Wien/Röhrnbach. Vor sieben Jahren, damals als 20-Jähriger, hatte Johannes Greß erstmals an die Redaktionstür des Onlinemagazins da Hog’n geklopft, um nach seinem Abitur am Waldkirchner Gymnasium und vor seinem Politikwissenschaftsstudium in Wien erste journalistische Erfahrungen zu sammeln. In fremde Länder hat es den Röhrnbacher immer schon gezogen, wie er etwa mit seiner Uganda-Serie unter Beweis stellte. Heute lebt und arbeitet er als freier Journalist gut 300 Kilometer vom Bayerischen Wald entfernt in der österreichischen Bundeshauptstadt – und hat vor wenigen Wochen sein erstes Buch veröffentlicht.
„Konsumideologie“ lautet der Titel des heuer im Schmetterling-Verlag erschienenen Werks, in dem sich der 27-Jährige mit der ideologischen Funktion von Konsum im Zusammenhang einer sich zunehmend radikalisierenden ökologischen Krise wissenschaftlich auseinandersetzt. Ein Thema, das aus seiner Masterarbeit an der Uni Wien, wo er als leitender Redakteur der Fachzeitschrift politix fungiert, hervorging und das nun in seinem Buch weiter vertieft wurde. Wir haben uns mit Johannes Greß über sein publizistisches Schaffen unterhalten.
Die zentrale Frage lautet: Wieso tun wir es trotzdem?
Johannes: Erzähl uns bitte zunächst, wie es dazu gekommen ist, dass du unter die Buch-Autoren gegangen bist?
Ich denke, ich schulde Herrn Andreas Scheuer ein aufrichtiges Dankeschön. Seine intellektuellen Ergüsse in diversen Bild-Interviews liefern mir regelmäßig Stoff zur Reflexion. In einer dieser Interviews meinte Scheuer, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen sei eine „Gängelung der Freiheit“. Ein ziemlicher Schwachsinn irgendwie, aber das hat mich nachhaltig beschäftigt – und war dann zunächst Anstoß für meine Masterarbeit, später auch für das Buch.
Dein Buch trägt den Titel „Konsumideologie“ – was ist unter diesem Begriff zu verstehen? Und: Mit welchen Fragen hast du dich in dem rund 170 Seiten starken Werk beschäftigt?
Ich interessiere mich generell für die Frage, warum Menschen Verhältnisse akzeptieren, die offensichtlich nachteilig für sie sind. Etwa: Warum stehe ich morgens um halb 7 Uhr auf, um zur Arbeit zu gehen, obwohl ich müde bin und eigentlich noch gerne im Bett liegen bleiben möchte? Ich stehe ja nicht auf, weil mein Chef neben mir steht und mir Gewalt androht, falls ich liegen bleibe. Sondern ich stehe auf, weil mir ein „Zuckerl“ versprochen wird. Weil ich mir mit dem Gehalt, das ich mit meiner Lohnarbeit verdiene, dann irgendwas Schönes kaufen kann. Vielleicht ein Auto, einen Fernseher, eine Urlaubsreise.
Jetzt wissen wir, dass diese Art des Konsumverhaltens nicht gerade nachhaltig ist – weder ökologisch noch sozial. Die Frage, die ich mir stelle: Wieso tun wir es trotzdem? Wieso verbrauchen wir trotzdem Unmengen an Ressourcen, verpesten die Luft und verseuchen die Flüsse, obwohl wir wissen, dass wir damit uns und unseren Kindern die Zukunft vermiesen? Ein Schlüssel, mir das zu erklären, ist der Begriff „Konsumideologie“ – plump formuliert: das Versprechen, dass wir frei und glücklich sind, solange wir nur zwischen 15 Sorten Ketchup auswählen können.
Kurz und knapp: Zu welchen Ergebnissen bist du gekommen? Was sind denn die die Kernbotschaften deiner Arbeit?
