien ist die gleiche wie im Wolfsjahr 2021/2022, als in vier von ihnen eine Fortpflanzung stattfand: In den Rudeln Železná Ruda, Srní, Borová Lada und Zadní Zvonková“, erklärt dazu Jan Mokrý, Leiter der zoologischen Abteilung im Šumava, und ergänzt: „Zwei Territorien wurden von Wolfspaaren neu besetzt: in der Pilsner Region in der Umgebung von Pancíř und in der Südböhmischen Region bei Boubín. Im Jahr 2022 gab es überall Nachwuchs, mit Ausnahme des Rudels Srní“, dem ersten Rudel im Böhmerwald, dessen Vermehrung im Jahr 2017 erstmals festgestellt wurde. Auf dieser Grundlage schätzen Zoologen die aktuelle Wolfspopulation auf 36 Individuen, etwa ein Viertel größer als im Jahr 2021. Diese Zahl könne sich im Laufe des Jahres (durch Geburt, Abzug, Tod) ändern, heißt es.
„Die ersten Schäden durch Wölfe haben wir 2017 erfasst“, informiert Oldřich Vojtěch, der zusammen mit Mokrý bei der Aufklärung über Wölfe in der Öffentlichkeit und speziell bei den Tierhaltern auf dem Gebiet des Nationalparks und seiner Umgebung hilft. „Mit der Zunahme dieser Beutegreifer stieg zunächst auch die Zahl der Schäden. Im Jahr 2018 waren es 17, im Jahr 2019 waren es 41. Danach ist die Zahl der Schäden allerdings zurückgegangen. 2020 registrierten wir 37, ein Jahr später 21 – und im vergangenen Jahr 22. Heuer haben wir bisher fünf Vorfälle registriert. Der Grund für den Rückgang der Schadensfälle sind wahrscheinlich die effektiven Bemühungen der Tierhalter, Angriffe zu verhindern und ihre Herden zu sichern“, glaubt Vojtěch.
„Wir tun das auch nicht in anderen Fällen“
Wir haben der Nationalparkverwaltung Šumava einen Fragenkatalog rund ums Thema „Wolf im Grenzgebiet“ zukommen lassen. Von den Vorkommnissen im Viehzuchtbetrieb weiß man auf Seiten des böhmischen Nationalparks nichts, zumindest geht man in der Antwort nicht explizit darauf ein. Man betont erneut: Fünf Fälle von Wolfsangriffen auf Nutztiere seien insgesamt dokumentiert worden. „In zwei Fällen handelte es sich um Angriffe auf neugeborene Kälber. In drei Fällen waren Schafe und Lämmer betroffen.“
Auf die Frage hin, wie man die aktuelle „Bedrohungslage“ durch den Wolf im Grenzgebiet einschätze, wiederholt man: „Die Zahl der Vorfälle, bei denen Nutztiere von Wölfen angegriffen wurden und zu denen wir gerufen werden, ist rückläufig bzw. in den letzten zwei Jahren hatten wir ungefähr die Hälfte aus dem Jahr 2019. Also auch wenn die Zahl der Wölfe im Böhmerwald wächst, ist die Zahl der gemeldeten Übergriffe geringer.“
In Sachen Maßnahmen teilt man uns Folgendes mit: „Die Verwaltung hat bereits mehrere Informationsveranstaltungen für Tierhalter unter Beteiligung anderer Naturschutzbehörden organisiert, zuletzt im vergangenen Jahr. Aus rechtlicher Sicht sind wir verpflichtet, den gemeldeten Schaden vor Ort zu untersuchen, einen Bericht zu erstellen und zu bestätigen oder auszuschließen, ob der Schaden durch einen Wolf oder einen Luchs verursacht wurde. Bei der Vor-Ort-Untersuchung informieren wir die Landwirte über die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen und über die Möglichkeiten der Sicherung der Schafe. Wir geben Pressemitteilungen für die Öffentlichkeit und Artikel in verschiedenen Zeitschriften heraus, wie zum Beispiel in den Magazinen Šumava und Svět Myslivosti.“
Über konkrete Vorfälle werde die breite Öffentlichkeit nicht informiert, heißt es weiter. „Wir erwähnen sie aber zum Beispiel in Pressemitteilungen oder bei Vorträgen, die wir in verschiedenen Teilen der Region halten.“ Gleichzeitig habe die Öffentlichkeit die Möglichkeit, alle Informationen über die Entwicklung der Wolfspopulation auf der offiziellen Website zu diesem Thema zu verfolgen, die von der Agentur für Natur- und Landschaftsschutz der Tschechischen Republik betrieben wird.
