Es war der 12. August 2013: In der Arena zu Verona fand ein Konzert-Highlight der besonderen Art statt: Dort, wo sonst Bruce Springsteen, Bob Dylan und viele andere der „Großen“ umjubelte Konzerte geben, wo sich die besten Operettendarbietungen weltweit abspielen, gaben das bayerische Liedermacherduo Werner Schmidbauer und Martin Kälberer zusammen mit ihrem italienischen Bruder im Geiste, Pippo Pollina, das Abschlusskonzert der vielleicht jetzt schon legendären SÜDEN-Tour. 10.000 Besucher machten aus diesem Konzert eine rauschende Nacht: Dieser Abend war der Abschluss der gefeierten, 100 Konzerte in vier Ländern umfassenden Tour.
„Ich war raus aus der Musik, völlig leer im Kopf“
„Was soll da jetzt noch kommen?“ – das fragte sich der Tausendsassa des Bayerischen Rundfunks, Werner Schmidbauer, nach diesem Konzert. Aber nicht nur er. Auch die vielen „alten“ Fans und Freunde der schmidbauer-kälberer’schen Musik, aus der Zeit von „Viere“ oder „oiweiweida„. Und: Finden die beiden Liedermacher, deren Stärke eine selten gewordene Authentizität ist, wieder zurück zu ihren Wurzeln – „zuzwoatalloa“? Schritte zurück sind erfahrungsgemäß manchmal schwieriger als die nach vorne…
„Ich war raus aus der Musik, völlig leer im Kopf“, bekennt Schmidbauer. Umso erstaunlicher ist daher, dass nicht mal ein Jahr nach Verona bereits das nächste Schmidbauer & Kälberer-Album auf dem Tisch liegt. Eine viertägige Reise nach Istanbul war es schließlich, die dem 52-jährigen Oberbayern nicht nur die verlorene Energie zurückbringt, sondern auch viele Songideen, mit denen sich ein komplettes Album füllen lässt. Bereits auf dem Heimweg macht er sich daran, die Ideen und Gedanken auf Papier zu bringen. Und als er wieder zu Hause durch seine Heimatstadt München schlendert, ist auch schnell ein Titel für die CD gefunden: „Wo bleibt die Musik?“ Denn im Vergleich zu den Erfahrungen in der türkischen Metropole wirkt sein München für ihn musikalisch eher wie eine „Leichenhalle“. Er schildert Martin Kälberer seine Erlebnisse und Eindrücke. Kälberer, über den Willy Astor einmal sagte: „Dieser Mann nimmt keine Haltung ein, wenn er Musik macht. Dieser Mann ist die Haltung.“ Treffender kann man das musikalische Genie Martin Kälberer wohl kaum beschreiben…
Ein persönliches Album erfordert eine persönliche Kritik
Gemeinsam besuchen sie nochmals Istanbul – und auch Martin Kälberer hat sofort das Gefühl: „Ja, das passt!“ Und der Weg – gedanklich und musikalisch – ist endgültig frei für „Wo bleibt die Musik?“. Ein Album, von dem Werner Schmidbauer bereits im Vorfeld sagt, es sei das persönlichste bisher. Aber ist der Weg von Verona über Istanbul auch tatsächlich wieder der Weg zurück zu den Wurzeln? Ein persönliches Album – daher steht diesem auch eine sehr persönliche Einschätzung zu:
Vorab die nüchternen Fakten: Das Album kommt wieder in einem sehr ansprechenden Layout, es lohnt sich druchaus, die „echte CD“ zu kaufen. Das Artwork von Till Jenninger und Peter Schmidbauer ist einmal mehr gelungen – und hüllt die Scheibe in eine hochwertige Verpackung.
Los geht’s gleich mit der Titelnummer „Wo bleibt die Musik?“, die bereits vorab als Single erhältlich war. Der Song schildert die Erlebnisse, die Werner während seines Trips nach Istanbul hatte – und wie musikalisch ruhig es dort im Vergleich zu Deutschland zugeht. Ein eingänglicher Song und ein würdiges Titellied, welches auf der Tour sicherlich eine „Mitsinggarantie“ bietet.
