Kempten. Die Falten auf der Stirn sind tiefer geworden, die Tränensäcke dicker, das Haar noch weißer. Ja, es ist ihm anzumerken, dass sich in den vergangenen Jahren so einiges in seinem Leben getan hat, er die ein oder andere Hürde nehmen musste. Doch die blauen Augen von Werner Schmidbauer leuchten in diesen Tagen heller denn je. Denn er ist zurück – mit neuem Solo-Album, neuen Botschaften und neuer Aufbruchstimmung.
Aus den tiefen Eindrücken all der Entwicklungen der vergangenen Jahre heraus hat der 62-Jährige sein nun erschienenes Musikwerk geschrieben. Er will damit den Menschen Mut machen, will ihnen verdeutlichen, dass es nur Miteinander geht und jeder mit jedem verbunden ist. Zur einen Hälfte unplugged und solo, zur anderen Hälfte mit Band eingespielt und produziert von seinem langjährigem Bühnenpartner Martin Kälberer, ist im Sommer ein sehr persönliches sowie unverstelltes Album entstanden. Wir haben uns mit dem Liedermacher darüber unterhalten:
„Ich habe gelebt, gelebt, gelebt“
Werner: Zehn Jahre sind vergangen zwischen Deinem letzten Studioalbum „Wo bleibt die Musik“ und „Mia san oans“ – warum hat’s solange gedauert?
Ich war viel unterwegs in den vergangenen Jahren. Wir hatten die beiden Süden-Projekte mit Pippo Pollina. Es war eine Zeit, in der ich mehr gelebt habe als geschrieben. Eine Zeit, in der sich vieles verändert hat in meinem Leben. 2012 hatte ich mit starkem Muskel-Rheuma zu kämpfen, was mich sehr beschäftigt hat. Meine Mutter ist gestorben. Ich habe ein neues Kniegelenk bekommen. Mein Privatleben hat sich nach einer Trennung total verändert. Mein ganzes Leben hat sich gedreht, es war eine Art Aufbruch zu spüren.
2016 gab’s nach 23 erfolgreichen Jahren eine Abschiedstour mit Martin Kälberer. Wir waren auf dem Höhepunkt angelangt und wussten, dass es ein guter Zeitpunkt ist, aufzuhören und etwas Neues zu beginnen. Das letzte Doppel-Konzert fand vor 14.000 Menschen statt. Ich habe gelebt, gelebt, gelebt – und habe Songs für das Süden-Album geschrieben. Und ich habe für mich selbst eine Song-Pause eingelegt und geschaut, wie’s weitergeht. Doch dann kam auch noch die Corona-Pandemie…
Ich bin eine neue Beziehung eingegangen, bin aus diesem Grund nach Kempten ins Allgäu gegangen. Es ist so vieles Neues in meinem Leben passiert, dass ich zunächst einfach mal nur eine Runde gelebt habe und erst danach wieder zum Schreiben gekommen bin. Insofern ist es ein sehr authentisches, sehr persönliches Album geworden, aber auch mein bislang politischstes.
„Ein Manifest für mehr Menschlichkeit“
„Mia san oans“ lautet der Titelsong. Worum geht’s da genau?
Es ein politisches Manifest. Was mich total genervt hat in den vergangenen drei Jahren, nach dem Beginn der Pandemie und nach dem Lockdown, ist die Spalterei in unserer Gesellschaft. Es sind ganze Risse durch Familien gegangen, jahrelange Freundschaften sind zerbrochen, Impfgegner gegen Impfbefürworter usw. Jetzt geht es um die Einwanderungspolitik, weil viele Leute Angst haben – und zwar berechtigt. Denn es stellt sich ja dringlich die Frage, wie es weitergeht mit der Migration. Hinzu kommt die Inflation, die Umwelt- und Klimaproblematik – man fängt dadurch an sich abzugrenzen.
