Neureichenau. Am Samstag war er wegen der Bauern-Demo in Freyung; tags darauf nahm er an der Groß-Kundgebung in Berlin teil; am Dienstag stand die turnusmäßige Präsidiumssitzung des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) in München auf dem Programm – Siegfried Jäger ist ehrenamtlicher BBV-Bezirksvorsitzender und in dieser Funktion Vollzeit im Einsatz. Selbst gezählte 347 Termine hat er alleine im Jahr 2023 wahrgenommen. Das Dauerfeuer in der vergangenen Protestwoche stellt für ihn demnach keine Besonderheit dar. Die Aufmerksamkeit um seine Person zuletzt hingegen schon.
Den Großteil seiner Arbeit verrichtet der 54-Jährige eher im Hintergrund. Als niederbayerischer BBV-Bezirkspräsident verbringt er viele Stunden in Ausschüssen, bei Fachtagungen, in Gesprächen mit der Erzeugergemeinschaft, im Dialog mit Politikern, bei internen Sitzungen und Besuchen in den neun Kreisverbänden. Als Mann der Basis ist es Jäger ebenso wichtig, direkt mit den Landwirten vor Ort zu kommunizieren. „Ja, das stimmt schon. Von all diesen Sachen bekommt die Öffentlichkeit nur wenig mit“, bestätigt er. „Da war es in der vergangenen Woche schon anders.“
Niederbayernweit: 47.000 Protestler, 22.000 Schlepper
Selten standen die Bauern so sehr im Mittelpunkt wie seit Jahresbeginn. Sie mutierten zum Sprachrohr der Bevölkerung. Bei den Demonstrationen, Sternfahrten, Konvois und Kundgebungen wurde den Agronomen landauf landab, zugejubelt. Allein in Niederbayern waren Siegfried Jäger zufolge 47.000 Protestler und 22.000 Schlepper auf der Straße, um gegen die Streichung der Agrardiesel-Rückvergütung sowie der KfZ-Steuerermäßigungen zu demonstrieren. Zahlen, von denen die BBV-Vertreter regelrecht überrumpelt wurden. „Mit so einem Zuspruch hätten wir nie gerechnet“, macht Jäger deutlich.
Dass aus den agrarpolitischen Protesten – nach dem auf vielen Traktoren sichtbaren Motto „Die Ampel muss weg!“ – gesamtpolitische werden, war nicht beabsichtigt und hat sich eher zufällig entwickelt. „Erstmals wurde mir das in Grafenau bewusst“, erklärt Jäger dazu. „Damals habe ich gesagt, dass die Bundespolitik nicht mehr tragbar ist, was zu Jubelstürmen geführt hat. Der Rest ist bekannt.“ Dem 54-Jährigen ist es dabei wichtig zu betonen, dass er und seine Mitstreiter nicht mit Umsturzphantasien in Verbindung gebracht werden dürften. „Friedlich-demokratisch“ sollten die Demonstrationen ablaufen. Und das taten sie nach Ansicht des BBV-Bezirksvorsitzenden auch.
Ein Hof in Venezuela? Am Ende wurde es Klafferstraß
Siegfried Jäger gilt seit jeher als streitbarer Mensch, der keine Konflikte scheut. Zu seinen Waffen zählen jedoch nicht Fäuste, sondern Argumente. In den Jahren als Funktionär hat er zudem gelernt, „dass ich diplomatischer agieren“ muss. Da ist es besser, „einfach mal nichts zu sagen“. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass er leidenschaftlicher Bauer und emotionaler Kämpfer für diesen Stand sein will. Jenes Feuer für die Landwirtschaft ist in seinem Charakter tief verwurzelt.
Geboren in Ob im Allgäu, übernahm Siegfried Jäger – trotz dem Widerstand seiner Mutter („Sie wollte, dass ich studiere„) – den Hof der Familie. Ihm wurde aber schnell bewusst, dass er mit den 13 Kühen keine Perspektive hat. „Ich wollte einen Aussiedlerhof bauen, fand aber kein passendes Grundstück. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, alles zu verkaufen – und umzusiedeln.“ Er sah sich gemeinsam mit seinem Vater (gleichzeitig sein Geschäftspartner) in Venezuela und Paraguay nach entsprechenden Flächen um. Passendes fanden sie aber letztlich in Klafferstraß (Gmd. Neureichenau), wohin die Familie 1987 zog.