Natürlich darf auch eine Hymne an den Ort der musikalischen Renaissance Schmidbauers nicht fehlen: „Istanbul“ lautet der zweite Track. Schmidbauer beschreibt hier in sehr direkter Art und Weise seine Eindrücke der kontinentübergreifenden Metropole. Die Musik dieses Stückes stammt aus der genialen Feder von Martin Kälberer. Als alteingessener Anhänger des Liedermacherduos ist man geneigt zu sagen: „Das hört man.“
„Wenn nicht Werner, wer sonst könnte das Lied schreiben?“
Dass es sich tatsächlich um das persönlichste Album handelt, belegt der dritte Song: „Lass uns feiern“ ist nicht nur ein Liebeserlklärung an seine Frau, es ist vielmehr ein gefühlsbetonter Einblick in die Seelenwelt der Beziehung zwischen den beiden. Obwohl er eingangs singt, dass es „ganz g’wiß neamds wos o’gheht“, lässt er tief blicken. Er schreibt von „Demut, Zweifel, Dankbarkeit, Sehnsucht und Vertrauen“, von Momenten, an denen er einfach weg muss, raus muss. Aber letzlich überwiegt das in diesem Lied geschilderte, überwältigende Vertrauen zueinander. Ein Vertrauen, auf dem die Beziehung gründet – und das Schmidbauer in seiner für ihn typischen Form beschreibt: authentisch, treffend – und so, dass sich jeder damit identifzieren kann. Ein Gänsehaut-Song, der durch die Musik, die auch in dem Fall von Martin Kälberer stammt, abgerundet wird.
Einer der Höhepunkte des Albums folgt mit dem Song „Mandela“, den der Singer-Songwriter aus Bad Aibling dem 2013 verstorbenen Freiheitskämpfer gewidmet hat. Wenn man die Musik und das Schaffen Schmidbauers lange verfolgt und dann „Mandela“ hört, ist der erste Gedanke: „Wenn nicht Werner, wer sonst könnte ein so authentisches Lied für diesen großen Menschen schreiben?“ Genau dies bestätigt sich Wort für Wort. Das Lied ist teilweise in Suaheli geschrieben, eine Sprache die Schmidbauer während eines einjährigen Aufenthaltes in Kenia kennenlernte. Obwohl der Song einem bereits Verstorbenen gewidmet ist, wirkt er zu keiner Sekunde traurig. Ganz im Gegenteil. Eine kraftspendende, mutmachende Wirkung löst er aus. Und man könnte sich vorstellen, dass diese live, gemeinsam mit dem Publikum gesungen, noch viel intensiver wird, als sie ohnehin in der Studioversion schon ist. Bei „Mandela“ gibt es übrigens prominente Unterstützung: Claudia Koreck hat ein paar Zeilen eingesungen. „Pfiat di, Mandela – Kwa heri, Mandela!“
„Inselprinzessin“ schließt sich an – und holt den Hörer wieder etwas zurück in die Gegenwart, handelt es sich hierbei doch um eine entspannt-ruhige Nummer.
Nach Verona-Konzert zwar glücklich, aber auch „verlor’n“
Ob der Text des Songs „Aufgebn wird am Schluss“ auch ein Beleg dafür ist, dass es sich um das persönlichste Album Schmidbauers handelt? In jedem Fall besingt er hier die Probleme des Älterwerdens, um dann im Refrain und ganz am Ende der vermeintlich sich dem Zahn der Zeit hingebenden Gesellschaft Mut zu machen und ihr zuzurufen: „Hey, i sog da, es is ned vorbei, do konn ma no was macha. Und jetzt geh naus und stell di hi und mach dei Herz und deine Augn und deine Ohrn weit auf! Vergiß ned, aufgebn werd am Ende, aufgebn wird erst ganz am Schluss!“
„Verona“ – das war der Ort des grandiosen Abschlusses der SÜDEN-Tour. Naheliegend, dass auf diesem Album dieser Stadt ein Song gewidmet wird. Aber nicht nur irgendeiner, sondern wiederum einer, der dem Zuhörer einen wirklich tiefen Blick in die schmidbauer’sche Seele offeriert. Er beschreibt seine ganz persönlichen Eindrücke, die er vor, während und nach dem Konzert in der Arena erlebt hat. Und schildert auch, dass er nach dem Konzert zwar glücklich war, aber eben auch „verlor’n“. „Schmidl“ besingt sein Verona-Erlebnis so, als ob er sich mit einem Freund auf einem Berggipfel darüber unterhalten würde (Stichwort: „Gipfeltreffen„?). In keinster Weise „hochkonstruiert“ – und diejenigen, die bei diesem Tourfinale dabei waren, werden vielleicht ganz unbewusst zu diesem Song zustimmend nicken.
Dann folgt vielleicht der einzige Song, den die Schmidbauer & Kälberer-Fans seit dem Album „oiweiweida, live“ auf jeder CD erwarten: „Hangxang“ – ein Instrumentalstück rund um das Hang, dem durch Martin Kälberer in Bayern bekannt gewordenen Instrument, das seinen Ursprung in der Schweiz hat. Aber es ist kein reines Hangstück: Martin und Werner haben drumherum eine regelrechte Batterie an Instrumenten – garniert mit ihren eigenen Stimmen – aufgebaut.
