Freyung/München/Passau. Eike Hallitzky ist seit 2003 Mitglied des Bayerischen Landtags – und zwar als einziger grüner Abgeordneter Niederbayerns. Nach seinem Studium zum Diplom-Volkswirt blieb der gebürtige Kölner in der Universitätsstadt Passau hängen – und setzt sich seitdem für eine nachhaltige, sozial gerechte und zukunftsfähige Politik in Bayern ein.
Im Interview mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ spricht der 54-Jährige von Bündnis 90/Die Grünen unter anderem über den „Oberföderalisten“ Bayern, der sich immer erst dann um den Rest seines Bundeslands kümmert, wenn die Landeshauptstadt München bedient ist. Über die Untätigkeit der bayerischen Staatsregierung, wenn es um den Ausbau des tschechischen Kernkraftwerks Temelin oder die Gefährdung des tschechischen Nationalparks Šumava geht. Über die Lebensmittelindustrie und die Gefahr von Rechts im ländlichen Raum.
„Mittel werden zulasten des ländlichen Raums zweckentfremdet“
Herr Hallitzky: Öffentliche Verkehrsmittel sind immer wieder ein Thema in unserem Landkreis. Das Problem: Die meisten Bewohner sind zwangsläufig auf ein Auto angewiesen. Die Busse fahren nicht so häufig, die Wartezeiten sind sehr lange. Wie kann man den öffentlichen Personennahverkehr stärken?
Nehmen wir mal die Ilztalbahn: Die fährt am Wochenende getaktet zu den Zügen in Tschechien. Unter der Woche müsste das die RBO übernehmen. Von dem an der Grenze liegenden Bahnhof Nové Údolí aus kann man sogar bis Prag fahren. Und wir haben es bis heute nicht hingekriegt, dass von der RBO die eineinhalb Kilometer von Haidmühle bis zu diesem Bahnhof gefahren werden. Nur am Wochenende, wenn die Ilztalbahn fährt, gelangt man auch mit dem Bus nach Nové Údolí.
In Passau haben wir es jetzt endlich geschafft, unter der Woche mehr oder minder stündlich jede Hauptachse zu bedienen. Das ist eine deutliche Verbesserung. Aber wir müssen natürlich auch Zubringerstrukturen dafür schaffen. Das geht nur, wenn man ein gemischtes Konzept hat – und dafür braucht man eben finanzielle Mittel. Im Landesetat befinden sich hunderte von Millionen Euro, die gebunkert und nicht für den regionalen Omnibusverkehr ausgeschüttet werden. Damit man dafür eine zweite Stammstrecke München neu baut. Die Mittel werden also zulasten des ländlichen Raums zweckentfremdet.
„Minister haben kein inneres Verständnis für ländlichen Raum“
Auch die Universität Passau ist so ein Beispiel dafür, dass bei Fördermaßnahmen zugunsten der Ballungsräume und zulasten des ländlichen Raumes entschieden wird. Ihnen zufolge ist die Uni Passau sowohl bei der Personalausstattung als auch bei allen Mittelzuweisungen das Schlusslicht in Bayern. Warum ist das so? Ist das allgemein ein Problem?
Ja, das ist leider tatsächlich so. Das liegt unter anderem daran, dass die meisten Abgeordneten und Minister selbst nicht aus solchen Gegenden kommen. Da hat etwa Landwirtschaftsminister Helmut Brunner eine völlig andere Wahrnehmung als der in Schwabing wohnende Kunstminister Wolfgang Heubisch – oder Wirtschaftsminister Martin Zeil, der in Starnberg lebt. Die haben einfach überhaupt kein inneres Verständnis für die Situation im ländlichen Raum.
Dass sich das Glasmuseum in Frauenau überraschenderweise in Richtung staatliche Übernahme entwickelt hat, war eine rein taktische Entscheidung. Das ist wirklich erstaunlich, denn in Bayern ist seit zehn Jahren kein Museum mehr verstaatlicht worden.
Wieso?
