Bayerischer Wald. Im Nationalpark Bayerischer Wald läuft derzeit einer Pressemeldung zufolge die Borkenkäferbekämpfung in der sog. Rand- und Entwicklungszone auf Hochtouren. Neben gut 20 Waldarbeitern sind auch fünf Fremdfirmen im Einsatz. Inklusive der Schneebruchschäden müssen rund 35.000 Festmeter Holz aufgearbeitet werden. „Wir wenden derzeit alle verfügbaren Methoden an, um den Buchdrucker in Schach zu halten“, erklärt Nationalparkleiter Dr. Franz Leibl.
Allein die Tatsache, dass in den Randzonen des Naturschutzgebietes derartige, für diese Region eher untypischen Maßnahmen ergriffen werden, zeigt das generelle Problem, mit dem die Bestände des Bayerischen Waldes momentan zu kämpfen haben. Der Grund des Übels ist nur wenige Millimeter klein, besitzt aber die Fähigkeit, meterhohe und über viele Jahrzehnte gewachsene Bäume zu vernichten – und das über Quadratkilometer hinweg. Die Rede ist vom Borkenkäfer bzw. Buchdrucker (Ips typographus). Dessen Population nimmt derzeit ungeahnte Ausmaße im Bayerwald an, wie auch die Aussagen der Nationalparkverwaltung, der Waldbesitzervereinigung (WBV) Freyung-Grafenau, dem Staatsforstbetrieb Neureichenau und der Uni Würzburg bestätigen.
Klimatischen Veränderungen als Auslöser?
„Borkenkäfer: Wissenschaftler schlagen Alarm“ – eine Pressemitteilung mit dieser Schlagzeile hat die Hochschule aus der unterfränkischen Bezirkshauptstadt kürzlich versandt. Allein in Mitteleuropa waren die Käfer der Meldung zufolge im Jahr 2018 für gut 40 Millionen Kubikmeter Schadholz verantwortlich – weshalb die Universität von einer „gewaltigen Invasion“ spricht, die sich auch in diesem Jahr fortsetzen werde. „Wir versuchen mit vielen aufwändigen Maßnahmen unsere Wälder vor Borkenkäfern zu schützen. Doch was die starken Populationsschwankungen bei den Borkenkäfern eigentlich auslöst, darüber wissen wir sehr wenig“, erklärt Dr. Peter Biedermann, Erstautor einer zum Thema veröffentlichten Studie, in diesem Zusammenhang.
Die klimatischen Veränderungen – lange, trockene Phasen mit nur wenigen Niederschlägen – sowie weitere Einflüsse (natürliche Feinde, Krankheitserreger, die Konkurrenz innerhalb der eigenen Art und mit anderen Arten, Landschaftsstrukturen, der Baumbestand und die Widerstandsfähigkeit der bevorzugten Wirtsbäume) hätten dazu beigetragen, dass die Zahl des Ips typographus enorm zugenommen habe. Welche Rolle diese Ursachen im Einzelnen für die Populationsdynamik von Waldinsekten spielen, sei jedoch weitgehend unbekannt, erklärt Jörg Müller, Professor am Lehrstuhl für Zoologie III der JMU und stellvertretender Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald.
„Eine weitere Steigerung ist möglich“
Deshalb sei es unerlässlich weitere Forschungen anzustellen, „weltweit vorhandene Daten zu bündeln, Wissenslücken zur Populationsdynamik des Fichtenborkenkäfers und anderer Waldinsekten zu identifizieren und auf dieser Grundlage zentrale offene Fragen zum Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren durch neue Datenerhebungen zu beantworten“. Diese Zusammenhänge, die sich aus den Ergebnissen ableiten lassen, sollten, wie die Uni Würzburg fordert, in einem zweiten Schritt mit experimentellen Feldstudien getestet werden, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.
Theorie und Zukunftsmusik, die die aktuellen Probleme in den hiesigen Wäldern nicht von jetzt auf gleich beseitigen können. Aussagen, die ob der Borkenkäfer-Plage erbosten Privatwaldbauern wohl nur wenig besänftigen werden. Denn die Lage in den Beständen des Landkreises Freyung-Grafenau ist alarmierend. „Ende 2018 nahmen wir an, dass eine Steigerung des Schadholzanfalles in diesem Jahr kaum möglich sein könnte. Wenn wir jetzt zur Jahresmitte den Vergleich anstellen, müssen wir leider zur Kenntnis nehmen: eine Steigerung ist möglich – und nicht ausgeschlossen“, berichtet Josef Höppler, Vorsitzender der WBV.
