Bayerischer Wald. Wie sieht die Zukunft unserer Wälder vor dem Hintergrund der aktuell übermäßigen Borkenkäfer-Population aus? In einem zweiteiligen Gastbeitrag beschäftigt sich Förster Jens Schlüter mit diesem Thema. Nach einer beunruhigenden Bestandsaufnahme im ersten Teil erklärt der 40-Jährige nun, wie sich die hiesigen Borkenkäfer-Bestände sowie deren Folgeerscheinungen wohl entwickeln werden.
Die aktuellen, im ersten Teil der Hog’n-Serie „Die Zukunft unserer Wälder“ beschrieben Entwicklungen, bedeuten nicht, dass es im Bayerischen Wald künftig keine Fichte mehr geben wird – deren Bestand wird allerdings drastisch zurückgehen. Wichtig ist deshalb vor allem, dass standortfremde Fichtenreinbestände so rasch wie möglich in naturnähere Laubmischwälder umgebaut werden. In natürlich vorkommenden Fichtenwäldern muss wohl oder übel mit zunehmenden Ausfällen gerechnet werden.
Biozide als Bekämpfungsmittel sind tabu
Wie aber weitermachen bei der Fichte? Auch hier gibt es wohl keine pauschale Allgemeinlösung sondern verschiedene Konzepte, die von einer Senkung der Umtriebszeit auf 60 bis 80 Jahre bis hin zu einem Zulassen der natürlichen Dynamik reichen. Auf jeden Fall werden Fichten zukünftig einem deutlich steigendem Risiko unterliegen. Schon heute werden immer wieder selbst 50-jährige Fichten von Buchdruckern besiedelt, die noch gar kein richtiges Stammholz liefern.
Förster Peter Langhammer aus Zwieslerwaldhaus, der für seinen Waldbau die Bayerische Naturschutzmedaille verliehen bekam, setzt parallel zu einem schnellstmöglichen Waldumbau v.a. mit Tanne, Buche und auch Eiche auf ein differenziertes Vorgehen gegen den Borkenkäfer im Wirtschaftswald:
Einerseits ein schnellstmögliches, effizientes Aufarbeiten der besiedelten Fichten, wenn die äußeren Bedingungen eine wirklich effektive „Bekämpfung“ erlauben (z.B. erste Schwärmwelle im Jahr oder wenn bei eher kühler, feuchter Witterung die Käferentwicklung länger dauert) oder örtlich besondere Gefährdungen bestehen – und natürlich, wenn der Markt das Holz auch aufnehmen kann und eine rechtzeitige Holzabfuhr vor dem Ausflug der Käfer gewährleistet ist. Biozide als Bekämpfungsmittel sind für ihn absolut tabu und sollten gerade vor dem Hintergrund des Insektensterbens nicht mehr als Option gesehen werden.
Peter Langhammer ist überzeugt, dass durch den Klimawandel zukünftig immer häufiger Situationen wie die Aktuelle entstehen werden, in denen in heißen, trockenen Jahren die Zeitspanne zwischen dem ersten Erkennen des Befalls und dem Ausfliegen der neuen Borkenkäfergeneration so kurz wird, dass ein rechtzeitiges Fällen und Abtransportieren aus dem Wald gerade größerer Käferholzmengen vor dem Ausflug der jungen Käfer nicht mehr möglich ist.
Weil gleichzeitig die anfallenden Käferholzmengen schon jetzt immer größer werden, aber in immer kürzerer Zeit gefällt und aus dem Wald abtransportiert werden müssten, sind nicht nur viele Waldbesitzer selbst mit dieser Aufgabe überfordert, sondern es stehen auch zu wenige qualifizierte Einschlagsunternehmer und Transportkapazitäten zur Verfügung, um diese Aufgaben so zeitnah übernehmen zu können, als dass eine wirklicher „Bekämpfungserfolg“ gewährleistet wäre.
Zudem binden große Waldbesitzer wie der Bayerische Staat durch ihre Marktmacht und die großen dort anfallenden Holzmengen in Krisenzeiten regelmäßig Unternehmer an sich, die dann im Privatwald für die notwendigen Maßnahmen fehlen. Die von den Borkenkäfern besiedelten Fichten werden zwar dann trotzdem oft noch verspätet aufgearbeitet und verkauft, die Jungkäfer sind aber oft längst schon ausgeflogen, wenn das Holz aus dem Wald abtransportiert wird. Die Bäume sind dann zwar weg, mit ihnen jedoch auch die natürlichen Feinde der Borkenkäfer, die Käfer selbst bleiben aber immer noch im Wald – in neuen Fichten. Die großen Käferholzmengen verstopfen dann zudem einen völlig überfüllten Holzmarkt und bewirken nicht nur einen völligen Preisverfall beim Käferholz, sondern lassen den Frischholzpreis für Nadelholz kontinuierlich sinken.
Langhammer: „Die Gesetzeslage überdenken“
Die aktuelle Gesetzeslage mit einer generellen Verpflichtung zum Bekämpfen der Borkenkäfer führt dann zu einer Außerkraftsetzung der Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage, wenn das Holzangebot durch die erzwungene Käferbekämpfung unabhängig vom erzielbaren Preis weit größer ist als der Bedarf der überfüllten Sägewerke. Der normalerweise wertvolle Rohstoff Holz wird so zu einem „Entsorgungsproblem“, für das die Abnehmer vielleicht in Zukunft sogar „Entsorgungsgebühren“ (analog den Strafzinsen) verlangen werden, statt auskömmliche Preise zu bezahlen. Rechtzeitig aus dem Wald abgefahren werden die Fichtenstämme oftmals dennoch nicht, alleine schon, weil die Kapazitäten fehlen.