Eines der zentralen Ergebnisse lautet, dass es bei „nachhaltigem Konsum“ nicht darum geht, die Umwelt zu schützen, sondern darum, den Status quo aufrechtzuerhalten. Das Versprechen lautet: Ja, wir haben eine ökologische Krise – aber die können wir lösen, indem ihr, ihr Konsumentinnen und Konsumenten, einfach das Richtige kauft. Wer verspricht das? Ölkonzerne, die Automobilindustrie, Fluggesellschaften etc. – also Akteure, die einerseits Hauptverursacher der ökologischen Krise sind, und zudem als mächtige Player fungieren, die ein Interesse daran haben, dass ihnen der Umweltschutz nicht die Profite streitig macht. Anders formuliert: Es wird versucht davon abzulenken, dass wir es mit einer strukturellen, systemischen Dysfunktionalität zu tun haben, indem so getan wird, als wären die Konsumentinnen und Konsumenten daran Schuld, weil sie einfach das Falsche kaufen.
„Das eigene Konsumverhalten ist nur ein sehr kleiner Hebel“
Wie sehr beeinträchtigt unser Konsumverhalten die ökologische Krise tatsächlich?
Wenn ich heute Nachmittag im Supermarkt eine Bio-Banane anstatt eine konventionelle Banane kaufe, macht das selbstverständlich keinen Unterschied. Außer, dass ich vielleicht 20 Cent mehr bezahlen muss. Das soll nicht heißen, dass es völlig egal ist, was wir kaufen. Aber ich denke, das eigene Konsumverhalten ist nur ein sehr kleiner Hebel, um die ökologische Krise zu bearbeiten. Außerdem ist der „grünste“ Konsum immer noch der, einfach nichts zu kaufen. Diese Krise ist eine systemische und als solche muss sie auch bearbeitet werden. Das heißt: Es geht darum, sich politisch – in verschiedensten Formen – zu organisieren, um die Systemfrage stellen zu können.
Gehen Kapitalismus und Nachhaltigkeit überhaupt zusammen? Kann das funktionieren, die beiden scheinbar gegensätzlichen Pole unter einen Hut zu bekommen?
Es wird – von der AfD bis zu den Grünen, in Teilen auch bei der Linkspartei – so getan, als wäre das überhaupt kein Problem. Wir gestalten hier ein bisschen effizienter, dort wird uns schon noch irgendeine nette Technologie einfallen – und an anderer Stelle machen wir halt ein bisschen mehr Bio. Das ist naiv, denn es verkennt, wie umfassend und radikal diese Krise ist! All die „Innovationen“ der vergangenen Jahrzehnte haben nichts daran geändert, dass der CO2-Ausstoß insgesamt massiv angestiegen, die Umweltzerstörung in vielerlei Hinsicht fortgeschritten ist.
Die einzigen Dellen in der globalen CO2-Kurve finden sich 2007/2008 zur Finanz- und Wirtschaftskrise sowie 2020 zu Beginn der Corona-Krise. Also immer, wenn die globale Wirtschaftsleistung zurückgegangen ist, sank auch der CO2-Ausstoß – und nur dann! Es gibt Dutzende Studien, die belegen, dass sich Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung nicht entkoppeln lassen. Solange wir uns das nicht eingestehen, ist alles andere nur Kosmetik! Ob wir dieses System, das ohne Wachstum auskommt, dann Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus oder sonst wie nennen, ist letztlich egal…
„In Österreich gibt es eine Art Schnitzel-Reflex“
Welche Rolle spielt dabei die Politik im Generellen und spielen diejenigen, die sie umsetzen, im Besonderen?
Das ist wahrscheinlich eine der zentralen Fragen, auf die ich aber nicht wirklich eine Antwort habe. Die Politik bzw. der Staat ist ein enorm mächtiger Akteur mit enormen personellen, finanziellen, politischen, juristischen und organisatorischen (Wissens-)Ressourcen. Das bedeutet, er kann ein Ermöglicher in der Bearbeitung der ökologischen Krise sein. Kann – denn gleichzeitig wissen wir, dass der Staat in der Vergangenheit immer sofort zur Stelle war, wenn es darum ging, Kapitalinteressen zu retten. Während zum Beispiel große Unternehmen derzeit mit Förderungen überschüttet werden, gibt‘s für unsere angeblichen Systemerhalterinnen Applaus und eine Schachtel Pralinen. Historisch betrachtet bilden Staat und Kapital seit jeher eine Art Symbiose. Das heißt: Er kann genau so gut zum großen Verhinderer werden.