Für ihn sei eindeutig die Witterung ausschlaggebend für die derzeit große Borkenkäfer-Population. Die frühen und starken Wärmeperioden, die folgenden sinnflutartigen Regenfälle und die sich anschließenden Hitzwellen hätten für eine drastisch-bedrohliche Schädlingssituation gesorgt. Dennoch müssten „viele tausend Eigentümer von kleineren und größeren Waldgrundstücken die Auswirkungen mehr oder weniger alleine tragen“, kritisiert Höppler in Anspielung auf den aktuell sehr schwierigen Holzmarkt.
„Die Lage ist so ernst, wie ich es noch nie erlebt habe“
Nach der enormen Schadholzmenge in Folge der Sturmereignisse vergangener Jahre habe der Holzmarkt eine neue Talsohle erreicht – vor allem aufgrund des andauernden Überangebots sei derzeit keine Erholung in Sicht. Hinzu komme, wie der Vorsitzende des WBV Freyung-Grafenau berichtet, dass Papierholz (Schleifholz) nur noch sehr schwer zu vermarkten sei, weil u.a. auch die Papierfabrik in Platting ihre Produktion zurückfahren wird. „Wegen dieser Erlössituation wird es für die Waldbesitzer zunehmend schwieriger eine Kostendeckung zu erreichen. Holzpreis plus Aufarbeitung bringen bei einigen Segmenten bereits ein monetäres Minus. Der Waldbesitzer ist froh, wenn er ein Nullsummenspiel erreicht – noch“, schlägt Höppler Alarm.
In eine ähnliche Kerbe schlägt Gudula Lermer, Leiterin des Forstbetriebes Neureichenau und somit Herrin über 18.500 Hektar Staatswald. „Die Lage ist ernst – so ernst, wie ich es noch nicht erlebt habe“, verdeutlicht die leitende Försterin. Im Landkreis Passau seien große Flächen älterer Fichten in akuter Gefahr, auch im Landkreis Freyung-Grafenau sehe es – „obwohl diese Region eigentlich prädestiniert für Fichten ist“ – nicht besser aus. Ein wöchentliches Monitoring würde diese Aussagen belegen, wie es von Seiten der Staatsforsten heißt. „Wir sehen aktuell eine Populationsdynamik wie noch nie zuvor, nicht einmal nach den Stürmen Vivien, Wiebke, Kyrill und Lothar.“ Um weitreichendere Folgen zu verhindern, sei der Forstbetrieb Neureichenau derzeit mit Nachdruck damit beschäftigt, die befallenen Fichten aufzuarbeiten.
„Erhalt des Wälder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“
Um bei den wirtschaftlich orientierten Bayerischen Staatsforsten etwas den Druck zu lindern und somit auch den Holzpreis für kleine und kleinere Waldbesitzer doch noch im Rahmen zu halten, hat Ministerpräsident Markus Söder kürzlich verkündet, dass das Hauptziel der Forstbetriebe künftig nicht mehr dasjenige sei, mit dem Wald Geld zu verdienen – vielmehr sollten sie ökologischer ausgerichtet werden. Das Borkenkäfer-Problem scheint angekommen zu sein in der Landeshauptstadt. Und auch vor Ort gibt es trotz der prekären Lage Positives zu berichten:
„Der große Vorteil ist, dass unsere Altbestände in der Regel mit standortgerechten, gemischten Verjüngungen aus Tannen und Buchen ausgestattet sind. Die jungen Bäumchen stehen bereits unter den Altbeständen, die jetzt den Käfern zum Opfer fallen, und können ohne den sog. Schirm weiterwachsen“, erklärt Gudula Lermer gegenüber dem Onlinemagazin da Hog’n. Josef Höppler indes ist davon überzeugt, „dass wir alle dazu beitragen können, dass sich unsere Natur, allen voran die Baumbestände, wieder erholen: Der Erhalt des Waldes ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
Helmut Weigerstorfer