1996: Die Anfänge als Bauernvertreter
Und der landwirtschaftliche Betrieb hat sich enorm weiterentwickelt. 120 Kühe, mit der Nachzucht sind es 250 Stück Vieh, nennen sie inzwischen ihr Eigen. Besonders erfreulich: „Die Hofnachfolge ist bereits geklärt: Meine Söhne Lukas und Andreas sind schon anteilig mit dabei.“ Die Jägers bilden somit – im Gegensatz zu früher – eher die Ausnahme als die Regel. Das ist dem Familienoberhaupt bewusst – und ist mit ein Grund, warum er sich als BBV-Führungskraft für die Belange der Landwirte einsetzt. Das bestellte Feld daheim macht es überhaupt erst möglich, dass der 54-Jährige die nötige Zeit für sein aufwendiges Ehrenamt hat.
Erstmals als Aktivist trat er 1996 in Erscheinung. Er gehörte einer Gemeinschaft an, die sich für eine einheitliche Ausgleichszahlung einsetzte. Damals wurde nur die Ackerbauwirtschaft subventioniert. Bereits zu jener Zeit gab es deshalb eine Demonstration in Waldkirchen. „1997 haben wir daher auch mit dem Bauernverband zusammengearbeitet. Ich habe aber schnell festgestellt, dass das nicht zielführend ist, weshalb ich als Vize-Kreisobmann schnell wieder zurückgetreten bin. Doch ich habe versprochen zurückzukehren, wenn wir eine einheitliche Flächenprämie erreicht haben.“ 2003 war dies der Fall. Die Gemeinschaft hatte ihr Ziel erreicht, wurde aufgelöst – und Jäger schloss sich wieder dem BBV an.
Im Gegensatz zu früher: Bauernverband „geil“
Die ersten Jahre war er nur „normales“ Mitglied, sein Fokus lag auf der Entwicklung des eigenen Betriebes. Rund um das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ im Jahr 2019 brachte er sich wieder aktiver ein. „Die Versorgungssicherheit war nicht mehr gewährleistet. Es gab in Bayern mehr Importe als Exporte von landwirtschaftlichen Produkten. Das war ein Zeichen dafür, dass wir vom Ausland abhängig sind. Und das kann nicht sein.“ Erst engagierte sich der Landwirt auf Kreisebene. Später kandidierte er als niederbayerischer Präsident – und wurde 2022 auch gewählt. „Der Bauernverband ist nicht mehr der, der er einmal war – der hat sich zum Positiven gewandelt. Inzwischen ist das ein geiler Verband.“
Verändert hat sich auch das Aufgabengebiet eines Landwirts – aus Sicht von Jäger jedoch eher zum Negativen. „Früher hat man selbstbestimmter arbeiten können. Heute ist man fremdbestimmt durch die Bürokratie. Die Zettelwirtschaft ist enorm“, stellt er fest. Und ja, die Bauern bekämen seit der Öffnung der Märkte mehr finanzielle Mittel aus EU-Töpfen. Aber: „Wir müssen dafür auch mehr Sozial- und Umweltleistungen erbringen – beispielsweise die Vier-Prozent-Flächenstilllegung oder den Pflugverzicht. Das staatliche Geld wird durch die Kosten, die durch diese Vorgaben entstehen, aufgefressen“, beklagt Siegfried Jäger. „Viele Bauern möchten deshalb die Förderungen gar nicht mehr in Anspruch nehmen. Das wiederum ist aber wegen entsprechender gesetzlicher Bestimmungen nicht möglich.“
„Es ist keine einzige Scheibe zu Bruch gegangen“
Den Landwirten werde ihre Arbeit immer mehr erschwert, ist er überzeugt. Und das, obwohl diese Sparte als „Ernährer der Bevölkerung“ gelte und zudem die Kulturlandschaft am Leben erhalte. Die Sache mit dem Agrardiesel und der KfZ-Steuer sei dann der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Siegfried Jäger ist es wichtig, in diesem Zusammenhang noch einmal zu betonen, dass alles „friedlich-demokratisch“ abgelaufen sei. „Bauern sind anständige Leute. In Niederbayern ist während der Proteste keine einzige Scheibe zu Bruch gegangen.“
Die Botschaft sei auch in Berlin angekommen. Aber noch nicht so, wie vom niederbayerischen BBV-Präsi gewünscht. Deshalb wird es zeitnah auch weitere Aktionen geben. „Wir wollen die Bevölkerung aber nicht überstrapazieren“, bekräftigt Jäger. Ein bereits im Raum stehender Korso von Freyung zum Grenzübergang Philippsreut am Mittwoch wurde aufgrund der Glättewarnung abgesagt. „Die Pläne dazu liegen aber noch in der Schublade.“
Dass der 54-Jährige demnächst zur Grünen Woche nach Berlin reisen muss, sei kein Problem für ihn. „Organisieren kann ich auch von der Ferne aus. Und ich habe gute Leute vor Ort, wie meinen Stellvertreter Hans Bauer.“ Die Terminhatz für Siegfried Jäger geht also weiter. Der einzige Unterschied zu früheren Tagen: Nun steht seine Person mehr im Fokus.
Helmut Weigerstorfer