Als im Oktober 2022 auf einer abgelegenen Weide in der Gemeinde Tusset (Stožec) sechs Schafe und ein Schafbock gerissen wurden, hat sich die Nationalpark- nicht mit der Gemeindeverwaltung in Verbindung gesetzt. „Wir tun das auch nicht in anderen Fällen. Wir haben gemeinsam mit dem Landwirt eine Untersuchung vor Ort durchgeführt, wie es das Gesetz Nr. 115/2000 über die Schadenentschädigung vorschreibt.“
Keine Nachweise aus FRG im aktuellen Monitoringjahr
Seitens des Landesamts für Umwelt wollten wir ebenfalls in Erfahrung bringen, ob man von den Wolfsrissen auf tschechischem Staatsgebiet weiß, wie man die aktuelle Bedrohungslage im bayerisch-tschechischem Grenzgebiet einschätzt, ob die Bevölkerung über gewisse Vorkommnisse öffentlich informiert wird und ob man etwa mit dem Bürgermeister der Gemeinde Haidmühle oder den Kollegen auf tschechischer Seite in Sachen Wolf in Kontakt steht.
Die Antwort darauf fällt – einmal mehr – sehr allgemein aus. Von etwaigen Wolfssichtungen wisse man nichts. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen dem Bayerischen Landesamt für Umwelt für das aktuelle Monitoringjahr 2023/2024 (Beginn am 01.05.2023) keine Nachweise aus dem Landkreis Freyung-Grafenau vor“, informiert ein LfU-Sprecher. Heißt konkret: Wölfe, die nicht foto- oder videotechnisch erfasst werden, existieren auch nicht. Augenzeugenberichte oder ähnliche nicht unmittelbar visuelle Informationsquellen tauchen nirgendwo in der LfU-Statistik auf.
Man verweist (erneut) auf die eigene Internetseite mit „Nachweisen sowie Verdachtsfällen bei Nutztierrissen mit Beteiligung eines großen Beutegreifers sowie die Angaben zu standorttreuen Tieren“. Man verweist (erneut) auf „den Ablauf der Dokumentation bei Hinweisen auf große Beutegreifer“ – mit dem Zusatz, dass „bei einem Nachweis großer Beutegreifer seitens LfU eine Information an die betroffenen Nutztierhalter bzw. die Melder eines Hinweises, Interessengruppen und Behörden sowie eine Veröffentlichung auf der o.g. Monitoringseite erfolgt“.
Und ebenso verweist man (erneut) auf Fördermöglichkeiten und Kriterien der „Richtlinie zur Förderung von Investitionen in Herdenschutzmaßnahmen gegen Übergriffe durch den Wolf“ (FöRIHW). „Der Landkreis Freyung-Grafenau liegt sowohl innerhalb der Förderkulisse für Herdenschutzzäune als auch in der Förderkulisse für Herdenschutzhunde. Weitere Informationen dazu finden Sie unter…“
Wurde alles gesagt?
Die Mehrheit unserer konkreten Nachfragen wird nur unzureichend beantwortet seitens des im schwäbischen Augsburg ansässigen Landesamts für Umwelt, das in Sachen Öffentlichkeitsarbeit bayernweit einzig und allein auskunftsberechtigt ist, wenn es ums Thema Wolf geht. Stattdessen übt man sich – einmal mehr – in Allgemeinplätzen. Der Eindruck, dass in Sachen proaktiver, öffentlich-transparenter Kommunikation gegenüber der Bevölkerung sämtliche Register gezogen werden, bestätigt sich (erneut) nicht. Eine Tatsache, die wohl kaum zum weiteren Wohlbefinden der Bewohner des größten zusammenhängenden Waldgebiets Mitteleuropas beitragen dürfte.
Die Frage, weshalb der Nationalpark Šumava heuer bislang lediglich fünf Wolfsvorfälle registriert hat, unseren Informationen nach jedoch von mindestens zwölf Tieren die Rede ist, bleibt ungeklärt. Dass in einem Nationalpark, einem Schutzgebiet für Flora und Fauna, der Wolf eher ein gern gesehener Gast ist und weniger als „Problemwolf“ betrachtet wird, dürfte hinlänglich bekannt sein. Es bleibt daher weiter spannend, wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln werden – hoffentlich zum Wohle von Mensch und Tier gleichermaßen…
Stephan Hörhammer