Die Entscheidung für eine Verstaatlichung des Glasmuseums hing damit zusammen, dass Heubisch Rückenwind haben wollte für sein Konzerthaus in München. Er hat geschickt die große Stadt-Land-Debatte ausgenutzt und gesagt: Wir fördern die Kultur überall und wollen auch in jedem Bezirk ein staatliches Museum haben. Das war keine Entscheidung für den ländlichen Raum – Heubisch wollte einfach Unterstützung für sein städtisches Projekt, das aber nicht, wie das Frauenauer Museum, zwei Millionen im Jahr kostet, sondern 500 Millionen aufwärts! Das Südostbayerische Städtetheater ist auch so ein Beispiel für die Benachteiligung von Kultur im ländlichen Raum: Die Niederbayern bekommen von allen Bezirken die niedrigsten Zuschüsse …
„Erst wenn München bedient ist, kommen andere dran“
Aber woran liegt das dann? Warum kriegen immer die Ballungsräume die Zuschüsse?
Weil es in Deutschland kein Bundesland gibt, das so zentralistisch organisiert ist wie der Oberföderalist Bayern – jede Entscheidung ist auf eine einzige Stadt zugeschnitten.
München ist Bayern. Innerhalb Bayerns wird das Geld nicht wirklich verteilt. Erst wenn München bedient ist, kommen andere dran – und die Metropol-fernen Regionen wie der Bayerische Wald zu allerletzt. Das liegt unter anderem daran, dass die meisten Abgeordneten aus den Ballungsgebieten kommen, weil dort mehr Leute leben als im ländlichen Raum.
Tatsache ist, dass im Bayerischen Wald nur ein Drittel der möglichen Fördergelder ankommen. Und viele Politiker sind zu feige das anzusprechen – das erlebe ich auch in der eigenen Partei. Wenn ich mich hinstelle und sage: Ihr könnt doch nicht ernsthaft für die überhitzte Boomtown Landshut noch Fördermittel verlangen, dann sagt die CSU in Landshut: ‚Die Grünen wollen nicht, dass Landshut Förderungen bekommt.‘ Das ist richtig, dass ich das nicht will. Aber nicht, weil ich ihnen das Geld nicht gönne, sondern weil der Bayerische Wald hier einen größeren Bedarf hat.
In Bayern ist es so, dass – bis auf wenige Großstädte – jeder, aber auch wirklich jeder Regionalförderung erhält. Auch die, die es überhaupt nicht brauchen. Und das hat zur Konsequenz, dass bei uns im Bayerischen Wald die Fördersätze nur zu einem Drittel oder maximal zur Hälfte ausgeschöpft werden können, weil das Geld dazu fehlt. Alles wird erst einmal in den Zentren gemacht. Im Bereich der echten Finanzumverteilung bleiben dann nicht mehr viele Gelder übrig, die hier ankommen. Genau deswegen ist so ein Landkreis wie Freyung-Grafenau immer wieder Schlusslicht.
„Atomwirtschaft hat große Lust, Langzeitzwischenlager zu bauen“
Aber wenn bei uns schon keine Fördergelder ankommen, dann wenigstens ein Atommüll-Endlager … das Saldenburger Granit käme dafür eventuell infrage. Ist es wahrscheinlich, dass hier ein Endlager entsteht?
Gorleben ist sowohl politisch als auch geologisch tot. Das Thema ist also gegessen. Seehofer sagt zwar: Bayern kommt für ein Atommüll-Endlager nicht infrage. Aber es gibt in der Nähe von Ulm Tongebiete und im Bayerischen Wald haben wir Granit – diese Gebiete könnten durchaus für die Lagerung von Atommüll genutzt werden. Aber wo der Atommüll hinkommt, hängt erst einmal davon ab, ob rückholbar oder nicht-rückholbar gelagert werden soll.
Denn wenn man Atommüll zurückholen kann, kann man das auch wieder aufbereiten – und mit dem Zeug sogar Kriege führen. Dennoch: Die Atomwirtschaft hat große Lust, Langzeitzwischenlager zu bauen. Eine Halle mit einem Tor davor ist um ein Vielfaches billiger als ein Bohren in großen Tiefen. Da die Atomwirtschaft die Lagerung des Atommülls finanzieren muss, ist das für sie natürlich höchst interessant. Und wenn sie sich durchsetzen, dann wäre Granit meiner Meinung nach sehr gefährdet.