Förster Peter Langhammer hält solche enteignungsähnliche Eingriffe in die Entscheidungsfreiheit von Waldbesitzern nur dann für sinnvoll, solange wichtige Erfordernisse des Gemeinwohls oder der Daseinsvorsorge dadurch gesichert werden und auch nicht anders erfüllt werden können. Was soll aber heute mit der generellen Borkenkäferbekämpfungspflicht erreicht werden?
Zumindest in Phasen wie aktuell ist es wie beschrieben vollkommen illusorisch geworden, die Borkenkäfer noch wirkungsvoll zu begrenzen, tatsächlich wird aber wertvolles Naturkapital zum Entsorgungsproblem. Gleichzeitig ist klar, dass Fichten in vielen Gebieten, in Niederbayern jedenfalls entlang und südlich der Donau, keine Zukunft mehr haben und trotz aller Borkenkäferbekämpfungsversuche verschwinden werden. Es ist inzwischen allgemein weitgehend anerkanntes Ziel, sie dort durch „klimatolerantere“ Baumarten zu ersetzen. Weitaus besser geeignet gerade im Bayerischen Wald ist z.B. die Weißtanne. Sie tut sich allerdings sehr schwer auf geräumten Kahlflächen.
Ist die Borkenkäferbekämpfung durch generelles Fällen der Fichten und Schaffen von Kahlflächen auf der einen und Holzpreisverfall auf der anderen Seite also heute noch sinnvoll? Sollten wir nicht nach anderen Wegen suchen, um mit dem Thema Borkenkäfer umzugehen? Der Förster Peter Langhammer ist nach über 25 Jahren Berufserfahrung fest davon überzeugt, dass Wirtschaften in der Natur nur mit der Natur erfolgreich sein kann. Nicht der Energie-, Zeit- und und Kosten-aufwendige Kampf gegen natürliche Entwicklungen, sondern das Zulassen und gezielte Nutzen kostenloser natürlicher Prozesse sind ein Schlüssel zum Erfolg.
Borkenkäfer sind Geburtshelfer für vitalere Wälder
„Wir haben hier im Bayerischen Wald das Privileg, seit 35 Jahren beobachten zu dürfen, dass Borkenkäfer zwar durchaus viele Fichten zum Absterben bringen können, aber keinesfalls das Ende der Wälder sind – eher Geburtshelfer für neue, vitalere und viel artenreichere Wälder. Warum dürfen wir nicht versuchen, etwas von diesen Erfahrungen auch in unseren Wirtschaftswäldern zu integrieren, gerade in Zeiten, in denen Käferbäume jeden Marktwert verloren haben?“
Der Mangel an Totholz ist eines der größten Defizite in unseren Wäldern und neben Bodenverschlechterung auch für enorme Artenverluste (eines der weltweit größten Probleme der Menschheit) hauptverantwortlich. Für Peter Langhammer, der sich seit vielen Jahren aus vielen verschiedenen Gründen für ein wirtschaftliches und möglichst effizientes Anreichern der Wälder mit Totholz einsetzt, wäre deshalb in Situationen wie der aktuellen das Stehen- oder Liegenlassen der Borkenkäferbäume, eine wichtige und vernünftige Option gegenüber einer defizitären Aufarbeitung:
„Totholz hat so viele lebenswichtige Funktionen für unsere Wälder: Schutz und Unterstützung für die Waldverjüngung, Nährstoffspeicher, Lebensraum für unglaublich viele gefährdete Arten, auch für viele natürliche Gegenspieler der Borkenkäfer, Erosionsschutz, Schutz vor Austrocknung der Böden, CO2-Speicher und v.a. auch hervorragender Wasserspeicher. Am wirtschaftlichsten kann Totholz in Krisenzeiten für die Forstwirtschaft bereitgestellt werden. Den Waldbesitzern sollten hierzu mehr Entscheidungsfreiheit zugestanden und Fördergelder sinnvoller eingesetzt werden.“
Langhammer appelliert deshalb für ein Überdenken der generellen Bekämpfungspflicht, manchmal schade sie viel mehr als sie nützt. Ganz besonders unverständlich findet er die noch anhaltende Borkenkäferbekämpfung in den Entwicklungszonen des Nationalparks am Falkenstein. „Dadurch wird dem Gebiet am Falkenstein die Chance auf eine natürliche Waldentwicklung für viele Generationen genommen und der Privatwald mit sinnlos eingeschlagenen Holzmassen und der Konkurrenz um Forstunternehmer und Transportkapazitäten zusätzlich belastet.“
Es wird noch hitzige Diskussionen geben
Es ist auf jeden Fall überlegenswert, ob in Zeiten, in denen der Rohstoff keinen Marktwert mehr hat und von der Holzindustrie tendenziell sogar abgewehrt wird, die Gelegenheit als Chance zu nutzen und so effektiv wie nie Totholz anzureichern.
Dies dürfte wohl noch länger mehr oder weniger hitzig diskutiert werden, doch darf man nicht vergessen, dass diese Diskussionen lediglich über diverse Anpassungsstrategien geführt werden. Viel entscheidender ist jedoch endlich konsequent wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. Diese sind so bekannt wie unbequem, etwa sofortiger Ausstieg aus der Kohle, Verzicht auf Inlandsflüge und und und. Noch bleibt Zeit, hier den Hebel anzusetzen.
Jens Schlüter
Zerrissen zwischen den Standpunkten „Der Borkenkäfer muss bekämpft werden“ und „Natur Natur sein lassen“ hat mir dieser Artikel sehr weitergeholfen. Vielen Dank dafür.