Zwiesel. Und plötzlich war er da: Für viele völlig überraschend hat sich Jens Schlüter dazu entschlossen, für die Grünen bei den Landratswahlen im Landkreis Regen anzutreten. Dass seine Chancen, Nachfolger von Michael Adam zu werden, relativ gering sind, dem ist sich der 37-Jährige bewusst. Dennoch sieht der Mitarbeiter von MdL Markus Ganserer in seiner Kandidatur die Möglichkeit, für ihn und die Partei wichtige Themen anzusprechen und im Lichte der Öffentlichkeit zu platzieren. Im Interview mit dem Onlinemagazin da Hog’n spricht der studierte Forstwirtschaftler und überzeugte Naturschützer über einige Projekte im Landkreis Regen, die seiner Meinung nach wichtig sind. Dabei wird deutlich, dass der neugewählte Vorsitzende des SV 22 Zwiesel seinen Wahlkampf erfrischend ehrlich und mit einer gewissen Prise Humor in Angriff nimmt.
Herr Schlüter: Die Grünen fristen im Landkreis Regen ein Schattendasein. Sehen Sie das auch so?
Naja, ganz so schlimm ist es nicht. Bei der Kommunalwahl in Zwiesel haben wir kürzlich immerhin 15 Prozent erreicht. Auch in Viechtach und Regen konnten wir ähnliche Ergebnisse einfahren. Ein guter Wert, wie ich finde. Das liegt vor allem daran, dass bei Kommunalwahlen die Persönlichkeit eines Kandidaten wichtiger ist als dessen Parteizugehörigkeit.
Auch bei der Landratswahl im Herbst?
Ja, auch bei der Landratswahl.
„Die CSU wird nicht gewählt, weil sie die CSU ist“
Haben Sie überhaupt eine reelle Chance, Nachfolger von Michael Adam zu werden?
Das müssen die Wähler entscheiden. Ich erwarte jetzt keinen Erdrutschsieg. Aber die Grünen haben mit Wolfgang Rzehak in Miesbach und Jens-Marco Scherf in Miltenberg bereits zwei Landräte in Bayern, und ich will der Dritte werden!
Wer ist dann Ihr Favorit?
Aufgrund ihrer Bekanntheit wird Rita Röhrl sicher eine starke Rolle spielen. Die Chancen von Stefan Ebner kann ich überhaupt nicht einschätzen. Die CSU braucht nicht darauf zu hoffen, gewählt zu werden, nur weil sie die CSU ist. Dafür sind die Wählerbindungen an einzelne Parteien zu schwach geworden. Das merkt auch die CSU bei den Kommunalwahlen. Entscheidender ist hier die Persönlichkeit des Kandidaten.
Sie haben es bereits angesprochen: Der persönliche Bekanntheitsgrad ist bei Kommunalwahlen besonders wichtig. Ein Nachtteil für Sie?
Nein, das glaube ich nicht. Die Bürger im Landkreis Regen wissen durchaus, wer ich bin. Politik, Fußball, Naturschutz – ich bin in vielen Bereichen aktiv und treffe dabei auf viele Menschen. Gerade seit der Bekanntgabe meiner Kandidatur haben mich viele direkt angesprochen und gesagt, dass sie es toll finden, dass ich Landrat werden möchte. Ich hoffe, dass ich vor allem in Zwiesel auf einen großen Rückhalt zählen kann.
Der große Unbekannte ist Hans Müller, der für die AfD ins Landrats-Rennen geht. Ein völliger Außenseiter?
Ich kenne Herrn Müller nur flüchtig, habe ihn einmal bei einer Veranstaltung getroffen – mehr nicht. Deshalb ist es für mich nahezu unmöglich, sein Wählerpotenzial einzuschätzen.
Bisher gibt es vier Kandidaten, weitere könnten noch folgen. Wie versuchen Sie die nötige Aufmerksamkeit zu bekommen? Mit einem aggressiven Wahlkampf?
Nein, einen aggressiven Wahlkampf werde ich nicht führen – das könnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Man darf nicht außer Acht lassen, dass es auch eine Zeit nach den Abstimmungen gibt. Deshalb darf und will ich nicht nur verbrannte Erde hinterlassen. Wir Grünen können auch keinen CSU-Wahlkampf führen. Das dürfte klar sein. Uns fehlen dafür die finanziellen Mittel und das Personal. Stefan Ebner wird fast schon täglich von einem anderen Ortsverband eingeladen – ein Traum für einen Landratskandidaten, denn so bleibt er im Gespräch. Wir hingegen werden andere, kreativere Wege gehen.
