Freyung/Bad Endorf. Ein ruhiger Zeitgenosse ist er, der Kälberer Martin aus Bad Endorf. Und ein ebenso angenehmer Gesprächspartner, wie da Hog’n im Interview mit ihm, das wir am Rande des vor wenigen Wochen in Freyung stattgefundenen Konzerts mit ihm geführt haben, erfahren durften. Ja, ja! Dieser Mann kann auch sprechen – auch wenn er das auf der Bühne gerne seinem Musikpartner Werner Schmidbauer überlässt. Martin Kälberer, der wohl zu den begabtesten Multi-Instrumentalisten im deutschsprachigen Raum zählt, erlebte gemeinsam mit „Schmidl“ und Pippo Pollina, was nur wenigen Musikern in ihrer Karriere vergönnt ist: Er trat beim grandiosen Finale der SÜDEN-Tour vor rund 10.000 Menschen in der Arena von Verona auf. Über diesen Moment und über das, was danach geschehen ist, haben wir uns mit dem 47-Jährigen unterhalten. Zudem hat er uns erzählt, warum es 2016 eine größere Zäsur geben wird…
„Jetzt haben wir’s geschafft, jetzt müssen wir nie mehr arbeiten“
Stichwort SÜDEN: Die gemeinsame Tour und CD mit Pippo Pollina war ja äußerst erfolgreich. Habt Ihr Euch je erträumt, einen Tourabschluss in der Arena Verona vor 10.000 Menschen zu spielen? Oder anders gefragt: Hast Du und Werner mit diesem Erfolg gerechnet?
In dieser Größenordnung auf keinen Fall. Dieses Projekt ist nach einer gewissen Anlaufphase ziemlich explodiert, das wurde uns schnell klar. Die Nachfrage ist mehr und mehr angestiegen – und die Plätze, die wir bespielt haben, sind immer größer geworden. Dass wir am Ende in Verona landen, war ja zunächst nur eine Schnapsidee, an die keiner so richtig geglaubt hatte. Aber nachdem dort angefragt hatten, war die Resonanz zu unserer Verwunderung gleich sehr gut. Die Veranstalter fanden die Kombination aus Bayerisch und Italienisch total spannend… und wir haben uns dann in dieses Wagnis gestürzt – mit der Erwartung, dass wir mit 3.000 bis 4.000 Besuchern einigermaßen glimpflich davonkommen … dann passt die Stimmung, dann schaut’s nicht so leer aus – und finanziell wird’s kein allzu großes Desaster… dass am Ende annähernd 10.000 da waren, hat uns doch sehr überrascht – und umso schöner war’s.
Bruce Springsteen, Bob Dylan, Sting, Zucchero, Gianna Nannini und viele weitere sind dort schon aufgetreten – und jetzt ihr drei. Sieht man sich da jetzt auf einer Stufe mit den ganzen Stars? Hebt man da vielleicht sogar a bisserl ab?
Ja genau, jetzt sind wir in einer Liga mit den Großen, jetzt haben wir’s geschafft, jetzt müssen wir nie mehr arbeiten (lacht). Nein! Natürlich nicht…
… also Du und Werner bleibt auf dem Boden der Tatsachen?
Das Komische ist: Das Konzert als singuläres Ereignis abzufeiern ist der Wahnsinn. Aber sich vorzustellen, so ein Konzert vor so vielen Menschen jeden Tag zu geben, auf einer Welttour oder so – das ist schwierig. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Kann man im Nachhinein sagen, dass Verona eine Nummer zu groß für Euch war?
Zumindest für das, was wir als Duo machen, ja. Das gehört eigentlich nicht auf so eine Bühne. Eigentlich ist unser Programm eher für Menschen geeignet, die man noch wahrnehmen kann, damit das alles irgendwie greifbar bleibt…
„Feststeht: Die kleineren Bühnen, die sind unsere Heimat“
Von Verona zurück ins vergleichsweise beschauliche Freyung, wo Werner und Du ja vor wenigen Wochen vor rund 500 Zuhörern aufgetreten seid – fällt Euch dieser Schritt dann schwer – oder seid Ihr erleichtert und sagt: ‚Endlich wieder ein überschauberer Rahmen‘?