„Wo ist ein Atommüll-Endlager politisch umsetzbar?“
Als Endlager für nicht-rückholbaren Atommüll wäre das Saldenburger Granit also nicht geeignet?
Richtig. Zum einen ist es wahnsinnig aufwendig, Tiefenbohrungen in Granit durchzuführen. Und zum anderen hat Granit den Nachteil, dass er nicht dicht macht. Er ist starr und zerklüftet. Man weiß nie, ob sich hinter einem Granitblock ein großes Wasserloch verbirgt. Das kann man auch vor einer Bohrung kaum feststellen, weil man nur schwer in den Granit reinschauen kann. Das ist bei Ton einfacher. Man bräuchte bei Granit also zusätzlich zur Tiefenbohrung noch eine bauliche Absicherung.
Und falls die bayerische Staatsregierung irgendetwas für unsere Region tun will, dann wird sie den Energiekonzernen dieses Mal nicht wieder auf den Leim gehen, sondern sie wird sagen: Wir wollen Atommüll so lagern, dass er nicht mehr zurückgeholt werden kann. Dann würde das Saldenburger Granit wohl aus dem Rennen sein.
Bei der Standortsuche geht es letztlich aber auch immer um die Frage: Wo ist ein Endlager politisch umsetzbar? Deshalb müssen wir auch immer wachsam bleiben, damit man uns das nicht aufs Auge drückt, weil in unserer Region nur wenige Leute leben – man also mit weniger Widerstand rechnet. Der Bayerische Wald ist sowieso schon strukturschwach, da muss man nicht auch noch Atommüll lagern. Schließlich ist das für einen Touristen nicht unbedingt ein Anreiz, um hier seinen Urlaub zu verbringen.
„Temelin hat keine Abnehmer – warum also ausbauen?“
Die Frage nach der Endlagerung von Atommüll hat ja mitunter dazu geführt, dass man heute auch in Deutschland verstärkt auf regenerative Energien setzt. Nur: Nebenan in Temelin bauen unsere tschechischen Nachbarn ihr Atomkraftwerk aus. Gibt es keine Möglichkeiten, europaweit die gleiche Energiepolitik voranzutreiben?
In Sachen Temelin war ich absolut schockiert bei der Anhörung in Budweis. Der österreichische Umweltminister Nikolaus Berlakovich und wir Grünen waren anwesend. Wer war nicht da? Die bayerische Staatsregierung. Und das zeigt, wie sehr dieses Thema ignoriert wird.
Dabei wäre gerade jetzt der richtige Zeitpunkt: Sogar der Temelin-Betreiber ČEZ – das ist neben Skoda der größte Konzern in Tschechien – räumt ein, dass der Ausbau so teuer werden wird, dass man es überhaupt nicht finanzieren kann.
10 Milliarden soll das Ding kosten, Tendenz steigend – und davon kriegen sie maximal die Hälfte über Stromverkäufe refinanziert. Das liegt unter anderem daran, dass die Strompreise durch die erneuerbaren Energien – entgegen gegensätzlicher Unkenrufe – stark gesunken sind. Temelin hat schlichtweg keine Abnehmer.
Eigentlich ist das ganze Unterfangen aus tschechischer Sicht also völlig idiotisch und Bayern müsste jetzt alles dafür tun, um diese Einsicht zu befördern. Trotzdem wurde das Thema, als Tschechiens Premier Petr Nečas im Februar im Bayerischen Landtag zu Gast war, von der Staatsregierung überhaupt nicht angesprochen. Das ist natürlich eine Katastrophe.