„Demnächst soll eine Internetplattform für Exil-Waidler entstehen“
Zum Beispiel?
Durch den persönlichen Kontakt werde ich versuchen, die Menschen mit ins Boot zu holen. Außerdem soll demnächst – unter anderem mit Christian Zeitlhöfler und Felix Widmann aus Viechtach – eine Internetplattform für Exil-Waidler online gehen. Ein Thema, das wir auch ohne meine Kandidatur in Angriff genommen hätten. Wir möchten damit erreichen, dass Waidler, die irgendwo auf der Welt leben, Bescheid wissen, was sich in ihrer Heimat tut – vor allem, was die wirtschaftliche Entwicklung und dadurch entstandene Arbeitsplätze betrifft. Darüber hinaus soll das Image unserer Region auf diese Weise aufgebessert werden, weil gebündelt dargestellt wird, was der Bayerische Wald zu bieten hat.
Somit sollen auch potenzielle Fachkräfte gefunden werden bzw. in ihre Heimat zurückkehren?
Ja, freilich. Das wäre ein Nebenprodukt unserer Kampagne. Es könnte aber auch andersrum laufen. Exil-Waidler, die zum Beispiel Führungspositionen bei Großkonzernen haben, könnten jungen Waidlern Ausbildungs- oder Praktikumsstellen vermitteln. Somit entsteht eine Win-Win-Situation für beide Seiten.
Welche Themen – außer dem Fachkräftemangel – liegen Ihnen noch besonders am Herzen?
Der Öffentliche Personennahverkehr. Der ÖPNV muss im gesamten Bayerischen Wald weiter ausgebaut werden. Es kann nicht sein, dass es in der Region so gut wie unmöglich ist, mit Bus und Bahn von A nach B zu kommen. Glücklicherweise gibt es nun einige Leuchtturmprojekte – zum Beispiel das von Bürgermeister Heinrich in Freyung mitinitiierte Projekt „door2door„. Logisch, auch hier muss man erst mal abwarten, wie sich das Ganze entwickelt. Aber zumindest ist das mal ein guter Ansatz. Aber auch bei uns im Landkreis Regen gibt es gute Ideen, wie beispielsweise das Carsharing-Angebot von E-Wald. Dies wird sicherlich ein Schwerpunkt unseres Wahlkampfes.
„In FRG ist der Nationalpark besser akzeptiert“
Gibt es weitere Schwerpunkte?
Wir müssen unsere Stärken besser betonen. Wir sind wer, wir haben was zu bieten – doch viele Waidler sind meist zu bescheiden. Als überzeugter Naturschützer bin ich natürlich ein großer Fan des Nationalparks, der auch touristisch eine enorme Bedeutung hat. Was die Wahrnehmung dieses Schutzgebietes betrifft, hat der Landkreis Regen gegenüber Freyung-Grafenau Nachholbedarf, wie ich finde.
Wieso?
Im Unteren Bayerischen Wald ist der Nationalpark innerhalb der Bevölkerung besser akzeptiert. Ab und zu bin ich als Reiseleiter aktiv und komme so in viele Orte rund um das Schutzgebiet. Was mich dabei immer wieder überrascht: In Neuschönau oder Spiegelau zum Beispiel wird der Nationalpark viel stärker wahrgenommen als etwa in Zwiesel. Die FRG‘ler haben es darüber hinaus verstanden, den Nationalpark für sich zu nutzen – die Hotels sind besser aufgestellt, das Bussystem ist auf Wanderer ausgerichtet.
Wo möchten Sie noch Spuren hinterlassen, wenn Sie Landrat werden würden?
