Bayerischer Wald. Borkenkäfer-Alarm im Bayerwald: „Die Invasion ist gewaltig“ – das Onlinemagazin da Hog’n berichtete kürzlich über die Population des „Ips typographus„, die aktuell in den hiesigen Wäldern ungeahnte Ausmaße annimmt. Doch wie dramatisch ist die Lage tatsächlich? Und: Wie werden sich die Bestände an Buchen, Fichten & Co. in absehbarer Zeit entwickeln? In einem zweiteiligen Gastbeitrag zum Thema „Die Zukunft unserer Wälder“ versucht Förster Jens Schlüter (40) aus Zwiesel, gleichzeitig Referent für Wald, Forst und Jagd der Grünen-Landtagsfraktion, Antworten auf diese Fragen zu finden. Teil 1: Die Zukunft unserer Wälder (1): Eine beunruhigende Bestandsaufnahme.
Der Wald stirbt soeben zum zweiten Mal innerhalb einer äußerst kurzen Phase der Menschheitsgeschichte. So wird es jedenfalls gerade in der aktuellen Diskussion über absterbende Buchen im Steigerwald, schwächelnde Kiefern in der Oberpfalz und von Borkenkäfer und Hitze geplagten Fichten im Bayerischen Wald in Zeitungen, Talkshows und Verbänden vermittelt.
Lies sich der den Bäumen zusetzende Saure Regen in den 1980er-Jahren durch das Schwefeldioxid in der Luft technisch noch relativ schnell und einfach durch den Einbau von Filteranlagen in Kohlekraftkraftwerken und Fabriken verhindern, so werden wir aktuell wohl das erste Mal wirklich mit der gerade ablaufenden Klimaerwärmung konfrontiert. Aus den Warnungen der Wissenschaftler ist bitterer Ernst geworden.
Klimawandel: Eine schnelle natürliche Anpassung ist unmöglich
Der große Unterschied zu den 1980ern: Diesmal helfen keine Filter gegen die Treibhausgase. Selbst wenn die Menschheit zur Vernunft käme und das Ruder morgen herumreißen würde, müssten wir wohl mit einem weiteren Anstieg der Temperaturen leben.
Waldökosysteme sind von den aktuellen klimatischen Veränderungen bzw. der Klimaerwärmung besonders betroffen. Ein Hauptgrund dafür ist die Geschwindigkeit, mit welcher die Klimaänderung voranschreitet: Aufgrund der Langlebigkeit von Wäldern machen drastische Umweltveränderungen in nur wenigen Jahrzehnten eine natürliche Anpassung über genetische Prozesse oder natürliche Migration von Baumarten de facto unmöglich. Bildlich ausgedrückt wird ein Keimling von heute schon als junger Baum deutlich veränderte Umweltbedingungen vorfinden.
Es muss bedacht werden, dass eine Klimaänderung nicht nur pflanzeneigene Prozesse wie Photosynthese oder Atmung von Baumarten und damit deren relative Konkurrenzkraft beeinflusst, sondern sehr wahrscheinlich auch deutliche Auswirkungen auf das Störungsregime im Wald haben wird. Störungen wie Windwürfe oder Borkenkäferschäden – schon heute einflussreiche Faktoren in der Waldbewirtschaftung – sind meist direkt oder indirekt vom Klimageschehen abhängig und somit unmittelbar von einer Klimaänderung betroffen. Kurz zusammengefasst hatten wir in den letzten Jahrzehnten bereits eine Zunahme von Störungen in Europas Wäldern, die wahrscheinlich als Folge der Klimaerwärmung weiter ansteigen werden.
Die gefürchtetste Störung im Bayerischen Wald ist so zwangsläufig eine weitere Zunahme der Borkenkäferpopulationen, denen der Klimawandel natürlich durch lang anhaltende Trockenzeiten und damit stark geschwächte Fichten in die Karten spielt – nicht nur im Bayerischen Wald, sondern global.
Allein in Mitteleuropa waren die kleinen Käfer im Jahr 2018 allein für 40 Millionen Kubikmeter Schadholz verantwortlich. Borkenkäfermassenvermehrungen dauern dabei meist mehrere Monate bis Jahre an, brechen dann aber wieder ein. Warum dies passiert – ob wegen kühler Witterung oder Anstieg der Gegenspieler wie Krankheitsserreger, Räuber oder Schmarotzer – ist bis dato nicht ausreichend erforscht. Warum dies wichtig ist? Weil wir mit ungeheurem finanziellen und personellen Aufwand unsere Fichtenwälder vor den Käfern schützen wollen, jedoch nicht wissen, was die Borkenkäferpopulationen wieder zusammenbrechen lässt.
