Oberfrauenau. „Hörst Du das auch?“ – „Nein, ich hör‘ nichts. Was meinst Du denn?“ – „Genau – das ist es ja. Nichts.“ Dieses „Nichts“ ist mithin das Schönste, was ich seit langer Zeit erleben durfte. Ein Nichts, das derart wohltuend und erholsam ist – und nach dem ich mich solange gesehnt hatte. Ein Nichts, das kein Klingeln, kein Vibrieren und keinen sonstigen Ton von sich gibt.
Ein Nichts, das nichts von einem verlangt und hinter dem sich kein Müssen, sondern lediglich ein Können, ein Dürfen, ein Wollen verbirgt. Keine Pflicht – nur Kür. Ein Nichts, das einen wieder auf das Wesentliche im Leben reduziert. Hog’n-Redakteur Stephan Hörhammer machte sich mit seinem Kumpel auf zu einem Into-the-Wild-Trip in die Ferienregion Nationalpark Bayerischer Wald. Das Ziel: die Hütte auf dem Verlorenen Schachten…
Tag 0: Was brauchen wir da oben eigentlich alles?
Dank einer kleinen Vorab-Recherche wussten wir, dass Kaffee, Zucker, Salz und Pfeffer, Feuerholz, Kerzen, Klopapier, Besteck, Gaskocher, Pfanne, Teller und Gläser, Spülmittel, Verbandszeug und viele weitere „Basics“ bereits auf der Hütte vorhanden waren. Am Ende sollte uns ein Groß-Einkauf in einem Supermarkt all das bescheren, was wir in den nächsten fünf Tagen auf dem Poschinger-Schachten, wie die ehemalige Weidefläche, die sich seit jeher im Familienbesitz der Freiherrn von Poschinger befindet auch genannt wird, an Proviant benötigen. Wir haben uns für Brot, Wurst, Käse, Butter, Gemüse, Obst, Eier, Schoko- und Müsliriegel, Grillfleisch- und würstchen sowie viele andere Grundnahrungsmittel entschieden. Getränketechnisch haben wir uns mit ausreichend Mineralwasser, Apfelsaftschorle, Milch und Bier eingedeckt. (Alle nun folgenden Galeriebilder sind mit Erklärtexten versehen:)
In Sachen Equipement hieß es, Klamotten für wärmere, kältere sowie regenerische Tage einzupacken. Taschenlampen, Ofenanzünder, Mücken-Spray, Sonnencreme, Duschgel, Zahnbürste, eine Solar-Dusche, Käppi, eine Outdoor-Matratze, Wanderstiefel (mit denen ich noch mein persönliches Waterloo erleben sollte) sowie ein überlebenswichtiger Schlafsack komplettierten unsere Ausrüstung. Dazu ein Buch zum Lesen („Soloalbum“ von Benjamin von Stuckrad-Barre), ein Solar-Ladegerät fürs Handy (im Notfall!), Notizbuch und Kugelschreiber sowie eine Fotokamera. Kurz: Wir fühlten uns bestens präpariert.
Tag 1: Anreise, Aufstieg und der Helsinki-is-Hell-Moment
Nachdem wir unser Auto (ein geländegängiges Vehicle der Marke Jeep) bepackt hatten, konnte die Reise Richtung Frauenau, wo wir die Schlüssel für die Hütte vom zuständigen Verantwortlichen der hiesigen Waldvereinssektion entgegennehmen durften, auch schon losgehen. Vorbei am Poschinger-Gut in Oberfrauenau und dem Trinkwasserspeicher führte unser Weg – mit ebenfalls zuvor eingeholter Sonderfahrerlaubnis – durch den Wald hinauf Richtung Schachten, auf 1.140 Meter über dem Meer.
Rund eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Ziel galt es am dafür vorgesehenen Parkplatz das Auto abzustellen, alles auszuräumen, „aufzusatteln“ und sich mit Sack und Pack (und einer Kiste Bier) per pedes dem doch recht mühseligen, halbstündigen Aufstieg über Stock und Stein zu widmen. Die Arme wurden immer länger. Der Schweiß immer treibender. Doch die Mühe sollte sich am Ende lohnen. Auch wenn das ein oder andere Ei den Transport nicht überlebt und sich in unserem Rucksack verflüssigt hatte – die Geburtsstunde des von da an „geflügelten“ Wortes „Egg in a Bag“…
Oben angekommen, war die Freude über die herrliche Lage des Verlorenen Schachtens und unser neues Fünf-Tage-Domizil groß. Eine urige Hütte samt angrenzendem Lagerfeuerplatz (inklusive zweier königlich anmutender Holzthrone) und rustikalem Brotzeittisch hießen uns willkommen – ein Anblick wie aus dem Bilderbuch.
Bevor wir uns ein zweites Mal zum Auto aufmachten, um unsere restlichen Sachen nach oben zu schleppen (Kumpel Florian musste gar noch ein drittes mal hinab, da er seinen Schlafsack vergessen hatte), inspizierten wir zunächst unser neues Heim und die unmittelbare Umgebung. Das neben dem Haupthaus installierte Plumpsklo-Häuserl empfing uns anfangs zwar mit Düften aus einer anderen Welt (Stichwort: „Helsinki is Hell“) – mit der Zeit verflüchtigten sich diese jedoch und ein gewisser Gewöhnungseffekt trat ein. Die mitgebrachte Solar-Dusche brachten wir sogleich an einem mächtigen Baum hinterm Haus an – sie sollte uns bei der allmorgendlichen Körperpflege (im Adamskostüm) mit über Nacht erkaltetem Wasser die Müdigkeit aus den Gliedern treiben.