Schwer fällt uns dieser Schritt nicht, nein. Im Gegenteil: Die kleineren Bühnen sind, wie gesagt, unsere Heimat; dort, wo wir uns am ehesten selber sehen. Und ich persönlich hatte mir das im Voraus bereits so eingeplant, dass nach Verona mein erstes öffentliches Konzert in einer Buchhandlung stattfinden wird, vor 80 Zuhörern. Um das praktisch gleich mal wieder alles einzudampfen – und wieder von unten anzufangen (lacht). Das Witzige ist: Solche Auftritte sind fast noch intensiver. Also wenn die Zuschauer so nahe dransitzen am Geschehen wie Du jetzt gerade – und mir auf die Finger schauen können. Dann ist das ganz schön heavy. In der Arena ist alles eher a bissl fernglasmäßig – und dadurch auch a bissl anonymer.
Viele Fans wünschen sich eine Fortsetzung des SÜDENs – wird es diese denn geben?
(zögert) Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir mögen uns nach wie vor alle drei sehr gern – und ich könnte mir schon vorstellen, dass irgendwann wieder mal die Lust aufkeimt, gemeinsam so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Aber es gibt jetzt keine konkreten Pläne. Für uns war klar: Wir ziehen dieses Projekt durch und genießen es bis zum letzten Moment, aber: Es hat ein definiertes Ende – und dann macht jeder wieder sein Zeug. Doch unsere Wege werden sich sicherlich wieder mal kreuzen, davon gehe ich aus…
„Genießen bis zum letzten Moment“, hast Du gerade gesagt – das war auch der Fall, ja? Im Lied „Verona“ auf der neuen Platte hat man nämlich den Eindruck, dass nach der Tour eine gewisse Leere in Euch zurückbleibt…
Klar. Nach so einem Ereignis, dass Dich auch emotional so hochpeitscht, da muss eine gewissen Leere zurückbleiben – die man halt dann wieder neu auffüllt.
Wie hast Du Deine Akkus wieder aufgefüllt? Also neben dem, dass Du in der Buchhandlung aufgetreten bist?
Ich bin erst mal in den Urlaub gefahren (schmunzelt).
„Mit ‚Wo bleibt die Musik‘ haben wir uns nochmal neu erfunden“
In den Norden?
(lacht) Nein, nach Griechenland… aber das ging bei mir relativ schnell, ich hatte schnell wieder Lust zu spielen und hab ein paar Solo-Konzerte gegeben. Da war bei mir jetzt nicht so das ganz große Loch…
Ihr beide schultert neben Eurem gemeinsamen Schaffen noch viele weitere Projekte. Woher nehmt Ihr die Energie? Was sind Eure Kraftquellen?
Meine Kaffeemaschine – und dann hab ich noch einen guten Apotheker… (lacht)… naa, Schmarrn… ich persönlich bin ja in der glücklichen Situation, dass ich nur noch Sachen mach‘, die ich machen will. Also keine Auftritte, die mir jemand draufdrückt – oder die ich machen muss, weil ich jetzt unbedingt Geld verdienen soll. Und bei den Sachen, die ich machen will, investiere ich zwar viel Kraft – aber ich bekomme da auch immer sehr viel zurück. Somit hab ich einen relativ ausgeglichenen Haushalt.
Wie hart hast Du Dir Deinen Erfolg über die Jahre hinweg erarbeiten müssen, Martin?
