Freyung. Er hat’s geschafft. Im dritten Anlauf hat’s geklappt. Bastian Kalous ist in 20 Stunden von Bayerisch Eisenstein nach Finsterau marschiert. Rund 60 Kilometer zu Fuß, vom einen Ende des Nationalparks Bayerischer Wald zum anderen. Eine überaus sportliche Leistung. Der gelernte Krankenpfleger aus Freyung, der bereits vor mehreren Jahren im Rahmen seiner Sofortbildabenteuer-Serie aufm Hog’n die Natur des Bayerwalds fotografisch festhielt, spricht von einer „Grenzerfahrung in vielfältigem Sinn“. Seine Eindrücke von der Tour hat er bildlich und textlich in einem Roadbook festgehalten, das jüngst im Lichtland-Verlag erschienen ist. Wir haben einen Blick riskiert.
Schön aufgemacht im Querformat ist es, recht angenehm in den Händen liegend und somit auch haptisch wertvoll – so wie die meisten Bücher der Edition Lichtland mit Bayerwald-Bezug. Das Cover ziert ein eher düster wirkendes, in grau und schwarz-weiß Tönen gehaltenes Szenario, in dessen Mitte die Rückansicht eines Mannes auszumachen ist, der auf einer Anhöhe steht, inmitten verschneiter Woid-Wipfel, der den Blick in den grauen Nebelschleier schweifen lässt. Es ist Bastian Kalous selbst, der sich da per Selbstauslöser aufs Polaroid gebannt hat.
Mit der Natur verschmelzen
Eingangs erwartet den Leser eine handgemalte, als Inhaltsverzeichnis fungierende Karte, die den Weg des 39-Jährigen „stundiös“ nachzeichnet. „Natur und Fotografie sind für ihn Ausgleich zur Arbeit“, heißt es im Editorial. Und weiter: „Der menschliche Körper bewegt sich in der ihm natürlichsten Form vom Ausgangspunkt zum Ziel. Gehen ist die dem Menschen angemessene Geschwindigkeit. Die Sinne erfassen die Natur direkt und unmittelbar.“ Zeilen, die Lust aufs Losgehen machen, aufs Wandern in der Natur, ja, aufs Verschmelzen mit ihr. Frei nach Rousseau: „Wer ans Ziel kommen will, kann mit der Postkutsche fahren, aber wer richtig reisen will, soll zu Fuß gehen.“
Als Individualist wird Bastian Kalous im Vorwort bezeichnet. Das trifft es wohl am besten. So individuell wie seine Bilder, die es nur ein einziges Mal auf dieser Welt gibt, da die analogen Polaroid-Fotos im Gegensatz zu ihren digitalen Pendants nicht massenhaft vervielfältigt werden können. Der Druck auf den Auslöser ist final. Das Ergebnis nie dasselbe. Als „Zauberei“ hatte er es einst im Hog’n-Interview bezeichnet. Und dieser Zauber zieht sich wie ein roter Faden durch sein Buch.
Um 4 Uhr morgens ist er losmarschiert, vom Wanderparkplatz in Bayerisch Eisenstein. „Noch vor der Dämmerung. Keine Autos. Keine Menschen. Geräuscharm.“ Vom ersten Schritt an nimmt Kalous seine Leser mit auf die Reise, lässt sie teilhaben an seinen Gedanken und Gefühlen. „Sobald die Autotür ins Schloss fällt – Zweifel: Schaffe ich die Strecke bis Finsterau oder nicht. Stille. Einsamkeit. (…) Ich fühle mich isoliert von der Welt und gehe meinen Weg.“
Roadbook mit Nachwirkungen
Die Route führt durch den Hans-Watzlik-Hain über Zwieslerwaldhaus und den Falkenstein zu den Schachten – einstige Sommerweiden mit bizzar-verschnörkelten Baumgestalten, Zeitzeugen aus längst vergangenen Bayerwald-Tagen. „In den Schachten kann man heute noch das Glück der Kühe spüren“, beschreibt der Autor jene faszinierenden Oasen der Natur auf sehr eingängige Weise. Freiflächen, auf denen Insekten zwischen halbverfaulten Bäumen ungestört ihre Sommertänze aufführen – und die den Fotografen glücklich machen.
Neben all den bildgewaltigen Eindrücken und Einblicken ins Innere des Wanderers offeriert das Lichtland-Buch seinen Betrachtern nicht nur ästhetische wie geistig-spirituelle Blickwinkel, sondern auch ganz praktisch-informative Aspekte. Unter dem Titel „10 mal auf den Spuren abseits der Strecke“ beschreibt Bastian Kalous zehn Rundwege, die sich entlang seiner Tour befinden und sich für den „normalen Wanderer“ als Tagesausflug eignen. Etwa die Schwellhäusl-Runde, „eine leichte, vier Kilometer lange Wanderung vorbei an Urwaldriesen“. Oder die Grenzsteig-Runde, „eine lange Wanderung über knapp 24 Kilometer auf einem der einsamsten Steige des Nationalparks“. Jeweils mit Angabe des Schwierigkeitsgrads, der Gesamtlänge und -dauer, der Anzahl der Höhenmeter bergauf und bergab sowie eventuellen Einkehrmöglichkeiten. Auch hierzu hat Kalous individuell-gefertigtes Kartenmaterial zur Verfügung gestellt.
Gut 120 Seiten ist der Gang durch den Nationalpark lang. Ein Sammelsurium ursprünglicher, unbehandelter und ungekünstelter Bayerwald-Natur. Momentaufnahmen, konserviert in einem abwechslungsreichen Nachschlag-Reiseführer, der die Persönlichkeit des Autors und dessen Liebe zu seiner unmittelbaren Umgebung zum Ausdruck bringen.
Ein Roadbook, das man gewiss in weniger als 20 Stunden durchgeblättert hat, dessen Wirkung jedoch länger als 20 Stunden anhält. Und einem auf ganz waidlerisch-charmant-philosophische Manier frei nach Matthias Claudius vermittelt: „Wenn Jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen; drum nahm ich meinen Stock und Hut, und thät das Reisen wählen.“
Stephan Hörhammer
Bastian Kalous, „Den Nationalpark gehen: 20 Stunden Grenzerfahrungen im Bayerischen Wald“, 124 Seiten, Hardcover, Lichtland-Verlag, 29,80 Euro, 978-3-947171-10-1 (ISBN)