Šumava/Böhmerwald. Als im Jahre 1858 durch das maßgebliche Engagement von Forstmeister Josef John (1802–1871) der Urwald Kubany (heute: Boubínský prales) als Schutzgebiet eingerichtet wurde, waren bereits 20 Jahre seit der Gründung des ersten europäischen Naturreservats, des Sophienwaldes (heute: Žofínský prales) im Gratzener Bergland, durch Georg Franz August von Buquoy (1781–1851), vergangen.

„Unberührt von des Menschen Hand, Urbildungen der Schöpfung, wildschön, großartig, staunenerregend, ehrfurchtgebietend“ – so beschrieb einst der Naturwissenschaftler Ferdinand von Hochstetter den Urwald Kubany. Foto: Lenka Ovčáčková
Der ausgeprägt wissenschaftlich-interdisziplinär denkende Graf Buquoy wurde stark durch die damalige ganzheitlich orientierte naturphilosophische Geistesströmung geprägt. Und es ist mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass ihn diese Tatsache zu der bahnbrechenden „Gründungstat“ bewogen hatte. Was hat aber Josef John motiviert, zwei Jahrzehnte später die Gründung des rund 100 Kilometer entfernten Kubany-Urwaldes zu forcieren? Wissenschaftlerin Lenka Ovčáčková ist der Frage nachgegangen.
„Ein Buch der Natur – lehrreich für jedermann“
Wenn man sich zu Johns Zeiten im damaligen Gebiet des Urwaldes bewegte, stellte sich aufgrund dessen unberührter Schönheit und unzähmbar natürlicher Wildheit das Gefühl der Betroffenheit und Demut bei seinen Betrachtern ein. Uralte hohe Bäume vermittelten in dem durch die Vielfalt der unverfälschten Natur bestimmten Wald ebenso eine schwer zu beschreibende Empfindung der Ewigkeit. Diese ungewöhnliche Stimmung und die essentielle Möglichkeit, die natürlichen Prozesse von Wachstum und Vergehen wahrzunehmen, waren für John sehr wichtig. Sein umfangreiches naturwissenschaftliches Wissen verband sich bei ihm mit der Gabe, das offene Auge und das offene Herz für die faszinierenden Naturphänomene zu behalten – und führte zu seinem großen Engagement für den Naturschutz im Böhmerwald.
Der in Peterhof (heute: Petrův Dvůr) bei Netolitz (heute: Netolice) im Jahre 1802 geborene Josef John besuchte die Schwarzenberg’sche Forstschule in Goldenkron (heute: Zlatá Koruna) und arbeitete danach in Schwarzenberg’schen Diensten. Im Jahre 1838 wurde er in das Forstamt nach Winterberg (heute: Vimperk) versetzt, wo er ab 1843 als Forstmeister tätig war. Als großer Liebhaber der natürlichen Wälder hatte er nicht nur gegen die flächendeckende Rodung und die darauf folgende Pflanzung von Monokulturen gekämpft, sondern auch sehr früh angefangen, die Pläne für die Gründung des Urwaldes vorzubereiten.
Um die Schwarzenberg’sche Herrschaft von seiner Idee zu überzeugen und auf die unbedingte Notwendigkeit der Urwald-Gründung hinzuweisen, organisierte er im Jahre 1849 eine erste Exkursion für die fachkundige Öffentlichkeit. Der ab 1852 an der Geologischen Reichsanstalt in Wien tätige Naturwissenschaftler Ferdinand von Hochstetter, der an der ersten geologischen Kartierung des Böhmerwaldes (1853–1855) maßgeblich beteiligt war, beschreibt in seinen populärwissenschaftlichen Schilderungen des Böhmerwaldes die besondere Art von John, das künftige Urwaldgebiet bei dieser Exkursion vorzustellen.
- Blick in den Kubany-Urwald. Foto: Lenka Ovčáčková
- Detailaufnahme des Grabsteins von Josef John in Winterberg. Foto: Lenka Ovčáčková
- Blick in den Kubany-Urwald. Foto: Lenka Ovčáčková
- Gedenktafel für Josef John und die Gründung des Kubany-Urwaldes in Idasäge. Foto: Lenka Ovčáčková
- Der Johnstein, rund 400 Meter unterhalb des Boubin. Foto: Lenka Ovčáčková
Die dortigen Wälder wurden als „unberührt von des Menschen Hand, Urbildungen der Schöpfung, wildschön, großartig, staunenerregend, ehrfurchtgebietend“ bezeichnet, worin „die Natur seit Jahrhunderten ungestört waltend die riesenhaftesten Holzkörper bildet und wieder zerstört, dort dieser, hier jener Holzart besonderen Standort anweist, dort wieder mehrere Spezies harmonisch zusammenstellt, immer und überall aber die individuell schwindende Generation durch frisches auf modernden Leichen keimendes Leben ersetzt“. Die Urwälder wurden durch John bei dieser Gelegenheit als „ein aufgeschlagenes Buch der Natur“ charakterisiert, das „lehrreich für jedermann“ sein sollte.
Im Gedenken an Josef John
Das Engagement von Josef John blieb nicht ungehört. Der Urwald Kubany wurde auf Grundlage seiner maßgeblichen Intervention am 1. Januar 1858 durch den Grafen Karl II. Schwarzenberg gegründet. Die Tradition der Exkursionen wurde auch nach der Gründung des Urwaldes beibehalten, wobei die letzte 1868 stattfand. Nachdem es in diesem Jahr und noch intensiver 1870 zu einem riesigen Sturm gekommen war, der mehr als die Hälfte des Urwaldes zerstört hatte, konnte John dies nur schwer verkraften. Er starb im Januar 1871 und wurde in Winterberg begraben.
Heute wird im öffentlichen Raum vielerorts an sein großartige Engagement erinnert. Eine Gedenktafel befindet sich an seinem Geburtshaus in Peterhof, eine andere am Haus des Informationszentrums des Nationalparks Šumava in Idasäge (heute: Idina Pila), das auf dem Weg zum Kubany-Urwald liegt. Im Zuge einer Wanderung auf den Kubany (heute: Boubín) ist es möglich, ca. 400 Meter unterhalb des Gipfels über eine kleine Abzweigung zum „Johnstein“, einem an das Wirken Johns erinnernden Gedenkstein, zu gelangen.
Lenka Ovčáčková
Im Rahmen des Projekts „History of Natural Sciences in the Czech Lands“ hat Lenka Ovčáčková (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften der Karlsuniversität Prag) zehn deutschsprachige Naturwissenschaftler aus dem Böhmerwald porträtiert (vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts), die das Onlinemagazin da Hog’n im Rahmen einer Serie seinen Leserinnen und Lesern präsentiert.