„Mia san Oans“ ist ein Manifest für mehr Menschlichkeit, eine Bitte, ein Schrei danach, dass wir endlich wieder begreifen müssen, dass wir eine Menschheit sind und es keinen Sinn macht Kriege zu führen, Familien zu spalten oder Menschen aufgrund ihrer Meinung auszugrenzen. Es geht ums Wachrütteln, um mehr miteinander, darum, zu verstehen: Wir sind eine Menschheit. Wir sind viel zu vernetzt mittlerweile auf unserem Planeten, als dass jeder sein eigenes Süppchen kochen könnte…
Die Meinungsverschiedenheiten erweisen sich heute als derart verbittert und unversöhnlich. Ich habe mit meinem Vater früher auch oft gestritten, aber wir haben uns immer wieder vertragen. Es ging meist um Politik – doch wie heftig auch immer wir uns gefetzt haben, wir haben uns am Ende wieder vertragen und miteinander ein Bierchen getrunken. So etwas scheint heute verloren gegangen zu sein. Auch der Israel-Palästina-Konflikt wirkt extrem unversöhnlich – und geht sofort auf die Knochen. Ich denke, wir müssen wieder lernen, andere Meinungen auszuhalten. Eine Zeile in dem Stück „Mia san Oans“ lautet daher: „Lasst’s ertrog’n, was der andere moant.“
„Jeder fischt in seiner eigenen Blase herum“
Woran liegt es denn, dass sich das alles so negativ entwickelt hat?
Gute Frage. Als Humanist kann ich mir das nicht wirklich erklären. Ich denke, dass das Internet und die sog. Sozialen Medien einen gewissen Anteil daran haben. Wir dachten ja alle, dass sich mit der Einführung des Internets der politische Horizont erweitern würde und wir uns über alles informieren könnten. Das genaue Gegenteil ist jedoch eingetreten: Jeder fischt in seiner eigenen Blase herum und die Meinung, die man ohnehin schon hat, wird aufgrund entsprechender Netz-Logarithmen bedient und bestätigt.
Leute, die irgendeinen Quatsch im Netz verbreiten, avancieren aufgrund hoher Klickzahlen zu politischen Meinungsmachern – und die Menschen denken dann, das ist die Wahrheit, weil er oder sie vielleicht noch einen Doktortitel vor dem Namen stehen haben. Die Konsequenz daraus: Du findest Gleichgesinnte im Netz und musst nicht mehr mit deiner Familie reden – und die Konsequenz ist dann die Abgrenzung von der eigenen Familie und Andersdenkenden.
Ein weiterer Faktor ist die Angst vor Migration, vor den klimatischen Veränderungen – ganz allgemein: vor dem Unbekannten. Und ein Mensch, der Angst hat – das weiß man seit der Weimarer Republik -, ist anfällig für diejenigen, die einem einfach gestrickte Antworten und Lösungen anbieten. Die Folge: Es findet eine um sich greifende Radikalisierung aufgrund blanker Angst statt.
Was denkst Du: Ist das Gefühl der Angst in der heutigen Gesellschaft präsenter denn je?
Es hat meiner Meinung nach schneller überhand genommen als gedacht – weil es den Leuten schneller als früher an den eigenen Geldbeutel geht. Der Mensch funktioniert ja überwiegend über seinen eigenen Wohlstand. Und mit der deutlich spürbareren Inflation – Essen gehen im Restaurant wird teurer, Regale im Kaufhaus sind weniger gefüllt, Kinder-Medikamente sind nicht mehr so vorhanden wir bisher etc. – merken die Menschen immer mehr, dass es insgesamt weniger wird. Deshalb geht es jetzt auch sehr schnell mit der Radikalisierung voran, weil es das erste Mal in unserem wohlstandsverwöhnten Westen an unseren Geldbeutel geht.
