FRG. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Ein Motto, das gut zum ersten Kanapee-Streaming-Festival passt, das in der vergangenen Woche an drei Tagen via Internet in die heimischen Wohnzimmer übertragen wurde. Als Austragungsort fungierte die Volksmusikakademie in Freyung. Die geladenen Bands gaben – trotz fehlendem Live-Publikum und ungewohnter Umgebung – auf der Bühne ihr Bestes. Und ja, der Funke ist durchaus übergesprungen auf die Zuschauer zuhause an den Bildschirmen, die sich (ganz wie bei einem realen Konzert) mit Bratwurstsemmeln, Bier und Limo eindecken konnten – in diesem Fall eben auf virtuelle Weise.
Festival-Tag 2, u.a. mit „Bommel & Friends“ sowie „Lonely Spring“ (ab Min 49:15):
Und so schienen am Ende dann auch alle zufrieden: Landrat Gruber als Ideengeber, die Künstler und Musiker, die nach längerer Corona-Unterbrechung wieder einmal live performen durften und mit ihresgleichen zusammentrafen, die vielen helfenden Hände im Hintergrund, die mit einer beachtlichen Gemeinschaftsleistung zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen haben – und auch das Publikum dahoam, wie die Nachfrage bei Stefan Schuster, Regionalmanager und Interview-Partner für die Bands in den Umbaupausen, ergeben hat: „Aus den zahlreichen Kommentaren und auch vielen Emails, die uns erreicht haben, lässt sich ablesen, dass die Zuschauer die Musik und das Format richtig gut gefunden haben, dass aber vor allem auch die hohe Qualität von Bild, Ton und Licht gut gepasst hat.“
Das berühmte Tröpfchen auf den heißen Stein
Was neben dem Eindruck, dass in diesen drei Tagen etwas Großartiges auf die Beine gestellt wurde, bleibt, ist unter anderem die Erkenntnis, dass die regionale Musikszene trotz coronabedingtem Auftrittsverbots die Flöte bis dato noch nicht ins Korn geworfen hat. Eine Reaktion, die man insbesondere denjenigen, die trotz mehrmaliger Bemühungen um staatliche Unterstützung (sog. Soforthilfe) nicht nur einmal gescheitert sind, fraglos alles andere als übel nehmen könnte. Gerade Berufsmusiker wie Gitarren-Virtuose Elmar Sammer („Landluft“, „Sammer of Love“) oder Schlagzeug-Ass Christian Eckmüller dürften in den vergangenen Wochen wohl des Öfteren an den Herren Söder, Aiwanger und Sibler verzweifelt sein. Je häufiger diese ihre Versprechungen à la „Wir lassen niemanden zurück“ über den Äther schickten, desto weiter entfernte sich für die Künstler die Aussicht darauf, am Ende tatsächlich ein paar (Not-)Groschen zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts abgreifen zu können. „Soforthilfe“ geht wahrlich anders, wie etwa Bänker zu berichten wissen…
Mehr als 6.000 Euro wurden Stefan Schuster zufolge im Rahmen des Kanapee-Festivals via PayPal seitens der Zuschauer gespendet – ein Betrag, der, wie von Gruber und Co. mehrmals betont, in Gänze den beteiligten Künstlern und Musikern zugute kommen soll. Die genaue Zahl derjenigen Spenden, die per klassischer Überweisung auf dem entsprechenden Konto eingegangen sind, konnte der Regionalmanager bislang noch nicht nennen. An den drei Tagen standen 53 Musiker aus der Region auf bzw. neben (etwa Anton Kirchmair) der Bühne. 6.000 Euro (Paypal) plus (geschätzte nochmalige) 6.000 Euro (Banküberweisung) macht rund 12.000 Euro an Gesamtspenden. 12.000 Euro geteilt durch 53 Künstler macht im Schnitt 226 Euro und 41 Cent pro Beteiligten. Das berühmte Tröpfchen auf den heißen Stein, von dem wohl keiner leben kann, der davon leben muss.
Rechnungen und laufende Fixkosten können auch nicht von den aus Sicht der Veranstalter erfreulichen 240.000 Gesamtzugriffen (rund 4.000 Nutzer hatten Schuster zufolge längerzeitig gestreamt) im Netz bezahlt werden. Virtueller Applaus hin oder her – am Ende geht’s für viele um die Existenz und darum, finanziell über den – wie’s ausschaut – konzertfreien Sommer zu kommen, ohne den Gang ins Jobcenter („Hartz IV“) antreten zu müssen. Die Ungewissheit bleibt.
„Kein Luxus, den wir uns leisten oder auch streichen können“
Doch vielleicht muss – wenn es offensichtlich die „große Politik“ mit ihren teils recht dilettantisch erscheinenden Maßnahmen samt bürokratischer Fallstricke nicht schafft – die Region ein weiteres Mal zusammenstehen, um aus eigener Kraft die Kulturschaffenden, die beim Kanapee-Streaming-Festival ihre Vielfalt auf beeindruckende Art unter Beweis gestellt haben, zu retten, sie – wie auch immer – aufzufangen. Sie sind die Aushängeschilder, mit denen sich insbesondere auch die Politik gerne in der Öffentlichkeit schmückt und volksnah präsentiert. „Denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfähigkeit sichert“, wie Richard von Weizsäcker einst zu sagen pflegte.
Kommentar: Stephan Hörhammer