Šumava/Böhmerwald. Im Zuge unserer Streifzüge durch die Geschichte der Naturwissenschaften im weiten Böhmerwald ist es sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass es in der gräflichen Familie Buquoy, deren Herrschaft Gratzen den Großteil des Gratzener Berglandes (heute: Novohradské hory) umfasste, einen außergewöhnlichen polyhistorisch orientierten Denker gegeben hat. Die Rede ist von Graf Georg Franz August von Buquoy.
Dieser kann aufgrund seines umfangreichen aktiven Umganges mit und in der Welt kaum mit einer anderen Persönlichkeit im Böhmen verglichen werden. Dies gilt sowohl für „seine Zeit“, d.h. für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, als auch für die Zeit davor und danach. Graf Buquoy erbte die Herrschaft im Gratzener Bergland im Jahre 1803. Sie gehörte – neben Prag, Wien und Rothenhaus (dem Stammschloss der Grafen Rottenhan, der Familie seiner Frau, im Erzgebirge) – zu seinen wichtigen Aufenthaltsorten, die ihn sicher sehr inspiriert und geprägt haben.
Außergewöhnliche Begabungen
Buquoys Originalität hängt mit seinem aktiven – sowohl theoretischen als auch praktischen – Engagement nicht nur in vielen Bereichen der Naturwissenschaften (Mathematik, theoretische Physik, Chemie oder Biologie), sondern auch in den Fächern der Nationalwirtschaft oder der Technologie zusammen. Die Konstruktion eines modifizierten Barometers und eines Refraktometers sowie einer einfachen hölzernen Dampfmaschine oder die Herstellung des einzigartigen Hyalit-Glases sprechen für seine außergewöhnliche Begabung. Bei all diesen Aktivitäten begleitete Buquoy sein naturphilosophisches Gedankengut, im Rahmen dessen er die Welt als einen lebendigen Organismus wahrgenommen hatte, in dem eine dynamische Polarität zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos gespiegelt wird.
In Buquoys Tendenz, die Philosophie, die Poesie und die Intuition bei der Herangehensweise an ein umfassendes Naturverständnis zu vereinen, hat der Begriff der „Physis“ einen festen Platz. Denn diese soll es ermöglichen, die ganzheitlichen Prozesse in der Natur vom Entstehen bis zum Vergehen intensiv wahrzunehmen. Dieses Gedankengut spielte nicht nur in seinen naturphilosophischen Büchern eine große Rolle, wie z. B. in den „Skizzen zu einem Gesetzbuche der Natur“ (1817) oder in dem Werk „Ideelle Verherrlichung des empirisch erfassten Naturlebens“ (1822). Sondern war ohne Zweifel auch bei seinen Wanderungen in der Landschaft des Gratzener Berglandes präsent.
Zwei Urwälder, die auf Buquoy zurückgehen
Während einer solchen Wanderung im Lainsitz-Revier hat Graf Buquoy im Jahre 1838 einen besonderen Wald mit über 400 Jahre alten Bäumen entdeckt, dessen Zustand in ihm große Bewunderung und Hochachtung bewirkte. Er entschied sich sofort, diesen Urwald als ein Denkmal für künftige Generationen zu bewahren und aus der forstlichen Bewirtschaftung auszugliedern. Im selben Jahr legte Graf Buquoy die Grundlagen für den Schutz eines zweiten, etwas kleineren Urwaldes bei Heilbrunn (heute: Hojná Voda).
Buquoys freier, kontemplativer und intensiver Lebensweg bietet uns bis heute eine große Inspirationsquelle, weil er von einer harmonischen, ganzheitlichen und interdisziplinären Herangehensweise an die Natur und somit auch an die Naturwissenschaften geprägt und von einer ganz besonderen meditativen Stimmung umgeben war:
„Wer sehen will, was ich sehe, fühlen will, was ich fühle, wer die im Erscheinungsganzen dem Beobachter dargebotenen Hieroglyphen lesen und deuten will, wie ich sie lese und deute, wer in dieser Deutung die Wonne der Harmonie empfinden will, die ich empfinde, u.s.w.; der führe ein in sich zurückgezogenes, ein beschauendes, kontemplatives, gegen Lob und Tadel vollkommen gleichgültiges Leben, wie ich; […] Höre Alles; Liebe Keines; Hasse Keines; Strebe blos nach der selbstproduzierten höchsten Harmonie, deren du fähig bist; begnüge dich aber mit der Wonne, die im Akte jenes Strebens liegt, und beunruhige dich nicht mit der Sucht, ein letztes Ziel zu erreichen.“ (Buquoy 1825: 10)
Der Urwald Sophienwald (heute: Žofínský prales) umfasst eine Fläche von ca. einhundert Hektar (die ursprüngliche Größe war 38,3 Hektar) und wird von der Verwaltung des Landschaftsschutzgebietes Blanský les betreut. Das Betreten dieses Gebietes ist nicht erlaubt. Durch den Urwald bei Heilbrunn (heute: Hojnovodský prales) führt eine begehbare befestigte Straße, von der auf beiden Seiten Einblicke in den Urwald möglich sind.
Lenka Ovčáčková
Im Rahmen des Projekts „History of Natural Sciences in the Czech Lands“ hat Lenka Ovčáčková (wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften der Karlsuniversität Prag) zehn deutschsprachige Naturwissenschaftler aus dem Böhmerwald porträtiert (vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts), die das Onlinemagazin da Hog’n im Rahmen einer Serie seinen Leserinnen und Lesern präsentiert.