„Dass es das in der EU noch gibt, ist hanebüchen“
Aber das ist eine rein staatliche Sache, oder? Also wenn Tschechien sagt: Wir bauen Temelin aus – dann kann keiner etwas dagegen unternehmen …
Im Prinzip: ja. Erstens: ČEZ gehört überwiegend dem Staat. Wenn also in der Staatsspitze jemand sagt: Wir investieren jetzt fünf Milliarden in den Ausbau – dann ist das in einer staatlichen Verflechtung natürlich einfacher als bei uns in Deutschland.
Das Zweite ist: Wie man seine Energie herstellt, ist letztlich nationale Sache. Aber das heißt nicht, dass die EU da nicht mitmischt. Es gibt zum Beispiel nach wie vor einen Euratom-Vertrag, der für die Atomenergie Geld ausgibt. Im Forschungsbereich zum Beispiel: Da laufen sicher auch Unterstützungen für Tschechien. Obwohl die Mehrheit der EU-Staaten kein Atomkraftwerk hat und auch künftig keines will. Trotzdem gibt es so etwas noch in der EU – und das ist hanebüchen.
„Luchs und Auerhahn brauchen den Nationalpark Šumava“
Noch ein tschechisches Thema: Die jetzige Wildnis-Region im Nationalpark Šumava an der Grenze zu Ostbayern ist in Gefahr. Tschechische Abgeordnete haben kürzlich ein Gesetz in den zuständigen Ausschüssen passieren lassen, das den Naturschutz im tschechischen Nationalpark Šumava drastisch einschränken würde. Die Wildnis-Region im Nationalpark könnte dann nur noch als Landschaftsschutzgebiet eingestuft werden. Das bliebe für den bayerischen Nationalpark nicht ohne Folgen, oder?
Ich habe zusammen mit Dr. Christian Magerl von den Grünen und Eva Bulling-Schröter von Die Linke einen Brief an die tschechische Regierung geschickt, in dem wir unsere Bedenken anmelden – daraufhin kam ein Schreiben vom tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg zurück.
Auch er sieht einen erheblichen Diskussionsbedarf und wäre sehr gerne dazu bereit, etwaige Gespräche zu unterstützen.
Und wieso sieht auch Schwarzenberg hier einen erheblichen Diskussionsbedarf?
Nun, der tschechische Nationalpark ist ja viel größer als der deutsche. Unser Nationalpark ist ein sogenannter Transboundary Park, das heißt, er verfügt über ein grenzüberschreitendes Zertifikat mit Tschechien. Und das würde verloren gehen, sollte aus dem Nationalpark Šumava ein Landschaftsschutzgebiet werden. Außerdem brauchen unser Luchs und unser Auerhahn das Hinterland in Tschechien.
Im Moment gibt es von Seiten der Tschechen zwei Überlegungen: Der erste Entwurf für eine künftige gesetzliche Regelung geht vom Bezirk Pilsen aus – im Ergebnis wäre dann der Nationalpark auf tschechischer Seite kein Nationalpark mehr, sondern nur noch ein Landschaftsschutzgebiet. Ein zweiter Entwurf aus dem Umweltministerium ist auch nicht wirklich gut, aber man kann wenigstens darüber reden. Wenn sich der Pilsener Entwurf durchsetzen sollte, wäre das eine Katastrophe, auch für unseren Nationalpark. Und deswegen ist es auch so wichtig, dass jetzt etwas geschieht. Da von der bayerischen Staatsregierung nichts kommt, haben die Parlamentarier das nun in die Hand genommen.
„Brauchen in der Lebensmittelindustrie bessere Prüfstrukturen“
Das QS-Siegel der Lebensmittelindustrie steht schon seit längerem in der Kritik. Warum kann die Kontrolle der Lebensmittelindustrie nicht ausschließlich auf staatlicher Ebene erfolgen?
Die exakte Bedeutung des QS-Siegels kenne ich nicht, ich bin ja auch kein Landwirtschafts-Experte. Fest steht aber, dass wir die Landwirtschaft falsch fördern. Etwa zwei Drittel aller Förderungen geben wir für Mastställe aus, die so riesig sind, dass sie eine eigene Umweltverträglichkeitsprüfung brauchen. Tiergerechte Strukturen entstehen damit nicht.