Ein Baum vor unserer Hütte hatte es mir sogleich angetan: Ein offensichtlich recht altes Exemplar mit weit durchgebogenem Stamm. Darauf ließ ich mich sogleich nieder, um den Blick Richtung Arber und benachbartes Tschechien schweifen zu lassen. Ein Ruhe-Baum, der wohl schon ewig auf diesem Schachten beheimatet ist. Ich erklärte ihn zu meinem Gefährten.
Wasser holen, Holz hacken und der Fredl-Fesl-Moment
Die erste elementare Frage, die wir zu klären versuchten: Wo befinden sich die beiden Quellen, von denen uns der Schlüsselwart berichtet hatte? Nach kurzem Suchen fanden wir die erste im angrenzenden Waldstück. Sie war jedoch „außer Betrieb“, sprich: derzeit versiegt. Die andere befand sich etwas unterhalb der Hütte und lieferte auf den ersten Blick klares Wasser, das wir auf den zweiten Blick jedoch abkochen mussten. Rein damit in die dafür vorgesehenen Kanister. Zum Duschen reicht’s allemal.
Die nächste wichtige Aufgabe für den ersten Tag: Feuerholz besorgen. Dazu ging’s mit Beil und Schubkarren bewaffnet wieder zurück in den Wald, wo wir Äste vom Boden aufsammelten und zurecht hackten. Zurück am Lagerfeuerplatz wurde unsere „Beute“ sogleich per Anzünder entfacht und dem Feuer übergeben. Auch der Magen knurrte allmählich, weshalb wir uns an die Zubereitung des Abendessens machten: Auf dem in der Hütte deponierten Dreibein mit Grillrost garten wir unsere Discount-Steaks und -Würstchen über dem offenen Feuer, die Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Zucchini schwenkten wir gekonnt in der Eisenpfanne überm Freiluft-Gasherd. Normalerweise lautet unsere Devise (frei nach Fredl Fesl) ja: „Egal, was ich koche, am Ende kommt bei mir immer Gulasch raus.“ Doch das Ergebnis konnte sich tatsächlich schmecken lassen. Trotz marginaler Kochkenntnisse haben wir etwas durchaus Essbares hinbekommen.
Die dritte Herausforderung: Das Präparieren unserer Bettstatt. Dabei bestand die Möglichkeit, das direkt unterm Dach befindliche Matratzenlager zu okkupieren – oder mit zwei in der Stube deponierten Feldbetten Vorlieb zu nehmen. Wir entschieden uns für letztere Variante, da auf dem Dachboden eine offenbar dort heimische Maus das Zeitliche gesegnet hatte (und diese von uns sogleich entsorgt wurde). Einer von mehreren Wanderern, die an unserem Premierentag vor der Hütte pausierten, warnte uns zusätzlich vor dem Hantavirus, das überwiegend durch Mäuse übertragen wird. Der Aufbau der Feldbetten gestaltete sich jedenfalls – für uns als ehemalige Wehrpflichtige – einfach. Die erste Nacht konnte also kommen.
Lagerfeuerromantik und lautes Schnarchen in der Nacht
Für den Rest des Abends war – nach dem Abwasch – gemütliches Beisammensein am Lagerfeuerplatz angesagt, bei dem wir die uns umgebende Stille, die herrliche Luft, das Rauschen in den Bäumen und die beeindruckende Schönheit der Bayerwald-Natur in vollen Zügen genossen. Wir erkannten gleich am ersten Tag: Es ist schön und gut, immer nur eine Aufgabe zu erledigen. Eins nach dem anderen. Wenn ich koche, dann koche ich, wenn ich Holz sammle, sammle ich Holz usw. Keine Ablenkung, keine Zerstreuung. Der Fokus liegt immer nur auf einer Sache. Auf der einen Handlung, dem einen Gedanken. Nichts anders stört Dich oder lenkt Dich ab. Das ist es, was das Hütten-Leben lebenswert macht.
Besonders schön präsentierte sich der nächtliche Himmel. Völlig klar und ohne künstliche Lichteinflüsse strahlten Mond und Sterne heller denn je. Und so fielen mein Kumpel und ich nach einem ordentlichen Feierabendschluck aus der Bierpulle in unsere Kojen. Begleitet von einem steten Rascheln der Mitglieder der häuslichen Mäuse-Familie, leicht zapfigen Temperaturen und dem Primae-Nocits-Lauschen, das eine erste Nacht auf fremden Terrain so mit sich bringt. Genauer gesagt lauschte nur einer – und zwar ich. Denn mein Spezl widmete sich ganz und gar seinen mir im Ohr dröhnenden Schnarchlauten…
Im zweiten Teil der Hütten-Auszeit gehe ich näher darauf ein, wie es sich anfühlt, wenn einem die Wanderstiefel unterm Gehen „wegplatzen“ – und warum eine Schachtenwanderung trotz ordentlicher Blasen an den Hacken Spaß machen kann…
Stephan Hörhammer
–> Teil 2: Hütten-Auszeit am Verlorenen Schachten (2): Bis die Sohlen platzen
–> Teil 3: Hütten-Auszeit am Verlorenen Schachten (3): Schwammsterz und Woidschratzl
–> Teil 4: Hütten-Auszeit am Verlorenen Schachten (4): Time to say Goodbye!
Biet ist kein Getränk sondern ein Grundnahrungsmittel, eine tote Maus im Bett läßt ahnen, wer vorher drin geschlafen hat… Danke für den schönen Bericht!