Ich habe immer genug verdient, aber ich spüre das auch. Und die Menschen, die an der Kippe zur Armut leben, deren Kühlschrank kaputt gegangen ist, sie aber kein Geld mehr für die Reparatur haben, sind jetzt richtig in Not. Irgendeiner – so funktionieren wir Menschen leider nun mal – ist immer daran schuld. Wir brauchen Sündenböcke, um uns nicht selber in die Verantwortung nehmen zu müssen.
„Da kommst du nicht mehr drumherum“
Nochmals kurz zurück zu Internet und Social Media: Du hast ja vor Jahren beschlossen, dich aus den sog. Sozialen Medien zu verabschieden, weil dieses System nichts für Dich ist, wie Du damals gesagt hast, und Du dich dort nicht mehr tummeln magst. Aktuell bist Du allerdings mehr und intensiver denn je aktiv – sei’s bei Facebook, Instagram oder YouTube. Woher und warum dieser Sinneswandel?
Ich hatte vor Kurzem erst ein Gespräch mit Martin Kälberer, der nun ja auch bei Instagram präsent ist und früher, wie ich, radikal unterwegs war im Sinne von: Wir schummeln uns da durch, brauchen das alles nicht, klinken uns aus. Ich habe mich da offensichtlich ein bisschen verschätzt. Mein neues Album, das mir sehr am Herzen liegt, weil ich es als sehr gelungen empfinde, soll von möglichst vielen Leuten gehört und wahrgenommen werden. Der klassische Vertriebsweg von früher – man macht eine CD, die dann im Plattenladen erhältlich ist und von den Leuten gesucht und gefunden wird – ist vorbei. Die ganze Verbreitung läuft heute übers Netz – und diesen Weg muss man eben nun auch als Künstler gehen. Da kommst du nicht mehr drumherum. Und wenn man sich einmal dafür entschlossen hat, dann macht man’s lieber gleich g’scheit.
Meine Partnerin ist mit Social Media sehr vertraut, das ist mein Glück. Und es macht tatsächlich auch viel Spaß, spontane Aktionen für meinen Instagram-Kanal zu kreieren. Und dennoch: Ich bin einer, der das mal mitmacht und veröffentlicht, aber nicht permanent am Smartphone hängen und neue Posts generieren muss. Das ist nicht mein persönliches Haupt-Vergnügungsmedium, sondern das ist eben ein Weg und eine Plattform, auf der man mit anderen Künstlern kommunizieren, die Leute erreichen oder auf Konzerte hinweisen kann.
„Er wusste genau, dass ich es sehr pur haben möchte“
Zurück zur neuen Platte: Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Martin Kälberer als Produzenten und Dir gestaltet?
Er ist der beste Produzent, den ich kenne. Es wäre dumm von mir gewesen, mit jemand anderem zusammen zu arbeiten. Er ist innovativ, kreativ, unbestechlich, mit einem großartigen Gehör ausgestattet und einer unglaublichen Geduld, die bei mir dringend notwendig ist. Die Zusammenarbeit war wie zwischen zwei alten Eheleuten… (lacht). Im Ernst: Martin und ich verstehen uns blind, wir sind Seelenbrüder – wobei er sofort Kritik übt, sobald er etwas als unpassend findet. Er wusste genau, dass ich es sehr pur haben möchte, daher haben wir auch alles miteinander im Studio von Alex Klier, meinem Bassisten, in München-Pasing eingespielt – und nicht, wie früher bei uns üblich, separat und der Reihe nach. Ich bin mittlerweile zu alt dafür, dass ich diese mathematisch durchstrukturierte Musik nochmals realisieren möchte.
Auf der Solo-Tour hab ich gemerkt, dass ich dann am besten bin, wenn ich gleichzeitig singe und spiele. Und genau so ist es auch geschehen: Ich habe einfach gespielt und gesungen und das solange gemacht und getan, bis wir der Meinung waren, dass es passt. Ich habe die Band zusammengeholt – all diese großartigen Musiker, die mich seit vielen Jahren begleiten – und wir haben das Album eingespielt. So ist eine ganz verblüffende Energie auf dieser Platte zustande gekommen.