Aber das entspricht der Ideologie des Bauernverbandes und die der jetzigen Landwirtschaftspolitik – das läuft völlig in die falsche Richtung.
Außerdem brauchen wir in der Lebensmittelindustrie bessere Prüfstrukturen – denn Siegel, die man sich selber verleiht, sind nur begrenzt etwas wert. Und wir brauchen eine ganz klare Herkunftsbezeichnung für Inhaltsstoffe. Wenn auf der Packung steht: Schwein aus Niederbayern – dann wäre das jetzt nicht unbedingt ein Gütesiegel. Wenn da jedoch steht: Schwein aus dem Bayerischen Wald – dann wäre das schon anders. Warum? Weil der Verbraucher ein Gespür dafür hat, wo die Mastbetriebe bestehen. Das würde auch die Regionalisierung und den regionalen Wirtschaftskreislauf stärken.
Dass es immer wieder schwarze Schafe geben wird, ist klar. Deswegen braucht man auch härtere Strafen und mehr unabhängige Kontrollen. Aber die größten schwarzen Schafe würde man damit ausbremsen.
„Bayerischer Wald braucht Strukturen wie Oberösterreich“
Wäre der Bayerische Wald nicht wie geschaffen für Selbstversorgung und regionale Lebensmittelangebote? Warum tut man sich hierzulande so schwer damit, wo das doch bei unseren österreichischen Nachbarn prima klappt?
Dazu muss man wissen, dass die Selbstversorgung in Oberösterreich nicht alleine aus dem Oberen Mühlviertel heraus entstanden ist. Die Österreicher haben dafür eine Art Regionalmanagement, das überwiegend staatlich finanziert ist – und die Region zahlt ein bisschen was dazu.
Dieses System ist deswegen so stark, weil sie dafür eigene Förderfachleute in Linz haben und vor Ort Berater, die wirklich von Bauernhof zu Bauernhof gehen und alle Läden, Unternehmen und Kommunen abklappern – und dann überlegen sie sich, was in der Region alles möglich wäre. Dadurch entsteht ein großes Maß an Vernetzung.
Wenn man das allerdings einer Kommune oder einem Landkreis aufträgt, dann ist der damit hoffnungslos überfordert – erst recht ein finanzschwacher Landkreis wie Freyung-Grafenau. Also müsste es auch bei uns so eine Struktur geben wie es sie in Oberösterreich gibt. Die Grünen haben das häufiger angemahnt, was dazu geführt hat, dass man irgendwann einmal Mittel für die Förderung von Regionalmanager zur Verfügung gestellt hat.
Nur: Das ist dann eine Person und die macht irgendetwas. Bei uns in Passau organisiert die Regionalmanagerin irgendwelche Tagungen, glaube ich. In Freyung kümmert sich der Zuständige (Regionalmanager Sebastian Gruber, Anm. der Red.) hauptsächlich um die Vernetzung von Schulen und Schülern, was ja wenigstens etwas Sinnvolles ist.
„Hoffe nicht, dass die Alternative für Deutschland gewählt wird“
Aktuell entsteht die neue Partei Alternative für Deutschland (AfD) – mit sehr viel Zulauf, auch aus den Reihen der etablierten Parteien. Wie sehen Sie die Eurokritiker, die Deutschland aus der Eurozone führen wollen? Ist das gefährlicher Populismus oder stehen dahinter richtige Inhalte?
Es gibt ein großes Protestpotenzial und es gibt ein gewisses Nostalgiepotenzial. Wenn sie das bündeln, dann kann es schon sein, dass sie in den Bundestag kommen. Für mich ist jedoch wichtiger, was sie inhaltlich fordern – und wenn der Euro-Austritt ihr zentraler Programmpunkt ist, dann hoffe ich nicht, dass sie gewählt werden. Denn würden wir die Deutsche Mark wieder einführen, dann hätte das die fatale Folge, dass die deutschen Güter im Ausland um etwa die Hälfte teurer werden würden.