Es hat geraume Zeit gedauert, bis ich in diese luxuriöse Situation gekommen bin. Der Erfolg hat über die Jahre hinweg eine gewisse Konsequenz gefordert, sprich: dass Du Dich auch zu den Sachen bekennst, die Du machen willst und alles andere tatsächlich mal weglässt, obwohl’s riskant ist – und am Ende des Monats das Geld schon mal knapp werden kann… aber erst dadurch schaffst Du Dir diese Identität, mit der Du auch als das wahrgenommen wirst, was Du als Musiker bist und darstellst. Das wäre überhaupt kein Bild eines Liedermachers, der heute auf der Bühne in Verona steht – und morgen auf einer Hochzeit ‚… weilst a Herz host wia a Bergwerk‘ covert… den Tpyen würdest Du nicht ernst nehmen, oder?
Da muss ich Dir zustimmen, ja. Zurück zum Thema. Worin steckt mehr Schmidbauer/Kälberer: im SÜDEN? Oder in „Wo bleibt die Musik?“
Definitiv in Letzterem. In dem Album haben wir uns nach der großen Trio-Geschichte tatsächlich selber wieder gefunden – und dabei aber auch nochmal neu er-funden. Es ist nicht so leicht wieder zurückzukommen auf dieses kleinere Format, bei dem sich nur zwei Leute austauschen. Und es war nicht ganz sicher, ob es gelingt, hier den nächsten Schritt zu tun und sich auch weiterzuentwickeln.
„… dass man langsam die Vergangenheit Revue passieren lässt“
„Wo bleibt die Musik?“ ist ja vielleicht Euer persönlichstes Album bisher – wieso dieser tiefe Blick in die schmidbauer’sche/kälberer’sche Seele?
Textlich gesehen betrifft dieser tiefe Blick schon eher den Werner, weil ich ja keine Texte schreibe. Ich denke aber, es ist ganz normal in einer Lebensphase so um die 50, dass Du Dir vieles in Deinem Leben genauer anschaust, was so alles passiert ist. Dass man langsam die Vergangenheit Revue passieren lässt und nicht mehr so im Sinne des Sturm und Drangs nach vorne prescht…
Ist da so eine Art Midlife-Crisis spürbar?
Bei wem jetzt?
Bei Dir.
Eigentlich hat man das so mit Anfang 40, wenn ich mich recht erinnere. Ich bin heute ja schon 47.
Hast Du dann so eine Phase mitgemacht damals?
(überlegt) Ja, so Ende 30 gab’s schon eine kleine Sinnkrise. Wobei Sinnkrise nicht das richtige Wort ist – es kommen einfach andere Gedanken daher, die Du bis dahin nie hattest.
Welche denn?
Das sind so doofe Kleinigkeiten. Zum Beispiel, wenn Du das erste Mal den Stadtplan nicht mehr lesen kannst und Dir denkst: ‚Was ist denn bitte jetzt los?‘ Dann gehst Du zum Augenarzt und der sagt Dir, dass Du eine Lesebrille brauchst. Ist ja ganz normal in dem Alter… Und das sind so Botschaften, bei denen Du Dich fragst: ‚Hallo? Was ist denn da grad passiert?‘ Das war doch letzte Woche noch anders… Letzte Woche hatte ich noch das ganze Leben vor mir – und jetzt bin ich praktisch schon auf der Zielgraden. So schnell kann’s gehen. Da is man schon a bisserl schockiert… aber mit diesem neuen Lebensgefühl kann man nach einiger Zeit auch umgehen. Man kann sich daran gewöhnen.
„Es ist schwer zu sagen, ob ich mir das zutrauen würde“
Auf dem neuen Album findet sich auch ein Song über Nelson Mandela. Ist er ein Vorbild für Dich?
Für mich schon auch, ja – mehr aber noch für den Werner. Er hat sich mit ihm sehr identifizert. Mich selbst hat Mandeals Geschichte auch total beschäftigt, seine Autobiografie hat mich total gefesselt – wie ein Mensch aus so viel Leid und Hass und Unterdrückung letztlich so viel Liebe und Versöhnung macht.