Eine Frage aus dem Leben: Konsumiert der Wiener anders als der Bayerwälder? Konntest du hier bereits Unterschiede ausmachen?
Die Wiener heißt in Wien Frankfurter, während die Frankfurter in Deutschland Wiener heißt. Genauso heißt eine Quarktasche in Wien Topfengolatsche. Nein, im Ernst: Die Wienerin oder der Wiener konsumiert mit Sicherheit anders als die Waidlerin oder der Waidler. Aber ich glaube, das ist weniger eine nationale Frage, als vielmehr eine Frage des Stadt-Land-Gefälles. Interessant ist, dass es in Österreich einen Art Schnitzel-Reflex gibt, der so in Bayern wahrscheinlich nicht existiert: Fordert hierzulande irgendwer, dass wir den Fleischkonsum zurückschrauben sollten, dauert es gefühlt nur ein paar Minuten, bis jemand beklagt, dass man dem kleinen Mann nun auch noch sein Schnitzel wegnehmen will. Das symbolisch völlig überladene Schnitzel hat in dieser Debatte in Österreich wohl etwa den Stellenwert wie das deutsche Tempolimit.
„Was mache ich mit dem Ding jetzt?“
Wie erhebend ist das Gefühl, das eigene Buch in Händen zu halten? Wie aufwendig war das Ganze für Dich? Wie viel Zeit hast du investiert?
Ich glaube, ich habe einen Paketboten selten so freudig entgegengestrahlt, als er an der Wohnungstür klingelte. Ich habe mich natürlich wahnsinnig darauf gefreut, als ich das gute Stück endlich in den Händen halten konnte. Aber man stellt sich dann schnell die Frage: Was mache ich mit dem Ding jetzt? Lesen werde ich es sicher nicht, weil ich den Text nach endlosem Überarbeiten und Korrekturlesen mittlerweile auswendig kann…
Über den Zeitaufwand möchte ich gar nicht nachdenken. Ich habe im März 2020 damit begonnen, mich intensiver mit dem Thema Konsumideologie auseinanderzusetzen. Endgültig fertig war das Manuskript dann im Juli 2022. Dazwischen lagen viele Tage, die ich in der Bibliothek verbracht habe. Das ist natürlich manchmal zermürbend und anstrengend, aber alles in allem ein wirklich schöner Prozess.
Hast du einen Rat für all diejenigen, die auch mit dem Gedanken spielen ein Buch zu schreiben?
Abseits der offensichtlichen Ratschläge à la „Spaß am Schreiben“ hat mir die „IG Autorinnen Autoren„, die es meines Wissens nach auch in Deutschland gibt, sehr geholfen. Die überprüfen kostenlos Verträge, die Autorinnen und Autoren mit Verlagen abschließen wollen. Das war mir wirklich eine große Stütze – und das würde ich wirklich jedem empfehlen. So ein Vertrag gilt schließlich bis 70 Jahre nach dem Ableben des Verfassers bzw. der Verfasserin.
Darf man mit weiteren Publikationen deinerseits rechnen? Ist schon was in Planung?
Konkret ist nichts geplant, vor allem weil das immer auch eine finanzielle Frage ist. Aber, wie gesagt, die Frage nach der Rolle des Staates in der ökologischen Krise interessiert mich wirklich sehr. Zumindest werde ich das jetzt wissenschaftlich mal eine Weile weiterverfolgen.
Da Woid als Rückzugsort
Wie geht’s für dich generell künftig beruflich weiter? Bleibst du in Wien als freier Journalist – oder zieht’s dich vielleicht doch wieder mal zurück in den Woid?
Im Woid geboren zu sein und in der Stadt zu leben, ist für mich schon eine Art Luxus. Ich fühle mich hier in Wien sehr wohl – aber mit ein Grund dafür ist, dass ich immer einen Rückzugsort zur Verfügung habe, wenn mir der Trubel hier mal wieder zu groß wird.
Vielen Dank für deine Zeit. Und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Johannes Greß, „Konsumideologie – Kapitalismus und Opposition in Zeiten der Klimakrise„, Schmetterling Verlag (2022), 168 Seiten, ISBN-10: 3896570374, ISBN-13: 978-3896570376, Preis: 16,80 Euro.