Mauth/Freyung. Im zweiten Teil unserer Serie über Franz Staller haben bereits mehrere Zeitzeugen ihre Erinnerungen an den (fast) vergessenen Mauther Kunstmaler geschildert. Zu ihnen hinzu gesellt sich nun Inge Poxleitner, deren Aufzeichnungen Heimatkundler Max Raab als „außergewöhnlichen Glücksfall“ bezeichnet. Sie schrieb unter anderem nieder, wie sie als Kind den Künstler erlebte und was sie aus den Erzählungen ihrer Mutter über ihn und dessen Frau Sophia wusste.
„Ich schreibe hiermit nieder, was ich, Inge Poxleitner, geb. 1927 in Mauth, noch in Erinnerung habe über den hier gelebten Kunstmaler Franz Staller und seine Ehefrau Sophia“, ist in der Niederschrift eingangs zu lesen. „Mein Elternhaus steht mitten im Dorf Mauth, gegenüber stand das alte Mauth-Haus. Das war das alte Zollhaus am Goldenen Steig, wo der Salzhandel nach Böhmen verlief.“
Franz und Sophie Staller wohnten im „Blöchl Haus“
Dieses alte Haus war laut Inge Poxleitner ganz aus Holz gebaut, nur der Grundstock war gemauert. Nach mündlicher Überlieferung sollen Zigeuner, denen in diesem Haus Unterkunft gewährt wurde, einen Schwur geleistet haben. Er lautete: „Dieses Haus soll nie durch Feuer oder sonstigen Schaden zerstört werden.“ Und so blieb es auch erhalten bis zum Abbruch im Jahr 1979. „Seit Erbauung des Mauth-Hauses gab es mehrere Besitzer, die mir aber nicht bekannt sind. Ich weiß nur, dass mein Stiefgroßvater Fritz Hable und meine Großmutter einige Jahre die Besitzer waren und auch darin wohnten. Der letzte Eigentümer war Josef Blöchl.“
In den Jahren 1930 bis 1956 wohnte dort, im „Blöchl Haus“ genannten Gebäude, der Kunstmaler Franz Staller mit seiner Frau Sophia. Im oberen Stock hatte sich auf der Südseite ein großes Zimmer befunden, in dem das Ehepaar Staller wohnte – zugleich diente es dem Kunstmaler als Atelier, wie Inge Poxleitner schildert. Kinder hatte das Ehepaar Staller nicht.
Über die Herkunft der Staller-Eheleute
Die Stallers stammten aus der Landeshauptstadt. „Der Vater von Franz Staller war ein bekannter Baumeister in München.“ Er war Poxleitner zufolge an einigen großen, öffentlichen Staatsbauten, berühmten Gebäuden und Denkmälern beteiligt. Stallers Eltern waren sehr vermögend. Der einzige Sohn Franz wurde in der Kunstakademie zu München zum Kunstmaler ausgebildet. Dann kam die Inflation 1923/24 – und das gesamte Vermögen der Eltern ging verloren, wurde entwertet. „Sein Vater starb, von seiner Mutter habe ich keine Hinweise“, schreibt Inge Poxleitner. Die Wertgegenstände wurden verkauft, um zu überleben. Doch bald waren Franz Staller und seine Frau total verarmt. Zuvor lebten beide in guten Verhältnissen. „Frau Staller lernte nie zu arbeiten. Die Not in den Städten der Inflationszeit war groß.“
Die jungen Stallers waren den Aufzeichnungen Poxleitners nach mit einem Künstlerehepaar befreundet. „Die Armut zwang beide Ehepaare von München wegzuziehen – und so kamen sie in den Bayerischen Wald. In eine einsame, abgelegene Gegend, in die Waldmühle, nahe der Ortschaft Mauth.“ Im Volksmund wurde diese Mühle (Sägewerk) auch Holzapfelmühle genannt.
Hier suchten sie Natur- und Landschaftsmotive für ihre künstlerische Tätigkeit und hofften auf einen guten Absatz ihrer Bilder. Sie erhielten eine Bleibe in einem dürftigen kleinen Häusl des Sägewerksbesitzers Sageder, später Hackl mit Namen. Hier lebten sie in größter Armut. Einsamkeit, die langen strengen Winter, die Kälte, der Hunger, die Arbeitslosigkeit und Geldnot – diesen Belastungen waren sie ständig ausgesetzt. „In diesem Armutshäuschen lebten die beiden Künstler mit Ungeziefer in Gemeinschaft. Nach einiger Zeit verließ das befreundete Ehepaar diese arme Behausung und diese arme Gegend und gingen nach München zurück“, geht aus den Notizen Poxleitners hervor.
Um die Stallers vor weiterer schlimmer Not zu bewahren, gaben die Sägewerksbesitzer Hackl ihnen eine Wohnung in ihrem Stammhaus Waldmühle, wo sie einige Jahre wohnten. Die Familie Hackl gab ihnen gegen den Hunger selbst angebaute Produkte aus ihrer Landwirtschaft. Der Verkauf der Bilder reichte nicht zum Lebensunterhalt. Stundenlang war Franz Staller unterwegs in den Dörfern, um die Bilder gegen geringes Geld zu veräußern. „Doch wer kaufte in unserer armen Gegend schon unnütze Bilder? Die Menschen lebten ja auch dürftig und hatten wenig Arbeit. Die Landwirtschaft brachte nicht viel ein“, schrieb Inge Poxleitner dereinst nieder.
