Bayerwald/Böhmerwald. „Wohin mit dem Atommüll?“ Eine Frage, die nicht nur die Menschen im Bayerischen Wald, einem möglichen Standort für ein Endlager (Stichwort: Saldenburger Granit), seit vergangenem Jahr umtreibt, sondern auch die Bürger und Bürgerinnen jenseits der bayerisch-tschechischen Grenze, im Böhmerwald. In der Nähe der Gemeinde Chanovice (Chanowitz) im Bezirk Klattau in der Region Pilsen gab es bereits zum wiederholten Male Proteste gegen den geplanten Bau des Atommüll-Endlagers.
Březový potok – zu Deutsch: Birkenbach, benannt nach dem dort mäandernden Zufluss der Otava – heißt das Gebiet unweit des kleinen Dorfs im Südwesten Tschechiens, das sich als einer von vier Standorten in der engeren Auswahl für das Endlager befindet. Rund 100 Kilometer von Freyung, 80 von Furth im Wald und 60 von Bayerisch Eisenstein entfernt gelegen, könnten an dieser Stelle ab dem Jahr 2065 die radioaktiven Abfälle aus den Atomkraftwerken Dukovany und Temelin in einer Tiefe von 500 Metern begraben werden.
„Es ist ihnen nicht gleichgültig“
Bereits zum 19. Mal hatten die Bewohner auch aus den umliegenden Böhmerwald-Gemeinden jüngst ihrem Unmut Luft gemacht, wie die Bürgerinitiative Umweltschutz, die sich im Zuge des Protests gegen das Endlager formiert hat, mitteilt.
Der zehn Kilometer lange Protestmarsch „Zur Ehrung und Erhaltung der Natur und des Lebens“ führte entlang des geplanten Baus. Aus dem rund 750-Einwohner-Örtchen Chanovice seien mehr als 350 Menschen mitgegangen, wie Bürgermeister Petr Klasek und Sprecher der Anti-Endlager-Plattform gegenüber der tschechischen Nachrichtenagentur ČTK mitteilte. Auch Leute aus den Ballungsräumen Sušice, Klattau und Pilsen seien unter den insgesamt knapp 500 Teilnehmern gewesen. „Es ist ihnen nicht gleichgültig, was hier passiert. Sie interessieren sich dafür und unterstützen nach wie vor die ablehnenden Stellungnahmen der Gemeinden“, wird Klasek weiter zitiert.
Dieses Mal richtete sich der Protest im Besonderen gegen die Zahl derjenigen Gemeinden, in denen die SÚRAO, die staatliche Endlagerverwaltung für radioaktive Abfälle mit Sitz in Prag, weitere Untersuchungen durchführen soll. Voriges Jahr belief sich diese noch auf vier, nun wurde sie auf zehn Gemeinden erhöht – unter anderem auf Horažďovice, Chanovices zehn Autokilometer entfernte Nachbarstadt. Klasek zufolge werden die Untersuchungen deshalb durchgeführt, um die Erweiterungen der Atomkraftwerke Dukovany und Temelin vorzubereiten. Daher werde auch bereits eine größere Fläche des Atommüll-Endlagers diskutiert.
„Die Menschen haben die Petition gegen das Atommüll-Endlager unterzeichnet, die wir dem neuen Industrieminister Jozef Sikela schicken werden“, teilt Klasek weiter mit. Die Plattform, die ab Frühling neue Aktionen plant, verlangt, dass die staatlichen Institutionen die Gemeinden endlich als Partner wahrnehmen. Man wolle den Minister um ein Treffen ersuchen.
Die Pläne der Europäischen Kommission
Die Bürgermeister, so heißt es, hätten keine aktuellen Informationen des Industrieministeriums, dass die 2016 gestarteten geologischen Untersuchungen weiter laufen würden. „Das betrachte ich jedoch unter Vorbehalt, da in der Vergangenheit eine Menge von Untersuchungen durchgeführt worden sind, ohne dass wir davon etwas gewusst hatten“, äußert sich Chanovices Bürgermeister dazu. Ende Oktober 2015 hatten die Gemeinden eine Klage gegen den Staat eingereicht, da dieser die Untersuchungen bewilligt hatte.
Beim Protestmarsch wurden Informationen über den Stand der Vorbereitungen des Baus sowie die Positionen der Bürgermeister der zehn betroffenen Gemeinden verlautbart. Das Atommüll-Endlager, wo der hochradioaktive Abfall tausende von Jahren deponiert werden soll, stellt ihnen zufolge ein großes Sicherheitsrisiko für das Leben in der ganzen Region dar. Sie machten darauf aufmerksam, dass nirgendwo in der Welt eine ähnliche Anlage in Betrieb sei.
Indes können auf Tschechien bald Probleme im Zusammenhang mit der Atommüll-Endlagerung zukommen. Die Planer für den Bau des Endlagers rechnen mit dem Baustart frühestens im Jahr 2050. Die Europäische Kommission will aber, dass es zu dieser Zeit bereits in Betrieb ist. Die Gemeinden, die es betrifft, stellen sich dagegen – die Regierung verspricht, dass sie Einwände zum Entwurf der Europäischen Kommission einreicht und eine größere Einbindung der Selbstverwaltungen in die Auswahl eines passenden Orts sichert.
Stephan Hörhammer