Wien. Bereits zehn Prozent aller Angestellten in Frankreich arbeiten in sogenannten Kooperativen. Dies sind Betriebe, die nach dem Prinzip der Selbstverwaltung funktionieren. Rund um den Globus, vom bayerischen Biobauernhof im Leitzachtal bis in die Minen des Kongos, probieren Menschen alternative Formen der Produktion aus. Der Gedanke dahinter: Eine ökologisch-nachhaltige Lebensweise, die auf einem Miteinander statt auf einem Gegeneinander basiert. Mit seinem Team reist der Wiener Filmemacher und Journalist Kurt Langbein um den Globus, begutachtet die Herrstellung von Frischkost im südkoreanischen Seoul und die kooperative Teeproduktion in Frankreich. Entstanden ist daraus der Dokumentarfilm „Zeit für Utopien“. Im Hog’n-Interview erklärt Langbein, warum wir um Kooperation und Formen nachhaltigen Wirtschaftens künftig nicht herum kommen werden…
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Scheitern des „realen Sozialismus“, werden Entwürfe einer Gesellschaft abseits oder jenseits des Kapitalismus schnell als Hirngespinst abgetan. Nach dem Fall der Mauer schien klar: Der Westen, ein kapitalistisches System, das auf Konsum und Individualismus setzt, habe das eindeutig bessere Modell anzubieten. Der amerikanische Politikwissenschafter Francis Fukuyama sprach in diesem Zusammenhang sogar vom „Ende der Geschichte“. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, so seine These, sei es das Modell des immerwährenden Wachstums, das uns auf ewig begleiten werde. Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 häufen sich jedoch die Zweifel daran…
Miteinander statt gegeneinander
„Nachhaltigkeit ist das Schlagwort unserer Zeit“, heißt es von Seiten des Regisseurs Kurt Langbein über seinen neuen Film. Mit einer gewissen „Wann-nicht-jetzt-wann-dann?“-Mentalität nimmt er dabei die Zuseher mit auf eine Reise durch eine Welt, die beweist, dass es auch anders geht. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass ein gesundes Miteinander oftmals besser, gesünder und nachhaltiger sein kann, als ständiger Konkurrenzkampf, ein stetes Streben nach Mehr, das die Maxime unserer Zeit zu sein scheint…
Herr Langbein, wieso ist gerade jetzt die Zeit für Utopien?
Kurt Langbein: Die Folgen der Wachstumsorientierung der Marktwirtschaft werden immer krasser, was die Ungleichheit unter den Menschen – und immer dramatischer, was die Auswirkungen auf die Natur betrifft. Gleichzeitig beginnen immer mehr Leute aktiv das Wirtschaften ohne Gier zu erproben – der Film soll davon erzählen. Denn wir brauchen Zukunftsbilder, um die nötigen Änderungen voranzubringen.
Ihr Film thematisiert diverse Formen alternativer Lebens- und Produktionsformen, die ein Element verbindet: Die Kooperation. Kann das der „Treibstoff“ einer zukünftigen Gesellschaft sein? Wie viel „Utopie“ steckt in diesem Vorhaben?
Kooperative Formen des Wirtschaftens und Lebens haben viele Vorteile. Sie unterliegen im Gegensatz zum Kapitalismus nicht dem Wachstumszwang und können zudem viel eher Ressourcen schonen – und sie machen die Menschen zufriedener. Utopie ist dabei eigentlich nur die massenhafte Verbreitung.
„Wir sind auf Gegenseitigkeit angelegt“
Als Gegenmodell zur Kooperation erleben wir derzeit ein Erstarken autoritärer, rechtsnationalistischer Tendenzen, bei denen es in erster Linie einmal darum geht, dass es die eigene Nation, das eigene Volk, ist, das im Vordergrund stehen soll….
Genau, gerade deshalb brauchen wir Zukunftsbilder, die zeigen, dass eine Zukunft möglich ist und wie sie aussieht. Die Ausgrenzungen anderer werden von Zukunftsangst befördert.
Ein häufig vorgebrachtes Argument in dieser Debatte lautet, der Kapitalismus, das permanente Verlangen nach Mehr, liege halt irgendwie in der Natur des Menschen. Ist ein alternatives Modell also von Vornherein zum Scheitern verurteilt?
Das Verlangen nach mehr liegt in der Logik des Kapitalismus, der kann nur mit Wachstum leben. Die Erde und die Menschen darauf können mit diesem Wachstum nicht mehr lange überleben. Und Kooperation, nicht Konkurrenz, war das evolutionäre Erfolgsmodell des Menschen. Wir sind auf Gegenseitigkeit angelegt.
„Mehr auf Sein als auf Haben konzentrieren“
Viele der Kooperativen und alternativen Produktionsformen beschränken sich auf die regionale Produktion. Kann sowas auch im größeren Maßstab funktionieren, auf nationaler oder gar globaler Ebene?
Modelle kooperativen Wirtschaftens im globalen Maßstab sind noch nicht ausreichend entwickelt. Aber Konzepte wie fairtrade und fairphone weisen die Richtung für den Umgang mit globalisiert-hergestellten Produkten.
Wenn wir uns eine solche Utopie als eine Gesellschaft ohne beständiges Wirtschaftswachstum vorstellen, muss das für uns Menschen automatisch Verzicht bedeuten – oder kann Weniger auch manchmal Mehr sein?
Der teilweise Verzicht auf den immensen Verbrauch an Ressourcen und Energie ist unbedingt nötig – aber sich mehr auf Sein als auf Haben zu konzentrieren, macht das Leben nicht ärmer, sondern reicher. Ich finde, dass die Menschen im Film das auch sehr deutlich zeigen.
„Ich baue mit dem Film nur die Brücke…“
Ulrike Herrmann sagt an einer Stelle im Film etwas sehr Interessantes: „Im Augenblick haben wir auf der einen Seite den dynamisch-wachsenden Kapitalismus und auf der anderen die Postwachstumsökonomie, in die wir umsteigen wollen. Und das einzige, was fehlt – und das ist leider nicht trivial – das ist die Brücke.“ Wie könnte so eine Brücke aussehen?
Das ist eine entscheidende Frage, über die eine Debatte auch unter Ökonomen zu führen ist. Ich baue mit dem Film nur die Brücke zu dieser Diskussion, mehr kann ein Film nicht leisten.
Mit dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ der Sowjetunion haben Utopien jenseits des Kapitalismus – gelinde gesagt – ein kleines Imageproblem. Wieso glauben Sie dennoch, dass eine Welt möglich ist, deren vorherrschendes Prinzip gerade nicht das Wirtschaftswachstum ist?
Weil wir keine Wahl haben, wenn die Erde noch eine Zukunft haben soll. Und weil die auch im Film gezeigten Modelle demonstrieren, dass Wirtschaft ohne Gier funktioniert – ohne Entartungen wie im „realen Sozialismus“.
Wie haben Sie persönlich die Dreharbeiten empfunden? Geht man da jeden Tag mit ruhigem Gewissen ins Bett?
Es waren aufregende Zeiten und viele bewegende Momente. Ich habe viele bewundernswerte Menschen kennen lernen und auf die Leinwand bringen dürfen. Besser schlafen würde ich, wenn ich wüsste, dass die Wege, die meine Protagonisten zeigen, auch massenhaft begangen werden.
Vielen Dank
Interview: Johannes Greß