Damit wären wir schlagartig riesige Exportmärkte los – und unsere Wirtschaft würde von heute auf morgen wegbrechen. Das ist ja genau das, was uns die Südländer mit der Euro-Krise vorwerfen: dass wir so stark sind und deswegen auch etwas für sie tun sollen. Und da haben sie ja auch ein Stück weit Recht. Nur: wenn der Euro auseinanderfliegt, dann haben wir tatsächlich das Problem, dass wir in eine tiefe Wirtschaftskrise reinfallen.
„Dass es hier Rechte gibt, ist nicht überraschend“
Kürzlich waren bei einer Veranstaltung über Rechtsextremismus an der Realschule Freyung auch Neonazis zu Gast und haben die Veranstaltung gestört. Viele Zuhörer schienen überrascht, dass es Rechte bei uns gibt …
Dass es hier Rechte gibt, ist nicht überraschend. Vor Kurzem haben wir in Passau den Film „Blut muss fließen“ gezeigt, der handelt von der rechten Musikszene. Da waren auch drei Neonazis da. Was mich regelrecht schockiert hat, war die Tatsache, dass viele Jugendliche die rechten Lieder kennen, die in der Dokumentation gezeigt wurden.
Im Film wurde auch eine Art Schnitzeljagd zu einer Veranstaltungslokalität gezeigt – die fand irgendwo im Nirgendwo statt – ich glaube in den Weiten von Mecklenburg-Vorpommern, wo keiner mehr wohnt. Nicht nur, dass die Polizei vor Ort war und sich, als das Fest losging, verabschiedet hat. Nein, 80 Prozent der Festivalbesucher wirkten auch noch völlig normal. Die gehen dahin, weil sonst für sie nichts angeboten wird, keine Kreativ- oder Beschäftigungsmöglichkeiten.
Es gab in dieser Region für nichts eine Szene, nicht mal einen Fußball- oder Schützenverein. Aber es gab hin und wieder diese großen Musik-Events der Neonazis, wo dann sehr viele hin sind. Es ist ja nicht so, als wären die alle rechts oder würden die Lieder und Texte gut finden, nur: Es ist die einzige große Party, die dort stattfindet. Und da besteht natürlich schon latent die Gefahr, dass sich die Rechten für ihre Andockversuche gerade den ländlichen Raum aussuchen. Denn 20 bis 30 Prozent kommen nach dem Konzert raus und sagen: „He, das fand ich geil.“ Und einige von denen, die bleiben dann auch in diesem System hängen.
„Die V-Leute-Konstruktion kann nicht funktionieren“
Unterschätzt man die Gefahr von Rechts in der ländlichen Gegend?
Die Gefahr besteht durchaus. Ich habe das Thema bereits im Landkreis Passau angesprochen und darum gebeten, dass wir im Landratsamt eine Kontaktperson für die Schulen bekommen. Das wurde aber dann so gelöst, dass gesagt wurde: Das macht die Abteilungsleiterin XY – und somit haben wir auf diesem Gebiet weder eine Fachkraft noch eine Vollzeitstelle. Jedenfalls muss man bei den Kommunen und Schulen ansetzen, weil die rechte Szene sehr subtil gärt, in der Schule aber alle zusammenkommen.
Auf dem Grünen-Parteitag in Würzburg stand auch der Verfassungsschutz auf dem Programm. Demnach soll der Verfassungsschutz schrumpfen und im Innenministerium angesiedelt werden. Geheimdienstliche Tätigkeiten sollten auf das Minimum beschränkt und die V-Leute verboten werden. Wieso?
Eine Struktur, die Datenerhebung ganz zentral auf Kumpanei mit Rechten basieren lässt, kann nicht funktionieren. Man muss ja relativ rechts sein, um in die Szene reinzugehen. Das sind ja keine Leute, die links sind und jetzt mal ihr großes Schauspielstück abliefern. Nein, das sind Rechte. Und dass man Rechte dazu benutzt, um Rechten zu schaden, das kann doch auf Dauer nicht funktionieren. Diese V-Leute-Konstruktion mag im Einzelfall à la Agent 007 hinhauen – aber doch nicht als generelles Prinzip!