Die Zeit, in der man lebt, ist die beste – eigentlich
„Bei dir“ – ein Song für Werners Kinder und somit zwangsläufig wieder ein sehr persönliches Lied. Der Song des neuen Albums, auf dessen Live-Umsetzung man am gespanntesten sein darf. Warum? Weil er erst vor Publikum seine ganze Wirkung und seine ganze Botschaft entfalten wird.
Im Vorfeld wurde ein Video veröffentlicht, das während der gemeinsamen Istanbulreise entstanden ist. Darin spricht Werner davon, dass man ja einfach nur ein „paar lustige Liedermacher-Songs“ hätte machen können – und es „passt scho“. – „Lacha und Lebn“ ist genau so ein Liedermacher-Song. Es geht um die Ängste und Tücken des Älterwerdens. Aber – und das ist typisch „Schmidl“ – dann folgt auch sogleich die Besinnung: Eigentlich ist die Zeit, in der man lebt, die beste, wenn man sie dazu macht. Eine zwar recht simpel erscheinende Erkenntnis – deren Umsetzung aber umso schwieriger ist. Werner schafft es in dem Song, diese Botschaft glaubhaft und authentisch zu vermitteln und agiert, wie sooft, als der Spiegel, der einem vorgehalten wird.
Er selbst war ja in seiner Heimat Bad Aibling ebenfalls betroffen von der Jahrundertflut 2013. Mit dem Song „Flut“, einer sehr ruhig-melancholischen Nummer, hat er diesem Erlebnis ebenfalls einen Platz auf der Platte eingeräumt.
Die Songs von Schmidbauer & Kälberer blitzen mich
Ja – und dann folgt auch schon der Schluss des Albums: „Ois is guad“. Und da ist er wieder, der Grund warum einen die Musik von Werner Schmidbauer schon so lange verfolgt. Seit dem ersten Kontakt, als er als „Ein-Mann-Vorband“ von Austria3 in der Passauer Nibelungehalle auf der riesigen Bühne fast verloren wirkend sein „Pfeilgrodaus“ gespielt hatte… Ich sprach schon oft davon, dass mich so viele Songs des Liedermacher-Duos innerlich „blitzen“, sehr tief berühren. Viele Texte hätte ich auch Zeile für Zeile so hinschreiben können. Ebenso auch diesen letzten. Werner beschreibt darin seine Lieblingsplätze, an denen er „oiwei scho dahoam war“ und die ihm viel Kraft und Mut geben: sein Fluss, sein Berg, sei Oacha (Eiche). Ein ruhiger, sensationeller Text – auch nach mehrmaligem Hören beschert er mir eine Gänsehaut. DAS ist der Schmidl, so wie ich ihn am liebsten mag.
Haben es nun Werner Schmidbauer und Martin Kälberer nach dem unglaublichen SÜDEN-Hype geschafft, mit „Wo bleibt die Musik?“ wieder zurück zu sich, zurück zu den Wurzeln zu finden? Nachdem ich das Album nun mehrere Tage durchgehört habe, gibt es nur eine Antwort: JA! Das Album hat mir aufgezeigt, warum mir die Musik der beiden so wichtig geworden ist. Es ist nicht nur aus irgendeiner Marketing-Laune heraus so dahingesagt, dass es das bisher persönlichste Album ist – es ist tatsächlich ein sehr tiefgehender Einblick in die Gefühls- und Lebenswelt von Werner und Martin. Ein Einblick, der Anerkennung verdient. Trotzdem: Die Songs wirken nie in irgendeiner Weise gefühlsüberladen oder gar „schmalzend“. Vielmehr ehrlich, grodraus und – ich wiederhole mich da gerne – authentisch. Schmidl-typisch authentisch. Die Musik der beiden kann den Blick aufs Wesentliche schärfen, darauf, was oft hinter irgendwelchen Nichtigkeiten und vorgegaukelten Scheinwahrheiten versteckt ist. Die Musik der beiden kann einen erden. „Wo bleibt die Musik?“ erdet.
[…] Was ich sonst noch so von der neuen CD halte, das könnt ihr im Onlinemagazin “hogn” nachlesen. Da habe ich nämlich gerne eine Rezension verfasst, und ich danke dem Hogn für die Möglichkeit, den Text schreiben haben zu dürfen. Eine sehr persönliche Rezension für ein sehr persönliches Album. Hier könnt ihr sie lesen: Wo bleibt die Musik? – Tiefer Blick in die Seele von Schmidbauer & Kälberer […]