In den Wintermonaten konnten die Stallers nicht aus dem Haus. Der Schnee lag meterhoch. Ihre Kleidung war dürftig und für die Kälte nicht geeignet. Das einzig Gute war in dieser Zeit, dass sie genügend Holz zum Heizen hatten. Vor dem Zweiten Weltkrieg kam dann die Wende für die Staller-Leute. Die Gemeinde Mauth hatte ihnen im sog. Mauth-Haus ein Zimmer zugewiesen, wohin sie umzogen.
Zur Persönlichkeit von Franz Staller
Franz Staller hatte eine enorme Ausstrahlung, wie ihm auch Inge Poxleitner attestierte: „Eine Faszination in seinem Blick, Antlitz und seinem ganzen Wesen. Ich habe ihn immer verglichen mit Rasputin, dem heimlichen Herrscher am russischen Zarenhof. Im Aussehen könnten sie Brüder gewesen sein.“ Franz Staller hatte der Chronistin zufolge ein gutes Benehmen, war immer höflich und zurückhaltend. „Er sagte nie sehr viel, dafür sprachen seine stechenden Augen. Er war der perfekte Künstler. Zierlich in der Gestalt, groß, schlank und leicht beweglich. Seine Haare waren tiefschwarz, schulterlang und glatt. Kurz geschnitten war sein Kinn- und Backenbart.“
Und weiter: „Franz Staller war sehr intelligent, zeigte sich immer beherrscht. Ich sah ihn niemals weinen, auch wenn ihm Hunger und Not aus den Augen schauten. Oft, sehr oft hatte er die kurze Pfeife in der rechten Hand, wenn ich ihn sah. Seine Augen waren sehr auffallend. Es waren stahlblaue Augen mit einem herrlichen, tiefen Blau und hatten einen hypnotischen Blick. Er sah den Menschen starr in die Augen und hielt sie im Blick fest. Diese Faszination der Augen werde ich nie vergessen. Sein Antlitz war perfekt, ein schöner Mann. Seine Kopfbedeckung war die typische Künstlerbaskenmütze. Niemals sah ich ihn ohne diese schräg sitzende Mütze auf seinem Kopf. An den Füßen trug er selbst zurechtgemachte Sandalen. Im Winter hatte er sicher ganz schlechte Schuhe an.
Als Mantel trug er Sommer wie Winter einen schwarzen, ganz weiten Wollumhang, der sehr abgetragen war. Unter diesem Umhang trug er versteckt seine Errungenschaften, gekaufte oder geschenkte Dinge wie Nahrungsmittel, Kartoffeln usw. Dazu hatte er als Behältnis oder Beutel einen dunklen Stoffsack. Seine Unterkleidung sah man nicht, denn der Umhang war vorne fest verschnürt. Ob er überhaupt viel am Leibe trug, ich denke nicht. Sicher aber bekam er schon manchmal Kleidung geschenkt. Das ist meine persönliche Schilderung des Künstlers.“
Über Sophia Staller
Sophia, Stallers Ehefrau, beschreibt Inge Poxleitner als eine zierliche, hübsche und feine Frau. „Sie hatte gutes Benehmen, sprach ein schönes Hochdeutsch. Frau Staller war von adeliger Abstammung, das erzählte sie mir persönlich, bei manchen Begegnungen mit ihr.“ Eine Behauptung, die Heimatkundler Max Raab aufgrund seiner Nachforschungen so nicht bestätigen kann – er schreibt sie dem bürgerlichen Lager zu, glaubt jedoch, dass sie mit ihrer Aussage zur Adelsherkunft eine gewisse Distanz zur Dorfbevölkerung aufrecht erhalten wollte. „Sie mochte mich, sonst war sie aber sehr scheu gegenüber den Dorfbewohnern“, schildert Inge Poxleitner weiter. „Sie wurde verlacht, verspottet wegen ihrer Kleidung und feinen Sonderlichkeiten. Sie trug gute, schöne Kleider, die jedoch nicht mehr zeitgemäß waren – es waren Stücke aus ihrer besseren Abstammung.“
Den Kopf bedeckte sie mit einem feinen Schleiertuch. Traurig war sie über das Unverständnis der Dorfleute. „Ich jedoch hatte sie immer bewundert wegen ihrer Feinheit“, so die Mauther Geschichtsschreiberin und ergänzt: „Frau Staller war sehr gebildet, jedoch brauchte sie nie arbeiten. Schuhe trug sie nach der Mode aus der Zeit, als es ihr noch gut ging. Schirm und Handschuhe gehörten zu ihrem perfekten, modischen Äußeren. Sie liebte ihren Mann sehr. In ihr Armen-Schicksal hatte sie sich ohne Klage ergeben. Ihre Lieblichkeit und ihr Charme hat sie sich immer bewahrt. Die Not hat sie nicht vergrämt gemacht. So meine Schilderung von Frau Sophia Staller.“
Max Raab/ da Hog’n
Im nächsten Teil unserer Serie über den Mauther Kunstmaler beschreibt Inge Poxleitner das weitere Leben der Eheleute im Dorf, insbesondere die Not, die sie aufgrund von Kälte und Hunger leiden mussten.