„Wir haben ein Riesenproblem mit den Hauptschulen“
Ein ganz anderes Thema: Die Grünen wollen die Gesamtschule. Was kann eine Gesamtschule denn besser als das dreigliedrige Schulsystem?
Zum einen muss sich eine künftige inklusive Schule ohnehin stärker nach den Bedürfnissen der Kinder richten. Da macht es sowieso keinen Sinn, ein Kind vorher in Schubladen zu sortieren. Außerdem haben wir bereits mit der Grundschule eine Gemeinschaftsschule.
Und gerade im Bereich der Grundschule sind die Ergebnisse im Vergleich zu den anderen Bundesländern besonders gut. Länder wie Finnland zeigen, dass es mitunter wichtiger ist, dass man zusätzliche Stunden und Lehrer hat, um die Kinder auch mal aus dem Unterricht nehmen und einzeln mit ihnen arbeiten zu können. Man braucht nicht unbedingt kleine Klassen und ein mehrgliedriges Schulsystem. Zum anderen haben wir regional ein Riesenproblem mit den Hauptschulen. Denen laufen die Schüler davon. Das ist doch keine vernünftige Perspektive: Wir fahren Kinder durch den Landkreis hin und her, um sie an Schulen auszubilden, während andere leer stehen. Angesichts der demographischen Entwicklung glauben wir, dass es nicht nur für das Kind, sondern auch aus Sicht der Kommunen sinnvoller wäre, die Kinder möglichst lange in eine gemeinsame Schule zu schicken.
Sollten wir im Herbst in die Regierung kommen, kann ich mir aber nicht vorstellen, dass wir von jetzt auf gleich sagen, dass alle nun neun Jahre lang gemeinsam zur Schule gehen. Wir würden das zunächst als Option für die Regionen anbieten, für die es strukturell sinnvoll wäre, Realschule und Gymnasium oder Mittelschule und Realschule miteinander verschmelzen zu lassen.
Privatisierung der Wasserrechte: „CSU hat das mit angeschoben!“
Der Binnenmarktausschuss der EU hat mit der Mehrheit der Stimmen der EVP (dazu zählt auch die CSU) und gegen die Stimmen der Grünen einer Konzessionsrichtlinie zugestimmt, die für die kommunale Wasserversorgung das Ende bedeuten könnte. Wieso?
Das ist mal wieder ein typischer Fall, der zeigt, wie verlogen die CSU eigentlich ist. Gemeinsam mit den Liberalen und einem Großteil der Sozialisten, zu denen auch die Sozialdemokraten gehören, hat sie im EU-Binnenmarktausschuss beschlossen, dass Wasserrechte unter bestimmten Bedingungen privatisiert werden können.
Die CSU hat diesem Irrsinn nicht nur zugestimmt, sie hat das sogar mit angeschoben! Und als es dann einen Riesen-Aufstand der Grünen in Europa und auch im Bund gab, hat Seehofer auf einmal gesagt, es sei ja unmöglich was die EU da mache. Erst winken sie es im Kabinett durch und dann sind sie auf einmal die größten Gegner ihrer eigenen Idee …
Warum würde das denn zu einer Privatisierung der Wasserrechte führen?
Weil die Wasserversorgung dann nur noch in der Kommune bleiben dürfte, wenn das jeweilige kommunale Unternehmen ausschließlich für Wasser zuständig ist und die Kundschaft, bis auf maximal fünf Prozent, innerhalb dieser Kommune wohnt. Dabei sind fast die Hälfte aller öffentlich-rechtlichen Wasserversorger ein Verbund. Die liefern oft auch noch den Strom oder andere Dinge. Das ist dann nicht mehr erlaubt. Und wenn eine Kommune beispielsweise eine andere Kommune mit Wasser beliefern möchte, geht das auch nicht mehr. Denn das muss dann europäisch ausgeschrieben werden. Das ist völlig lebensunnötig, führt aber zu einer zunehmenden Privatisierung von Wasser.
Herr Hallitzky, vielen Dank für das Interview!
Interview: Dike Attenbrunner, Stephan Hörhammer