Als Landrat gibt es gewisse Themenfelder, die jeder auf diesem Posten bearbeiten muss. Diese Bereichen würden bei mir natürlich einen kräftigen grünen Anstrich bekommen. Und aufgrund der angespannten Haushaltssituation wäre meine Kreativität gefordert, um den Landkreis nach vorne zu bringen. Zunächst einmal wäre ich darauf jedoch bedacht, das zu sichern, was wir jetzt haben – vor allem im Bildungsbereich. Für viele Schüler ist es ein Glücksfall, dass wir drei Realschulen in Regen, Viechtach und Zwiesel haben. Mein Ziel ist es, diese auch weiterhin zu haben. Wichtig sind mir auch die beiden Krankenhäuser in Viechtach und Zwiesel, hier müssen wir den Spagat schaffen, zwischen Wirtschaftlichkeit und Zufriedenheit der dortigen Arbeitnehmer. Darüber hinaus gibt es natürlich auch ein paar weitere grüne Themen, die ich bearbeiten möchte…
Welche denn?
Es müssen mehr regionale Produkte in den Läden angeboten werden – das kulinarische Schaufenster in Zwiesel ist da ein gutes Vorbild. So könnte man die heimische Lebensmittelproduktion weiter anschieben. Ein astreines grünes Thema.
„Eine gigantische Summe wird investiert – für neun Sekunden“
Kopfzerbrechen bereitet mir auch der Ausbau der B11 von Regen nach Schweinhütt. Die bauintensivste Trasse ist dabei die Favoritin des staatlichen Bauamts – doch diese Variante bringt gerade einmal neun Sekunden Zeitersparnis. Das muss man sich einmal vorstellen. Eine gigantische Summe wird da investiert – für läppische neun Sekunden. Vom Flächenverbrauch will ich gar nicht reden. Es ist nur schwer vermittelbar, dass dieses Projekt wegen dieser kleinen Verbesserung essenziell für die wirtschaftliche Entwicklung sei. Mit dem Bund Naturschutz haben wir dazu eine 26-seitige-Stellungnahme verfasst. Allein daran wird schon deutlich, wie heikel dieses Thema ist.
Warum werden dann solche Baumaßnahmen überhaupt durchgeführt?
Wenn Planungen vorhanden sind und man bereits irgendwo mit der Umsetzung begonnen hat, baut man oft gerne weiter, zum Teil auch gegen besseres Wissens, nur um das Gesicht nicht zu verlieren. Im Verkehrswegeplan ist vermerkt, dass durch den Ausbau der B11 der Nationalpark besser angebunden sein soll. Doch wo liegt da der Sinn? Man vernichtet Flächen mit ausuferndem Straßenbau, um ein Naturschutzgebiet besser zugänglich zu machen. Das ist krank!
Zurück zum Landrats-Wahlkampf: Glauben Sie, dass Sie von den etablierten Parteien wie CSU und SPD unterschätzt werden?
Wenn man das Selbstverständnis der CSU betrachtet, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass sie mich unterschätzen (lacht). Mich stresst das aber nicht. Mir macht das alles Spaß und ich übernehme gerne Verantwortung. Ich aber auch unsere finanziellen und personellen Möglichkeiten und die meiner Konkurrenten – das erdet (lacht).
„Vernünftige Sachpolitik wichtiger als persönliche Animositäten“
Warum haben Sie eigentlich den Entschluss gefasst, als Landrat zu kandidieren?
Bei einer Versammlung mit meinen Parteikollegen hat sich herauskristallisiert, dass ich der geeignete Mann dafür wäre. Zunächst wollte ich nicht unbedingt kandidieren, letztlich hat man mich aber dann doch überzeugt. Durch meine Kandidatur kann ich nun Themenschwerpunkte setzen, kann zu Diskussionen anregen. Dinge, die im politischen Geschäft sehr wichtig sind. Wichtig ist meiner Meinung nach auch, das Persönliche außen vor zu lassen. Eine vernünftige Sachpolitik ist wichtiger als persönliche Animositäten – man muss sich zwingen, in der Politik nach Gemeinsamkeiten zu suchen.
(überlegt und lacht)
Es ist nicht so, dass ich meine Karriere minutiös geplant habe. Nachdem ich die CSU-Kandidatin bei der Bürgermeisterwahl in Zwiesel unterstützt habe, hoffe ich diesmal nur, dass mich die CSU wiederum bei der Stichwahl unterstützt… (lacht herzlich).
Gutes Schlusswort. Danke für das Gespräch – wir wünschen Ihnen alles Gute.
Interview: Stephan Hörhammer und Helmut Weigerstorfer