Könntest Du das auch? Dass Du Deinem ärgsten Feind irgendwann wieder einmal die Hand reichst?
(überlegt) Es ist schwer zu sagen, ob ich mir das zutrauen würde. Niemand weiß, was in speziellen Situationen wirklich passiert. Aber das entspricht am ehesten meinem Lebensideal. Ich bin kein Konfliktmensch und versuche immer, entstehende Konflikte sofort dadurch zu entschärfen, dass ich sie nicht ernst nehme. Ich denke, dass es nichts anderes als Energieverschwendung ist, wenn Menschen sich streiten… vielleicht ist das so eine Art Schutzmechanismus, den ich mir zugelegt habe; dass ich mich nicht über Dinge aufrege, die ich sowieso nicht ändern kann…
Wer ist Dein Vorbild – außerhalb der Musik?
Alexander Dobrindt… na, Schmarrn… (lacht) … ein so direkt personifiziertes Vorbild hab ich eigentlich nicht. Aber es gibt viele Menschen, die ich gut finde…
… so wie den Werner, oder? Warum versteht Ihr Euch eigentlich so gut? Was macht Eure Freundschaft aus?
Ich denke, wir haben beide von Anfang an die Fähigkeit gehabt, uns gegenseitig so sein zu lassen, wie wir sind. Wir können wahnsinnig gut Zeit miteinander verbringen – ohne uns ein großes Hickhack zu liefern. Leben und lassen. Diese Konstellation zwischen Werner und mir ist eine, die man nicht einfach mal so rauszimmern kann…
„Im Sommer 2016 wird’s definitiv eine Zäsur geben“
„…wir vermüllen uns auf Facebook unser Hirn…“ – lautet eine Zeile aus dem Titelsong „Wo bleibt die Musik?“ Wie ist Deine Meinung zu Facebook, Twitter & Co?
Ich hab einfach keine Zeit dafür. Ich hab zwar eine Facebook-Seite, die jemand in meinem Auftrag und nach Absprache betreut. Ich selbst hab damit aber nichts am Hut – es wird eh so viel geplappert an allen Ecken und Enden. Das ist nichts anderes als permanentes, digitales Geplapper… und ich verbringe meine Zeit lieber mit anderen Dingen. Zum Beispiel mit Lesen.
Das aktuelle Album ist Eure sechste gemeinsame Scheibe, vorher gab es schon einige CDs zusammen mit der Band „SchmidbauerS“ – was kommt noch? Welche musikalischen Ziele haben Schmidbauer und Kälberer noch?
Das ist schwer zu beantworten. Wir haben beide das Gefühl, dass wir die letzten Jahre sehr viel gestemmt haben – und wir wollen uns nun erst mal darauf konzentrieren, dieses Album zu spielen. Sicherlich die nächsten eineinhalb Jahre, so bis Sommer 2016. Und dann wird’s definitiv eine Zäsur geben. In der Form, dass wir dann erstmal nichts mehr ausmachen und a bisserl Zeit verstreichen lassen – und wirklich in uns reinhorchen: Was will eigentlich als nächstes raus? Sich keinem Automatismus ausliefern à la: nächster Tour – nächstes Album – nächste Tour … sondern einfach mal wirklich schauen und sich fragen: Was soll dann kommen, was will dann kommen?
Aber es kommt noch was, oder?
(schmunzelt) Wäre schon ganz eigenartig, wenn nicht…
Vielen Dank für das Gespräch, Martin. Und Dir und Werner weiterhin alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer und Daniel Eder
Fotos: Eva Hörhammer
[…] Sehr interessant und sehr kurzweilig zu lesen, welche Botschaften Martin Kälberer von sich gab. Hier kommt ihr direkt zum Interview: Martin Kälberer im Interview mit Onlinemagazin Hogn […]