Klingt gut. Wann geht’s auf Tour? Wann kommst Du wieder mal in den Bayerischen Wald?
Heuer im Dezember gibt es noch ein Konzert von mir. Dann geht es im nächsten Jahr weiter. Es bleibt aber generell vorerst mal eine Solo-Tour. Im Juli will ich dann das einzige Konzert mit der SchmidbauerS-Band, bei dem wir die neuen Lieder präsentieren werden, spielen. Und wenn das gut funktioniert und allen Spaß macht, kann ich mir vorstellen, 2025 auch eine kleine Band-Tour einzulegen.
Niederbayernmäßig ist ein Auftritt im Landgasthof Reisinger in Straubing eingeplant. Manchmal spiel ich vor ein paar tausend Leuten, wie zuletzt beim Altusried-Open-Air, manchmal nur vor 35 Leuten, wie jüngst in Anzing. In meinem Alter kann ich mir das leisten, ab und zu selbst festzulegen, vor wie vielen Menschen ich auftreten möchte. Wichtig ist, dass die Atmosphäre passt und alle gemeinsam eine gute Zeit haben.
„Im Woid kann man’s gut aushalten“
Noch eine Frage zum Song „Lillesand“, der sich auch auf dem neuen Album befindet. Was hat’s damit auf sich?
Ein kleines Fischerdorf an der Südküste von Norwegen, wo ich im vergangenen Jahr im Sommer mit meiner Lebenspartnerin gewesen bin. Wir fahren wahnsinnig gerne mit meinem VW-Bus weg zum Campen. Da war es naheliegend, dass wir auch nach Norwegen fahren, weil es dort einfach sehr schön ist. Es gab dort den Moment, in dem ich auf einem Felsen an der Küste gesessen bin, nachdem ich längere Zeit schon keine Lieder mehr texten konnte. Eine Art Schreibblockade. Ich habe aufs Meer geschaut, meine kleine Gitarre in die Hand genommen – und plötzlich konnte ich wieder schreiben. Von jetzt auf gleich. Und ich hab dann innerhalb weniger Minuten dieses Lied verfasst. Das war der Startschuss für mich, ein Schlüssellied und sicherlich der persönlichste Song auf dem Album.
Letzte Frage: Geht’s auch mal wieder mit „Gipfeltreffen“ in den Woid?
Es wird beim BR ja immer nur von Jahr zu Jahr entschieden, ob die Staffel weiterläuft. Nächstes Jahr gibt es sie auf jeden Fall noch. Gipfeltreffen geht mittlerweile ja ins 22. Jahr – und wir hatten noch nie so viele Zuschauer wie heuer. Es etabliert sich mehr und mehr, was mich etwas verwundert, weil das Format eigentlich recht unspektakulär ist – und nicht viel passiert, außer dass zwei Leute miteinander aufm Berg ratschen. Physisch bin ich jedenfalls noch in der Lage auf einen Berg zu gehen und ich habe großes Interesse daran, noch ein paar Leute dort oben zu treffen.
Auch der Bayerische Wald und seine Berge sind freilich immer ein Thema. Ich war ja schon mit Bischof Oster auf dem Lusen und mit Lucki Maurer und Eva Karl Faltermeier auf dem Osser. Ich mag den Bayerwald sehr und bin gerne in der Natur unterwegs. Dieser Landstrich zählt zu den schönsten und angenehmsten, wenn es darum geht, wieder einmal runterzukommen. Da herrscht Ruhe, ein anderes Level an Konsumverständnis. Dort kann man’s gut aushalten.
Keine Widerrede, so schaut’s aus. Danke fürs Gespräch und viel Erfolg mit dem neuen Album.
Interview: Stephan Hörhammer