„Die Klimaextreme werden die Wirtschaftswälder weiter schwächen“
Dies wollen jetzt Wissenschaftler um Dr. Peter Biedermann klären. Der Käferexperte ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Gemeinsam mit seinen an der Arbeit beteiligten Kollegen vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie Jena sowie vom Nationalpark Bayerischer Wald fordert er jetzt: „Es ist dringend notwendig, dass wir diese wissenschaftliche Basis schaffen, damit Forstwirtschaft und Politik künftig effizienter auf Ausbrüche des Borkenkäfers reagieren können.“
Die Ergebnisse aus diesen Untersuchungen könnten so auch als Beispiel für die Bekämpfung anderer schädlicher Waldinsekten dienen. Die wichtigste zu klärende Frage sei dabei, ob es ein praxistauglicher Ansatz im Management von Natur- oder sogar Wirtschaftswäldern sein kann, bei Massenvermehrungen von Insekten einfach gar nicht einzugreifen, so Biedermann. Im Nationalpark Bayerischer Wald hätten die Wissenschaftler beobachtet, dass Borkenkäferpopulationen auch ohne Bekämpfung nach einigen Jahren zusammengebrochen sind.
Ein vertieftes Wissen über den Lebenszyklus vor allem des Fichtenborkenkäfers ist angesichts des Klimawandels auch dringend nötig: „Die zu erwartende Verstärkung von Klimaextremen wird die heimischen Wirtschaftswälder weiter schwächen. Wir werden uns deshalb auf wachsende Probleme mit dem Fichtenborkenkäfer einstellen müssen“, so Jörg Müller, Professor am Lehrstuhl für Zoologie III der JMU und stellvertretender Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald.
Ist die Zeit der Fichten schlicht und einfach vorbei?
Zunehmend trockene und heiße Sommer bedeuten vor allem für Fichten enormen Stress. Denn ihre ursprüngliche Heimat hat die Baumart im Norden und in den Bergen; in niederen Lagen kommen Fichten natürlicherweise nicht vor. Erst der Mensch hat sie aus wirtschaftlichen Gründen im großen Stil dort angepflanzt. Fichten sind wenig widerstandsfähig gegen Hitze und Dürre. Eine lang anhaltende Wasserknappheit schwächt ihre Abwehr gegen den Borkenkäfer, während die zunehmende Sommerhitze und längere Vegetationszeit den Käfern gleichzeitig bessere Vermehrungsbedingungen bietet und die Entwicklung vom Ei bis zum fertigen Käfer immer schneller geht.
Jens Schlüter
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Im zweiten Teil lässt Jens Schlüter den für seinen Waldbau ausgezeichneten Förster Peter Langhammer zu Wort kommen, blickt auf den Holzmarkt sowie eventuelle „Entsorgungsgebühren“ für Käferholz und prophezeit, wie der Wald der Zukunft aussehen kann.
Der Forstbetrieb Neureichenau teilt mit: Kampf dem Käfer
„Der Wald ist in Not, Stürme und Trockenheit haben vor allem dem Charakterbaum des Bayerischen Waldes, der Fichte, in den letzten zwei Jahren schwer zugesetzt. Das zweite Trockenjahr in Folge hat nun auch im Bayerischen Wald zu einer Massenvermehrung des Borkenkäfers geführt. Die Folgen sind inzwischen für jedermann ersichtlich: Die kleinen Käfer befallen zu Tausenden die Fichten, vermehren sich unter der Rinde und bringen zahlreiche Fichten innerhalb weniger Wochen zum Absterben. Seit April durchstreifen daher die Forstwirte und Förster der Bayerischen Staatsforsten ihre Reviere und suchen nach den befallenen Fichten. Denn nur durch schnelles Finden und Aufarbeiten der befallenen Bäume und einen zügigen Abtransport kann die Ausbreitung des Borkenkäfers eingedämmt werden.
Schon seit Längerem sieht man vermehrt die abgestorbenen braunen Fichtenkronen im Passauer Raum, mittlerweile nimmt jedoch der Borkenkäferbefall auch im Inneren Bayerischen Wald erheblich zu. „Wir sind nun leider am Limit unserer Suchkapazitäten angelangt und freuen uns über jede zusätzliche Unterstützung“, so Korbinian Häuslschmid vom Forstbetrieb Neureichenau. Dafür sucht der Forstbetrieb Neureichenau nun neue Mitarbeiter, die befristet bis Ende Oktober helfen, den Wald zu erhalten. Körperliche Fitness, eine gewisse Geländetauglichkeit und ein eigener PKW sind die Vorrausetzungen, Grundkenntnisse über den Wald und die Baumarten von Vorteil. „Wir schulen die Leute vor Ihrem Einsatz und schicken Sie immer mit erfahrenen Waldarbeitern zur Suche. Ins kalte Wasser werfen wir keinen“, betont Häuslschmid. Jeder aus der künftigen Käfer-Task-Force bekommt dafür ein eigenes Smartphone mit der App „ZE Insekt“ gestellt. Damit können die gefundenen Käferbäume vor Ort mit GPS erfasst werden, die Daten werden täglich synchronisiert und erleichtern damit die anschließende Aufarbeitung und den Abtransport der befallenen Hölzer.
Interessierte können sich ab sofort direkt am Forstbetrieb Neureichenau unter 08583/60866-0 melden. Die detaillierte Stellenanzeige finden Sie auch unter http://www.baysf.de„